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· Fachbeitrag · Mitarbeiterführung

Zeiten messen oder vertrauen? - Arbeitszeiterfassung in Steuerkanzleien

von Irene Winter

| Die Stechuhr hat ausgedient: Moderne Steuerberatungskanzleien halten für ihre Mitarbeiter eine große Bandbreite flexibler Arbeitszeitmodelle bereit. Neben der Teilzeit, Gleitzeit, Telearbeit u.Ä. hat sich immer mehr auch das Konzept der Vertrauensarbeitszeit in der Steuerbranche etabliert. Die elektronische Zeiterfassung wird dabei oft ganz außer Acht gelassen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch eine Menge Steuerberater, die von ihren Fachangestellten den typischen Nine-to-Five-Job verlangen und die Arbeitszeit genau dokumentieren. Welches Vorgehen eignet sich für welche Kanzlei? |

Flexibilität und Vertrauen sind gefragt

Kanzleiberaterin Cordula Schneider, selbst Steuerberaterin und nun seit vielen Jahren beim Steuerberaternetzwerk delfi-net auf Kanzleiorganisation spezialisiert, gibt zu bedenken, dass es grundsätzlich nicht wirtschaftlich sei, Steuerfachangestellte nur für ihre Anwesenheit am Arbeitsplatz zu bezahlen: „Der Fachkräftemangel hat die Steuerbranche längst erreicht. Im Kampf um qualifizierte Experten werden langfristig die Kanzlei-Chefs nur noch Angestellte rekrutieren können, die ihren Mitarbeitern Vertrauen entgegenbringen und möglichst flexibel auf ihre Belange reagieren.“ Dabei komme es jedoch auch auf die Führungspersönlichkeit an. Schließlich sei nicht jeder Steuerberater in der Lage, seine Kontrolle abzugeben.

 

Momentan überwiegt nach Erfahrung der Kanzleiberaterin in der Steuerbranche das Arbeitszeitmodell Gleitzeit mit Kernzeiten zwischen 9 bis 16 Uhr. „Das Modell gewährleistet den Angestellten eine Flexibilität am Rande, indem es täglich eine bis zwei Stunden Spielraum zulässt“, erzählt Schneider: „Und das funktioniert in der Regel sehr gut.“ Aber auch sogenannte Ampel- und Jahresarbeitszeitkonten, in denen Mitarbeiter ihre Überstunden ansammeln, um sie später abbummeln zu können, haben sich in der Kanzleipraxis bewährt, denn damit lassen sich saisonale und konjunkturelle Schwankungen ideal abfedern. In familiären Steuerberatungsbüros bestehe daneben meist eine Flexibilität auf Zuruf: Muss die Bilanzbuchhalterin mit ihrem Kind zum Arzt und kommt deshalb etwas später zur Arbeit, dann informiert sie unbürokratisch den Chef oder das Team.

 

Die Stechuhrfunktion wird hierbei von der Kanzlei-Software übernommen - entweder als Leistungserfassung für Mitarbeiter, für Mandanten oder eine Vollzeiterfassung für alle, was auch den Kanzleileiter mit einbezieht. Auch richtige Stempeluhren kommen bei Steuerberatern immer noch zum Einsatz. Die Kanzleiberaterin Cordula Schneider empfiehlt, am besten die Vollzeiterfassung für alle in der Kanzlei-Software zu aktivieren. „Das garantiert die größte Exaktheit der erledigten Aufgaben“, sagt die Expertin. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass vor dem Hintergrund der geänderten Ansprüche der jungen Fachkräfte das Thema Vertrauensarbeitszeit in der Steuerbranche bald sehr viel mehr an Bedeutung gewinnen wird. „Steuerberater sollten sich jetzt schon damit beschäftigen“, rät die Fachfrau.

Einhaltung von Fristen und das Ergebnis der Arbeit zählt

Der Steuerberater Rüdiger Stahl aus Netphen-Deuz bei Siegen ist bereits dabei: Da seine Kanzlei papierlos funktioniert und alle Dateien und Dokumente auf einen externen Server ausgelagert sind, können die Mitarbeiter darauf flexibel von jedem Ort per Smartphone, Tablet oder Laptop zugreifen. Für den Steuerberater sei die Einhaltung der Fristen und das Ergebnis der Arbeit seiner Angestellten sehr wichtig. Wann und wo sie arbeiten, interessiert ihn dagegen nicht. Auf die Arbeitszeiterfassung verzichtet er vollständig, eine Leistungserfassung führt er nur für die Mandanten. Auch von Kernzeiten in der Kanzlei hält der fortschrittliche Kanzleichef wenig. Die Mandanten können schließlich trotzdem die Mitarbeiter erreichen - per Kanzleihandy, mit dem jeder Mitarbeiter theoretisch 24 Stunden täglich angerufen werden kann. Erfahrungsgemäß wird das jedoch nicht ausgenutzt - weder von den Mandanten noch vom Chef selbst. Damit erübrigen sich für den Steuerberater hohe Investitionen in repräsentative Büroräume. Er ist sich sicher, dass die Zukunft in der Flexibilität der Arbeit liegt. Und zahlreiche Studien geben ihm darin recht.

