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· Fachbeitrag · Nachtragsmanagement

Paukenschlag: OLG Brandenburg bejaht Nachtrag wegen verlängerter Bauzeit ohne Förmelei

| Das OLG Brandenburg hat zu dem streitbeladenen Thema „Zusatzhonorar bei verlängerter Bauzeit“ einen echten Paukenschlag gesetzt. Es hat der Klage eines Planungsbüros stattgegeben, das SiGeKo-Leistungen erbracht und im Zuge der Verlängerung der Leistungserbringung wegen Bauverzögerungen zusätzliches Honorar gefordert hatte. Das Interessante an dem Fall ist, dass die Parteien im Vertrag keine Vereinbarung über eine Vergütungsanpassung bei Bauzeitverlängerungen getroffen hatten. Deshalb stellt das Urteil einen Meilenstein in Sachen „Nachtragsdurchsetzung“ dar. |

Die honorarrechtliche Ausgangslage

Die Frage, ob es möglich ist, bei verlängerter Bauzeit für den damit zusammenhängenden Mehraufwand auch eine Honoraranpassung zu erlangen, ist ständiges Streitthema. Die HOAI 2013 und 2021 schweigen sich dazu aus. Bislang war dieses Thema für Planungsbüros mit hohen Verlusten verbunden, weil der Durchsetzung von zusätzlichem Honorar hohe formale Hürden vorangestellt waren.

 

Die druckfrische Entscheidung des OLG Brandenburg lässt die Fachwelt aufhorchen, weil damit eine konsequente Entwicklung in Richtung zu mehr Honorargerechtigkeit und Praxistauglichkeit in Gang gesetzt worden ist. Es ist möglich, ohne hohe formale Hürden eine zusätzliche angemessene Vergütung bei unverschuldeter Bauzeitverzögerung durchzusetzen.

Der Fall: Honoraranpassung ohne vertragliche Regelung

Zurück zum konkreten Fall: Dort hatte ein Planungsbüro für seine SiGeKo-Leistungen bei der Bauüberwachung eines Flughafenprojekts eine zusätzliche Vergütung gefordert, weil sich das Projekt und damit die Objektüberwachung verzögert hatte. Die Parteien hatten sich im Zusammenhang mit den bereits eingetretenen Bauverzögerungen nicht über eine Vergütungsanpassung verständigen können. Deshalb ging der Fall vor Gericht.

 

Das Besondere an diesem Fall ist, dass schon die vorherigen (unstreitigen) Leistungen bis zum ursprünglichen Termin auf Basis von Monatspauschalen erbracht worden waren, ohne dass ein ‒ beiderseitig unterzeichneter ‒ Vertrag zustande gekommen war. Darüber mussten die Richter nicht entscheiden.

 

Das OLG legte die formlos getroffene Vereinbarung vielmehr ergänzend aus. Es untersuchte, was mit dem Angebot bzw. Vertrag gemeint war ‒ und hat auf dieser Basis sein Urteil gefällt. Die Richter haben dem Planungsbüro die geforderte Zusatzvergütung (Nachtrag) zuerkannt (OLG Brandenburg, Urteil vom 16.06.2021, Az. 11 U 16/18, Abruf-Nr. 224122).

Die neun zentralen Aussagen des OLG

Die Richter des OLG haben neun Grundsätze für die Durchsetzung von Honorarnachträgen bei Terminverzögerungen gebildet:

 

1. Wie sieht das Angebot des Ursprungs-Auftrags aus?

Für den Auftraggeber war bereits bei der Annahme des Ursprungs-Angebots (vom 25.05.2012) ersichtlich, dass das Planungsbüro dieses Angebot für seine SiGeKo-Leistungen unter der Prämisse erstellt hatte, dass der Flughafen im Frühjahr 2013 seinen Betrieb aufnimmt.

 

2. Honorar war auf bestimmten Leistungszeitraum begrenzt

Das gesamte Honorar war also kalkulatorisch darauf ausgerichtet, dass die SiGeKo-Leistungen nur bis zu diesem Zeitpunkt erforderlich waren bzw. dann endeten. Verzögerungen über den Termin hinaus würden also die Angebotssumme insoweit obsolet werden lassen.

