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· Fachbeitrag · Leserforum

Wann verjährt die Forderung gegen den verstorbenen Schuldner?

| Ein typischer Fall: Der Gläubiger beauftragt ein Inkassounternehmen, eine notleidende Forderung einzuziehen (Kaufpreisforderung aus 2015). Da der Schuldner über kein pfändbares Vermögen verfügt, hat das Inkassounternehmen bislang von einer Titulierung abgesehen. Am 16.11.18 verstirbt der Schuldner und hinterlässt seine beiden Kinder als Erben, deren Namen und Adresse unbekannt sind. Was passiert nun mit dem Anspruch? Können sich die Erben ab 2019 auf Verjährung berufen? Hilft etwa § 199 BGB, da der Gläubiger die Erben (noch) nicht kennt? Oder sollte versucht werden, die Forderung möglichst schnell titulieren zu lassen? |

1. Schuldner stirbt und vererbt die Schulden

Mit dem Tod des Schuldners (Erblassers) geht dessen Vermögen (Erbschaft) auf die Erben über (§ 1922 BGB). Die Erben haften gemäß § 1967 BGB auch für die Nachlassverbindlichkeiten des Erblassers. Dazu gehören alle Schulden, die der Erblasser hinterlassen hat. Dabei haften die Erben sowohl mit dem Nachlassvermögen als auch ihrem eigenen Vermögen. Die Forderung des Gläubigers geht also auf die Erben über. Sie sind verpflichtet, die Schulden des Erblassers zu begleichen.

 

MERKE | Ist der Nachlass überschuldet, können die Erben ihre Haftung allerdings nach §§ 1975 ff. BGB gegenüber allen Nachlassgläubigern auf den Nachlass beschränken. Das ist der Fall, wenn die Nachlassverwaltung i. S. v. § 1981 BGB angeordnet oder das Nachlassinsolvenzverfahren nach § 1980 BGB eröffnet wird. Durch die Haftungsbeschränkung tritt eine Trennung von Nachlass und Eigenvermögen des Erben ein. Die Nachlassgläubiger können nur noch in den Nachlass vollstrecken, § 1984 Abs. 2 BGB. Auch können die Erben natürlich die Annahme der Erbschaft ausschlagen.

 

2. Verjährungsfrist

Die Kaufpreisforderung des Gläubigers ist 2015 fällig geworden. Es gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Sie beginnt nach § 199 BGB mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem

  • der Anspruch entstanden ist,
  • der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und
  • der Person des Schuldners

 

Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

 

Da alle drei Voraussetzungen im Jahr 2015 vorlagen, begann die Frist nach § 199 BGB mit Ablauf des 31.12.15 und endete am 31.12.18.

3. Einrede der Verjährung durch die Erben

Gehen die Rechte und Pflichten des Schuldners nach § 1922 BGB kraft Gesetzes auf die Erben über, können sie auch die Einrede der Verjährung nach § 214 BGB geltend machen. Im geschilderten Fall bestand also die Gefahr, dass die Forderung am 31.12.18 verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt ‒ für Gläubiger leider ‒ nicht nach § 199 BGB neu, etwa weil der Gläubiger den neuen Schuldner, die Erben, weder namentlich noch im Hinblick auf ladungsfähige Anschriften kennt. Für den Fristbeginn nach § 199 BGB genügt es, wenn der Gläubiger den seinerzeitigen Schuldner kennt. Für den Fall des Schuldnerwechsels sieht § 199 BGB keine Veränderung des Fristlaufs vor.

4. Die Rettung: Hemmung durch § 211 BGB

Der Gesetzgeber hat aber für den Erbfall eine Sonderregelung getroffen. Gemäß § 211 S. 1 BGB ist die Verjährung eines Anspruchs, der zu einem Nachlass gehört oder sich gegen einen Nachlass richtet, für sechs Monate gehemmt. Dabei tritt die Hemmung in dem Zeitpunkt ein, in dem die Erbschaft von dem Erben angenommen oder das Insolvenzverfahren über den Nachlass eröffnet wird oder von dem an der Anspruch von einem oder gegen einen Vertreter geltend gemacht werden kann.

