· Fachbeitrag · Personalmanagement
Personalsuche in Zeiten des Fachkräftemangels: Stellenausschreibungen „AGG-gerecht“ gestalten
von Alexander Schlicht, Rechtsanwalt, Osborne Clarke, Köln
| Physiotherapiepraxen suchen händeringend nach guten Mitarbeitern, die „sofort ihren Job machen“. Dementsprechend sind die Stellenanzeigen gestaltet. Viele Anzeigen verstoßen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Schärfen Sie deshalb Ihren Blick, machen Sie Stellenausschreibungen „AGG-gerecht“ und vermeiden Sie so teure Auseinandersetzungen mit sogenannten AGG-Hoppern (m/w). |
Hintergrund und Ziel des AGG
Das AGG hat sich zum Ziel gesetzt, Diskriminierungen im Zivilrechtsverkehr, besonders im Arbeitsrecht, zu vermeiden. Schon in der Bewerbungsphase, speziell in der Stellenausschreibung (§ 11 AGG), ist es Ihnen untersagt, Bewerber aus einem der folgenden Gründe zu benachteiligen:
- Rasse oder ethnische Herkunft
- Geschlecht
- Religion oder Weltanschauung
- Behinderung
- Alter
- Sexuelle Identität
Das AGG hat nämlich leider auch dazu geführt, dass sich in der deutschen Arbeitswelt ein neues (selbstständiges) Berufsbild etabliert hat: Der AGG-Hopper (m/w). Dieser bewirbt sich auf eine Vielzahl von Stellen, mit dem Ziel, mögliche Entschädigungsansprüche einzuklagen. Das mag derzeit nicht so im Fokus stehen, aber seine Zeit wird wieder kommen. Daher gilt: Vermeiden Sie typische Fehler in Stellenanzeigen ‒ und mögliche schmerzhafte Entschädigungszahlungen. Erfahren Sie, wo typische Risiken bestehen und worauf Sie generell achten müssen.
Zwingende Formalien kennen und beachten
Stellenausschreibungen müssen keine bestimmten Informationen enthalten. Auch ein Hinweis, dass Bewerbungen von schwerbehinderten Personen besonders erwünscht sind, ist nicht erforderlich (Landesarbeitsgericht [LAG] Köln, Urteil vom 21.01.2009, Az. 3 Sa 1369/08, Abruf-Nr. 164568). Er käme in der Physiopraxis ohnehin nur für Abrechnungs- oder Rezeptionskräfte infrage.
PRAXISHINWEIS | Vor diesem Hintergrund können Sie im Anforderungsprofil daher konkrete Kenntnisse nennen und verlangen, die für die ausgeschriebene Stelle tatsächlich vonnöten sind (z. B. Fortbildung in Manueller Therapie oder Manueller Lymphdrainage, Trainerlizenz Pilates etc.). |
Keine Regel ohne Ausnahme: Bitte prüfen Sie, ob die angebotene Stelle auch für eine Tätigkeit in Teilzeit geeignet ist. Wenn ja, dann haben Sie dies in der Stellenausschreibung von Gesetzes wegen zu kennzeichnen (§ 7 Abs. 1 Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge [TzBfG]). Die gute Nachricht ist, dass Sie größtenteils selbst entscheiden können, ob die offene Stelle auch in Teilzeit ausgeübt werden kann.
Typische Verstöße gegen das AGG in Stellenanzeigen
Sie haben ein sehr genaues Bild Ihres Wunschbewerbers? Malen Sie dieses besser nicht schon in der Stellenausschreibung. Gerade kleinere Unternehmen (zu denen auch Physiotherapiepraxen i. d. R. zählen) verstoßen häufig gegen dieses Gebot. Das zeigt, dass sie für die Gefahr von nicht sorgfältig verfassten Ausschreibungen noch nicht ausreichend sensibilisiert sind.
