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· Fachbeitrag · Mittelverwendung (Teil 1)

Zeitnahe Mittelverwendung und Mittelverwendungsrechnung bei Stiftungen

von RAin Gabriele Ritter, FAin für Steuer- und Sozialrecht,Ritter&Partner mbB, Rechtsanwälte und Steuerberater, Wittlich

| Finanzämter (FA) verlangen wegen der Vorgaben des AEAO vermehrt die Vorlage sog. Mittelverwendungsrechnungen. Durch solche Rechnungen soll dem FA schnellstmöglich der Überblick ermöglicht werden, ob und in welchem Umfang die Stiftung ihre gemeinnützigen Zwecke erfüllt, also Mittel für den satzungsmäßigen Zweck ausgibt. Im ersten Beitragsteil werden die rechtlichen Grundlagen zur zeitnahen Mittelverwendung und der Möglichkeit von Mittelthesaurierungen durch Rücklagenbildungen gezeigt. |

1. Rechtliche Grundlagen

Nach dem Gebot der Selbstlosigkeit in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO müssen steuerbegünstigte Stiftungen ihre Mittel für satzungsmäßige Zwecke einsetzen. Mittel in diesem Sinne sind sämtliche Mittel einer Körperschaft. Dies sind:

 

  • Mittel des ideellen Bereichs wie Beiträge, Spenden, Umlagen, Zuschüsse,
  • Überschüsse aus der Vermögensverwaltung,
  • Gewinne aus Zweckbetrieben,
  • Gewinne aus steuerpflichtigen wGB (nach Versteuerung).

 

Zu den Mitteln gehören auch alle Vermögenswerte einer Stiftung, wie etwa das Stiftungskapital oder Wirtschaftsgüter des ideellen Bereichs einschließlich der Zweckbetriebe, der Vermögensverwaltung oder der steuerpflichtigen wGB.

 

Nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO muss die Körperschaft ihre Mittel vorbehaltlich § 62 AO grundsätzlich auch zeitnah verwenden. Zeitnah bedeutet, dass die Mittel spätestens in den auf den Zufluss folgenden zwei Kalenderjahren für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden müssen.

 

  • Beispiel

Eine Stiftung hat z. B. Spenden, die sie im Kalenderjahr 2018 erhält, spätestens bis zum 31.12.20 für steuerbegünstigte Zwecke einzusetzen.

 

Allerdings muss die Stiftung nicht sämtliche Mittel zeitnah verwenden. Zu den nicht zeitnah gehörenden Mitteln zählen:

 

  • zulässige Rücklagen nach den Bestimmungen der A0 § 62 Abs. 1 Nr. 1 bis 4,
  • das Ausstattungskapital bei Stiftungen,
  • (sonstige) Vermögenszuführungen nach Maßgabe von § 62 Abs. 3 AO,
  • Zuführungen in das Vermögen von Stiftungen nach § 62 Abs. 4 AO,
  • vor dem 31.12.76, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Abgabenordnung, vorhandene Mittel (Beiträge, Spenden).
 

Mittel, die nicht der zeitnahen Mittelverwendung unterliegen, müssen also nicht innerhalb des Zweijahreszeitraums verwendet werden. Gleichwohl sind sie irgendwann satzungsmäßigen Zwecken zuzuführen. Spätestens bei Auflösung der Stiftung aufgrund der in der Satzung genannten Vermögensbindung.

 

Mittels einer Mittelverwendungsrechnung hat die Stiftung nun nachzuweisen, ob sie den Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung auch eingehalten hat. Nr. 28 AEAO zu § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO verlangt, dass für Mittel, soweit sie nicht schon im Jahr des Zuflusses für die steuerbegünstigten Zwecke verwendet oder zulässigerweise dem Vermögen zugeführt werden, die zeitnahe Verwendung nachzuweisen ist, zweckmäßigerweise durch eine Nebenrechnung (Mittelverwendungsrechnung).

