· Fachbeitrag · Leitungswasserversicherung
Leistungsfreiheit bei verspäteter Schadenanzeige und vorzeitiger Schadensbeseitigung
von RiOLG a. D. und RA Dr. Dirk Halbach, Köln
| Zwei wichtige Fragen hatte das OLG Saarbrücken zu entscheiden. So hat es einmal klargestellt, dass eine dynamische Verweisung in AVB auf das geltende Gesetzesrecht wirksam ist. Beantwortet wurde auch die Frage, wann der Kausalitätsgegenbeweis geführt ist. |
Sachverhalt
Der VN macht Ansprüche wegen eines Leitungswasserschadens aus einer gebündelte Gebäudeversicherung einschließlich Leitungswasserversicherung (AWB 2008) für sein vermietetes Geschäftshaus geltend.
Am 18.2.11 stellte der Mieter im Erdgeschoss einen Wasserschaden fest. Grund dafür war ein unbemerkter Wasseraustritt aus einer Gewerbe-Kaffeemaschine im 3. Obergeschoss. Diese war über ein Kupferrohr unmittelbar an eine Kaltwasserleitung angeschlossen war und wurde ständig mit Leitungswasser versorgt. Es war im Innern ein flexibler Metallschlauch gebrochen. Das austretende Wasser war durch zwei Geschossdecken getropft.
Die Mieterin, die seinerzeit bei dem VR eine Inhaltsversicherung unterhielt, zeigte dem VR in dieser Eigenschaft den Leitungswasserschaden an. Daraufhin besichtigte der Außenregulierer des VR den Schaden. Mit Schreiben vom 25.2. teilte die Mieterin dem VR den Namen des „Hausbesitzers“ mit; das Schreiben enthält den Hinweis, dieser habe „uns keine Versicherung genannt“ und es seien Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend gemacht worden.
Mit Schreiben des VN vom 3.2.12 wurde dem VR „vorsorglich“ ein Versicherungsfall angezeigt. Zur Begründung heißt es darin u.a.: „Den uns entstandenen Schaden haben wir Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Gebäudeversicherer noch nicht förmlich angezeigt, da Ihnen der Schadenshergang im Einzelnen genauestens bekannt ist. Sie sind nämlich auch der Sachversicherer unserer Mieterin, die mit Ihnen eine gewerbliche Versicherung abgeschlossen hat.“
Im Jahre 2012 zahlte der VR insgesamt 20.000 EUR. Mit Schreiben vom 15.2.13 berief er sich auf teilweise Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung. Der VN habe den Schaden erst knapp ein Jahr nach dessen Eintritt angezeigt und außerdem zwischenzeitlich das Schadensbild verändert. Der VR bot dem VN gegen Abfindungserklärung einen weiteren Betrag von 8.000 EUR an, worauf dieser nicht einging.
Das LG hat nach Beweisaufnahme den VR verurteilt, zwei Rechnungen der vom VN beauftragten Architektin in Höhe von 1.310,19 EUR zu erstatten. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des VN hatte vor dem OLG Saarbrücken keinen Erfolg (19.6.19, 5 U 99/18. Abruf-Nr. 211745). Der Versicherungsvertrag schloss zwar auf Grundlage der AWB das Leitungswasserrisiko mit ein. Er umfasste nach Maßgabe von A. § 1 Nr. 3 AWB auch die hier geltend gemachten „Nässeschäden“.
|
Voraussetzung für den Versicherungsfall nach AWB ist, dass versicherte Sachen durch bestimmungswidrig austretendes Leitungswasser zerstört oder beschädigt werden oder abhandenkommen, wobei das Leitungswasser insbesondere aus Rohren der Wasserversorgung (Zu- und Ableitungen) oder damit fest verbundenen Schläuchen oder mit dem Rohrsystem verbundenen sonstigen Einrichtungen oder deren wasserführenden Teilen ausgetreten sein muss (A. § 1 Nr. 3 Buchst. a und b AWB ). Zu den Einrichtungen im vorgenannten Sinne zählen alle Anlagen, in denen Wasser fließt, ge- und verbraucht oder zu sonstigen Zwecken aufgenommen wird.