 

Der Anspruch kann gegen einen Erben geltend gemacht werden, wenn er die Erbschaft angenommen hat, §§ 1943, 1958 BGB. Die Annahme kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Sie gilt als angenommen, wenn die Erbausschlagungsfrist von sechs Wochen verstrichen ist § 1943 Abs. 1 BGB.

 

Haben die Erben das Erbe unmittelbar angenommen, wird die Verjährung daher ab dem Tag nach dem Erbfall (November 2018) für sechs Monate gehemmt. Die Gefahr der Verjährung ist also für diese Zeit gebannt. Nun kann der Gläubiger prüfen, ob eine Realisierung der Forderung Aussicht auf Erfolg hat oder es nachträglich noch zu einer Ausschlagung der Erben und der ihnen nachfolgenden Personen (Kettenausschlagung) kommt.

5. Vorsicht Falle

Die Hemmung der Verjährung beginnt stets erst in den drei Konstellationen

  • Annahme der Erbschaft,
  • Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder
  • Bestellung des Vertreters (z. B. Testamentsvollstrecker oder Nachlasspfleger).

 

Ist der Anspruch bis zu den o. g. Zeitpunkten bereits verjährt, kann keine Hemmung eintreten.

 

  • Beispiel

Die Erben erfahren am 1.12.18 von dem Erbfall. Die sechswöchige Ausschlagungsfrist beginnt daher an diesem Datum (vgl. § 1944 Abs. 2 BGB) und endet erst im Januar 2019. Die Erben reagieren nicht. Damit werden sie erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist Erben und ab diesem Zeitpunkt könnte nach § 211 BGB die Hemmung eintreten. Da der Anspruch aber zum 31.12.18 bereits verjährt war, kommt eine Hemmung nicht mehr in Betracht.

 

6. Hier hilft nur eines: Schnell handeln

Aus der Falle kann § 1961 BGB helfen. Das Nachlassgericht hat danach einen Nachlasspfleger zu bestellen, wenn die Bestellung zum Zweck der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den Nachlass richtet, von dem Berechtigten beantragt wird. Bis zur Annahme der Erbschaft hat das Nachlassgericht nach § 1960 Abs. 1 BGB nämlich für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. Das Gleiche gilt, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ‒ wie im Beispielsfall ‒ ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat.

 

Ist der Nachlasspfleger bestellt, kann gegen diesen ein Mahnbescheid beantragt oder die Klage erhoben werden. Natürlich kann der Nachlasspfleger den Anspruch aber auch anerkennen, sodass die Verjährungsfrist nach § 212 Abs. 1 BGB neu beginnt oder jedenfalls eine verjährungsverlängernde Vereinbarung nach § 202 Abs. 2 BGB schließen, sodass bis zur Annahme der Erbschaft keine Verjährung eintreten kann.

 

PRAXISTIPP | Mit dem Antrag ist das Gericht auf die besondere Dringlichkeit des Antrags vor dem Hintergrund der drohenden Verjährung hinzuweisen.

 

7. Neue Realisierungsmöglichkeiten

Im Ausgangsfall war eine Titulierung gegen den Schuldner nicht zielführend, da er über kein pfändbares Vermögen verfügte. Erhöht sich nun die Realisierungschance gegenüber den Erben? Diese Frage ist uneingeschränkt zu bejahen. Dies aus zwei Gründen:

 

Zum einen haftet nun nicht mehr nur das Schuldnervermögen für die Forderung, sondern auch der Erbe mit seinem eigenen Vermögen, soweit er keine haftungsbeschränkenden Maßnahmen ergreift. Zum anderen ist eine Titulierung und eine Vollstreckung in den Nachlass vor allem interessant, weil nun viele Pfändungsschutzvorschriften nicht mehr greifen:

 

  • Der einzige Fernseher, die Stereoanlage, das Notebook, Waschmaschine und Trockner etc. sind nun pfändbar, weil der Pfändungsschutz des § 811 Nr. 1 ZPO nicht mehr greift.

 

  • Die Pfändung des Pkw des Schuldners, den er bisher zum Erreichen seines Arbeitsplatzes oder für regelmäßige Arztbesuche benötigte, weil dies mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht bewerkstelligt werden konnte, ist nun nicht mehr nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO gehindert.

