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· Fachbeitrag · Kündigungsfrist

Azubi genießt bei Abbruch seiner Ausbildung auch längere Kündigungsfrist als 4 Wochen

| § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG legt keine zwingende Kündigungsfrist fest, die vom Auszubildenden (Azubi) nicht überschritten werden darf. Deshalb darf er bei einer Berufswechselkündigung das Ausbildungsverhältnis zu dem von ihm beabsichtigten Zeitpunkt der Aufgabe der Berufsausbildung auch mit einer längeren als der gesetzlich normierten Frist von 4 Wochen kündigen. |

 

Sachverhalt

Der 1998 geborene Auszubildende begann am 1.8.15 eine Ausbildung zum Elektroniker. Diese sollte am 31.1.19 enden. Er kündigte das Ausbildungsverhältnis am 4.1.16 zum 29.2.16. Hierbei gab er an, er habe sich für einen anderen Berufsweg entschieden und wolle die derzeitige Ausbildung aufgeben. Seine neue Berufsausbildung beginne am 1.3.16. Das Kündigungsschreiben war von den Eltern mitunterzeichnet. Der ArbG informierte den Auszubildenden am 13.1.16 darüber, dass das Ausbildungsverhältnis vier Wochen nach Zugang der Kündigung und damit bereits am 2.2.16 ende. Dementsprechend informierte sie die IHK, die den Ausbildungsvertrag noch im Januar zum 2.2.16 aus dem Verzeichnis der Ausbildungsverträge löschte. Mit Schreiben vom 26.1.16 beantragte der Auszubildende die Einleitung des Verfahrens vor dem Schlichtungsausschuss. Dieser wies den Antrag am 2.2.16 zurück. Der Ausschuss sei nur für bestehende Ausbildungsverhältnisse zuständig. Der nächste Termin, zu dem ordnungsgemäß geladen werden könne, sei der 1.3.16. Zu diesem Zeitpunkt bestehe das Ausbildungsverhältnis nicht mehr.

 

Mit der von seinen Eltern mitunterzeichneten Klage vom 4.2.16 begehrte der Auszubildende unter anderem die Feststellung des Fortbestands des Ausbildungsverhältnisses bis zum 29.2.16. Er vertrat die Ansicht, die gesetzliche Kündigungsfrist in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG sei wie alle nach Wochen und Monaten bestimmten Kündigungsfristen eine Mindestkündigungsfrist.

 

Das Arbeitsgericht gab mit Teilurteil der Feststellungsklage statt. Die dagegen eingelegte Berufung des ArbG wies das LAG zurück. Mit Klage vor dem BAG verfolgte der ArbG sein Ziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision war unbegründet (BAG 22.2.18, 6 AZR 50/17, Abruf-Nr. 201214). Die Kündigung beendete das Ausbildungsverhältnis erst zum im Kündigungsschreiben genannten Kündigungsdatum ‒ also dem 29.2.16.

 

Zunächst: Die Prozessvoraussetzung des § 111 Abs. 2 S. 5 ArbGG stehe der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Danach muss der Klage in allen Fällen die Verhandlung vor dem Schlichtungsausschuss vorangegangen sein. Dieses lag hier nicht vor. Der fristgerecht gestellte Antrag auf Schlichtung sei jedoch zurückgewiesen worden, weil vor der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses keine Sitzung des Ausschusses mehr möglich gewesen sei. Verweigere der Ausschuss die Durchführung des Verfahrens, könne das dem Antragsteller nicht angelastet werden. In einem solchen Fall könne er deshalb unmittelbar Klage erheben.

 

Die Klage war auch begründet. Der Auszubildende habe das Ausbildungsverhältnis wirksam vorzeitig gekündigt. § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG stehe dem nicht entgegen. Er lege keine zwingende Kündigungsfrist fest, die vom Auszubildenden nicht überschritten werden dürfe. Die vierwöchige Kündigungsfrist des § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG sei zwar gemäß § 25 BBiG unabdingbar. Sie dürfe also nicht durch Vereinbarungen zwischen den Parteien des Ausbildungsverhältnisses zulasten des Auszubildenden verlängert werden. Diese Frist sei aber als Höchstkündigungsfrist nur einseitig zwingend. Deshalb dürfe der Auszubildende bei einer Berufswechselkündigung das Ausbildungsverhältnis zu dem von ihm beabsichtigten Zeitpunkt der Aufgabe der Berufsausbildung auch mit einer längeren als der gesetzlich normierten Frist von 4 Wochen kündigen. Von dieser ihm rechtlich eröffneten Möglichkeit zu einer vorzeitigen Kündigung habe der Azubi in diesem Fall Gebrauch gemacht.

 

Der Kündigende müsse mit der Kündigung grundsätzlich nicht bis zum letzten Tag vor dem Beginn der von ihm einzuhaltenden Kündigungsfrist warten, um das Rechtsverhältnis zu dem von ihm beabsichtigten Zeitpunkt zu beenden. Er könne auch mit einer längeren Frist und damit vorzeitig kündigen. Allerdings müsse er deutlich machen, dass die Kündigung endgültig erklärt sein soll. Die Kündigung dürfe nicht unter dem Vorbehalt stehen, dass der Kündigende erst noch entscheiden will, ob und zu welchem Termin sie wirksam sein soll. Das Recht zur vorzeitigen Kündigung sei nur durch § 162 BGB begrenzt. Es dürfe insbesondere nicht zu dem Zweck ausgeübt werden, einen später eintretenden Bestandsschutz zu vereiteln.