Umfasst ist damit auch die hier schadensursächlich gewesene Kaffeemaschine. Diese war fest mit dem Leitungswassernetz verbunden, aus dem Leitungswasser infolge Undichtigkeit ausgetreten ist. Dieser Wasseraustritt war auch bestimmungswidrig. Dabei konnte hier offen bleiben, ob für diese Beurteilung auf die subjektive und wirtschaftliche Bestimmung des Wassers durch den VN oder durch einen berechtigten Besitzer abzustellen ist. |
Der VR ist aber gemäß B. § 8 Nr. 3 AWB 2008 i. V. m. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG wegen Obliegenheitsverletzungen des VN nach Eintritt des Versicherungsfalls leistungsfrei.
- Der VN hat gegen seine Anzeigeobliegenheit verstoßen. Er hat er den Versicherungsfall erst mit Schreiben vom 3.2.12 ‒ ein Jahr nach Kenntnis ‒ angezeigt. Das verstößt gegen B. § 8 Nr. 2 Buchst. a. bb AWB 2008. Danach muss der VN den Schadenseintritt nach Kenntnis unverzüglich anzeigen, ggf. auch mündlich oder telefonisch. „Unverzüglich“ meint hier (wie auch sonst im Zivilrecht, vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) „ohne schuldhaftes Zögern“. Die Anzeige muss zwar nicht sofort, aber innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist erfolgen. Dieser Zeitraum wurde hier zweifellos ‒ deutlich A‒ überschritten.
- Dieser Verstoß ist auch nicht ausnahmsweise ausgeschlossen. Zwar darf sich der VR nicht auf eine vereinbarte Leistungsfreiheit bei einer verletzten Anzeigepflicht berufen, wenn er auf andere Weise vom Eintritt des Versicherungsfalls rechtzeitig Kenntnis erlangt hat (§ 30 Abs. 2 VVG). Auch muss sich der VR eine Kenntnis seines Regulierungsbeauftragten zurechnen lassen (analog § 166 BGB, da § 70 VVG nur auf Versicherungsvertreter i. S. d. § 59 Abs. 2 VVG Anwendung findet). Allerdings erfordert § 30 Abs. 2 VVG eine positive anderweitige Kenntnis von den anzuzeigenden Tatsachen. Der VR hat keine Nachforschungspflicht. Zudem muss die positive Kenntnis zu dem konkreten Versicherungsvertrag vorliegen. Die Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalls aus einem anderen Vertrag reicht nicht.
- Eine weitere ‒ eigenständige ‒ Obliegenheitsverletzung liegt darin, dass der VN nach Eintritt des Versicherungsfalls ohne Wissen des VR den Schaden beseitigt hat. Dadurch hat er Feststellungen des VR unmöglich gemacht. Gemäß B. § 8 Nr. 2 Buchst. a gg AWB 2008 muss der VN bei Eintritt des Versicherungsfalls das Schadensbild so lange unverändert lassen, bis die Schadensstelle oder die beschädigten Sachen durch den VR freigegeben worden sind. Eine Ausnahme gilt nur für unumgängliche Veränderungen, die dann aber nachvollziehbar dokumentiert werden müssen. Mit diesem Veränderungsverbot soll die im Rahmen der Auskunftspflicht geregelte Obliegenheit durchgesetzt werden, dem VR jede Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang der Entschädigungspflicht zu ermöglichen. Die Schäden waren bei der erstmaligen Inaugenscheinnahme des Versicherungsfalls im Mai 2012 bereits beseitigt.
