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· Fachbeitrag · Personalmanagement

„Zeitbombe“ in Arbeitsverträgen mit zusätzlicher Provisionsvergütung kennen und entschärfen

von Dr. Jan Freitag, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, Hamburg

| In Arbeitsverträgen mit zusätzlicher Provisionsvergütung tickt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine Zeitbombe. Denn das BAG hat eine Provisions- und Provisionsrückzahlungsklausel sowie eine Klausel zum Stornoreservekonto für unwirksam erklärt. Denkbar ist, dass auch in den Arbeitsverträgen mit Ihren angestellten Mitarbeitern im Innen- und Außendienst solche „Zeitbomben“ ticken. Diese gilt es jetzt zu identifizieren und zu entschärfen. |

Provisionszahlungs- und Provisionsrückzahlungsklausel

Das BAG hat die Wirksamkeit einer bestimmten, in der Praxis durchaus üblichen Provisionszahlungs- und Provisionsrückzahlungsklausel geprüft. Konkret war im Arbeitsvertrag geregelt:

 

  • Klausel zur Provisionszahlung und Provisionsrückzahlung

Voraussetzung für die (vorschüssige) Zahlung von Superprovision und Provision für Eigengeschäft ist, dass der Mitarbeiter die Provisionsbedingungen, insbesondere die Stornohaftungsbedingungen der einzelnen Gesellschaften anerkennt und als vertragsgemäß akzeptiert. Gleiches gilt für die Allgemeinen Provisionsbestimmungen der Gesellschaft. Die Gesellschaft wird das Prozedere hierzu noch festlegen und dem Mitarbeiter mitteilen.

 

BAG hält Klausel für intransparent

Das BAG hat die Klausel mangels Transparenz für unwirksam erachtet. Denn sie würde auf nicht näher benannte Provisions- und Stornohaftungsbedingungen Bezug nehmen. Und der Provisionsanspruch knüpfe daran, dass der Arbeitnehmer diese Bedingungen „anerkennt und als vertragsgemäß akzeptiert“ (BAG, Urteil vom 21.01.2015, Az. 10 AZR 84/14, Rz. 43-48, Abruf-Nr. 176593).

 

Konsequenz der Entscheidung umstritten

Die Entscheidung, dass solche Klauseln unwirksam sind, ist eindeutig. Über die rechtliche Konsequenz wird noch gestritten:

 

  • Nach einer Ansicht bieten die Rückforderungsklauseln in Arbeitsverträgen keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Arbeitsvergütung im Falle einer Stornierung, wenn sie unwirksam sind, weil der Arbeitgeber eben die Provisions- und Stornohaftungsbedingungen dem Arbeitnehmer nicht vorgelegt hat. Die Folge wäre: Der Arbeitnehmer hätte einen Provisionsanspruch und liefe nicht Gefahr, nach Stornierungen Provisionen zurückzahlen zu müssen.

 

  • Nach der anderen Ansicht könnte der Arbeitgeber andere Rechtsgrundlagen für die Rückforderung der Provisionen geltend machen, z. B. aus dem HGB, etwa § 87 Abs. 3 i. V. m. § 92 Abs. 2 und 3 HGB, § 87a Abs. 3 und § 92 Abs. 4 HGB, oder aus dem BGB (§ 812 BGB). Diese bestünden als klare gesetzliche Regelungen unabhängig von der Vorlage und Kenntnisnahme der Provisions- und Stornohaftungsbedingungen auf Arbeitnehmerseite im Arbeitsvertrag.

 

PRAXISHINWEIS | Unseres Erachtens ergibt das BAG-Urteil nur dann einen Sinn, wenn man der ersten Ansicht folgt. Sonst hätte das Urteil keine rechtliche Konsequenz. Zwar sind gesetzliche Rückforderungsansprüche, z. B. über das Bereicherungsrecht, nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Hier wird es aber nur um Ausnahmefälle gehen, wie der bewusste Missbrauch des Arbeitnehmers in der Vermittlung.

