· Fachbeitrag · Kindesunterhalt
So berechnen Sie den Kindesunterhalt beim Wechselmodell
von RiOLG Paul Wesseler, Hamm
| Beim Wechselmodell entfällt die Barunterhaltspflicht ‒ anders als beim Residenzmodell ‒ nicht schon wegen der hälftigen Betreuung. Der sich nach dem beiderseitigen Einkommen der Eltern richtende Bedarf des Kindes umfasst den Regelbedarf sowie die Mehrkosten des Wechselmodells. |
1. Fiktiver Sachverhalt
Vater (V) und Mutter (M) praktizieren für Benni (B), acht Jahre, ein paritätisches Wechselmodell. Die M erhält das Kindergeld. Der V hat ein monatliches Nettoeinkommen von 2.900 EUR, die M ein solches von 2.100 EUR. Die M besorgt die Kleidung für B und wendet dafür monatlich durchschnittlich 80 EUR auf. Außerdem trägt sie die Mehrkosten für die Offene Ganztagsschule (OGS) i. H. v. 200 EUR (inklusive 80 EUR Essen). Schließlich entstehen bei ihr Mehrkosten für die Wohnung von monatlich 20 EUR. Der V trägt die Mehrkosten von monatlich 100 EUR, die durch eine chronische Erkrankung entstehen. Bei ihm entstehen Mehrkosten für die Wohnung von monatlich 40 EUR und Fahrtkosten von 60 EUR monatlich.
2. Richtiger Antragsteller
Fraglich ist, wer richtiger Antragsteller ist, um Kindesunterhalt geltend zu machen, wenn die Kindeseltern ein paritätisches bzw. reines Wechselmodell durchführen. Beim paritätischen Wechselmodell, d. h. etwa hälftige Teilung der Betreuung, lässt sich kein Schwerpunkt der Betreuung ermitteln. Folge: Kein Elternteil hat die Obhut i. S. v. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB inne. Da sowohl für § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB (Vertretung durch obhütenden Elternteil) als auch für § 1629 Abs. 3 BGB (gesetzliche Verfahrensstandschaft) erforderlich ist, dass bei dem Vertreter des Kindes oder dem Verfahrensstandschafter der Schwerpunkt der Kinderbetreuung liegt, ist mit Einrichtung eines Wechselmodells keine Vertretung oder Verfahrensstandschaft mehr möglich (OLG Brandenburg NJW-RR 19, 1473). Im Falle eines Wechselmodells muss daher derjenige Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält,
- entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführen, um es bei der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs zu vertreten oder
- beantragen, ihm gem. § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen (BGH FamRZ 17, 532, Rn. 19; 14, 917 Rn. 18; OLG Frankfurt 12.7.16, 6 UF 60/16).
3. Barunterhaltspflicht jedes Elternteils
Ein Elternteil ist nicht schon wegen der von ihm geleisteten hälftigen Kinderbetreuung nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB vom Barunterhalt befreit. Die Regelung des § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB betrifft nur das Residenzmodell, bei dem die Kinder bei einem Elternteil leben. Hier findet gleichsam eine Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung statt (BGH FamRZ 17, 437).
Bei der Durchführung des reinen Wechselmodells kommt eine Befreiung von der Erwerbsobliegenheit schon deshalb nicht in Betracht, weil sonst beide Eltern vom Barunterhalt (§ 1612a Abs. 1 BGB) befreit wären.
Der Kindesunterhalt im Wechselmodell ist auch nicht generell durch den geleisteten Naturalunterhalt gedeckt. Denn die Gewährung von Naturalunterhalt betrifft den Gesichtspunkt der Erfüllung, aber nicht den Gesichtspunkt der Bemessung. Im Rahmen der Bemessung der Unterhaltspflicht sind die von den Eltern geschuldeten Unterhaltsanteile (§ 1606 Abs. 3 S. 1 BGB) festzulegen (BGH, a.a.O.).
