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· Fachbeitrag · Musterfall

Liegenschaftszinssatz und Grundbesitzbewertung: BFH setzt neue Maßstäbe!

von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster

| Die äußerst dynamische Entwicklung der Immobilienpreise hat auch erhebliche Veränderungen bei der Grundbesitzbewertung bewirkt. Mitursächlich hierfür sind u. a. gestiegene Bodenrichtwerte und eine damit einhergehende Veränderung der Liegenschaftszinssätze, die häufig weit hinter den zum 1.1.09 im Bewertungsgesetz zugrunde gelegten Zinssätzen zurückbleiben. Und diese Problematik könnte sich durch die aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Liegenschaftsverzinsung noch verschärfen, wie der nachfolgende Musterfall zeigt. |

1. Musterfall

Vater V hat seiner Tochter T mit notariellem Schenkungsvertrag vom 25.3.19 ein Grundstück mit einem kleinen Ladenlokal (Anteil Wohn- und Nutzfläche 15 %) und vier Wohnungen (Anteil Wohn- und Nutzfläche 85 %) übertragen. Im Vertrag sind die Auflassungserklärung und die Eintragungsbewilligung enthalten. Der Übergang der Nutzungen und Lasten soll laut Vertrag zum 1.7.19 stattfinden. Die Eintragung im Grundbuch erfolgt am 24.5.19.

 

Die Jahresnettokaltmiete für das Ladenlokal beträgt 24.000 EUR und für die vier zu Wohnzwecken vermieteten Wohnungen 72.000 EUR. Die Immobilie ist im August 1989 fertiggestellt und bezugsfertig geworden und wird seitdem vermietet. Das Grundstück, auf dem sich das Gebäude befindet, ist 1.700 qm groß und ist nach der Verkehrsanschauung als eine wirtschaftliche Einheit zu beurteilen. Als angemessene Größe für den bebauten Grundstücksteil sind allerdings lediglich 1.000 qm anzusehen. Die weiteren 700 qm könnten problemlos für eine weitere Bebauung genutzt werden.

 

Der örtliche Gutachterausschuss hat für Mietwohngrundstücke dieser Art in seinem Grundstücksmarktbericht 2019 für das Jahr 2018 einen Liegenschaftszinssatz von 2,1 % mitgeteilt. Für das Jahr 2019 hat er dann ein Jahr später nur noch einen Liegenschaftszinssatz von 1,3 % mitgeteilt. In beiden Grundstücksmarktberichten hat er dabei die Restnutzungsdauer nach der ImmoWertV und nicht nach dem BewG bestimmt. Für den Grund und Boden hat der örtliche Gutachterausschuss laut seinen Grundstücksmarktberichten zuletzt vor dem 25.3.19 turnusmäßig einen Bodenrichtwert von 400 EUR/qm und für die Zeit nach dem 25.3.19 von 460 EUR/qm ermittelt. Angaben zu geeigneten Erfahrungssätzen zu den Bewirtschaftungskosten der Immobilie wurden nicht gemacht.

 

Da V zunächst überlegt hatte, dass Grundstück zu verkaufen, hat er kurz vor der Schenkung einen mit ihm befreundeten Architekten gebeten, ein Verkehrswertgutachten zu erstellen. Laut Gutachten ergibt sich ein Immobilienwert von etwa 2,9 Mio. EUR. Vater und Tochter würden gerne wissen, von welchem Immobilienwert für die Schenkungsteuer auszugehen ist.

2. Anzuwendende Bewertungsregeln

Gemäß § 12 Abs. 3 ErbStG ist das Grundstück mit dem auf den Bewertungsstichtag festzustellenden Wert anzusetzen. Bewertungsstichtag ist gemäß § 11 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG der 25.3.19. Die wirtschaftliche Einheit umfasst hier den Grund und Boden mit 1.700 qm und das Gebäude einschließlich der Außenanlagen, der sonstigen Bestandteile und des Zubehörs. Der Wertermittlung ist gemäß § 177 BewG der gemeine Wert zugrunde zu legen. Zu den Feststellungen im Einzelnen:

 

  • Es handelt sich der Art nach um ein Mietwohngrundstück (§ 181 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BewG), da es zu mehr als 80 % ‒ berechnet nach der Wohn- oder Nutzfläche ‒ Wohnzwecken dient und es sich nicht um ein Ein- oder Zweifamilienhaus bzw. Wohnungseigentum handelt.
  • Die Zurechnung erfolgt auf die Beschenkte T (§ 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG, R B 151.2 Abs. 2 Nr. 5 ErbStR 2019).

