· Fachbeitrag · Kindergeld
Mehraktige Berufsausbildung: So bewahren Sie im Urteilsdschungel den Durchblick
| Kein Thema landet derzeit so oft vor den Finanzgerichten wie das Thema „mehraktige Berufsausbildung des Kindes“. Ausgang ‒ und Kindergeldanspruch ‒ offen. Lernen Sie deshalb die Grundsätze zur mehraktigen Berufsausbildung kennen und entwickeln Sie Ihre Strategie, um die Familienkasse und im Zweifel den Finanzrichter davon zu überzeugen, dass bei Ihrem Kind die Voraussetzungen erfüllt sind, und Sie für das Kind weiter Anspruch auf Kindergeld bzw. den Kinderfreibetrag haben. |
Die Grundsätze zur Beendigung einer Berufsausbildung
Befindet sich ein Kind in Berufsausbildung und hat sein 25. Lebensjahr noch nicht vollendet, steht den Eltern Kindergeld bzw. der Kinderfreibetrag zu (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG).
Wann gilt die erste Berufsausbildung als abgeschlossen?
Eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium gelten als abgeschlossen, wenn sie das Kind befähigen, einen Beruf auszuüben. Hat das Kind die erste Berufsausbildung abgeschlossen und startet eine Zweitausbildung bzw. ein Zweitstudium, steht den Eltern Kindergeld nur noch dann zu, wenn das Kind währenddessen keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden pro Woche, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein Minijob sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 S. 2 und 3 EStG).
Die kindergeldrettende „mehraktige Ausbildung“
Eine Ausnahme von der Regel ist die sog. mehraktige Erstausbildung: Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass ein Kind sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein (BMF, Schreiben vom 08.02.2016, Az. IV C 4 ‒ S 2282/07/0001-01, Rz. 12b, Abruf-Nr. 146411; BZSt, Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz, Stand 2018, A 20.2.4 Abs. 2, Abruf-Nr. 205509).
Prüfschema „mehraktige Ausbildung“ am konkreten Fall
In den Fundstellen dieser beiden Arbeitspapiere wird auf 2 wegweisende Urteile des BFH hingewiesen, aus denen die Systematik „pro Kindergeld“ abgeleitet werden kann (BFH, Urteil vom 03.07.2014, Az. III R 52/13, Abruf-Nr. 143203; BFH, Urteil vom 15.04.2015, Az. V R 27/14, Abruf-Nr. 178454). SSP hat dafür den Fall nachgebildet, den der BFH im Urteil vom 15.04.2015 verhandelt hat und bei dem die Richter grünes Licht für das Kindergeld gegeben haben.
- Ihr Sohn absolviert bis Ende Februar eine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik.
- Bereits zu diesem Zeitpunkt bewirbt er sich sowohl auf der Fachoberschule als auch um einen Platz an der Technikerschule.
- Sein erklärtes Fernziel ist es, den Abschluss eines Elektrotechnikers oder Elektroingenieurs zu erlangen.
- Ihr Sohn arbeitet von März bis Juli in einer Festanstellung (= Erwerbstätigkeit mit mehr als 20 Wochenstunden).
- Ab August besucht er die Fachoberschule, deren Besuch die Voraussetzung für das Studium an einer Fachhochschule ist.
Der BFH hat in dem Fall Kindergeld gewährt, obwohl das Kind zwischen März und Juli einer Erwerbstätigkeit mit einem Umfang von mehr als 20 Wochenstunden nachgegangen ist.
3 Voraussetzungen für mehraktige Berufsausbildung
Damit eine mehraktige Berufsausbildung vorliegt, die Sie im Zweifel auch vor einem FG durchsetzen können, müssen 3 Voraussetzungen erfüllt sein:
Voraussetzung 1: Angestrebtes Berufsziel des Kindes
Es kommt auf das angestrebte Berufsziel des Kindes an. Der Tatbestand „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ darf nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss erfüllt sein. Eine mehraktige Berufsausbildung wird vielmehr nur dann anerkannt, wenn das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht und aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar ist (BMF, Schreiben vom 08.02.2016, Rz. 12b).
PRAXISTIPP | Treffen Sie dafür am besten Vorkehrungen, bevor das Kind die erste Berufsausbildung abgeschlossen hat. Konkret:
|
Voraussetzung 2: Enger sachlicher Zusammenhang
Um die Familienkasse bzw. das FG von einer mehraktigen Betriebsausbildung zu überzeugen, müssen Sie nachweisen, dass zwischen den Ausbildungsabschnitten ein sachlicher Zusammenhang besteht. Die Ausbildungsabschnitte müssen also inhaltlich auf denselben Fachbereich derselben Berufssparte bezogen sein und damit auf dasselbe Berufsfeld vorbereiten.