Keine geschlechtsneutrale Berufsbezeichnung
Zugegebenermaßen der Klassiker unter den diskriminierenden Stellenanzeigen: die männliche Berufsbezeichnung. Hier kommt es nicht darauf an, ob die angegebene Berufsbezeichnung ebenfalls als Oberbegriff für den ausgeschriebenen Beruf dient. Es kommt allein darauf an, ob die Berufsbezeichnung geschlechtsneutral formuliert ist. Ist dies nicht der Fall, sind abgelehnte Bewerberinnen meist im Recht. Denn hier nehmen die Gerichte eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts an (Oberlandesgericht [OLG] Karlsruhe, Urteil vom 13.09.2011, Az. 17 U 99/10, Abruf-Nr. 196404).
Das „junge Team“
Die Stellenanzeige enthält nebenbei noch eine weitere Passage, die zwar auf Ihre Physiotherapiepraxis zutreffen könnte, in einer Ausschreibung jedoch fehl am Platz ist: Die Arbeit „in einem jungen Team“. Auch wenn Sie jetzt an ein dynamisches und kreatives Arbeitsklima denken, bezieht die Rechtsprechung hier eine ganz andere Position. Die Formulierung kann negativ gemeint sein. Ältere Interessenten könnten sich noch einmal überlegen, ob sie sich denn wirklich auf die ausgeschriebene Stelle bewerben sollten. Im Ergebnis diskriminiert die Anzeige daher wegen des Alters (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 11.08.2016, Az. 8 AZR 406/14, Abruf-Nr. 191390).
(Sehr) gute Deutschkenntnisse
Sollten Sie in Ihrer Stellenausschreibung sehr gute Deutsch- und/oder Englischkenntnisse verlangen, kann dies unter Umständen eine mittelbare Diskriminierung darstellen. Gibt es jedoch in Ihrer Praxis einen sachlichen Grund, warum die (sehr) guten Deutsch- und Englischkenntnisse für den Beruf erforderlich sind, ist die Forderung auch in einer Stellenausschreibung sachlich gerechtfertigt (§ 3 Abs. 2 AGG).
Vorsicht: Muttersprache
Kritisch ist es aber, wenn Sie nicht nur sehr gute, sondern sogar „muttersprachliche“ Deutschkenntnisse von den Bewerbern verlangen. Eine Muttersprache ist eine der wenigen Eigenschaften, die nicht erworben werden kann. Sie ist durch die Herkunft des Bewerbers bestimmt und damit ggf. durch die ethnische Herkunft, aufgrund derer ein Bewerber nicht diskriminiert werden darf (§ 1 AGG). So können Interessenten, die aufgrund ihrer Ethnie keine deutschen Muttersprachler sind, von einer Bewerbung abgehalten werden. Nach Ansicht der Gerichte liegt dann eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft vor (BAG, Urteil vom 15.12.2016, Az. 8 AZR 418/15, Abruf-Nr. 193635).
PRAXISHINWEIS | Ist es für die ausgeschriebene Stelle zwingend erforderlich, dass der Bewerber eine bestimmte Sprache beherrscht, sollten Sie nur die Kenntnis der Sprache in der Stellenausschreibung fordern, nicht aber nur Muttersprachler einstellen wollen. |
„Young“ = jung?
Fragen Sie sich einmal selbst: Verstehen Sie unter einem „Young Professional“ einen Arbeitnehmer, der keinesfalls älter als 30 ist? Wohl nicht. Sie stellen sich eher jemanden vor, bei dem die Berufsausbildung erst wenige Jahre zurückliegt. Das BAG sieht dies aber anders. Nach seiner Auffassung knüpft das Wort „Young“ (deutsch „jung“) unmittelbar ans Alter an und diskriminiert damit ältere Bewerber (BAG, Urteil vom 24.01.2013, Az. 8 AZR 429/11).
MERKE | Lesen Sie zu diesem Thema auch die Beiträge „Stellenanzeigen: Merkmal ‚junges Team‘ ist Diskriminierung nach dem AGG“ (PP 01/2011, Seite 9) und „Suche nach ‚jungen‘ Mitarbeitern verstößt gegen AGG“ (PP 12/2010, Seite 1). |
Nicht länger als ... zurückliegende(r) Ausbildung/Hochschulabschluss
Viele Physiotherapiepraxen sind naturgemäß daran interessiert, jüngere Bewerber anzusprechen. Oft liest man daher in Stellenanzeigen, dass die Ausbildung bzw. der Hochschulabschluss nur eine gewisse Zeitspanne zurückliegen soll. Vorsicht! Das BAG nimmt hier nämlich ebenfalls eine mittelbare Diskriminierung wegen des höheren Lebensalters an (BAG, Urteil vom 26.01.2017, Az. 8 AZR 848/13, Abruf-Nr. 194415).