 

3. Honorar richtete sich nach fachlich erforderlichem Leistungsaufwand

Die angebotenen, differenzierten Monatspauschalen sahen in den letzten Monaten vor der Inbetriebnahme einen Rückgang der Leistungsaufwände und damit eine geringere Monatspauschale vor. Auch daraus war für das OLG erkennbar, dass sich das Angebot ausdrücklich auch fachtechnisch auf den ursprünglich vorgegebenen Zeitraum begrenzt hatte.

 

4. Vertragslücken sind auszulegen

Soweit eine Vertragslücke vorliegt (hier: fehlende Honorarregelung für Verzögerungszeiträume), ist eine ergänzende Auslegung der getroffenen Vereinbarungen vorzunehmen.

 

5. Wie hätten redliche Vertragspartner die Vertragslücke geschlossen?

Dabei ist darauf abzustellen, was die Parteien nach angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte unter Anknüpfung an die im Vertrag enthaltenen Regelungen und Wertungen als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bedacht hätten. Das im Streit stehende Nachtragsangebot für den Zeitraum der Bauzeitverlängerung sei damit im Rahmen der Auslegung der Vereinbarungen (hier: des der Ausführung zugrunde liegenden Angebots) grundsätzlich berechtigt.

 

6. Ergänzende Auslegung kann Bestimmungsrecht des Planers auslösen

Die ergänzende Vertragsauslegung führt zu einem „Leistungsbestimmungsrecht“ des Planungsbüros. Es ist also berechtigt, ein Nachtragsangebot über die noch nicht angebotenen Leistungen vorzulegen, die infolge der verzögerten Fertigstellung anfallen. Die endgültige Leistungsbestimmung erfolgt im Zuge der Beauftragung des Nachtragsangebots.

 

7. Wie ermittelt sich das Honorar für das Nachtragsangebot?

Maßgeblich für die hier geforderte Vergütungshöhe war die kalkulatorische Grundlage aus dem ursprünglichen Angebot. Das deshalb, weil es sich um eine preislich nicht geregelte Leistung handelte.

 

8. Lässt die gelebte Praxis auf Auslegung schließen?

Der hypothetische Parteiwille als Ergebnis einer ergänzenden Auslegung ergab sich im vorliegenden Fall schon aus dem Umstand, dass bei den beginnenden Verzögerungen bereits eine monatliche Pauschale für einen ersten Anteil der Verzögerungen gezahlt worden war.

 

9. Vertragsparteien können sich einigen oder das dem Gericht überlassen

Die oben beschriebene ergänzende Vertragsauslegung können die Parteien in Form einer einvernehmlichen Verständigung selbst durchführen oder das dem Gericht überlassen (wenn eine Einigung nicht möglich ist).

OLG-Maßgaben gelten auch bei Monatspauschalen

Erfreulich ist die Feststellung der Richter, dass diese Grundsätze auch gelten, wenn monatliche Honorarpauschalen vereinbart und gezahlt werden. Das Gericht hat damit die kalkulatorische Herleitung aus den vertraglichen Regelungen anerkannt und auf die aufwendige Aufstellung eines Einzelnachweises verzichtet.

 

Das ursprünglich vereinbarte Honorar war zwar pauschaliert. Die Monatspauschalen hatten aber zumindest grob den jeweils geschätzten Personalaufwand (abhängig von Baufortschritt und Nähe zum Fertigstellungstermin) berücksichtigt. Maßgeblich für das verzögerungsbedingte Zusatzhonorar war danach nicht eine allgemein übliche Vergütung, für die es angesichts der Einzigartigkeit des zu koordinierenden Projekts ohnehin kaum eine Vergleichsmöglichkeit gab, sondern eine individuell ausgestaltete Vergütung für eine spezialisierte Tätigkeit, die erhebliche Vorkenntnisse erforderte.

 

Außerdem war von Anfang an zwischen den Vertragspartnern klar, dass die Vergütung zwar pauschal „glattgezogen“, also möglichst unbürokratisch gehandhabt wird. Bei der Schließung der Vertragslücke in Sachen Terminverzögerung war damit auch insoweit an den vorhandenen Vertragsinhalt (also auch an den kalkulatorischen Maßgaben) anzuknüpfen.

 

PRAXISTIPP | Das bedeutet im Ergebnis, dass zusätzliche Honorarforderungen bei unverschuldeten Bauverzögerungen nicht mehr so stark an formale Voraussetzungen gebunden sind. Es kommt also nicht mehr darauf an, eine Menge an Einzelnachweisen zu erarbeiten, sondern im Wesentlichen auf eine verhältnisgerechte Beurteilung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auf Basis einer ergänzenden Auslegung des abgeschlossenen Vertrags.

