· Fachbeitrag · Prozessrecht
Die internationale örtliche Zuständigkeit in Nachlasssachen ‒ ein Verwirrspiel
von RA Holger Siebert, FA Erbrecht und Steuerrecht, Berlin
| Für die Verfahren in Nachlass- und Teilungssachen ist die örtliche Zuständigkeit in § 343 FamFG in seiner seit dem 17.8.15 gültigen Fassung geregelt. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, auf welchen Zeitpunkt im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 343 FamFG (alte Fassung oder neue Fassung) abzustellen ist. Der Beitrag beantwortet diese Frage. |
1. Einleitung
Im Hinblick auf den neuen international-rechtlichen Ansatz, der sich aus der EU-ErbVO herleitet, ist Anknüpfungspunkt auch bei § 343 FamFG der „gewöhnliche Aufenthalt“ des Erblassers. Dies ist die zwingende Folge aus Art. 4 der EU-ErbVO, der über § 2 IntErbRVG im deutschen Verfahrensrecht Eingang gefunden hat.
MERKE | Vor Inkrafttreten des FamFG war die Zuständigkeit in Nachlasssachen in § 73 FGG geregelt. Hier wurde noch zwischen „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“ des Erblassers differenziert. Mit Inkrafttreten des FamFG am 1.9.09 ist diese Regelung entfallen. Die Übergangsvorschrift des Art. 111 FGG-Reformgesetz bestimmte, dass für alle Verfahren, die vor dem Inkrafttreten des FamFG eingeleitet worden waren oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten beantragt worden war, noch das FGG gilt.
Mit Inkrafttreten der EU-ErbVO und des IntErbRVG am 17.8.15 wurde § 343 FamFG entsprechend angepasst. Insbesondere ist damit die erfreulich weitgehende Möglichkeit, das Gericht der Belegenheit anzurufen, weggefallen. Nach § 343 Abs. 3 S. 2 FamFG kann das AG Schöneberg aus wichtigem Grund an das Gericht der Belegenheit verweisen. |
2. Anwendbarkeit des § 343 FamFG
Fraglich ist, auf welchen Zeitpunkt im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 343 FamFG (a.F. oder n.F.) abzustellen ist. In Betracht kommt als Anknüpfung entweder der Zeitpunkt
- der Befassung des Gerichts oder
- des Erbfalls.
a) Literaturmeinung
Eine Meinung in der Literatur stellt auf den Tag ab, an dem das Gericht mit der Sache befasst wird, weil im Gesetz „befinden“ stehe und nicht „befanden“ (Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl., § 343 Rn. 88).
Unabhängig von diesem wenig hilfreichen rein semantischen Ansatz beruft sich Keidel/Zimmermann auf eine Entscheidung des BayObLG. Die dort geklärte Frage bezieht sich jedoch nicht auf den Zeitpunkt der Anwendbarkeit einer Vorschrift, sondern auf die Tatbestandsvoraussetzungen des damals geltenden § 73 Abs. 3 FGG.
Zuvor steht aber die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit, was hier von Keidel/Zimmermann offensichtlich vermischt wird. Richtig ist zwar, dass hinsichtlich der Belegenheit von Nachlassgegenständen auf den Zeitpunkt des Befassens abzustellen ist. Dies hat aber nichts mit der Frage der Anwendbarkeit der Fassung des § 343 FamFG zu tun. Denn ist aufgrund des Zeitpunkts des Erbfalls § 343 FamFG n.F. anzuwenden, ist gleichwohl hinsichtlich § 343 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. FamFG auf den Zeitpunkt des Befassens abzustellen. Dies bedeutet, dass wenn im Gegensatz zum Zeitpunkt des Erbfalls nun keine Nachlassgegenstände mehr im Inland belegen sind, dass hieraus auch keine Zuständigkeit hergeleitet werden kann. Hieraus entsteht auch folgerichtig keine Regelungslücke.
b) Gleichlauf mit EU-ErbVO
Sowohl der europäische Gesetzgeber (EU-ErbVO) als auch der deutsche Gesetzgeber (§ IntErbRVG, FamFG) wollen mit der am 17.8.15 in Kraft getretenen Neuregelung den Gleichlauf zwischen der erbrechtlichen Anknüpfung und der internationalen Zuständigkeit, soweit möglich, herstellen. Ein wesentliches Ziel des IntErbRVG ist es, dafür Sorge zu tragen, dass stets ein Gericht in der Bundesrepublik örtlich zuständig ist, wenn eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 4 ff. EU-ErbVO besteht.