 

Die Bewertung hat für Mietwohngrundstücke zwingend im Ertragswertverfahren zu erfolgen (§ 182 Abs. 3 Nr. 1 BewG). Für das Alter des Gebäudes ist aus Vereinfachungsgründen davon auszugehen, dass es durch Abzug des Jahres der Bezugsfertigkeit vom Jahr des Bewertungsstichtags bestimmt wird (R B 185.3 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2019).

3. Berechnung des Grundbesitzwertes

3.1 Bodenwert

Maßgeblich ist gemäß § 186 Abs. 1 BewG i. V. m. § 179 S. 3 BewG der Bodenrichtwert, der vom Gutachterausschuss zuletzt zu ermitteln war. Damit ist der Bodenrichtwert gemeint, dessen turnusmäßige Ermittlung dem Bewertungsstichtag vorausging. Es kommt nicht darauf an, wann der Gutachterausschuss den Bodenrichtwert tatsächlich ermittelt und dem Finanzamt mitgeteilt hat (R B 179.2 ErbStR 2019). Der Bodenwert ermittelt sich demnach wie folgt:

 

Bodenwert = Fläche 1.700 qm x Bodenrichtwert 400 EUR/qm = 680.000 EUR

 

3.2 Rohertrag des Gebäudes

Für die Ermittlung des Gebäudeertragswertes ist zunächst der Rohertrag zu ermitteln. Gemäß § 186 Abs. 1 BewG ist hier maßgeblich die vereinbarte Jahresnettokaltmiete:

 

Rohertrag (§ 186 Abs. 1 BewG) = Jahresnettokaltmiete 96.000 EUR

 

 

PRAXISTIPP | Die übliche Miete ist anzusetzen, wenn Grundstücke oder Grundstücksteile zum Bewertungsstichtag eigengenutzt sind, ungenutzt sind (Leerstand, Modernisierung), zum vorübergehendem Gebrauch (Ferienwohnung) oder unentgeltlich überlassen sind (§ 186 Abs. 2 Nr. 1 BewG). Außerdem ist die übliche Miete für Räumlichkeiten anzusetzen, die der Eigentümer dem Mieter zu einer um mehr als 20 % (sowohl nach unten als auch nach oben) von der üblichen Miete abweichenden tatsächlichen Miete überlassen hat (§ 186 Abs. 2 Nr. 2 BewG).

Laut BFH (5.12.19, II R 41/16) ist bei der Ermittlung der Abweichung der „vereinbarten“ von der „üblichen Miete“ nicht auf den Mittelwert der Mietpreisspanne abzustellen, sondern auf die unteren bzw. oberen Werte der Mietspiegel-Preisspanne. Ein Abstellen auf den Mittelwert könnte nach Ansicht des BFH zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass ein Mietpreis, der noch innerhalb der Spannbreite des Mietspiegels liegt, wegen einer die 20 %-Grenze überschreitenden Abweichung vom Mittelwert zu einer Verwerfung der vereinbarten Miete führt.

 

3.3 Ermittlung des Reinertrags

Vom Rohertrag sind zur Ermittlung des Reinertrags die Bewirtschaftungskosten abzuziehen. Die im Rahmen des Ertragswertverfahrens anzusetzenden Bewirtschaftungskosten sind die bei gewöhnlicher Bewirtschaftung nachhaltig entstehenden Verwaltungs-, Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie das Mietausfallwagnis; durch Umlagen gedeckte Betriebskosten bleiben ‒ wie bei der Ermittlung des Rohertrags ‒ unberücksichtigt. Zinsen für Hypothekendarlehen und Grundschulden oder sonstige Zahlungen für auf dem Grundstück lastende privatrechtliche Verpflichtungen bleiben ebenfalls außer Ansatz.

 

Die Bewirtschaftungskosten sind pauschal nach Erfahrungssätzen anzusetzen; eine Berücksichtigung in tatsächlich entstandener Höhe kommt nicht in Betracht. Dies wäre nur über eine Öffnungsklausel (§ 198 BewG) möglich. Sofern vom örtlichen Gutachterausschuss geeignete Erfahrungssätze vorliegen, sind diese zugrunde zu legen. Stehen diese ‒ wie im Musterfall ‒ nicht zur Verfügung, ist von den pauschalierten Bewirtschaftungskosten nach Anlagen 22 und 23 BewG auszugehen. Maßgebend für deren Anwendung sind die Grundstücksart und die Restnutzungsdauer des Gebäudes. Dabei ist auch die Mindest-Restnutzungsdauer nach § 185 Abs. 3 S. 5 BewG zu berücksichtigen.