 

Auch das BAG erklärte - auf Frage des Verfassers in der mündlichen Verhandlung am 21.01.2015 -, es gehe davon aus, dass der Arbeitgeber bei einer Rückforderung von Vergütung vom Arbeitnehmer auch darlegen und beweisen müsse, wie er konkret die Provisions- und Stornohaftungsbedingungen dem Arbeitnehmer näher gebracht habe. Die Vorlage und Kenntnisnahme (inklusive Einverständnis) der Provisions- und Stornohaftungsbedingungen sind also offensichtlich für das BAG Teil der geforderten Transparenz, wenn der Arbeitgeber Provisionen vom Arbeitnehmer zurückerlangen möchte.

 

Das Landesarbeitsgericht (LAG), an das das BAG zurückverwiesen hat, und weitere LAG in Parallelverfahren, haben die Rückforderungsklage des Arbeitgebers an den hohen Schlüssigkeitsanforderungen bei Stornierungen scheitern lassen, die das BAG aufgestellt hat. Sie haben sie nicht daran scheitern lassen, dass der Arbeitgeber die Provisions- und Stornohaftungsbedingungen dem Arbeitnehmer nicht vorgelegt hatte.

Stornoreservekonten in Arbeitsverträgen

Das BAG hat ferner folgende Klausel zum Stornoreservekonto in Arbeitsverträgen für unwirksam erklärt, die ebenfalls in der Praxis üblich sein dürfte:

 

  • Klausel zum Stornoreservekonto

Es werden zehn Prozent der vom Mitarbeiter erwirtschafteten Provisionen - gleich welcher Art - einem unverzinslichen Sicherheitskonto gutgeschrieben, welches von der Gesellschaft verwaltet wird. Über diese Ansprüche kann der Mitarbeiter erst verfügen, wenn sich kein Vertrag mehr in der Stornohaftungszeit befindet und auch sonst keine Rückforderungsansprüche der Gesellschaft bestehen oder entstehen können.

 

BAG sieht unangemessene Benachteiligung

Laut BAG benachteiligt die Klausel Arbeitnehmer unangemessen.

 

Der Arbeitnehmer könnte erst über die auf das Stornokonto gebuchten Provisionsanteile verfügen, wenn sich kein Vertrag mehr in der Stornohaftungszeit befindet und auch sonst keine Rückforderungsansprüche der Arbeitgeberin „bestehen oder entstehen können“ (BAG, Urteil vom 21.01.2015, Az. 10 AZR 84/14, Rz. 58-60, Abruf-Nr. 176593):

 

  • Damit scheide faktisch während des laufenden Arbeitsverhältnisses eine Verfügung des Arbeitnehmers über das Stornokonto aus, da hinsichtlich neu vermittelter Verträge laufend neue Provisionsvorschüsse gezahlt werden und damit Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers entstehen.

 

  • Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde eine Verfügung über das Stornokonto langfristig ausgeschlossen.

 

PRAXISHINWEIS | Die Konsequenz des BAG-Urteils dürfte sein, dass der Arbeitnehmer, jedenfalls nach seiner letzten Abrechnung des Stornoreservekontos, das dort ausgewiesene bestehende Guthaben ausgezahlt bekommen muss. So lauteten auch die dem BAG-Urteil folgenden LAG-Entscheidungen.

 

Konsequenzen für Sie in der Praxis

Die Entscheidung könnte folgende rechtliche Konsequenz für Sie haben:

 

Rückforderungen von Provisionsvergütungen ausgeschlossen

Als Arbeitgeber dürften Sie die Provision nicht mehr zurückfordern, wenn Sie die Provisions- und Stornohaftungsbedingungen nicht vorgelegt haben. Rückforderungen wären sogar dann ausgeschlossen, wenn Sie nachweisen können, dass es zu korrekten Stornierungen gekommen ist.

 

Ihr Mitarbeiter dürfte Provisionsvergütungen unabhängig von späteren Stornierungen komplett behalten. Im laufenden Arbeitsverhältnis würde dies für die Zukunft gelten und im Rahmen der Verjährungs- oder arbeitsvertraglichen Verfallfristen auch für bestimmte Zeiten in der Vergangenheit. Dies wäre eine ordentliche Gehaltserhöhung, und zwar in der Höhe der Storno-Quote der vom Arbeitnehmer für den Arbeitgeber vermittelten Versicherungen.