 

Urteil gilt nicht für reine „HOAI-Grundleistungsverträge“

Das Urteil des OLG Brandenburg gilt nicht für „reine HOAI-Grundleistungsverträge“. Die HOAI ist zwar noch anwendbar, wenn die Parteien keine Vergütungsvereinbarung getroffen haben (§ 7 Abs. 1 HOAI) oder vereinbaren, dass das Honorar nach HOAI abgerechnet wird. Das entscheidende Kriterium ist aber, dass die HOAI zum Fall einer Bauverzögerung nichts regelt.

Nachtrag: Das sollte mindestens in die Verträge hinein

Folglich kommt es (trotz der neuen Entscheidung) nach wie vor auf die Vertragsgestaltung an, um Nachträge zum Planungsvertrag abrechenbar zu machen. Die Entscheidung des OLG Brandenburg lehrt aber, dass es gar nicht vieler Grundlagen bedarf, um eine kalkulatorische Basis zur Ermittlung der verzögerungsbedingten Zusatzhonorare zu schaffen.

 

Die Basis für das Schließen von Vertragslücken schaffen

Wie erwähnt soll bei der Ermittlung der zusätzlichen Vergütung (Stichwort: Vertragslücke) zugrunde gelegt werden, was

  • die Parteien nach angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben
  • unter Berücksichtigung der im Vertrag enthaltenen Regelungen und Wertungen
  • als redliche Vertragspartner vereinbart hätten,
  • wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall
  • im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geregelt hätten.

 

Die Folgen für die Mindestinhalte von Planungsverträgen

Daraus folgen die wichtigsten ‒ nachtragsrelevanten ‒ Anforderungen an Verträge:

 

  • 1. Damit im Zweifel eine verhältnisgerechte ergänzende Auslegung möglich ist, bedarf es einer Honorarkalkulation oder Honorarregelung, die auf konkrete fachliche Inhalte bzw. Leistungen Bezug nimmt.
  •  
  • 2. Es bedarf ferner einer konkreten Terminvereinbarung (im Vertrag oder in einem so beauftragten Angebot), auf die sich die kalkulierten Honorare konkret beziehen.
  •  
  • 3. Es bedarf ‒ drittens ‒ einer Klarstellung, dass sich das angebotene bzw. vereinbarte Honorar nur auf die so geregelten Termine bezieht.
  •  
  • 4. Und es bedarf zu guter Letzt einer kalkulatorischen Basis zur Herleitung des verzögerungsbedingten Zusatzhonorars.

 

PRAXISTIPP | Vermeiden Sie Regelungen, wonach Ihr Planungsbüro den Nachweis der verzögerungsbedingt anfallenden zusätzlichen Kosten einzelfallbezogen führen muss. Solche Regelungen schränken die Chancen auf Geltendmachung von Zusatzhonoraren wieder ein.

 

Grafik: So setzen Sie das Urteil für die Lph 8 um

Weil das Urteil des OLG Brandenburg so bedeutsam ist, finden Sie in der nachstehenden Grafik zwei Beispiele. Sie zeigen Ihnen, wie Sie die Herleitung zusätzlichen Honorars in der Lph 8 gestalten können. Zu beachten ist dabei, dass die jeweils einzelfallbezogenen Vertragsregelungen immer vorgehen.

 

 

  • Zusatzhonorarermittlung bei Bauverzögerung

1. Beispiel: Honorarermittlung bei vereinbarter Monatspauschale

Urspr. Honorar Lph 8 gemäß Vertrag

Bauzeit gemäß Vereinbarung 14 Monate

Urspr. Gesamt-honorar

Monatspauschale

 

1

 

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5

 

6

 

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10

 

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14

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

10.000

10.000

200.000 Euro

Verzögerung Lph 8 im Rohausbau

v = Verzögerung

Bauzeit inkl. Verzögerung: 19 Monate

Neues Gesamthonorar

Monatspauschale

1

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7 v1

8 v2

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10 v4

11 v5

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18

19

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

15.000

10.000

10.000

275.000 Euro

5 Monate Verzögerung als zusätzl. Monatspauschale

2. Beispiel: Honorarermittlung bei vereinbarter einheitlicher Pauschale

Urspr. Honorar Lph 8 gemäß Vertrag: Pauschale von 210.000 Euro

Bauzeit gemäß Vereinbarung 14 Monate

Urspr. Gesamt-honorar

Monatliche Pauschale

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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11