Der Senat teilt die Einschätzung, dass die hier maßgeblichen, in der Praxis seit langem etablierten Obliegenheitstatbestände dem VN seine Rechte und Pflichten ausreichend klar und durchschaubar vor Augen führen. Sie verstoßen daher nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 3 BGB. Entsprechendes gilt auch für die Rechtsfolgenvereinbarung, die eine Leistungsfreiheit des VR „nach Maßgabe der §§ 28 und 82 VVG“ vorsieht (B. § 8 Nr. 3 AWB 2008). Dadurch trägt sie dem gesetzlichen Erfordernis einer vertraglichen Vereinbarung (§ 28 Abs. 2 S. 1 VVG) in genügender Weise Rechnung. Erforderlich (aber auch ausreichend) ist, dass klar und eindeutig die Rechtsfolge der (vollständigen oder teilweisen) Leistungsfreiheit an die Verletzung der Obliegenheit geknüpft wird. Der Gesetzestext muss nicht wörtlich wiedergegeben werden. Nimmt die entsprechende Klausel ‒ wie hier ‒ für die konkreten Folgen auf § 28 Bezug, bestehen dagegen keine Bedenken.
Es liegt auch kein Transparenzverstoß vor. Es ist dem geltenden Recht nicht fremd und auch in AGB nicht ungewöhnlich, dass auf andere Rechtsnormen verwiesen wird. Selbst wenn dynamisch auf ein sich häufig änderndes Regelwerk verwiesen wird, benachteiligt dies an sich noch nicht unangemessen. Das gilt insbesondere, wenn der Gesetzestext für jedermann und damit auch für den durchschnittlichen VN ohne Weiteres zugänglich ist. Ein ‒ wie hier ‒ lediglich präzisierender Verweis auf das Gesetz verstößt deshalb regelmäßig nicht gegen das Transparenzgebot. Eine Klausel ist vielmehr erst intransparent, wenn sich ihr Regelungsgehalt erst aus der in Bezug genommenen Vorschrift erschließt oder der Verweis auf andere Vorschriften dazu führt, dass die kundenbelastende Wirkung der Klausel unter Berücksichtigung alternativer Gestaltungsmöglichkeiten mehr verschleiert als offengelegt und der Kunde deshalb gehindert wird, seine Rechte wahrzunehmen.
Der VN hat seine Obliegenheiten auch vorsätzlich verletzt. Das führt gemäß B. § 8 Nr. 3 AWB 2008 i. V. m. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG jeweils zu Leistungsfreiheit. Der VN wusste positiv sowohl um seine Anzeigeobliegenheit als auch um die anzuzeigenden Tatsachen. Er hat gleichwohl bewusst davon Abstand genommen, den Schaden zeitnah anzuzeigen. Dies folgt aus dem eigenen Vorbringen des VN. Dieser hatte angegeben, er habe zunächst den Haftpflicht-VR des Eigentümers der Kaffeemaschine in Anspruch nehmen wollen.
Auch der Verstoß gegen das Veränderungsverbot erfolgte vorsätzlich. Es genügt, dass der VN kraft einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt. Er muss das allgemeine Bewusstsein haben, dass er den VR bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv unterstützen muss. Der Versuch des VN, sein Versäumnis mit dem „unumgänglichen“ Charakter der durchgeführten Arbeiten zu entschuldigen, scheitert schon daran, dass er auch weitreichende Sanierungsmaßnahmen ausführen ließ, die sich hier ‒ ersichtlich ‒ nicht auf solche Maßnahmen beschränkten, die aus Gründen der Schadensverhütung zwingend waren und keinen Aufschub duldeten. Diese waren nicht eilbedürftig und hätten ohne Weiteres zuvor mit dem VR abgestimmt werden können.
Der VN hat den Kausalitätsgegenbeweis nicht geführt. Er konnte die vermutete Kausalität der Obliegenheitsverletzungen hinsichtlich der Kosten zur Erneuerung der beschädigten Gipskartondecke nicht ausräumen.
|
Der VR bleibt zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist (§ 28 Abs. 3 S. 1 VVG). Der Nachweis der fehlenden Kausalität obliegt dem VN. Er muss nachweisen, dass dem VR bei Verletzungen von Anzeige- oder Aufklärungsobliegenheiten keine Feststellungsnachteile erwachsen sind.