 

  • Ermittlung von Bewirtschaftungskosten und Reinertrag

Rohertrag (§ 186 Abs. 1 BewG) = Jahresnettokaltmiete

96.000 EUR

abzgl. Bewirtschaftungskosten (§ 187 Abs. 1 und 2 BewG)

Grundstücksart:

MWG

Bezugsfertigkeit des Gebäudes:

1989

Alter des Gebäudes (2019 ./. 1989):

30 Jahre

Gesamtnutzungsdauer:

70 Jahre

Restnutzungsdauer 40 Jahre =

Ansatz 23 %

- 22.080 EUR

Reinertrag

73.920 EUR

 

Da die Mindest-RND gemäß § 185 Abs. 3 S. 5 BewG 30 % von 70 Jahren = 21 Jahre beträgt und somit niedriger ist, kommt diese hier nicht zur Anwendung.

 

3.4 Ermittlung des Gebäudereinertrages

Zur Ermittlung des Gebäudereinertrags ist vom Reinertrag des Grundstücks die Bodenwertverzinsung abzuziehen. Hierzu ist der Bodenwert mit dem angemessenen und nutzungstypischen Liegenschaftszinssatz zu multiplizieren. Der Liegenschaftszinssatz ist der Zinssatz, mit dem sich das im Verkehrswert des Grundstücks gebundene Kapital verzinst, wobei sich der Zinssatz nach dem aus der Liegenschaft marktüblich erzielbaren Reinertrag im Verhältnis zum Verkehrswert bemisst.

 

Mit dem Liegenschaftszinssatz werden die allgemein vom Grundstücksmarkt erwarteten Entwicklungen insbesondere der Ertrags- und Wertverhältnisse sowie der steuerlichen Rahmbedingungen berücksichtigt. Der angemessene Liegenschaftszinssatz ist nach der Grundstücksart und der Lage auf dem Grundstücksmarkt zu bestimmen. Dabei ist vorrangig auf den für diese Grundstücksart vom örtlichen Gutachterausschuss veröffentlichten Liegenschaftszinssatz zurückzugreifen. Nur wenn der Gutachterausschuss keine geeigneten Liegenschaftszinssätze ermittelt hat, sind die typisierten Liegenschaftszinssätze des § 188 Abs. 2 S. 2 BewG anzuwenden.

 

Da im Musterfall die vom Gutachterausschuss mitgeteilten Zinssätze von 2,1 % bzw. 1,3 % niedriger sind als der für Mietwohngrundstücke typisierte Liegenschaftszinssatz von 5 %, kommt der Zinssatz von 5 % nicht zur Anwendung, wenn die mitgeteilten Zinssätze für die Bewertung von Grundstücken für Zwecke der Schenkungsteuer geeignet sind. Nach Auffassung des BFH (18.9.19, II R 13/16) ist dies der Fall, wenn der Gutachterausschuss bei der Ermittlung die Vorgaben des BauGB sowie der auf § 199 Abs. 1 BauGB beruhenden Verordnungen (WertV und ImmoWertV) eingehalten hat und die Berechnung für einen Zeitraum erfolgt ist, der den Bewertungsstichtag umfasst.

 

Die Ermittlung der Liegenschaftszinssätze durch eine außerhalb der Steuerverwaltung eingerichtete Stelle hält der BFH für unkritisch. Zum einen ist in § 192 Abs. 3 S. 2 BauGB die Mitwirkung eines Bediensteten der zuständigen Finanzbehörde vorgeschrieben, der Erfahrung in der steuerlichen Bewertung von Grundstücken bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte hat. Zum anderen billigt er den Gutachterausschüssen aufgrund ihrer besonderen Sachkunde und Erfahrung (§ 192 Abs. 3 S. 1 BauGB) und ihrer größeren Ortsnähe eine vorgreifliche Kompetenz bei der Ermittlung, Beschließung und Veröffentlichung von Liegenschaftszinssätzen für die steuerliche Bewertung zu (BFH 25.8.10, II R 42/09, BStBl II 11, 205, Rz. 15). Da der BFH die Liegenschaftszinssätze für die Bewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer auch dann als geeignet ansieht, wenn der Gutachterausschuss die Restnutzungsdauer des Gebäudes nach der ImmoWertV und nicht nach dem BewG bestimmt hat, ist der Liegenschaftszinssatz von 5 % nicht anzuwenden. Damit ist im Musterfall der im Grundstücksmarktbericht 2020 mitgeteilte Zinssatz von 1,3 % maßgeblich.