Die Verordnung regelt lediglich die internationale Zuständigkeit und schweigt zur Frage, welche Gerichte innerhalb des Mitgliedstaats, dessen Gerichte international zuständig sind, in örtlicher Hinsicht zur Entscheidung berufen sind (vgl. insbesondere Art. 2 EU-ErbVO, wonach die „innerstaatlichen Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten in Erbsachen“ unberührt bleiben, wozu auch die örtliche Zuständigkeit gehört). Die innerdeutsche örtliche Zuständigkeit regelt in konsequenter Umsetzung § 343 FamFG n.F.
Um den erforderlichen Gleichlauf herzustellen, wird sowohl bei der materiell-rechtlichen Anknüpfung als auch bei der Zuständigkeit auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ des Erblassers abgestellt und hinsichtlich des Gesamt-konzepts auf den Zeitpunkt des Erbfalls (ab oder vor dem 17.8.15). Nach dieser Gesamtkonzeption ist auch hinsichtlich der innerdeutschen örtlichen Zuständigkeitsregelung zwingend auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen.
Im Übrigen könnte bei anderer Betrachtungsweise der Antragsteller bei einem Erbfall vor dem 17.8.15 allein durch die Verzögerung der Antragstellung die Anwendbarkeit des jeweiligen Rechts beeinflussen. Dann wird hinsichtlich des materiellen Rechts der Erbfall nach alter Anknüpfung (Art. 25 EGBGB) behandelt und hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nach dem neuen europäischen Rechtsansatz, so wie er in § 343 FamFG n.F. seinen Niederschlag gefunden hat. Der vom Gesetzgeber gewünschte Gleichlauf würde ad absurdum geführt.
3. Verweisungsermessen des AG Schöneberg
Ist nach § 343 FamFG das AG Schöneberg zuständig, kann es nach § 343 Abs. 3 S. 2 FamFG n.F. die Angelegenheit aus wichtigem Grund an ein anderes Nachlassgericht verweisen (sog. Verweisungsermessen). Über die Ausübung dieses Verweisungsermessens und seiner Grenzen besteht Streit.
a) Ansicht des KG
Soweit das AG Schöneberg Nachlassverfahren regelmäßig ohne einzelfallbezogene Zweckmäßigkeitsprüfung an ein anderes Gericht verweist, in dessen Bezirk sich ein Nachlassgegenstand befindet, steht dies nach Ansicht des KG in offensichtlichem Widerspruch zur Zuständigkeitsverteilung des Gesetzes, die für deutsche Erblasser ‒ anders als in § 343 Abs. 3 FamFG a.F. ‒ nicht an den Nachlass anknüpft (KG FGPrax 16, 86). Nach der Auslegung des AG Schöneberg bliebe es nur bei seiner Sonderzuständigkeit, wenn sich keine Nachlassgegenstände im Inland befänden.
b) Ansicht OLG Köln
In die gleiche Richtung marschiert das OLG Köln: Zwar mag nach Auffassung des OLG Köln der im Verweisungsbeschluss genannte Gesichtspunkt, dass sich im Bezirk eines anderen Gerichts Nachlassgegenstände befinden, ausnahmsweise aus wichtigem Grund eine Verweisung an ein anderes Gericht rechtfertigen; für sich gesehen genüge dies zur Anwendung des § 343 Abs. 2 S. 2 FamFG a.F. aber nicht (OLG Köln ZEV 17, 219). Dies ergebe sich schon im Umkehrschluss aus § 343 Abs. 3 FamFG a.F.
c) Konsequenzen aus dieser Rechtsprechung
Die genannten OLGe versagen wegen der aus ihrer Sicht bestehenden Rechtswidrigkeit der Verweisung die Bindungswirkung nach § 3 Abs. 3 FamFG. Folge: Das nächsthöhere Gericht bestimmt die Zuständigkeit, § 5 FamFG. Im Ergebnis landet das Verfahren wieder in Schöneberg, § 343 Abs. 3 S. 1 FamFG n.F.
