01.06.2010 | Plausibilitätsprüfungen
Sieben wichtige Hinweise für betroffene Vertragsärzte
von Dr. Thomas Willaschek, DIERKS + BOHLE Rechtsanwälte, Berlin, www.db-law.de, E-Mail: willaschek@db-law.de
In regelmäßigen Abständen leitet irgendwo im Bundesgebiet eine Kassenärztliche Vereinigung sogenannte Plausibilitätsprüfungen ein, teilweise sogar regelhaft bei der Abrechnungsprüfung jedes Quartals. Wie soll sich also ein Arzt verhalten, der zur Stellungnahme aufgefordert wird? Empfehlenswert ist ein Vorgehen in sieben Schritten, die der folgende Beitrag skizziert.
Wer ist auffällig?
Die Aufgreifkriterien für eine weitergehende Prüfung liegen bei abgerechneten Leistungen mit Zeitbewertungen von insgesamt
- über 780 Stunden (46.800 Minuten) im Quartalsprofil (QP) und/oder
- über 12 Stunden (720 Minuten) im Tagesprofil (TP) an mindestens drei Tagen/Quartal.
Liegen derartige Auffälligkeiten vor, wird ein Verfahren eingeleitet und dem betroffenen Vertragsarzt üblicherweise Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen gegeben. In den Anschreiben findet sich mehrheitlich eine Übersicht über die Auffälligkeiten in den Tages- und Quartalsprofilen sowie gegebenenfalls ein Hinweis auf bestimmte, gebührennummernbezogene Abrechnungsauffälligkeiten.
1. Schritt: Einen Überblick verschaffen!
Zunächst muss sich der Betroffene klar machen, dass eine Plausibilitätsprüfung keine isolierte Problematik darstellt, denn der Vorstand der KV entscheidet keineswegs nur über eine eventuelle Honorarrückforderung. Der Verfahrensgang stellt sich vielmehr in aller Regel wie folgt dar:
1. | Der Vertragsarzt erfüllt die Aufgreifkriterien im TP und/oder QP. Die KV leitet die Plausibilitätsprüfung ein. |
2. | Der Vertragsarzt nimmt nach Aufforderung durch KV Stellung. |
3. | Die Plausibilitätskommission spricht gegebenenfalls nach mündlicher Verhandlung, Empfehlung an den KV-Vorstand aus. |
4. | Vorstand der KV beschließt über
|
Dass der Vorstand regelmäßig nicht nur über eine sachlich-rechnerische Berichtigung, sondern auch über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens und sogar über die Abgabe an die Staatsanwaltschaft entscheidet, macht ein Plausibilitätsverfahren zu einer sehr sensiblen Problematik. Entscheidend ist, die eigene Position in der Konstellation sämtlicher Verfahren richtig einzuschätzen. So kann etwa eine isoliert im Plausibilitätsverfahren sinnvoll erscheinende Stellungnahme im Gesamtbild sogar kontraproduktiv sein.
2. Schritt: Stellungnahme überlegt formulieren!
Inwieweit zu den vorgehaltenen Auffälligkeiten Stellung genommen wird sollte also sorgfältig abgewogen werden. Ratsam ist im Allgemeinen der schriftliche, nicht der telefonische Weg. Die schriftliche Stellungnahme hilft dabei, die eigene Abrechnung sorgfältig zu reflektieren. Außerdem verhindert sie, im Telefonat auf spontane Nachfragen unüberlegt zu reagieren.
Wichtig ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sachlich-rechnerischen Berichtigung in Folge von Plausibilitätsprüfungen. Danach kann eine Honorarkürzung bis auf den Fachgruppendurchschnitt ohne weitere Begründung vorgenommen werden, wenn dem Vertragsarzt seitens der Kassenärztlichen Vereinigung auch nur eine einzige zumindest grob fahrlässige Falschabrechnung nachgewiesen wird. Das bedeutet folgenden Spagat: Um die Honorarkürzung in Grenzen zu halten, sollte ein offenes Eingeständnis fehlerhafter Abrechnungen möglichst vermieden werden, gleichzeitig verschlechtert jedoch „Uneinsichtigkeit“ die Chancen im Disziplinarverfahren. Es kommt insofern entscheidend auf die Formulierung an.
3. Schritt: Inhaltlich richtige Schwerpunkte setzen!
Auffälligkeiten in den Quartals- und Tagesprofilen können ganz unterschiedliche Ursachen haben, daher muss der Stellungnahme stets eine eingehende Analyse der eigenen Tätigkeit vorausgehen.
Einige Beispiele
|
4. Schritt: Fallen vermeiden!
Unbedingt zu vermeiden sind Darlegungen, die die eigene Position verschlechtern. Dokumentation und Befunde sollten vor dem Einreichen kritisch auf etwaige Schwächen hin beleuchtet werden. Bedenken Sie, dass zum Beispiel Ihre Ultraschallbilder bei Auffälligkeiten der Qualitätssicherungskommission vorgelegt werden können.