 

  • Auch der Pfändungsschutz nach § 850c ZPO greift nicht mehr, sodass auf noch ausstehenden Lohn und Sonderleistungen wie Provisionen, Gratifikationen, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld etc. unbeschränkt zugegriffen werden kann.

 

Musterformulierung / Der Antrag auf Bestellung eines Nachlasspflegers

Eilt sehr! Verjährung droht

 

An das Amtsgericht ‒ Nachlassgericht ‒ in …

 

In der Nachlasssache

 

des am … in … verstorbenen …, zuletzt wohnhaft in …, zeigen wir an, dass wir die Interessen des Gläubigers p… des Erblassers vertreten. Namens und in Vollmacht des Gläubigers beantragen wir hiermit,

 

  • für den oder die Erben des Nachlass einen Nachlasspfleger nach § 1961 BGB zu bestellen.

 

Der Antragsteller hat gegen den Erblasser einen Anspruch auf … aus …

 

Beweis: beglaubigte Abschrift des …

 

Aus Kostengründen und wegen der fortbestehenden Hoffnung auf eine vorgerichtliche Befriedigung des Anspruchs wurde bisher auf die Titulierung verzichtet. Nun droht zum Ablauf des 31.12. des Jahres die Verjährung. Bevor die Titulierung eingeleitet werden konnte, ist der Schuldner nunmehr verstorben (Zutreffendes auswählen).

 

  • ☐ Die Erbschaft ist bisher von keinem der in Betracht kommenden Erben angenommen worden.

 

  • Beweis: Beiziehung der Nachlassakten des Amtsgerichts ‒ Nachlassgerichtes ‒ in … zu Aktenzeichen …

 

  • ☐ Zwar sind dem Gläubiger mit den … die Namen und Anschriften der gesetzlichen Erben bekannt. Es ist aber ungewiss, ob diese die Erbschaft annehmen. Auf entsprechende schriftliche Nachfrage
    • ☐ ist nicht geantwortet worden
    • ☐ ist diese Frage nicht beantwortet worden

 

  • Beweis: Mitteilung der … vom …
  •  

Die ungewisse Situation dauert auch über den potenziellen Verjährungseintritt hinaus an, da die sechswöchige Ausschlagungsfrist erst am … und damit nach dem potenziellen Verjährungseintritt abläuft.

 

Der Antragsteller und Gläubiger will nun die Sicherung des Anspruchs im Wege der Titulierung erreichen und den Verjährungseintritt hindern. Dies ist nach § 204 BGB allerdings nur mittels Zustellung des Mahnbescheids oder einer Klageschrift möglich. Hierzu bedarf es eines Zustellungsbevollmächtigten. Dem Gläubiger kommt daher das Rechtsschutzbedürfnis für die Bestellung eines Nachlasspflegers zu (OLG München 18.12.13, 31 Wx 490/13, FamRZ 14, 968).

 

Bis zur Annahme der Erbschaft muss das Nachlassgericht nach § 1960 Abs. 1 BGB für die Sicherung des Nachlasses sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. Das Gleiche gilt, wenn der Erbe unbekannt oder ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat. Das Nachlassgericht muss dazu einen Nachlasspfleger bestellen, wenn dies zwecks gerichtlicher Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den Nachlass richtet, vom Berechtigten beantragt wird.

 

Nach den hier vorliegenden Erkenntnissen ist ein Nachlasspfleger nicht bestellt. Auch unterliegt der Nachlass nicht der Verwaltung eines Testamentsvollstreckers.

 

Beweis: Beiziehung der Nachlassakten des Amtsgerichts ‒ Nachlassgerichts ‒ in …

 

Als Nachlassvertreter wird vorgeschlagen: …

 

Vor dem Hintergrund des drohenden Verjährungseintritts und des damit einhergehenden Rechtsverlustes wird wegen besonderer Eilbedürftigkeit der Sache um unmittelbare Entscheidung gebeten.

 

Rechtsanwalt

 
Quelle: Seite 33 | ID 45669698