Im Fall des OLG Köln lag das Verfahren bei drei verschiedenen AG vor, bis es zur Entscheidung des OLG kam. Bestand bis dahin ein Stillstand der Rechtspflege? Nein, denn nach weiterer Entscheidung des OLG Köln kann eine Nachlasssache auch gem. § 343 Abs. 2 S. 2 FamFG aus wichtigen Gründen an ein anderes Gericht verwiesen werden, wenn es seinerseits aufgrund einer Verweisung nach § 3 Abs. 1 S. 1 FamFG mit der Sache befasst worden ist (OLG Köln FGPrax 14, 282 = FamRZ 15, 280 = ZEV 14, 571 (Ls.)). Die in § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG angeordnete Bindungswirkung stehe dem nicht entgegen, weil die Verweisung aus der Sicht des OLG willkürlich war.
d) Kritik
Diese von OLGe mehrfach geäußerte Ansicht, dass die Belegenheit einer Sache zwar einen wichtigen Grund zur Verweisung darstelle, die Verweisung aber dennoch rechtswidrig sei, da vom AG Schöneberg keine objektiven Feststellungen darüber getroffen worden seien, dass die Sache vor dem Gericht, an das verwiesen wird, schneller oder einfacher erledigt werden könne, findet im Gesetz jedoch keine Stütze und widerspricht sich bei dogmatischer Betrachtung (siehe auch AG Schöneberg 29.5.17, 62 VI 303/17).
Der Gesetzgeber hat in der Begründung zu § 343 Abs. 2 FamFG a.F./§ 343 Abs. 3 FamFG n.F. konstatiert, dass die Belegenheit einer Sache einen wichtigen Grund darstellen kann (vgl. hierzu auch Begründung des Gesetzgebers zu § 343 Abs. 3 FamFG n.F./Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache 18/4201).
Zwar sieht das Gesetz vor, dass das AG Schöneberg die Sache verweisen kann, dieses Ermessen bezieht sich aber lediglich darauf, ob das Gericht von diesem Ermessen Gebrauch machen will oder nicht. Eine Zweckmäßigkeitsprüfung, wie sie z. B. vom KG gefordert wird, kann hier überhaupt nicht angestellt werden. Es ist schlicht unmöglich eine solche Zweckmäßigkeitsprüfung sachgerecht durchzuführen. Denn ob ein Verfahren bei einem Gericht der Belegenheit im Ergebnis schneller und effektiver bearbeitet wird, ist nicht vorauszusehen.
Darüber hinaus wird verkannt, dass es sich bei § 343 Abs. 2 FamFG a.F. bzw. § 343 Abs. 3 FamFG n.F. lediglich um einen Auffangtatbestand handelt (vgl. AG Schöneberg 29.5.17, 62 VI 303/17), bei dem ein Verweisungsermessen eingeräumt wird und gerade kein zwingender Verweisungstatbestand kreiert werden sollte. Auch im Gesetz finden die geforderten Zweckmäßigkeitserwägungen keine Stütze. Vielmehr ergibt sich die Zweckmäßigkeit per se aus der Belegenheit von Nachlassgegenständen.
4. Zusammenfassung ‒ Ausblick
- Im Hinblick auf den vom Gesetzgeber verfolgten Gleichlauf zwischen gerichtlicher Zuständigkeit und Erbstatut muss im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 343 FamFG zwingend auf den Zeitpunkt des Erbfalls und nicht auf den Zeitpunkt der Befassung abgestellt werden.
- Das Verweisungsermessen des AG Schöneberg darf über die Feststellung eines wichtigen Grunds (Belegenheit von Nachlassgegenständen) zu keiner darüber hinaus gehenden Zweckmäßigkeitsprüfung herangezogen werden.
- Um ein unnötiges Verweisungskarussell im Zuständigkeitsstreit zu vermeiden, sollte der Gesetzgeber darüber nachdenken, ob mangels anderweitiger Zuständigkeit nicht ein Gericht der Belegenheit ohne den Umweg über das AG Schöneberg, wie dies nach § 343 Abs. 3 FamFG a. F. möglich war, zuständig sein sollte. Das würde die Bearbeitungsdauer erheblich verkürzen und unnötige Zuständigkeitsverfahren vermeiden. Die erbrechtliche Praxis würde dies sicherlich flächendeckend begrüßen.
Weiterführende Hinweise
- Volmer, ZEV 14, 129, Definitive Entscheidung von Vorfragen aufgrund der Gerichtszuständigkeit nach der EuErbVO
- Dutta, ZEV 15, 493, Das neue Internationale Erbrechtsverfahrensgesetz
- Schrenck/Keller, JA 16, 51, Prüfungsschwerpunkte im Erbscheinsverfahren
- Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016