Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Personal

Mit hochstrukturierten Einstellungsinterviews gute Mitarbeiter für die Apotheke gewinnen

von Katja Löffler, Dipl. Kffr. (FH), PTA, Grasbrunn

| Während größere Unternehmen oft unterschiedliche Methoden der Personalauswahl einsetzen, findet die Einstellung neuer Mitarbeiter in kleineren Unternehmen, u. a. in Apotheken, fast ausschließlich aufgrund von Einstellungsinterviews statt. Das bedeutet allerdings, dass diese Bewerbungsgespräche eine besonders hohe Aussagekraft dazu haben müssen, ob der Bewerber für die ausgeschriebene Stelle geeignet und beruflich erfolgreich ist. Diese Einstellungsinterviews sollten deshalb hochstrukturiert sein. |

Unstrukturierte Einstellungsinterviews

I. d. R. machen sich Apothekeninhaber zahlreiche Gedanken und recherchieren im Internet oder in der Fachliteratur, wie ein Bewerbungsgespräch am besten ablaufen sollte und welche Fragen sie dem Bewerber stellen wollen. In einem 45- bis 60-minütigen Bewerbungsgespräch geht es dann meist um die Beweggründe der Bewerbung, um besondere Eigenschaften, die den Bewerber qualifizieren, um den beruflichen Werdegang, um offene Fragen zum Lebenslauf oder um Hobbys und Sportarten. Die Entscheidung, ob der Bewerber die Stelle bekommt oder nicht, fällt aber meistens „aus dem Bauch heraus“. Viele Arbeitgeber glauben, sie können sich sehr gut auf ihr Bauchgefühl verlassen. Doch diese Ansicht ist trügerisch, denn Objektivität ist in diesem Fall nicht einmal ansatzweise gegeben. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass unstrukturierte Einstellungsinterviews nur zu vier Prozent einen beruflichen Erfolg voraussagen können. Das ist erschreckend wenig, wenn man die tatsächlichen Kosten gegenrechnet, die bei Fehlbesetzungen für die Apotheke entstehen.

 

  • Gründe für schlechte Vorhersagekraft unstrukturierter Interviews
  • Es gibt kein Anforderungsprofil, welche Persönlichkeitseigenschaften, Kompetenzen und Fähigkeiten für genau diese Position erforderlich sind. Damit kann nicht festgestellt werden, ob der Bewerber auf die Stelle, ins Team, zu den Werten der Apotheke und zur Führungskraft passt.

 

  • Meistens führt nur eine einzige Person ‒ i. d. R. der Apothekeninhaber ‒ das Bewerbungsgespräch. Dieser unterliegt aber immer mehreren Wahrnehmungsverzerrungen (siehe auch AH 02/2020, Seite 11) wie z. B. Ähnlichkeitseffekten (Menschen, die uns ähneln, bewerten wir positiver) oder Überstrahlungseffekten (eine besonders hervorstechende Eigenschaft überdeckt andere).

 

  • Bewerbungsgespräche laufen nicht anhand eines strukturierten Leitfadens ab. Damit kann die Eignung verschiedener Bewerber nicht miteinander verglichen werden.

 

  • Es gibt kein Bewertungssystem, anhand dessen die Antworten des Bewerbers eingeordnet werden können.
 

Problematische Fragen im Einstellungsgespräch

Viele Fragen, die in Bewerbungsgesprächen gestellt werden, sind nicht auf konkrete Arbeitssituationen und geforderte Kompetenzen bezogen. Sie lassen sich auch weder kategorisieren noch lassen sich Rückschlüsse auf eine berufliche Eignung ziehen.

 

Warum wollen Sie bei uns arbeiten/haben Sie sich bei uns beworben?

Eine solche Frage ist die perfekte Einladung zur Selbstdarstellung. Ehrliche Antworten sind nicht immer zu erwarten, denn wer vorher einschlägige Bewerbungsratgeber gelesen hat, weiß genau, was er auf die Frage am besten antworten sollte und was nicht. Der Erkenntnisgewinn ist eher gering.

 

Was zeichnet Sie besonders aus?

Soll sich ein Bewerber selbst charakterisieren, ist dies u. a. deshalb problematisch, da seine Selbstwahrnehmung verschiedensten Verzerrungen unterliegt und sich von der Wahrnehmung anderer ‒ also der Fremdwahrnehmung ‒ sehr stark unterscheiden kann.