2. Im Spannungsfeld zwischen Steuer- und Stiftungsrecht

Im Stiftungsrecht steht der sog. Kapitalerhaltungsgrundsatz im Vordergrund. Er soll gewährleisten, dass die Stiftung ihren Stiftungszweck über die gesamte Lebensdauer verwirklichen kann. Dies setzt notwendigerweise einen Ausgleich der Inflation voraus, sonst bleibt die Ertragskraft der Stiftung nicht gleich (sog. reale Kapitalerhaltung).

 

Das Gemeinnützigkeitsrecht ist hingegen geprägt von dem Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung. Daraus folgt, dass eine gemeinnützige Stiftung vorbehaltlich der Rücklagenbildung nach § 62 AO und ihres zulässigen Vermögens ihre gesamten Mittel zeitnah für steuerbegünstigte Zwecke verwenden muss.

 

Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrecht haben also einen unterschiedlichen Ansatz. Während es dem Steuerrecht auf die satzungsmäßige Zweckerfüllung ankommt, steht im Stiftungsrecht der Erhalt des Stiftungskapitals im Vordergrund.

 

Im Rahmen dieses Spannungsfelds geht die derzeit h. M. eindeutig vom Vorrang des Steuerrechts aus, da das Gemeinnützigkeitsrecht zwingender Teil der Satzung einer gemeinnützigen Stiftung ist. Thesauriert die Stiftung also über eine längere Periode hin mehr als steuerrechtlich möglich ist, riskiert sie wegen der Durchbrechung des Grundsatzes der zeitnahen Mittelverwendung (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 AO) letztendlich die Gemeinnützigkeit (Berndt/Nordhoff, Rechnungslegung und Prüfung von Stiftungen 1. Aufl., S. 180, Rn. 143; Buchna, Leichinger, Seeger, Brox, Gemeinnützigkeit im Steuerrecht, 11. Aufl., S. 178).

 

Damit die Stiftung auch der stiftungsrechtlich geforderten Kapitalerhaltung gerecht werden kann, ist die Bildung von Rücklagen von besonderer Bedeutung.

3. Rücklagen

Nicht der zeitnahen Mittelverwendung unterliegen die nach den Bestimmungen der AO (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 bis 4) zulässigerweise gebildeten Rücklagen. Rücklagen können nach Maßgabe dieser Regelungen gebildet werden:

 

  • Nach diesen Regelungen können Rücklagen gebildet werden
  • soweit dies erforderlich ist, um die steuerbegünstigten, satzungsmäßigen Zwecke nachhaltig zu erfüllen (Abs. 1 Nr. 1); darunter fallen die zweckgebundenen Rücklagen bzw. Projektrücklagen,
  • für die beabsichtigte Wiederbeschaffung von Wirtschaftsgütern, die zur Verwirklichung der steuerbegünstigten, satzungsmäßigen Zwecke erforderlich sind (Abs. 1 Nr. 2, sog. Wiederbeschaffungsrücklage),
  • sog. freie Rücklagen begrenzt auf höchstens ein Drittel des Überschusses aus der Vermögensverwaltung und darüber hinaus höchstens 10 Prozent der sonstigen nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 zeitnah zu verwendenden Mittel (Abs. 1 Nr. 3),
  • Rücklagen zum Erwerb von Gesellschaftsrechten zur Erhaltung der prozentualen Beteiligung an Kapitalgesellschaften (Abs. 1 Nr. 4).
 

3.1 Zweckgebundene Rücklage

Durch die zweckgebundenen Rücklagen bzw. Projektrücklagen können Mittel für ein bestimmtes Projekt angesammelt werden. Die Ziel- und Zeitvorstellungen müssen dabei bereits konkret vorliegen. Nur in Ausnahmefällen ist die Bildung auch ohne bestimmte Zeitvorstellung möglich. Ein konkreter Anlass muss jedoch stets gegeben sein.

 

3.2 Wiederbeschaffungsrücklage

Diese Rücklage dient der Wiederbeschaffung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern, um die satzungsmäßigen Zwecke der Stiftung zu verwirklichen. Die Höhe der Rücklage bemisst sich i. d. R. nach der Höhe der Abschreibungen. Reichen die zugeführten Mittel in Höhe der Abschreibungen für eine Wiederbeschaffung jedoch nicht aus, können auch höhere Mittel der Rücklage zugeführt werden, AEAO zu § 62 Abs. 1 Nr. 2 AO, Nr. 6.

