· Fachbeitrag · Kindesunterhalt
Kindesunterhalt bei Fremdbetreuung
von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Bergisch Gladbach
| Der BGH zeigt, wie Kindesunterhalt bei Fremdbetreuung ermittelt wird. |
Sachverhalt
Die im November 00 geborene T stammt aus der Ehe von V und M, die verstarb. Nach der Eheschließung des V mit E zog T zu ihrem Onkel O. Der V ist Ende 16 an Krebs erkrankt. Er ist schwerbehindert mit dem Grad der Behinderung von 50. Er war von September bis Ende 17 nicht arbeitsfähig, hat aber während des ganzen Kalenderjahres 17 im Außendienst gearbeitet. Als Einkommensbestandteil erhält er einen Zuschuss für das Kfz von monatlich 1.000 EUR. Er hat einen Pkw geleast, den er beruflich nutzt. In den Jahren 15 bis 17 erzielte er Einkünfte von mehr als 80.000 EUR p. a. und erhielt mit der E Steuererstattungen. Bis November 18 bezog er für die T das Kindergeld und die Halbwaisenrente. V und E leben seit November 17 getrennt. Er bewohnt ein in seinem Alleineigentum stehendes Einfamilienhaus. Die T verlangt von V ab Januar 15 den doppelten Barunterhalt nach der höchsten Einkommensgruppe (EKG) der Düsseldorfer Tabelle (DT). Mit Jugendamtsurkunden hat sich der V verpflichtet, ihr bis zur Volljährigkeit Unterhalt zu leisten. Seit Mai 15 zahlt er diesen in unterschiedlicher Höhe.
Das AG hat V im fraglichen Zeitraum verpflichtet, in Abänderung der Jugendamtsurkunde rückständigen sowie ab August 18 einen monatlichen Unterhalt zu zahlen. Auf die Beschwerde des V hat das OLG den Rückstand reduziert. Die Rechtsbeschwerde der T ist erfolgreich, die des V nicht.
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(Abruf-Nr. 219324) |
Entscheidungsgründe
Betreuungsunterhalt ist mit der Höhe des Barunterhalts anzusetzen. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB regelt die Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt. Der überlebende Elternteil schuldet nach dem Tod des anderen sowohl den Bar- als auch den Betreuungsunterhalt.
MERKE | Bei Fremdunterbringung sind Ausnahmen von der Gleichwertigkeit des Bar- und des Betreuungsunterhalts denkbar. Das ist z. B. der Fall, wenn ein besonders hoher Betreuungsbedarf besteht oder wenn der Betreuungsbedarf durch die Höhe der Betreuungskosten konkret feststeht. Dafür trägt der Elternteil die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf einen solchen Ausnahmefall beruft. |
Die Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt gilt für die gesamte Zeit der Minderjährigkeit und unabhängig von der Frage, in welcher Einkommensgruppe der überlebende Elternteil einzuordnen ist. Verstirbt ein Elternteil, ist der Betreuungsunterhalt im Hinblick auf § 1615 Abs. 1 BGB zu monetarisieren. Danach erlischt der Unterhaltsanspruch mit dem Tod des Verpflichteten. Die Unterhaltspflicht geht nicht auf dessen Erben über. Dies ändert aber nichts daran, dass der andere Elternteil gem. § 1601 ff. BGB seinem minderjährigen Kind nun alleine zum Betreuungs- und Barunterhalt verpflichtet ist.
Hier ist die Betreuung durch den O eine freiwillige Leistung Dritter. Dies entlastet den allein unterhaltspflichtigen V nicht von seiner Unterhaltspflicht.
Das OLG hat zu Unrecht im Hinblick auf die dritte Altersstufe und der obersten EKG der DT den Betreuungsunterhalt um die Hälfte gesenkt. Ob der Wert der Betreuung mit dem Alter des Kindes und dem Einkommen des Elternteils steigt, ist zwar eine berechtigte Frage. Aus Gründen der Praktikabilität ist aber eine Pauschalierung geboten. Daher bezieht sich die Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt auf sämtliche EKG und Altersstufen (AS). Der Umstand, dass bei O keine besonderen Betreuungskosten angefallen sind und er neben der Betreuung vollschichtig erwerbstätig ist, ist unbedeutend. Die Betreuung als solche zieht i. d. R. keine konkreten Kosten nach sich, sodass es in der Natur der Sache liegt, wenn keine solchen anfallen. Auch die Vollbeschäftigung des O sagt nichts über die Belastung durch die Betreuung der T aus.