 

Nachzahlungen aus dem Stornoreservekonto

Die rechtliche Konsequenz aus dem unwirksamen Stornoreservekonto wäre zusätzlich, dass Sie an Ihren Mitarbeiter

  • ein ggf. vorhandenes Guthaben sofort auszahlen müssen und künftig keine Stornierungen abziehen dürfen, sowie
  • dass Sie das in der Vergangenheit einbehaltene Gehalt im Stornoreservekonto voll zurückzahlen müssen, unabhängig von der Berechtigung jeder einzelnen Stornierung. Durch das Kontokorrent dürfte auch die Verjährung oder ein arbeitsvertraglicher Verfall keine Rolle spielen.

 

Es kann also um erhebliche Beträge für den Arbeitgeber gehen, um Rückerstattung von jahrelang angewachsener Vergütung, unabhängig, ob und welche berechtigte Stornierungen dahinter stehen.

 

Anpassung der Arbeitsverträge

Prüfen Sie Ihre Arbeitsverträge. Passen Sie die Arbeitsverträge an, etwa mit folgenden arbeitsvertraglichen Formulierungen:

 

Musterformulierung / Klausel Provisionszahlung und -rückzahlung

Die vereinbarten Provisionen werden vorschüssig gezahlt. Sie unterliegen Provisions- und Stornohaftungsbedingen. Sie sind erst fällig, wenn die jeweiligen Versicherungsgesellschaften die Provisionen gegenüber der Gesellschaft endgültig gezahlt haben. Die jeweiligen Provisions- und Stornohaftungsbedingungen der einzelnen Gesellschaften sind im Intranet des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer einsehbar. Der Arbeitnehmer erhält einen entsprechenden Zugang. Der Arbeitnehmer erhält vom Arbeitgeber bei der Abrechnung der Provisionsvorschüsse jeweils auch Hinweis auf die und Gelegenheit zur Stellungnahme zu den einschlägigen Provisions- und Stornohaftungsbedingungen.

 

 

Musterformulierung / Klausel zum Stornoreservekonto

Es werden zehn Prozent der vom Arbeitnehmer erwirtschafteten Provisionsvorschüsse einem unverzinslichen Sicherheitskonto gutgeschrieben, welches vom Arbeitgeber verwaltet wird. Unbeschadet dieser Regelung ist nach Ablauf der vereinbarten Stornohaftungszeit eines vom Arbeitnehmer vermittelten Vertrags die vom Arbeitgeber einbehaltene Stornoreserve für diesen Vertrag an den Arbeitnehmer auszukehren.

 

 

Ohne eine Anpassung dürfte jedenfalls das Risiko einer Gehaltserhöhung für alle Vertriebsangestellten im Versicherungsbereich bestehen bleiben. Dabei kann es um sehr hohe Beträge gehen.

 

Wichtig | Der Eindruck des Verfassers ist, dass dem BAG die rechtliche Konsequenz nicht vollständig bewusst war, was er auch aus den Erörterungen der mündlichen Verhandlung vor dem BAG in Erfurt schließt.

 

Der Hintergrund war ersichtlich, dass es in dem vorliegenden Fall nicht darauf ankam, da es um ein lange (jenseits der Verjährungsfristen) beendetes Arbeitsverhältnis ging. Die rechtlichen Überlegungen des BAG insgesamt (Unwirksamkeit derartiger Klauseln und „hohe Hürden“ für die Rückforderung von Provisionsvergütung) sind nach Überzeugung des Verfassers dieses Beitrags in jedem Fall arbeitsrechtlich überzeugend.

 

PRAXISHINWEIS | Ob dieses Urteil des BAG eine Dimension erhält, wie z. B. die Unwirksamkeit von Widerrufsklauseln in Darlehens- oder Versicherungsverträgen, ist sicher noch nicht abzusehen. Jedoch ist jedem Arbeitnehmer und jedem Arbeitgeber dringend anzuraten, die eigenen Arbeitsverträge auf diesen Aspekt hin zu prüfen und Rechtsklarheit zu schaffen.

 
Quelle: Seite 5 | ID 44730495