4. Kein Entfallen der Barunterhaltspflicht
Leben die Eltern zusammen, vereinbaren sie häufig, gem. § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB den Unterhalt in Naturalien zu leisten. Nach der Rechtsprechung des BGH wird mit der Vereinbarung eines Wechselmodells nicht zugleich die gemeinsame Bestimmung gem. § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB getroffen, den Unterhalt wie vor der Trennung insgesamt in Naturalien zu leisten, sodass von vornherein keine Barunterhaltspflicht besteht (BGH FamRZ 17, 437). Ein solcher Inhalt kann der Vereinbarung des reinen Wechselmodells regelmäßig nicht beigemessen werden. Die Wechselmodellvereinbarung betrifft zunächst nur die Ausübung der elterlichen Sorge in Bezug auf Betreuung und den Aufenthalt des Kindes. Eine zusätzliche Regelung bezüglich des Unterhalts muss gesondert vereinbart werden.
5. Bedarf
Der Bedarf des im reinen Wechselmodell betreuten Kindes richtet sich nach dem addierten Einkommen beider Elternteile. Er umfasst neben dem Regelbedarf auch die Mehrkosten des Wechselmodells ‒ und natürlich die gängigen Mehrkosten (krankheitsbedingter Mehrbedarf, schulischer Mehrbedarf für Sonderunterricht, Besuch einer Privatschule, Ganztagsschule oder eines Internats, eines Kindergartens oder eines Horts).
a) Regelbedarf
Bei der Ermittlung des Bedarfs sind die Einkommen beider Elternteile einzubeziehen (Zusammenrechnung). Das ergibt sich schon daraus, dass kein Elternteil von der Barunterhaltspflicht befreit ist. Es erfolgt keine Aufspaltung in zwei gesondert zu ermittelnde Beträge, die für jeden Elternteil nach dessen alleiniger Unterhaltspflicht zu berechnen wäre, weil der Unterhaltsbedarf des Kindes ein einheitlicher ist und sich von beiden Elternteilen ableitet. Unterschiedliche Anteile ergeben sich gem. § 1603 Abs. 3 S. 1 BGB erst aus
- der individuellen Leistungsfähigkeit der Elternteile und der daran orientierten Beteiligungsquote sowie
- der Begrenzung der Unterhaltspflicht auf den Betrag, den der Unterhaltspflichtige bei alleiniger Haftung zahlen müsste.
b) Mehrkosten des Wechselmodells
Der Tabellenunterhalt muss ggf. wegen der Mehrkosten erhöht werden. Mehrkosten können aufgrund der Aufteilung der Betreuung entstehen durch
- erhöhte Unterkunftskosten, weil in der Wohnung jedes Elternteils ein Kinderzimmer, Kleidung, Spielzeug, Schulbedarf u. s. w. vorhanden sein müssen. Es kann sein, dass der in Nr. 21.5 der Leitlinien der OLGe zur Anpassung des Selbstbehalts vorgesehene Ansatz für die Unterkunftskosten nicht ausreicht.
- erhöhte Fahrtkosten, weil ein Wechselmodell zu häufigeren Fahrten zwischen den beiden Wohnungen führen kann.
c) Kindergeld
Nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte zu verwenden, um dessen Barbedarf zu decken, wenn ein Elternteil i. S. v. § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB seine Unterhaltspflicht durch Betreuung erfüllt.
In allen anderen Fällen erfolgt die Anrechnung des Kindergeldes gem. § 1612b Abs. 1 Nr. 2 BGB in voller Höhe auf den Barbedarf. Diese Anrechnungsregel ist auf die Fälle getrennt lebender Eltern zugeschnitten, in denen einer der beiden Elternteile das minderjährige Kind betreut, während der andere Elternteil zur Zahlung des Barunterhalts verpflichtet ist. Mit der Auffangvorschrift des § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB wollte der Gesetzgeber Fälle erfassen, in denen es einer Betreuung nicht mehr bedarf (wegen Volljährigkeit) oder kein Elternteil das minderjährige Kind betreut (z. B. Fremdunterbringung).