Berücksichtigung des Wohnwerts
Zu beanstanden ist, dass das OLG beim Wohnvorteil nur den hälftigen Mietwert für die Zeit angesetzt hat, in der der V mit der E in dem Haus gewohnt hat. Wenn das Kind nur noch einen Elternteil hat, leitet es seine Lebensstellung von der dieses Elternteils und damit von dessen Einkünften ab. Beim Kindesunterhalt ist die Höhe des Wohnwerts mit der bei einer Fremdvermietung erzielten objektiven Markmiete zu bemessen. Steht die Immobilie im Alleineigentum des Unterhaltspflichtigen, ist ihm unbeschadet etwaiger Unterhaltsansprüche Dritter der gesamte Wohnwert zuzurechnen. Dies gilt auch, wenn dessen neue Ehefrau mit im Eigentum lebt. Denn ihr Unterhaltsanspruch ist nachrangig, § 1609 BGB. Die Wohnungsüberlassung an die Ehefrau ändert nichts daran, dass der Unterhaltspflichtige als Alleineigentümer das alleinige Nutzungsrecht an der Immobilie hat und verpflichtet und in der Lage ist, es zu verwerten.
Berücksichtigung des Arbeitgeberzuschusses zum Pkw
Bezüglich des Zuschusses des Arbeitgebers zum Dienstwagen von 1.000 EUR monatlich ist fraglich, ob dieser aufgebraucht wird. Das OLG hat von den Einkünften des V monatlich die Kosten für das Auto in Form der Leasingrate, der Kfz-Versicherung und -steuer sowie eine Kilometerpauschale abgezogen. Zwar ist dies im Ansatz zulässig. Das OLG hätte aber prüfen müssen, ob der V das Kfz auch privat nutzen konnte. Die Beträge für die Kfz-Versicherung sowie die -steuer und die Leasingrate durften nicht ohne weitere Prüfung des Umfangs der privaten Nutzung vollständig vom Einkommen abgezogen werden.
Berücksichtigung überobligatorischer Einkünfte
Auch beim Kindesunterhalt kann ein Teil des Einkommens des Unterhaltspflichtigen unbeachtet bleiben, weil es auf einer überobligatorischen Tätigkeit beruht oder es sonst gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstieße. Eine überobligatorische Tätigkeit kann vorliegen, wenn die Erwerbstätigkeit mit an sich unzumutbaren gesundheitlichen Belastungen verbunden ist. Derjenige, der sich darauf berufen will, muss Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angeben und ferner darlegen, inwieweit die behaupteten gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken. Das OLG ist diesen Grundsätzen nicht gefolgt.
Berücksichtigung des Splittingvorteils aus der neuen Ehe
Alle Einkommensbestandteile und somit auch der Splittingvorteil können für den Kindesunterhalt herangezogen werden. Der Splittingvorteil ist in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn er auf dem alleinigen Einkommen des Unterhaltspflichtigen beruht. Wenn aber, wie hier, dessen Ehegatte eigene Einkünfte erzielt, ist der Splittingvorteil auf beide zu verteilen, allerdings nicht nach dem Halbteilungsgrundsatz, sondern nach dem Maßstab einer fiktiven Einzelveranlagung beider Ehegatten. Dem ist das OLG nur im Ansatz gerecht geworden.