 

MERKE | Sonderabschreibungen auf Wertpapiere werden durch diese Regelung nicht erfasst, da Voraussetzung dafür ist, dass es sich um abnutzbare Wirtschaftsgüter handelt. Wertpapiere sind nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens und können folglich nicht laufend abgeschrieben werden.

 

3.3 Freie Rücklage

Die freien Rücklagen dienen der gemeinnützigen Körperschaft als Möglichkeit, Mittel zu konzentrieren und die Leistungsfähigkeit einer steuerbegünstigten Körperschaft bedarfsgerecht und langfristig nachhaltig zu sichern. Um dieses Ziel effektiver zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber mit dem Ehrenamtsstärkungsgesetz ab 2014 Nachholungsmöglichkeiten eingeführt. Ist der Höchstbetrag für die Bildung der freien Rücklage in einem Jahr nicht ausgeschöpft, kann diese in den folgenden zwei Jahren nachgeholt werden.

 

Freie Rücklagen müssen, solange die Stiftung besteht, nicht aufgelöst werden. Damit unterscheiden sie sich von den anderen Rücklagen, die für ihre Bildung einen Grund benötigen und aufzulösen sind, sobald dieser Grund entfallen oder der damit verbundene Zweck erreicht ist. Die Mittel einer freien Rücklage können ferner auch dem Vermögen der Stiftung zugeführt werden.

 

3.4 Rücklagen zum Erhalt einer Beteiligungsquote

Rücklagen zum Erhalt einer Beteiligungsquote sollen gemeinnützigen Körperschaften den Erhalt der prozentualen Beteiligung an Kapitalgesellschaften ermöglichen, wenn sich Kapitalerhöhungen abzeichnen. Entsprechend dem eingestellten Betrag mindert sich allerdings die Höchstgrenze für die Zuführung zu den freien Rücklagen (Nr. 13 AEAO zu § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO). Die Rücklagenbildung ist nicht möglich, um erstmalig Anteile an einer Kapitalgesellschaft zu erwerben.

 

3.5 Betriebsmittelrücklage

Als besondere Form der zulässigen Rücklagen gilt die gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte Betriebsmittelrücklage. Mit ihr werden Rücklagen für regelmäßig wiederkehrende Ausgaben wie z. B. Löhne und Mieten erfasst. Ihre Bildung ist nur in Höhe des Mittelbedarfs für eine angemessene Zeitperiode möglich (AEAO zu § 62 Nr. 4 AO). Nach Auffassung der OFD Hannover ist die Angemessenheit maximal begrenzt auf ein Geschäftsjahr (OFD Hannover 13.1.14, S 0181 A-2-St 53). Als Maßstab für die Angemessenheit wird i. d. R. auf die Regelmäßigkeit der Einnahmen geschaut.

 

  • Beispiel

Eine Stiftung finanziert sich ausschließlich über Dauerspenden oder Einnahmen aus einem selbst betriebenen Kindergarten. In diesem Fall erscheint eine Betriebsmittelrücklage von nur drei Monaten als angemessen, da die Stiftung auf laufende Finanzmittel vertrauen kann. Anders kann dies z. B. bei einer Forschungseinrichtung aussehen, die aufgrund einer Mittelknappheit bei den Geldgebern nur sehr unregelmäßig Forschungsgelder erhält. Hier könnte zulässigerweise der Zeitrahmen von zwölf Monaten ausgeschöpft werden.

 

3.6 Umschichtungsrücklage

Ebenfalls nicht gesetzlich geregelt ist die sog. Umschichtungsrücklage.

 

  • Beispiel

Verkauft eine Stiftung ein zum Vermögen gehörendes Grundstück, so kann sie den Buchwert einschließlich des diesen übersteigenden Teils des Preises, einer solchen Rücklage zuführen.

 

Werden hingegen Vermögensgegenstände veräußert, die satzungsmäßigen Zwecken dienen und aus zeitnah zu verwendenden Mitteln angeschafft wurden, sind die Veräußerungserlöse auch zeitnah zu verwenden.