Der Kausalitätsgegenbeweis ist erst geführt, wenn feststeht, dass die Obliegenheitsverletzung sich in keiner Weise auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder das Ob und den Umfang der Leistungspflicht ausgewirkt hat. Leistungsfreiheit tritt nicht ein, wenn alle durch die Verzögerung der Schadenanzeige oder die vorzeitige Schadensbeseitigung begründeten Nachteile ausgeglichen sind, wenn also die Beweislage des VR zum Zeitpunkt ihres (verspäteten) Eingangs mit der vorher bestehenden identisch ist. |
Der VR kann sich auf Leistungsfreiheit berufen, obwohl er bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht gem. § 28 Abs. 4 VVG belehrt hat. Diese Belehrung war hier nämlich nicht erforderlich. Für die Anzeigeobliegenheit folgt das schon aus dem Gesetzeswortlaut. Der sieht eine Belehrungspflicht ausdrücklich nur für „Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheiten“ vor. Darüber hinausgehend besteht nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift aber auch kein Belehrungserfordernis für andere Obliegenheiten, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls von selbst, d.h. ohne Kenntnis des VR und infolgedessen ohne eine vorherige Belehrungsmöglichkeit des VN, entstehen, kein besonderes Verlangen des VR voraussetzen und daher spontan zu erfüllen sind.
Schließlich ist es dem VR nicht aus besonderen Gründen nach Treu und Glauben untersagt, sich auf ihre Leistungsfreiheit zu berufen. Soweit er durch den Regulierungsbeauftragten Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 20.000 EUR erbracht hat, lag darin kein die Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung ausschließendes deklaratorisches Schuldanerkenntnis.
Der VN konnte auch nicht nachweisen, dass die vom VR geschuldete Entschädigung (A. § 8 AWB 2008) die Summe der bereits gezahlten bzw. rechtskräftig titulierten Beträge in Höhe von 21.310,19 EUR überstiege und er deshalb jetzt noch weitere Leistungen zu beanspruchen hätte.
|
Nach den Versicherungsbedingungen ersetzt der VR bei ‒ wie hier ‒ beschädigten versicherten Sachen die notwendigen Reparaturkosten zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls zuzüglich einer durch den Versicherungsfall entstehenden und durch die Reparatur nicht auszugleichenden Wertminderung, höchstens jedoch den Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls.
Die Reparaturkosten werden gekürzt, soweit durch die Reparatur der Versicherungswert der Sache gegenüber dem Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls erhöht wird, Restwerte werden angerechnet (A. § 8 Nr. 1 Buchstabe b AWB 2008). Darüber hinaus werden bestimmte notwendige Kosten erstattet (vgl. A. § 5 AWB 2008).
„Notwendige“ Reparaturkosten ‒ dazu zählen insbes. Lohn- und Materialkosten ‒ sind solche, die für eine Wiederherstellung des früheren Zustands erforderlich sind. Das meint grundsätzlich den Betrag, der für den schnellsten, sichersten und zumutbar billigsten Reparaturweg erforderlich ist („herzustellen“). |
Relevanz für die Praxis
Für die Praxis wichtig ist, dass vorliegend die undichte Gewerbe-Kaffeemaschine zu den mit dem Rohrsystem verbundenen Einrichtungen gehörte, weil sie fest mit dem Leitungswassernetz verbunden war.
|
Leistungspflicht bejaht, wenn
Keine Leistungspflicht, wenn
|
Keine Bedenken bestehen daran, dass das Gericht die Verweisung auf § 28 VVG bei dem vorliegenden Bedingungswerk als wirksam angesehen hat. Es ist für den VN weder intransparent oder unklar, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang Leistungsfreiheit eintritt. Anders dürfte es zu beurteilen sein, wenn auf alte Bestimmungen wie § 6 Abs. 3 VVG a. F. verwiesen wird (vgl. sog. Umstellungsurteil BGHZ 191, 159 = VK 11, 201; auch BGH VersR 14, 699).
Weiterführender Hinweis
- So wird das Verhalten Dritter bei Anzeigepflicht, Obliegenheiten etc. berücksichtigt: Gundlach, VK 18, 84