Berücksichtigung der Halbwaisenrente und des Kindergelds
Die Rechtsbeschwerde des V ist erfolglos. Sowohl die Halbwaisenrente als auch das Kindergeld sind in voller Höhe auf den Bedarf der T anzurechnen. Eigenes Einkommen des Kindes mindert die Unterhaltsbedürftigkeit und damit auch seinen Unterhaltsanspruch. Dies gilt für Einkommen jeder Art, einschließlich der subsidiären Sozialleistung. Die Halbwaisenrente ist ebenso wie das Kindergeld auf den gesamten Bedarf anzurechnen. Da der überlebende Elternteil als alleiniger Unterhaltspflichtiger nicht nur für den Bar- sondern auch für den Betreuungsbedarf des Kindes aufkommen muss, dient das Kindergeld allein zu seiner Entlastung, sodass es in voller Höhe auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen ist.
Relevanz für die Praxis
Der BGH hat klargestellt: Aus Gründen der Vereinfachung entspricht der Betreuungsunterhalt immer dem Barunterhalt. Ausnahme: Der Betreuungsunterhalt fällt wegen besonderer Betreuungskosten höher aus. Die Darlegungs- und Beweislast trägt derjenige, der sich darauf beruft.
Zum Wohnvorteil
Beim Ehegattenunterhalt ist vor dem endgültigen Scheitern der Ehe wegen der Möglichkeit der Versöhnung der angemessene Wohnwert anzusetzen, sodass noch keine Verwertungsobliegenheit besteht. Der Gebrauchswert für die Wohnung ist i. d. R. danach zu bestimmen, welchen Mietzins der in der Wohnung Verbleibende auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende angemessene kleinere Wohnung zahlen würde. Ab Scheitern der Ehe setzt die Verwertungsobliegenheit ein. Dies begründet den Ansatz des vollen Wohnwerts. Die Ehe gilt ab Zustellung des Scheidungsantrags als gescheitert. M. E. ist bis dahin auch beim Kindesunterhalt nur der angemessene Wohnwert zuzurechnen (zum Ansatz des angemessenen Wohnwerts beim Kindesunterhalt auch (BGH 19.3.14, XII ZB 367/12, FK 14, 150).
Zum Arbeitgeberzuschuss für den Pkw
Festzustellen ist, welche Kilometerleistung des Kfz auf dienstlich veranlassten Fahrten beruht, um zu klären, ob der gesamte Zuschuss für den dienstlichen Gebrauch aufgebraucht wird. Zu Recht hat das OLG insoweit die Kilometerpauschale auf 0,20 EUR gesenkt, weil auch Leasingkosten anzusetzen sind und damit der Finanzierungsaufwand des Pkw zusätzlich berücksichtigt wird. Dieser Umstand führt dazu, dass die für die Pkw-Nutzung in der DT und in den Leitlinien zugrunde gelegte Kilometerpauschale nicht angesetzt werden darf, da sie darauf beruht, dass der Pkw-Nutzer Eigentümer ist.
Rechnet man die Pkw-Aufwendungen für Leasing, Kfz-Versicherung und -steuern mit dem dienstlich veranlassten Fahrtaufwand zusammen, ist die sich daraus ergebende Summe mit dem Arbeitgeberzuschuss zu vergleichen. Übersteigt der Zuschuss diese Aufwendungen, kann der überschießende Betrag als Einkommen zugrunde gelegt werden, da er nicht beruflich veranlasst ist.
Wenn V den Pkw auch privat nutzt, wovon i. d. R. auszugehen ist, ist ihm ein Teil der Finanzierungskosten, der Kfz-Steuer und der Kfz-Versicherung zuzurechnen. Sind die Kfz-Aufwendungen höher als der Zuschuss, ist der gesamte Zuschuss als dienstlich veranlasst anzusehen. Es muss aber noch geprüft werden, ob die noch verbleibenden Kfz-Kosten den Privatanteil des V abdecken oder der Anteil der Privatnutzung noch höher ist.
Wenn die verbleibenden Kfz-Kosten der Höhe nach dem privaten Nutzungsanteil entsprechen, sind die Kfz-Steuer und Kfz-Versicherung nicht vom Einkommen abzuziehen. Etwas anderes dürfte aber für die Leasingrate gelten, da diese wie ein Pkw-Kredit immer dann als Abzugsposten bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen ist, wenn die Pkw-Nutzung ‒ wie hier ‒ aus beruflichen Gründen erforderlich ist. Es gibt keinen Anlass, allein wegen des Arbeitgeberzuschusses von diesem Grundsatz abzuweichen.