 

Mit der sog. negativen Umschichtungsrücklage sollen nach Auffassung der Literatur insbesondere Kursverluste aus Anlagegeschäften, was vor allem für Stiftungen angesichts der Niedrigzinsphasen ein wichtiges Thema ist, gemeinnützigkeitsrechtlich „aufgefangen“ werden. Bei sog. Buchverlusten soll eine Stiftung eine Abschreibung vornehmen können, die in der Umschichtungsrücklage auszuweisen ist (Theuffel-Werhahn, SB 12, 229).

4. Handelsbilanz und Mittelverwendungsrechnung

Bei der Rücklagenbildung nach der AO handelt es sich um eine gemeinnützigkeitsrechtliche Betrachtungsweise. Gemeinnützigkeitsrechtliche Rücklagen weisen einen anderen Charakter auf als handelsrechtliche Rücklagen.

  • Handelsrecht: Rücklagen sind Ergebnisverwendung
  • Gemeinnützigkeitsrecht: Rücklagen sind Mittelreservierung

 

Daher empfiehlt auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in IDW RS HFA 5 Nr. 25, Stand 6.12.2013, dass die steuerliche Mittelverwendungsrechnung in einer Nebenrechnung abgebildet wird und nicht Teil des handelsrechtlichen Jahresabschlusses sein sollte, um den unterschiedlichen Wirkungsweisen gerecht zu werden. Im Spannungsfeld steht die Kapitalerhaltungsrücklage. Sie weist den Inflationsausgleich aus und ist gemeinnützigkeitsrechtlich Teil der freien Rücklage i. S. d. § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO (so Berndt/Nordhoff, Rechnungslegung und Prüfung von Stiftungen, 1. Aufl., S. 178, Rn. 138) und damit (streng genommen) nur eine (Teil-)Bezeichnung für diese. Daraus folgt, dass sie in den Grenzen der freien Rücklage gebildet werden kann. In den Berichten der Wirtschaftsprüfer ist sie unter den Ergebnisrücklagen auszuweisen.

 

Insbesondere kleinere Stiftungen präferieren, die steuerrechtlichen Rücklagen in der Handelsbilanz abzubilden. Rücklagen i. S. d. AO dürfen jedoch nur in der handelsrechtlichen Rechnungslegung als Ergebnisrücklagen gezeigt werden, wenn sie den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechen (IDW RS HFA 5 Rn. 25). Dies bedeutet, dass die freie Rücklage (Kapitalerhaltungsrücklage) begrenzt ist auf das handelsrechtliche Ergebnis, während freie Rücklagen in einer Nebenrechnung möglicherweise höher gebildet werden können.

 

  • Beispiel (aus Berndt/Nordhoff, a.a.O)

Eine gemeinnützige Stiftung betreibt ein Krankenhaus, welches einen Verlust von 500.000 EUR hat. Aus anderen Einnahmen der Vermögensverwaltung erwirtschaftet sie hingegen einen Gewinn von 600.000 EUR. Handelsrechtlich kann nur das Jahresergebnis von 100.000 EUR in die Rücklagen eingestellt werden, während in einer steuerlichen Nebenrechnung 200.000 EUR (ein Drittel des Überschusses) berücksichtigungsfähig und damit nicht zeitnah zu verwenden wären.

 

Soweit Nr. 14 AEAO zu § 62 Abs. 2 AO darauf hinweist, dass gemeinnützigkeitsrechtlich ‒ auch in einer Nebenrechnung - nur tatsächlich vorhandene Mittel in eine Rücklage eingestellt werden können, geht die Auffassung m. E. über den Wortlaut des § 62 Abs. 1 Nr. 3 AO hinaus.

5. Ausblick

Das Thema Rücklagen und Mittelverwendung wird steuerbegünstigte Körperschaften zunehmend beschäftigen. Viele Fragen sind offen und bieten daher Potenzial für künftige Rechtsstreitigkeiten.

 

Weiterführender Hinweis

  • Im nächsten Beitrag wird das Thema Mittelfehlverwendung und seine Folgen behandelt.
Quelle: Seite 80 | ID 45200278