Ein „typischer“ Fall für eine kontraproduktive Argumentation findet sich bei Vertragsärzten, die Ordinationsziffern und Gesprächsleistungen im bis Ende 2007 gültigen EBM nebeneinander abgerechnet haben. Bei der Nebeneinanderberechnung dieser Leistungen war nach dem EBM eine Dauer der Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung für die Berechnung. Viele Ärzte verweisen zur Rechtfertigung von Zeitprofilsüberschreitungen in ihrer Stellungnahme auf die benutzte Praxissoftware, die sich allein an den Prüfzeiten nach Anhang 3 zum EBM orientierte und die genannte Abrechnungsvoraussetzung nicht berücksichtigte.
Nach dem Sozialgericht Marburg kommt es aber auf eine eventuelle Fehlerhaftigkeit des Softwareprogramms nicht an, das die Dauer von 20 Minuten nicht hat erkennen lassen (Az: S 12 KA 238/09). Maßgeblich für die Abrechnung seien allein die Bestimmungen des EBM 2005. Letztlich räume der Arzt mit einer solchen Argumentation ein, vorsätzlich gegen die Leistungslegende verstoßen zu haben.
5. Schritt: Das Ziel im Blick behalten!
Verlieren Sie nicht das Ziel aus den Augen, nämlich die eigene Leistungserbringung plausibel zu machen. Dies ist nicht dadurch zu erreichen, dass Sie pauschal erklären, etwa schneller zu arbeiten oder um die Streichung von „Falschabrechnungen“ bitten. Vielmehr muss im Rahmen einer „Rechenaufgabe“ letztlich die - individuell modifizierte - Gesamtprüfzeit aller abgerechneten Leistungen im Quartal/am Tag unter den benannten Aufgreifgrenzen liegen.
Bieten Sie der KV also eine Rechnung an, in der sämtliche Faktoren aufbereitet sind: Wie viel Zeit Sie zum Beispiel für eine Sonografie benötigen, wie groß also die Ersparnis gegenüber der Prüfzeit ist, wie viel Zeitersparnis sich bei wie vielen Ansätzen der Ziffer im Quartalsprofil insgesamt ergibt. Im Ergebnis müssen danach die Aufgreifkriterien unterschritten werden.
6. Schritt: Gesamtstrategie prüfen!
Zurück zum ersten Schritt: Überprüfen Sie nochmals Ihre Gesamtstrategie. Interessant hierzu: Der Disziplinarausschuss bei der jeweiligen KV verfügt über einen Katalog verschiedener Maßregelungen. Dieser reicht von einer Verwarnung - das heißt dem „erhobenen Zeigefinger“ - bis zur Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu zwei Jahren! Angesichts der Konsequenz ist spätestens dann, wenn die Einleitung eines Disziplinarverfahrens oder auch nur ein solcher Entscheidungsvorschlag der Plausibilitätskommission an den Vorstand bekannt wird, zeitnahes Handeln unbedingt geboten. In der Vergangenheit wurden schon einige Praxisinhaber mit Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft in der Praxis konfrontiert.
Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wird wegen des Vorwurfs vorsätzlichen Abrechnungsbetrugs geführt. Spätestens wenn Implausibilitäten größeren Umfangs nicht ausgeräumt werden können, sollte ein Fachanwalt für Medizinrecht konsultiert werden. Mit diesem sind das weitere Vorgehen und die Einbindung eines versierten Strafverteidigers zu beraten. Ist bereits ein Strafverteidiger mandatiert, sollte dieser aufgrund des vertragsarztrechtlichen Vorwurfs einen medizinrechtlich erfahrenen Kollegen konsultieren.
7. Schritt: Zukünftig vorbeugen!
Den Vertragsärzten, die der Einleitung einer Plausibilitätsprüfung vorbeugen wollen, ist folgendes anzuraten:
- Geben Sie die Abrechnung nicht komplett aus der Hand, denn letztlich bleibt die „peinlichst genaue Abrechnung“ Ihre höchstpersönliche Verantwortung. Sie können sich also später nicht darauf berufen, nicht beteiligt gewesen zu sein. Nutzen Sie also die Möglichkeit, auch tatsächlich Kontrolle auszuüben.
- Falls Sie die Praxissoftware zur Kontrolle der Zeitprofile verwenden, überprüfen Sie auch diese dahingehend, dass alle Abrechnungsvorgaben berücksichtigt werden.
- Bei faktischen Unterschreitungen gegenüber den Prüfzeiten, wenn Sie also „schneller arbeiten“, und weiteren Auffälligkeiten ist eine sehr sorgfältige Dokumentation einzuhalten.
- Bei Unklarheiten bei der Abrechnung einzelner Leistungen sollten Sie zudem frühzeitig, also bevor Verfahren eingeleitet werden, aktiv an die KV herantreten und diese Unstimmigkeiten klären.