 

Beachten Sie | Wichtig ist hier noch, dass das Grundstück mit 1.700 qm wesentlich größer ist, als es einer dem Gebäude angemessenen Nutzung entspricht, ohne dass mehrere wirtschaftliche Einheiten vorliegen. Außerdem ist eine zusätzliche Nutzung oder Verwertung der Teilfläche im Wege einer weiteren Bebauung zulässig und möglich. Daraus folgt gemäß § 185 Abs. 2 S. 3 BewG, dass eine Teilfläche von 700 qm bei der Berechnung der Bodenwertverzinsung nicht zu berücksichtigen ist.

 

PRAXISTIPP | Bei der Ermittlung der Bodenwertverzinsung ist somit nur die der Bebauung zurechenbare Grundstücksfläche anzusetzen. Diese zurechenbare Fläche entspricht regelmäßig der bebauten Fläche einschließlich der „Umgriffsfläche“. Dabei ist nicht entscheidend, ob die selbstständig nutzbaren Teilflächen baulich nutzbar sind. Vielmehr reicht jede sinnvolle Nutzung z. B. als Lagerfläche, Abstellfläche, Gartenfläche usw.; siehe hierzu RB 180 Abs. 4 ErbStR 2019).

 

3.5 Ermittlung des Gebäudeertragswertes

Damit ermittelt sich der Gebäudeertragswert wie folgt:

 

Reinertrag

73.920 EUR

abzgl. Verzinsung des Bodenwertes

1.000 qm x 400 EUR = 400.000 EUR x Liegenschaftszinssatz 1,3 %

- 5.200 EUR

Gebäudereinertrag (§ 185 Abs. 2 BewG)

68.720 EUR

 

Hierzu ist gemäß § 185 Abs. 3 BewG der Gebäudereinertrag mit dem Vervielfältiger gemäß Anlage 21 für eine Restnutzungsdauer von 40 Jahren zu multiplizieren; hier mit 31,03 (laut Umrechnungsformel zu Anlage 21):

 

Gebäudereinertrag (§ 185 Abs. 2 BewG)

68.720 EUR

Vervielfältiger laut Anlage 21 = 31,03 =

Gebäudeertragswert = 31,02 x 68.720 EUR

 

2.132.381 EUR

Beachten Sie | Wäre der Liegenschaftszinssatz des BewG von 5 % maßgeblich, ergäbe sich folgende Berechnung:

Reinertrag

73.920 EUR

abzgl. Verzinsung des Bodenwertes

1.000 qm x 400 EUR = 400.000 EUR x Liegenschaftszinssatz 5 %

 

- 20.000 EUR

Gebäudereinertrag (§ 185 Abs. 2 BewG)

53.920 EUR

Vervielfältiger laut Anlage 21 = 17,16 =

Gebäudeertragswert = 17,16 x 68.720 EUR

 

925.267 EUR

 

3.6 Ertragswert des Grundstücks

Der Ertragswert des Grundstücks ermittelt sich gemäß § 184 BewG wie folgt:

 

Bodenwert

680.000 EUR

Gebäudeertragswert

2.132.381 EUR

Ertragswert

2.812.381 EUR

 

3.7 Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes

Das Gutachten des Architekten liegt über dem Grundbesitzwert von 2.812.381 EUR und hat daher keine Bedeutung. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass der BFH (5.12.19, II R 9/18, Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg 17.1.18, 3 K 3178/17) für die Anerkennung eines Gutachtens verlangt, dass das Gutachten entweder durch den örtlich zuständigen Gutachterausschuss oder einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken erstellt sein muss. Ob das Gutachten den Nachweis erbringt, unterliegt dann der freien Beweiswürdigung des FA und des FG. Der Nachweis ist erbracht, wenn dem Gutachten ohne weitere Beweiserhebung, insbesondere Einschaltung weiterer Sachverständiger, gefolgt werden kann.

 

Im Klartext: Ist der Architekt kein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Grundstücken, würde sein Gutachten allenfalls im behördlichen Verfahren, nicht aber in einem Finanzgerichtsprozess berücksichtigt werden.

Quelle: Seite 311 | ID 46920452