 

Der Gesetzgeber sei bei der vom Auszubildenden bei einer Berufsaufgabekündigung nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG einzuhaltenden Kündigungsfrist von diesem Grundsatz nicht abgewichen. Dafür, dass er festlegen wollte, dass der Auszubildende nicht länger als 4 Wochen vor dem von ihm beabsichtigten Zeitpunkt der Aufgabe der Berufsausbildung kündigen darf, also „punktgenau“ zu diesem Zeitpunkt kündigen muss, gebe es keine Anhaltspunkte.

 

Aus der „vor die Klammer gezogenen“ Formulierung, das Berufsausbildungsverhältnis könne nach Ablauf der Probezeit „nur“ aus den anschließend in § 22 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BBiG genannten Gründen gekündigt werden, ergebe sich nicht, dass die Kündigung nach Nr. 2 „nur“ mit einer vierwöchigen Kündigungsfrist erklärt werden könne.

 

Soweit das BAG angenommen habe, die Kündigungsregelungen im Berufsbildungsgesetz seien zwingend, beziehe sich das ausschließlich auf die Unabdingbarkeit der Bestimmungen dieses Gesetzes. Diese könnten gemäß § 25 BBiG nicht durch Vereinbarungen zwischen dem Auszubildenden und dem Ausbildenden zuungunsten des Auszubildenden abgeändert werden. Dadurch werde lediglich eine vertragliche Vereinbarung untersagt, die vom Auszubildenden verlange, bei der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses eine längere Kündigungsfrist als die gesetzliche Vier-Wochen-Frist einzuhalten. Auch aus Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG ergebe sich nicht, dass die vierwöchige Kündigungsfrist zweiseitig zwingend sei und vom Auszubildenden „punktgenau“ gewahrt werden müsse. Vielmehr folge daraus, dass die Kündigungsfrist in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG als nur einseitig zwingende Höchstkündigungsfrist ausgestaltet sei, dass sie vom Auszubildenden als Kündigungsberechtigtem grundsätzlich überschritten werden dürfe. Dieser dürfe deshalb vorzeitig unter Verlängerung dieser Frist kündigen.

 

§ 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG sei eine einseitig zwingende Höchstkündigungsfrist. Unerheblich sei dabei, dass die Frist für die Berufswechselkündigung ursprünglich nur 2 Wochen betragen sollte. Diese Bestimmung durchbreche auch den Grundsatz, dass nach Ablauf der Probezeit keine ordentliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses mehr möglich ist. Mit Rücksicht auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufswahl soll der Auszubildende nicht gezwungen werden, eine einmal begonnene Ausbildung zu beenden, obwohl er sich für einen anderen Beruf oder Lebensweg entschieden habe.

 

Relevanz für die Praxis

In diesem Fall gab es noch zwei weitere interessante Komponenten: Zunächst war der Azubi noch minderjährig, als er die Klage einreichte. Und zweitens stellte sich die Frage, welche Auswirkungen die Löschung aus dem Verzeichnis der IHK bereits im Februar 2016 hatte.

 

  • Da der Azubi bei Klageeinreichung noch minderjährig war, war er damit nach §§ 106 ff. BGB beschränkt geschäftsfähig und deshalb prozessunfähig. Es konnte aber dahinstehen, ob eine Ermächtigung im Sinne des § 113 BGB, ein Dienstverhältnis einzugehen, vorlag, und ob sie bejahendenfalls die Teilrechtsfähigkeit des Azubis hinsichtlich seines Berufsausbildungsverhältnisses zur Folge gehabt hätte. Denn der Azubi wurde von seinen Eltern als gesetzliche Vertreter gemäß § 1629 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB gemeinschaftlich wirksam vertreten. Sie haben die Klage mitunterzeichnet. Nachdem er während des Rechtsstreits volljährig und damit prozessfähig wurde, konnte das Verfahren ohne Unterbrechung fortgesetzt werden.

 

  • Die Löschung des Ausbildungsvertrags aus dem Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse durch die IHK zum 2.2.16 war bedeutungslos hinsichtlich des Zeitpunkts der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses. Zwar ist gemäß § 35 Abs. 2 BBiG der eingetragene Vertrag zu löschen, wenn das Ausbildungsverhältnis vorzeitig aufgrund einer Berufsaufgabekündigung beendet wird. Diese Löschung wirkt sich jedoch auf die Wirksamkeit des Ausbildungsvertrags nicht aus.

 

Weiterführende Hinweise

  • Beginn der Frist nach § 626 Abs. 2 BGB bei Ermittlungsverfahren: BAG in AA 17. 199
  • Verlängerung der Kündigungsfristen: online unter „Checklisten, Download, Kündigungsrecht“
  • Abgekürzte Kündigungsfrist in der Probezeit nur bei eindeutigem Vertrag: BAG in AA 17, 88
Quelle: Seite 94 | ID 45301661