Wenn sich aber ergibt, dass der Privatanteil höher ist als der Kostenaufwand, der nach Abzug des Arbeitgeberzuschusses übrigbleibt, dann muss der vom Arbeitgeber geckte Privatanteil zusätzlich einkommenserhöhend berücksichtigt werden. Zum gleichen Ergebnis käme man, wenn man von vornherein von der Kfz-Steuer und der Kfz-Versicherung den privat genutzten Anteil abzieht, und die verbleibenden Kosten mit dem Arbeitgeberzuschuss verrechnet.
Zur überobligatorischen Tätigkeit
Wenn mehr gearbeitet wird als krankheitsbedingt möglich, besteht insoweit keine Erwerbsobliegenheit. Der Betreffende kann diesen Anteil der Tätigkeit jederzeit aufgeben. Bei der Frage, ob der überobligatorische Teil der Erwerbseinkünfte ganz, z. T. oder gar nicht anzusetzen ist, sind erneut sämtliche Umstände abzuwägen. Derjenige, der sich auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbstätigkeit berufen will, muss Art und Umfang der Beeinträchtigungen oder Leiden angeben. Ferner muss er darlegen, inwieweit die gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbstätigkeit auswirken. Allein der Hinweis auf ein Attest und ein Gutachten zur eingeschränkten Erwerbstätigkeit reichen nicht aus. Vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, welche Tätigkeit im Hinblick auf die erwerbsbedingten Beeinträchtigungen nicht ausgeübt werden kann, dies aber trotzdem erfolgt. Auch die dadurch bedingten Leiden sollten, wenn es sich nicht aufdrängt, beschrieben werden.
Zum Splittingvorteil
Ist allein der Unterhaltspflichtige erwerbstätig, ergibt sich der Splittingvorteil aus der Steuerklasse III. Die Steuervorteile gegenüber der Steuerklasse I machen den Splittingvorteil aus. Dieser Splittingvorteil ist in voller Höhe beim Kindesunterhalt als Einkommen einzusetzen. Kinder, die aus der Ehe hervorgehen, dürfen nicht anders behandelt werden als voreheliche Kinder.
Sind sowohl der Unterhaltspflichtige als auch sein Ehepartner erwerbstätig, ist der Splittingvorteil individuell zu ermitteln. Ein Steuerbescheid ist gem. § 270 AO aufzuteilen. Danach ist das Verhältnis der Erstattungsbeträge aufgrund einer fiktiven Einzelveranlagung beider zu ermitteln. Dabei ist von den Zahlen im aufzuteilenden Steuerbescheid auszugehen.
- Im ersten Schritt ist das Bruttoeinkommen beider zugrunde zu legen.
- Im zweiten Schritt ist das steuerpflichtige Einkommen zu ermitteln. Die mindernden Positionen sind demjenigen Ehegatten zuzuordnen, in dessen Person sie eingetreten sind. Lässt sich eine bestimmte Position weder dem Ehemann noch der Ehefrau zuordnen, wird der Betrag hälftig geteilt.
- Im dritten Schritt ist das so für jeden Ehegatten ermittelte Einkommen nach dem sich aus der Grundtabelle ergebenden Steuersatz zu besteuern.
- Im vierten Schritt ist die sich aus der Grundtabelle ergebende Steuerlast ins Verhältnis zu setzen.
- Im fünften Schritt ist die Lohnsteuer aus dem Steuerbescheid, die für beide Ehegatten einbehalten wurde, gegenüberzustellen. Von der festgesetzten Gesamtsteuer ist für jeden Ehegatten der Anteil zu ermitteln, der sich bei Zugrundelegung des Prozentsatzes errechnet, der durch die Versteuerung des Einkommens nach der Grundtabelle berechnet worden ist (dritter Schritt).
- Im sechsten Schritt ist dieser Anteil von der einbehaltenen Lohnsteuer abzuziehen. Die Differenz ergibt den auf jeden Ehegatten entfallenden Anteil der Steuererstattung.