Keiner dieser Fälle liegt beim Wechselmodell vor. Aber die in § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB vorgesehene Halbanrechnung des Kindergeldes auf den Barbedarf beruht auf der grundlegenden gesetzgeberischen Erwägung, dass betreuende Elternteile mit der anderen Hälfte des Kindergeldes bei der Erbringung ihrer Betreuungsleistung unterstützt werden sollen (BT-Drucksache 16/1830, S. 30; BGH FamRZ 14, 1183 Rn. 38). Diese Erwägung passt genau zum Wechselmodell. Hieraus ergibt sich Folgendes:
- Die auf den Barunterhalt entfallende Hälfte des Kindergeldes ist nach dem Maßstab der elterlichen Einkommensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 S. 1 BGB) zu verteilen. Verlangt der nicht kindergeldbezugsberechtigte Elternteil insoweit die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils (also 1/4 des gesamten Kindergeldes), ist es seine Sache, die Haftungsanteile der Eltern am Barunterhalt darzulegen und zu beweisen. Eine solche Darlegung wird i. d. R. einen gesonderten Kindergeldausgleich entbehrlich machen, weil eine Gesamtabrechnung über den unterhaltsrechtlichen Ausgleich zwischen den Eltern möglich ist. Ein Anspruch auf hälftige Auskehrung des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils kommt beim Wechselmodell auch in Betracht, wenn beide Elternteile nicht leistungsfähig sind.
- Der auf den Betreuungsunterhalt entfallende Anteil am Kindergeld steht den Elternteilen aufgrund der gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen hälftig (= 1/4 des ganzen Kindergeldes) zu. Auch wenn ein Teil nur über Einkünfte unterhalb des notwendigen Selbstbehalts verfügt und keinen Barunterhalt leisten muss, kann er von dem anderen im Wege des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs die Auskehrung von 1/4 des Kindergeldes (= 1/2 des auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteils) verlangen.
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| 645 EUR | |||
| ./. 102 EUR | |||
543 EUR | ||||
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| 40 EUR | (Wohnung V) | ||
20 EUR | (Wohnung M) | |||
60 EUR | (Fahrtkosten) | |||
120 EUR | ||||
| 100 EUR | |||
| 120 EUR | |||
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| 883,00 EUR | |||
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| 2.900 EUR ./. 1.400 EUR (angemessener Selbstbehalt) = | 1.500,00 EUR | ||
| 2.100 EUR ./. 1.400 EUR (angemessener Selbstbehalt) = | 700,00 EUR | ||
| 1.500 ÷ (1.500 EUR + 700 EUR) × 883 EUR = gerundet | 603,00 EUR | ||
| 700 ÷ (1500 EUR + 700 EUR) × 883 EUR = gerundet | 280,00 EUR | ||
e) Anrechnung erbrachter Leistungen | ||||
V | 603 EUR | (Aufrundung gem. § 1612a Abs. 2 S. 2 BGB) | ||
abzüglich | ./. 100 EUR | (Krankheitskosten) | ||
./. 40 EUR | (Wohnkosten) | |||
./. 60 EUR | (Fahrtkosten) | |||
403 EUR | ||||
M | 280 EUR | |||
abzüglich | ./. 80 EUR | (Kleidung) | ||
./. 200 EUR | (OGS einschl. Essen) | |||
zuzüglich | 102 EUR | (hälftiges Kindergeld / bzgl. Barunterhalt) | ||
102 EUR | ||||
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| 150,50 EUR | |||
| ./. 51,00 EUR | |||
Es verbleibt eine Ausgleichszahlung (V an M) von | 99,50 EUR | |||
| 552,00 EUR |
Weiterführender Hinweis
- Wie Sie den Kindesunterhalt beim annähernden Wechselmodell richtig berechnen, lesen Sie demnächst in FK.