· Fachbeitrag · Mitarbeiterführung
Der Chefarzt im Spannungsfeld unterschiedlicher Loyalitätsansprüche
von Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, Beratung - Coaching - Moderation, www.ihrcoach.com
| Loyalität ist eine Tugend, die jeder Klinikmitarbeiter - mehr oder weniger bewusst - von anderen erwartet: der Chefarzt von seinen Oberärzten und vom Geschäftsführer, der Oberarzt von seinen Assistenzärzten und seinem Chefarzt, die Krankenschwester von der Pflegeleitung und umgekehrt. Doch „Loyalität“ ist ein dehnbarer Begriff, seine Auslegung lässt großen Spielraum: Die einen verstehen darunter „unbedingte Treue“, die anderen Anstand und die Achtung der Interessen von Kollegen. Wie gelingt dem Chefarzt der Spagat zwischen unterschiedlichen Loyalitätsforderungen? |
Grundprinzipien der Loyalität
Auch im Klinikalltag entstehen Konflikte, wenn es um Loyalität geht - was Ihr Geschäftsführer oder Ihr ärztlicher Direktor als selbstverständliche Treue erachten, mag Ihnen als Chefarzt vielleicht wie „Kadavergehorsam“ erscheinen. Ungeachtet der Begriffsdefinition ist Loyalität ein Aspekt, der Chefärzte während ihrer beruflichen Entwicklung ständig begleiten wird. Um Konflikte hinsichtlich der eigenen und fremden Loyalitätserwartungen zu entschärfen, sollten einige Grundprinzipien beachtet werden:
- Loyalität funktioniert niemals in nur eine Richtung; wer sie fordert, muss auch selbst loyal sein. Einseitige Loyalität ist bei genauer Betrachtung kaum mehr als bloße Unterordnung.
- Loyalität setzt Verantwortung voraus - für das eigene Handeln und das seiner Mitarbeiter. Loyalität ohne eigene Verantwortung führt lediglich zur Unterwerfung. Für Führungskräfte heißt das, ihre Auffassung von Loyalität mit ihrem Verständnis von Verantwortung in Einklang zu bringen.
- Loyalität entsteht auf der Basis von Vertrauen - und nicht durch Druck oder Zwang. An einem Arbeitsplatz, an dem die Mitarbeiter denjenigen vertrauen, für die sie arbeiten, entsteht Loyalität. Sie zeigt sich auf unterschiedliche Weise: Identifikation, Leistungsbereitschaft, Verlässlichkeit, Integrität und Engagement gehören dazu.
- Loyalität erfordert Zivilcourage. Speziell in schwierigen Situationen ist Loyalität ein entscheidender Wert. Auch unter Druck oder bei Widerstand loyal zu bleiben, setzt Entschlossenheit und Haltung voraus.
Beachten Sie | Die Gefahr illoyalen Verhaltens ist dort am größten, wo Menschen sich nicht wertgeschätzt und anerkannt fühlen und stattdessen Desinteresse und Enttäuschungen erleben. Sie vermissen Fairness und Bindung - die Abwanderung in die Illoyalität erscheint ihnen als logische Konsequenz.
Wie entwickelt sich Loyalität in der Klinik?
Es erscheint zunächst ziemlich einfach, diese Grundprinzipien einzuhalten. Aber was macht es im Klinikalltag mitunter schwierig, loyal zu sein oder Loyalität einzufordern? Loyalität hat eine klinikübergreifende Dimension. Daher ist es - unbenommen des persönlichen Verhaltens jeder einzelnen Leitungskraft - eine vordringliche Aufgabe der Klinikleitung, zusammen mit Chefärzten, leitenden Oberärzten und der Pflegeleitungen eine Führungskultur zu verankern und zu praktizieren, die auf gemeinsamen Werten basiert und das Ziel hat, die Klinik zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen. Eine solche Klinikkultur ist die Grundlage, auf der sich Loyalität entwickeln kann.
Für jeden einzelnen - egal ob Führungskraft oder Mitarbeiter - können sich Loyalitätskonflikte entwickeln:
- mit sich und dem eigenen Gewissen,
- mit Kollegen und
- zwischen verschiedenen Hierarchiestufen.
Auf wen bezieht sich der Loyalitätsanspruch?
Chefärzte müssen sich daher von Fall zu Fall die Frage stellen, auf wen sich ihr Loyalitätsanspruch konkret bezieht: auf das eigene Gewissen, Chefarzt-Kollegen, die Geschäftsführung oder die Oberärzte? Gerade in Krisen oder bei Entscheidungen, die grundlegende Veränderungen bewirken, kann es zu konkreten Loyalitätskonflikten kommen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt.
|
In der Geburtshilfeabteilung des Krankenhauses A sind die Entbindungszahlen seit einiger Zeit leicht rückläufig. Die Klinik hat kürzlich die Abteilung erheblich modernisiert. Klinikleitung und Chefarzt entwickeln die Strategie, mit der Geburtshilfe des benachbarten Krankenhauses B zu kooperieren. Dort stagnieren die Geburtenzahlen ebenfalls, jedoch ist die Abteilung kleiner und weit weniger modern. Eine Fusion erscheint sowohl der Geschäftsleitung als auch den Chefärzten beider Häuser als zukunftsweisendes Konzept.