 

Was sind Ihre Stärken?

Studien zeigen, dass die Mehrzahl der Bewerber solche Stärken nennt, von denen sie glaubt, dass der Interviewer sie hören will. Also auch in diesem Fall ist die Aussagekraft der Antwort eher unbedeutend.

 

Was ist Ihre größte Schwäche?

Kein Bewerber wird hier gravierende Schwächen nennen, selbst wenn er diese kennen sollte. Er wird wahrscheinlich eher unbedeutende Schwächen nennen, z. B. „Ich esse zu viel Schokolade“, oder Schwächen, die eigentlich Stärken sind, z. B. „Ich kann nicht ‚Nein‘ sagen, wenn mich jemand um etwas bittet“. Damit ist diese Frage die perfekte Aufforderung zum Lügen: Denn wer sagt schon ehrlich im Einstellungsinterview, dass er unpünktlich, unkollegial, egoistisch oder narzisstisch veranlagt ist?

 

Warum sollten wir ausgerechnet Sie einstellen?

Diese Frage kann ein Bewerber gar nicht beantworten, denn Stellenanzeigen enthalten oft nur Phrasen, aus denen nicht klar hervorgeht, was genau die Anforderungen für genau diese Stelle sind. Also wird der Bewerber auch nur phrasenhaft antworten.

Hochstrukturierte Einstellungsinterviews

Im Gegensatz dazu basieren hochstrukturierte Interviews auf einem konkreten Anforderungsprofil. Dabei wird im Vorfeld der Stellenausschreibung analysiert, welche konkreten Aufgaben, Fach- und Sozialkompetenzen und welche psychische Konstitution die Stelle erfordert. Sind die Anforderungen definiert, kann besser entschieden werden, welche Voraussetzungen ein Bewerber zwingend erfüllen muss. Ein hochstrukturiertes Bewerbungsgespräch, auch multimodales Einstellungsinterview genannt, zeichnet sich durch einen standardisierten Leitfaden aus. Dieser enthält Fragen, die einen inhaltlichen Bezug zur ausgeschriebenen Stelle besitzen. Das multimodale Interview läuft in acht Phasen ab:

 

  • 1. Gesprächsbeginn: Zu Beginn soll eine angenehme, freundliche Gesprächsatmosphäre geschaffen werden.

 

  • 2. Vorstellung des Bewerbers: Der Bewerber kann sowohl über seine persönlichen als auch über seine beruflichen Erfahrungen, seine Ausbildung, sein Studium etc. berichten.

 

  • 3. Berufswahl: Der Interviewer stellt Fragen zur Berufswahl bzw. zu beruflichen Interessen, z. B.: „Welcher Beruf hätte Sie noch interessiert, wenn Sie sich nicht für eine Ausbildung zur PTA entschieden hätten?“ Hier sollte sich der Interviewer im Vorfeld mindestens auf einer dreistufigen Skala die möglichen Antworten überlegen und entsprechende Punkte vergeben.

 

  • Beispielskala Berufswahl

1 Punkt

Berufe aus anderen Bereichen, z. B. Bankkauffrau, Floristin, Friseurin etc.

2 Punkte

Verwandte Berufe, z. B. Arzthelferin, Krankenschwester etc.

3 Punkte

Es gab noch weitere Berufe, die mich interessiert hätten, z. B. Krankenschwester, Erzieherin etc., aber nachdem ich während meiner Schulzeit ein Praktikum in einer Apotheke gemacht habe, kam für mich nichts anderes mehr infrage.

 
  • 4. Freier Gesprächsanteil: Der Interviewer kann weitere Fragen zu den Bewerbungsunterlagen stellen.

 

  • 5. Biografiebezogene Fragen: Hier werden dem Bewerber mindestens drei Fragen zu konkreten Situationen aus seinem Arbeitsalltag gestellt, sogenannte Erfahrungsfragen. Dabei sollte sich der Apothekeninhaber im Klaren sein, was für ihn eine optimale Antwort darstellt und welche Antwort er nicht akzeptieren würde. Diese Antworten werden dann in einem Bewertungsraster mit Punkten von 1 (ungenügend) bis 5 (optimal) bewertet.