PRAXISTIPP | Gehen Sie davon aus, dass auch Sachbearbeiter der Familienkassen und FG-Richter nicht wissen (können), welche Anforderungen ein bestimmtes Berufsfeld voraussetzt. Sammeln Sie deshalb die entsprechenden Informationen und stellen Sie sie den Entscheidern zur Verfügung. Wenden Sie sich dazu am besten an die Agentur für Arbeit, an einen Verband, an die weiterführende Schule oder an den Arbeitgeber, bei dem Ihr Kind ein Praktikum absolviert und lassen Sie sich schriftlich bestätigen, dass die einzelnen Ausbildungsabschnitte sachlich verbunden sind. |
Voraussetzung 3: Enger zeitlicher Zusammenhang
Die Ausbildungsgänge müssen in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen. Das erfordert, dass das Kind nach dem ersten ‒ objektiv berufsqualifizierenden ‒ Abschluss den nächsten Ausbildungsabschnitt mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnimmt.
Das bedeutet im Klartext: Kann das Kind die weiterführende Ausbildung zur Erreichung des Berufsziels nicht sofort aufnehmen, obwohl die Voraussetzungen vorliegen, können die verschiedenen Ausbildungsabschnitte nicht mehr zu einer einheitlichen mehraktigen Erstausbildung zusammenfasst werden. Eine Ausnahme gilt, wenn Ihr Kind den nächsten Ausbildungsabschnitt z. B. deshalb nicht aufnehmen kann, weil zu viele Bewerber da sind. Dann kann man ihm die „Zielstrebigkeit“ nicht absprechen.
PRAXISTIPP | Kümmern Sie sich weit vor Ende der ersten Ausbildung bereits um den nächsten Ausbildungsabschnitt auf dem Weg zum gewünschten Berufsziel. Halten Sie Ihre Bemühungen schriftlich fest und bewahren Sie alle Unterlagen auf. Nur so können Sie die Familienkasse letztlich von der Zielstrebigkeit und vom engen sachlichen Zusammenhang der Ausbildungsabschnitte überzeugen. |
Ein Blick in ausgewählte Rechtsprechung
Ein Blick in die Rechtsprechung lehrt, wo Steuerzahler mit dem geschilderten Vorgehen erfolgreich waren und das jeweilige FG davon überzeugen konnten, dass weiter Kindergeld gezahlt werden muss, weil eine mehraktige Berufsausbildung vorgelegen hat.
Urteil | Sachverhalt | Mehraktige Ausbildung |
FG Münster, Urteil vom 16.08.2018, Az. 10 K 3767/17 Kg, Abruf-Nr. 205510 | Sohn schließt Banklehre ab, Anmeldung zum nächstmöglichen Zeitpunkt für Bachelorstudium „Management & Finance“, angestrebtes Berufsziel „Bachelor of Arts“, Erwerbstätigkeit ab Ende Lehre bis Beginn Studium | Ja, weil ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsgängen bestanden hat. |
FG Düsseldorf, Urteil vom 18.07.2018, Az. 7 K 576/18 Kg, Abruf-Nr. 205511 | Tochter schließt Banklehre ab und absolviert im Anschluss daran eine Ausbildung zur Bankfachwirtin. Nachweise zum Berufsziel wurden ausführlich erbracht. | Ja, weil das von Anfang an angestrebte Berufsziel detailliert nachgewiesen werden konnte (Revision beim BFH, Az. III R 50/18). |
FG Düsseldorf, Urteil vom 28.05.2018, Az. 7 K 123/18 Kg, Abruf-Nr. 205512 | Tochter wird Verwaltungsfachangestellte (mittlerer Dienst als Beamtin) und absolviert neben ihrer Vollzeittätigkeit den Verwaltungslehrgang II (Ziel: gehobener Dienst). | Ja, weil nachweislich als Berufsziel von Anfang an der gehobene Dienst als Beamtin angestrebt wurde (Revision beim BFH, Az. III R 32/18). |
FAZIT | Zum Thema „mehraktige Berufsausbildung“ ist die Mehrzahl der Entscheidungen zu Ungunsten der Steuerzahler ausgegangen, weil die Richter zur Erkenntnis gelangt sind, dass kein enger inhaltlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten bestanden hat. Dem müssen Sie sich stellen. Ergreifen Sie die vorgestellten Maßnahmen und halten Sie sich alle Chancen offen, Kindergeld zu bekommen, bis Ihr Kind seinen Berufswunsch erreicht hat. |