Als Folge müsste die unmoderne Geburtshilfe in Haus B geschlossen und ein paar Schlüsselkräfte von Klinik A übernommen werden. Hier müssten die Mitarbeiter mit nur gering erhöhtem Stellenschlüssel ca. ein Drittel mehr Entbindungen bewältigen. Obwohl der Chefarzt der Klinik A die Kooperation befürwortet, entsteht für ihn ein Loyalitätskonflikt zwischen der Klinik und seinen Mitarbeitern: Einerseits will er die wirtschaftliche Not abwenden und die Auslastung der modernisierten Geburtshilfe dauerhaft sichern, andererseits möchte er gegenüber seinen Mitarbeitern die unpopuläre Entscheidung nicht vertreten. |
Entwicklung einer Lösungsstrategie
Für den Chefarzt ist die Versuchung groß, seinen Mitarbeitern die Veränderung als eine Entscheidung der Klinikleitung zu präsentieren, die er nun lediglich ausführen muss. Doch es ist ein Irrglaube, sich auf diese Weise die Loyalität der Mitarbeiter verschaffen zu können. Es wirkt wenig glaubhaft, wenn sich ein Chefarzt vor seinem Team als bloßes Sprachrohr der Klinikleitung darstellt, ohne offensichtlich den eigenen Einfluss auf die Entscheidung geltend gemacht zu haben. Chefärzte, die sich vor ihren Mitarbeitern nicht zu der von ihnen mitgetroffenen Entscheidung bekennen, verzögern den Umsetzungsprozess, zerstören das Vertrauen der Klinikleitung und verlieren die Reputation bei ihren Mitarbeitern.
Im Idealfall besprechen die Entscheidungsgremien beider Kliniken kritische Punkte offen und vertraulich. Alle Entscheidungsträger dürfen ihre Bedenken thematisieren. Jede Diskussion ist also möglich - kein Aspekt wird im Vorfeld „abgewürgt“. Erst der offene Diskurs ermöglicht es, dass alle Beteiligten die getroffene Entscheidung später loyal vertreten. Am Ende des Prozesses steht eine Übereinkunft, die von jedem Entscheider mitgetragen wird und die er vor seinen Mitarbeitern auch vertreten kann und muss.
Loyalität und Machtanspruch
Viele Forderungen nach Loyalität beruhen unterschwellig auf dem Anspruch, Macht auszuüben. Chefärzte, die annehmen, allein aufgrund ihrer Position Loyalität einfordern zu können, ersticken jede Kritik und jedes Aufdecken von Fehlverhalten im Keim. Sie erzeugen eine Atmosphäre, in der es nur noch Claqueure gibt. Wer in diesem Umfeld gravierende Missstände aufdeckt, benötigt Zivilcourage. Schnell wird er als Verräter geächtet und ausgegrenzt. Doch das Gegenteil ist der Fall: Mit seinem Verhalten wendet er Schaden von der Klinik ab und verhält sich somit loyal gegenüber Kollegen und der Klinik.
Loyalitätsgrenzen ausloten
Chefärzte sollten mit ihren Vorgesetzten ebenso wie mit ihren Mitarbeitern diskutieren, wie Loyalität konkret ausgestaltet sein soll und wo die Grenzen liegen - etwa wenn es um das Vertrauensverhältnis zwischen Chefarzt und leitendem Oberarzt geht. Wichtig ist dabei vor allem, wie grundsätzlich mit Fehlern und Erfolgen umgegangen wird. Hierfür gibt es drei einfache Regeln:
- 1. Führungskräfte übernehmen nach außen Verantwortung für die Fehler ihrer Mitarbeiter. Im Innenverhältnis werden Fehler angesprochen. Vom Verursacher wird alles getan, um solche Fehler künftig zu vermeiden.
- 2. Führungskräfte vertuschen ihre Fehler nicht, sondern geben sie zu und schieben sie niemals ihren Mitarbeitern in die Schuhe.
- 3. Führungskräfte schmücken sich nicht mit den Erfolgen ihrer Mitarbeiter.
Loyalität ist der Kitt, der die Teams zusammenhält, die in Kliniken heutzutage Hochleistungsmedizin erbringen. Es lohnt sich daher, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese Tugend innerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs ausgestaltet sein soll. Dazu gehört auch, die eigenen Loyalitätsprinzipien regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen.
Weiterführender Hinweis
- Barbara Hogan/Werner Fleischer, „Wirksam führen - Ein Leitfaden für Chef- und Oberärzte“, Verlag W. Kohlhammer, 290 Seiten, 49 Euro, ISBN 978-3-17-029116-4t