 

    • Beispiel

    „Sicher haben Sie die folgende Situation in Ihrer bisherigen Tätigkeit schon einmal erlebt. Die Krankenkasse eines Kunden hat einen neuen Rabattvertrag mit einem anderen Hersteller ausgehandelt. Das neue Medikament ist in Ihrer Apotheke aber nicht vorrätig. Der Kunde ist nun sauer, dass er noch einmal wiederkommen muss. Wie haben Sie dieses Problem gelöst?“

     

 

  • Beispielskala Biografiebezogene Fragen

1 Punkt

Ich habe dem Kunden gesagt, dass es nicht unsere Schuld ist. Da muss er sich bei seiner Krankenkasse beschweren. Ich habe das Mittel bestellt und der Kunde hat es dann später abgeholt.

2 Punkte

Ich habe gesagt, dass es mir leid tut.

3 Punkte

Ich habe dem Kunden erklärt, dass wir über 10.000 verschiedene Medikamente vorrätig haben, seine Krankenkasse neuerdings aber das Mittel eines anderen Herstellers bezahlt. Der Kunde hat das verstanden, auch wenn er nicht begeistert war.

4 Punkte

Ich habe gesagt, dass ich das Medikament bestelle und ihm liefern könnte.

5 Punkte

Ich habe dem Kunden gesagt, dass das Medikament in drei Stunden da ist und wir es ihm gerne liefern, sollte er nicht noch einmal kommen können. Außerdem habe ich ihm unsere Vorbestell-App empfohlen. Dann spart er sich in Zukunft doppelte Wege und lange Wartezeiten.

 
  • 6. Realistische Tätigkeitsinformation: Der Interviewer gibt Informationen darüber, wie der Arbeitsalltag tatsächlich aussehen wird. Auch werden die Erwartungen an den Kandidaten und eventuelle Probleme im Arbeitsalltag der Apotheke dargestellt.

 

  • 7. Situative Fragen: Der Interviewer schildert mehrere kritische Situationen, die in der Apotheke möglicherweise in Zukunft auftreten könnten und fragt den Bewerber, wie dieser sich verhalten würde. Auch die Antworten auf diese Fragen werden mit einem skalierten Antwortbogen erfasst.

 

    • Beispiel

    „Stellen Sie sich vor, es ist Ihr freier Tag und Sie haben mit Ihren Kindern einen Ausflug geplant. Nun ruft Sie früh Ihre Filialleitung an und fragt, ob Sie kurzfristig für eine erkrankte Kollegin einspringen könnten. Eine weitere Kollegin X, die in letzter Zeit häufiger eingesprungen ist, soll heute nicht wieder belästigt werden. Eine andere Vertretung gibt es nicht. Wie verhalten Sie sich?“

     

 

  • Beispielskala situative Fragen

1 Punkt

Ich sage der Filialleitung, dass das mein freier Tag ist und dass ich bereits etwas vorhabe.

2 Punkte

Ich sage, dass es mir leidtut, ich aber niemanden für meine Kinder habe.

3 Punkte

Ich rufe Kollegin X an und frage, ob sie nicht doch heute noch einmal einspringen könnte.

4 Punkte

Ich frage, ob ich dann meine Kinder mitbringen kann, da ich keine Aufsichtsperson habe.

5 Punkte

Ich sage der Filialleitung, dass ich zuerst einmal sehen muss, wer sich heute um meine Kinder kümmern kann, und dass ich sie schnellstmöglich zurückrufen werde. Dann frage ich eine Freundin, ob diese heute meine Kinder beaufsichtigen würde.

 
  • 8. Gesprächsabschluss: Am Ende bekommt der Bewerber noch die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Zudem fasst der Interviewer das Gespräch kurz zusammen und erklärt das weitere Vorgehen.

 

MERKE | Mit hochstrukturierten Interviews können Sie die Antworten eines Bewerbers gut einordnen. Zu allen Fragen wird der Punktwert ermittelt. Danach können Sie für jede Kategorie einen Durchschnitt bilden. Damit lassen sich die Aussagen unterschiedlicher Bewerber miteinander vergleichen ‒ unter der Voraussetzung, dass jeder Bewerber exakt dieselben Fragen erhält. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass hochstrukturierte Interviews deutlich bessere Vorhersagen der beruflichen Eignung eines Bewerbers ermöglichen als unstrukturierte.

 

Quellen

  • Kanning, U. (2019). Standards der Personaldiagnostik. Göttingen: Hogrefe.
  • Nerdinger, F. W., Blickle, G. & Schaper, N. (2019). Arbeits- und Organisationspsychologie. Heidelberg: Springer.
Quelle: Seite 2 | ID 46490552