Freiheit darf von keiner Seite missbraucht werden

Zu beachten ist jedoch, dass diese auf Freiheit basierte Kanzleiphilosophie eine offene Kommunikationskultur, ein gutes Betriebsklima, Vertrauen in das eigenverantwortliche Handeln der Mitarbeiter und ein hohes Selbstmanagement der Arbeitnehmer voraussetzt, damit sie funktionieren kann. Die Mitarbeiter sehen klar den Vorteil in den Freiräumen, die ihnen gewährt werden, und sie arbeiten selbstständig und eigenverantwortlich. Jedoch weiß der Steuerexperte, dass in anderen Teams das Modell Vertrauensarbeitszeit zum Scheitern verurteilt wäre: „Es gibt auch Menschen, die damit nicht klar kommen würden“, sagt er. Es sei auch wichtig, dass weder der Chef noch die Mitarbeiter die Freiheit missbrauchen, die ihnen dieses Arbeitszeitmodell bietet - zum Beispiel, indem der Kanzleiinhaber die Mitarbeiter überbelastet und sie so zu unbezahlten Überstunden bringt, oder indem die Angestellten zu wenig arbeiten, Fristen versäumen und dem Kanzleiinhaber damit schaden.

 

Mitarbeiter, die es gewohnt sind, unternehmerisch zu denken, sind eine wichtige Voraussetzung, damit die Vertrauensarbeitszeit erfolgreich abläuft, merkt Kanzleiberaterin Schneider an, doch auch der Chef muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, sonst sei das Experiment zum Scheitern verurteilt: Der Steuerberater sollte delegieren und loslassen können, und er sollte vor allem gerecht sein. Das sei nichts für Erbsenzähler. Besonders gut funktioniere das Modell, wenn Steuer-Mitarbeiter in übersichtliche Gruppen eingebunden sind und untereinander Absprachen über notwendige Anwesenheiten treffen. Auch für gut organisierte Einzelkämpfer eigne sich das Konzept hervorragend.

 

Auch StB Claus Vogl aus Nürnberg schaut nicht auf die Uhr, wohl aber auf die Deckungsbeiträge und Umsatzzahlen seiner Mitarbeiter. Er hat das Modell Vertrauensarbeitszeit an die leistungsorientierte Vergütung gekoppelt: So werden die Mitarbeiter prozentual am erzielten Umsatz beteiligt. Dadurch arbeiten sie nicht nur sehr motiviert und ergebnisorientiert, sondern auch sehr flexibel - wann und wo sie es wollen. In der Regel falle ihr Verdienst höher aus als der von Kollegen, die sich gegen Vertauensarbeitszeit und leistungsorientierte Vergütung und fürs Fixgehalt und den Nine-to-Five-Job entschieden haben. Wichtig sei, dass das Modell in der Kanzlei auf freiwilliger Basis eingeführt wurde, und dass Mandate vom Chef gerecht verteilt werden.

Die fünf goldenen Regeln

Die Beachtung von fünf goldenen Regeln kann bei der Einführung der Vertrauensarbeitszeit helfen:

 

  • Rahmenregelungen in der Kanzlei treffen: Zeitkorridore, in denen zu arbeiten ist, festlegen (z.B. 6 bis 20 Uhr)
  • Teambezogene Servicezeiten gestalten, um den Kanzleiablauf sicherzustellen
  • Zielvorgaben, Zielvereinbarungen, Projektaufgaben als Steuerungsinstrumente einsetzen: Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräche regelmäßig führen
  • Mitarbeiter vor Überlastung schützen: Mitarbeiter sollten verpflichtet werden, den Vorgesetzten zu informieren, wenn sie regelmäßig die übertragenen Aufgaben innerhalb der Wochenarbeitszeit nicht erledigen können
  • Missbrauch vorbeugen: Regelungen formulieren, wann einzelne Mitarbeiter von der Teilnahme am Modell Vertrauensarbeitszeit ausgeschlossen werden können

 

Doch auch das Stechuhren-System der Zeiterfassung kann Steuerberatern viele Vorteile bringen: Die Mandanten und der Chef wissen, zu welchen festen Zeiten und wo sie die Mitarbeiter erreichen können. Es ist immer nachvollziehbar, was die Fachangestellten gerade machen. Es sei ein klarer Rahmen gegeben, sodass niemand das Gefühl haben muss, dass ein anderer für sein Geld zu wenig arbeite.