12

13

14

210.000 Euro

=210.000 Euro für 14 Monate = 15.000 Euro/Monat

 

Verzögerung Lph 8 im Rohausbau

 

Bauzeit inkl. Verzögerung: 19 Monate

Neues Gesamt-honorar

Monatliche Pauschale

1

2

3

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5

6

7 v1

8 v2

9 v3

10 v4

11 v5

12

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15

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19

285.000 Euro

6 Monate x 15.000 Euro = 90.000 Euro

5 Monate x 15.000 Euro = 75.000 Euro

8 Monate x 15.000 Euro = 120.000 Euro

5 Monate Verzögerung als Herleitung aus Pauschale

 

 

Erläuterungen zur Grafik

Beide Beispiele beziehen sich auf die Lph 8 und legen vereinbarte Termine zugrunde. Das zweite Beispiel kann auch sinngemäß für HOAI-Honorare der Lph 8 gelten. Denn das Honorar für die Lph 8 verhält sich ähnlich wie eine Pauschale. Es wird zwar anhand von anrechenbaren Kosten und der Honorarzone ermittelt, aber es steht genauso fest wie eine Pauschale. Wichtig ist, dass das Honorar für die Lph 8 (z. B. durch vertragliche Vereinbarung) immer auf einen klar definierten festen Zeitraum bezogen wird. Fehlt eine terminliche Regelung, kann auch keine Verzögerung entstehen.

 

Auch der Zeitpunkt der eingetretenen Verzögerung kann wichtig sein. Im ersten Beispiel waren die Monatspauschalen im Zeitraum der Endmontagen und Einrichtung auf 10.000 Euro pro Monat abgesenkt worden. Tritt die Verzögerung in diesem Zeitfenster ein, kann auch nur der entsprechende ‒ niedrigere ‒ Betrag geltend gemacht werden.

Bei VgV-Verfahren die Basis für Honoraranpassung schaffen

Bei öffentlichen Aufträgen ist eine Honoraranpassung schwierig, wenn im Vergabeverfahren kein konkreter Zeitraum für die Lph 8 vorgegeben worden war. Dann stellt sich (wieder) das Problem, dass nicht von einer Verzögerung einer vertraglich zugrunde gelegten Frist ausgegangen werden kann.

 

PRAXISTIPP | Dem können Sie abhelfen, in dem Sie (über das Vergabemanagementsystem der Vergabeplattform) eine entsprechende Anfrage an den Auftraggeber stellen und eine Klärung herbeiführen. Wenn Sie die Terminfrage konkret formulieren und die Antwort aus einer konkreten Terminangabe als Kalkulationsgrundlage besteht, liegt grundsätzlich eine Situation vor, die mit der aus der Entscheidung des OLG Brandenburg vergleichbar ist.

 

Bei privaten Auftraggebern kann dies unmittelbar bei den Verhandlungen geklärt werden. Fragen Sie einen entsprechenden Fertigstellungstermin an und nehmen Sie ihn in den Vertrag auf.

 

FAZIT | Honorarnachträge wegen unverschuldeter Bauzeitverzögerung werden immer häufiger. Die Möglichkeiten, ein angemessenes Honorar für die Verzögerungszeiträume zu generieren, werden immer besser. Beachten Sie aber, dass Sie nach wie vor gewisse formale Voraussetzungen erfüllen müssen. Und noch etwas: Die Rechtsprechung ist noch nicht einheitlich. Sie geht aber eindeutig in Richtung Praxisorientierung. Außerdem gilt der Grundsatz, dass verzögerungsbedingte Planernachträge zeitnah aufzustellen sind. Je größer der zeitliche Abstand desto aufwendiger wird die Durchsetzung.

 

Weiterführende Hinweise

  • Beitrag „Zusatzhonorar wegen Bauverzögerung (bei Deponie): BGH spricht Machtwort zugunsten der Planer“, PBP 12/2020, Seite 7 → Abruf-Nr. 46994137
  • Beitrag „Bauzeitverlängerung: Honorar für Mehraufwand in der Lph 8 richtig kalkulieren und abrechnen“ PBP 5/2019, Seite 6 → Abruf-Nr. 45867684
  • Die „Siemon-Tabellen mit Verzögerungsfaktor“ finden Sie auf pbp.iww.de → Abruf-Nr. 45871313
Quelle: Seite 4 | ID 47580739