PRAXISHINWEIS | Gleiches soll nach der Auffassung des BAG auch für den Zusatz in einer Stellenausschreibung gelten, dass Hochschulabschluss oder Ausbildung erst „… innerhalb der nächsten Monate“ erfolgen soll. Mit dieser Vorgabe sprechen Sie nämlich letztlich doch gezielt jüngere Bewerber an. Ältere Personen sind benachteiligt und mittelbar diskriminiert. |
X Jahre Berufserfahrung
Eine weitere beachtenswerte, jedoch weitaus weniger kritische Forderung in einer Stellenausschreibung ist die nach der Berufserfahrung. Die Rechtsprechung sieht in der Forderung nach einer bestimmten Berufserfahrung eine mittelbare Anknüpfung an das Alter eines Bewerbers (BAG, Urteil vom 19.05.2016, Az. 8 AZR 470/14, Abruf-Nr. 189431). Hier wird jedoch regelmäßig ein sachliches Ziel vorliegen, das die Benachteiligung des Bewerbers rechtfertigt (§ 3 Abs. 2 AGG).
PRAXISHINWEIS | Spezifizieren Sie die gewünschte Berufserfahrung hinsichtlich der Art der Tätigkeit. So liefern Sie schon in der Stellenanzeige einen sachlichen Grund für eine eventuelle ‒ AGG-gerechte ‒ Benachteiligung (Beispiel: Berufserfahrung in der Schmerzphysiotherapie). |
Weitere Formulierungen
Es gibt natürlich unzählige Möglichkeiten, um ein diskriminierendes Bild eines Bewerbers zu zeichnen. Sie minimieren deshalb das Risiko für Ihre Praxis, wenn Sie auf folgende Formulierungen verzichten:
- „dynamisch“
- „adrettes Erscheinungsbild“
- „körperlich belastbar“
- „aus der Region“
- „mit Erfahrung“
PRAXISHINWEIS | Zur Beurteilung einer Stellenbeschreibung gehören nicht nur die gewählten Formulierungen, sondern auch Vorgaben wie die Anforderung eines Lichtbilds. Bitte sehen Sie davon ab, ein solches gezielt zu fordern. Schicken Bewerber dieses von sich aus, ist das natürlich in Ordnung. |
Vorsicht: drohende Klagen!
Häufiger Gegenstand von Gerichtsverfahren ist die Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG). Sie ist sozusagen das „Schmerzensgeld“ für den diskriminierten Bewerber. Eine Grenze nach oben sehen jedoch weder das Gesetz noch die Rechtsprechung vor. Können Sie nachweisen, dass der Bewerber die Stelle auch ohne seine Diskriminierung nicht erhalten hätte, ist der Betrag „wenigstens“ bei drei Bruttomonatsgehältern gedeckelt.
Für die konkrete Bemessung der Entschädigung hat das BAG folgende Kriterien aufgestellt (Urteil vom 18.03.2010, Az. 8 AZR 1044/08, Abruf-Nr. 103350):
- Schwere und Art der Benachteiligung
- Dauer und Folgen der Benachteiligung
- Anlass und Motiv des Arbeitgebers
- Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers
- Vorliegen eines Wiederholungsfalls
- Notwendige Summe, um eine abschreckende Wirkung für den Arbeitgeber zu erzielen
FAZIT | Arbeiten Sie bei Stellenanzeigen nach dem Grundsatz: Weniger ist mehr. Achten Sie daher darauf, nur die erforderlichen und unverzichtbaren Auswahlkriterien zu nennen. Sind Sie sich über die Rechtmäßigkeit Ihrer Ausschreibung unsicher, fragen Sie einen Spezialisten. Am Ende ist der Rat eines Rechtsanwalts im Zweifel deutlich günstiger als eventuell anstehende Klagen von abgelehnten Bewerbern. |