 

Kanzlei-Benchmarking-Spezialist Josef Weigert von der „Weigert + Fischer Unternehmensberatung GmbH“ findet die Stechuhren ab einer Kanzleigröße von etwa 20 Mitarbeitern mehr als sinnvoll: „So werden auch die vielen Rauchpausen und sonstige Unterbrechungen wie zum Beispiel Arztbesuche und private Behördengänge der Mitarbeiter erfasst, die sonst untergehen würden. Exakte Arbeitszeiterfassung sorgt für Transparenz und Gerechtigkeit“, merkt er an. Und ein fehlendes Controlling könnte eine Kanzlei in den Ruin treiben. Neben der Arbeitszeiterfassung sei eine detaillierte Leistungserfassung ein Muss für jede Steuerkanzlei, die wirtschaftlich arbeiten will. Schließlich dient sie als Basis für eine faire Honorarabrechnung. Außerdem können Steuerberater mit ihrer Hilfe im Streitfall auch noch Jahre später nachweisen, was, wann, wie und aufgrund von welchen Informationen einem Mandanten geraten wurde.

 

„Ich empfehle allen meinen Kunden, im 15-Minuten-Takt ihre Tätigkeiten genau zu dokumentieren, damit keine anrechenbaren Zeiten verloren gehen“, sagt der Kanzleiberater. Als Zielvorgabe sollte der Kanzlei-Chef festsetzen, dass mindestens 70 % der Arbeitszeit produktiv für den Mandanten gearbeitet werden muss. Und das sollte jeder Mitarbeiter schaffen, denn dazu zählen auch Studien der Fachliteratur, Teambesprechungen, Beratungen mit Kollegen und Telefonate. Das tut man schließlich alles für den Mandanten. Ein Problem sei, dass viele Mitarbeiter zu wenig anrechenbare Stunden aufschreiben, obwohl sie diese leisten und damit dem Kanzleiinhaber wirtschaftlichen Schaden zufügen. „Sie identifizieren sich zu sehr mit den Mandanten und wollen sie nicht finanziell belasten.“ Fischer ist der Meinung, dass ein unternehmerisch denkender Mitarbeiter bis zu 85 % seiner Anwesenheitszeit verrechnen kann.

 

Der Kanzleichef sollte deshalb regelmäßig die Arbeitszeit jedes Mitarbeiters zu der erbrachten Leistung in Bezug setzen und sofort mit dem Betreffenden ein klärendes Gespräch suchen, wenn er merkt, dass Zeit verloren geht: Woran liegt es, dass der Mitarbeiter acht Stunden da war, aber nur fünf Stunden verrechnet hat? Mitarbeitergespräche und Feedback zu den Zahlen jedes Einzelnen gehören zu wichtigen Aufgaben der Kanzleiführung.

 

Cordula Schneider empfiehlt Kanzlei-Chefs, ihren eigenen Führungsstil zunächst zu analysieren, bevor sie mit dem Zeitmanagement in ihrer Kanzlei Experimente machen. „Bin ich ein Kontroll-Freak? Dann sollte ich bei meiner bisherigen Strategie mit der Stechuhr bleiben, sonst läuft das Experiment schief“, weiß Schneider: „Viele Steuerberater wollen ihren Angestellten vertrauen, können es aber nicht.“

 

Vor- und Nachteile der Arbeitszeiterfassung / 

Arbeitszeiterfassung mithilfe von Stechuhren und Software
Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung
  • Gesetzliche Vorgaben werden erfüllt
  • Dokumentation erleichtert Nachweise gegenüber Mandanten, Chef und Behörden
  • Garantiert Gerechtigkeit durch genaue Erfassung der Pausen
  • Vereinfacht Personaleinsatzplanung
  • Sichert Erreichbarkeit durch Mandanten und Kollegen
  • Mehrleistung und Pünktlichkeit des Einzelnen wird sichtbar, messbar und honorierbar
  • Liefert Daten fürs Controlling und Benchmarking
  • Weniger Leistungsdruck für Mitarbeiter, da Anwesenheitszeit zählt
  • Entbürokratisierung, Zeitaufwand sinkt
  • Kostenminimierung (Software, Pflege etc.)
  • Fördert zielorientiertes Arbeiten und unternehmerisches Denken der Mitarbeiter
  • Steigert Motivation, Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeiter
  • Steigert Loyalität gegenüber Kanzlei, Chef
  • Überstunden werden eigenverantwortlich durch Mitarbeiter ausgeglichen (Bezahlung dafür entfällt)
  • Fördert bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Imagesteigerung für die Kanzlei
  • Erleichtert Personalmarketing und -akquise, verringert Fluktuation, senkt Einarbeitungskosten
Quelle: Seite 60 | ID 43105479