· Fachbeitrag · Prozessrecht
Pflichtteilsansprüche erfolgreich mittels Stufenklage durchsetzen
von RA Uwe Gottwald, VRiLG a.D., Vallendar
| Da der Mandant als enterbter Pflichtteilsberechtigter oft den Umfang und den Wert des Nachlasses nicht kennt, steht ihm ein Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch (§ 2314 BGB) zu. Weigert sich der Erbe, die Auskunft zu erteilen, ist dem Pflichtteilsberechtigten zu empfehlen, eine Stufenklage zu erheben. Der Beitrag vermittelt, worauf dabei zu achten ist. Dazu erhalten Sie eine Musterformulierung zu Aufbau und Gestaltung dieser Klage. |
1. Besonderheiten der Stufenklage
Die Besonderheit der Stufenklage ist, dass eine Anspruchsverbindung sowie ein unbestimmter Antrag entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auf der Leistungsstufe zugelassen ist. Die Auskunft ist nur ein Hilfsmittel, um die (noch) fehlende Bestimmtheit des Leistungsanspruchs herbeizuführen (BGH NJW 11, 1815), jedoch nicht, um eine sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht im Zusammenhang stehende Information zu verschaffen (BGH NJW 12, 3722). Die Stufenklage ermöglicht es, den gesamten Streitstoff mit einer Klage geltend zu machen. Sie ist ein Sonderfall der objektiven Klagenhäufung gem. § 260 ZPO (BGH NJW 94, 3102) im Sinne von drei (oder auch vier) Klagen auf Auskunftserteilung, Wertermittlung, Versicherung der Richtigkeit an Eides statt und Zahlung (oder Herausgabe). Obsiegt der Kläger, wird über die Anträge stufenweise entschieden. Hauptanwendungsfall ist, später einen Geldbetrag zu beziffern.
Einer der wesentlichen Vorteile der Stufenklage ist, dass sie die Verjährung hemmt. Mit der Klageerhebung (§ 261 Abs. 1 ZPO) werden alle vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sofort rechtshängig (BGH NJW 15, 1093), auch das noch unbestimmte Leistungsverlangen, selbst alternative Ansprüche (BGH NJW 03, 2748). Damit wird der Ablauf der Verjährungsfrist für sämtliche Klageansprüche in jeder Höhe gehemmt (BGH NJW-RR 95, 770), auch bei Angabe eines falschen Stichtags für die Auskunftserteilung (BGH NJW 12, 2180). Voraussetzung ist aber, dass auch der Leistungsantrag der letzten Stufe gestellt wird und nur vorbehalten bleibt, diesen zu beziffern (BGH NJW 17, 1954). Sie ist für den Mandanten auch kostengünstiger, weil die Kosten aus einem Gesamtstreitwert berechnet werden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 254 Rn. 17).
2. Verfahren
Bei der örtlichen Zuständigkeit ist § 27 ZPO ‒ besonderer Gerichtsstand der Erbschaft ‒ zu beachten. Diese Vorschrift bestimmt einen nicht ausschließlichen Wahlgerichtsstand i. S. v. § 35 ZPO und knüpft an den allgemeinen Gerichtsstand des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes an. Der Gerichtsstand des § 27 ZPO gilt für die Klage auf Feststellung des Erbrechts und für die Klage auf Auskunft und Zahlung des Pflichtteilsanspruchs. Da § 27 ZPO jedoch keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründet, können die Parteien den Prozess einverständlich auch an einem anderen Ort führen.
Die sachliche Zuständigkeit des Gerichts hängt von der Höhe des Zuständigkeitsstreitwerts ab, für Werte bis 5.000 EUR ist das AG, für Werte darüber das LG sachlich zuständig, § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG. Für den Zuständigkeitsstreitwert wird nach § 5 ZPO der Wert aller Stufen zusammengerechnet (a. A. KG MDR 19, 957, wonach sich der Zuständigkeitsstreitwert nach der dritten Stufe bestimmt).
a) Vorliegen eines Stufenverhältnisses erforderlich
Eine Stufenklage liegt nur vor, wenn in der Klageschrift zumindest zwei Anträge im Stufenverhältnis verbunden sind. Im (ersten) Termin wird zunächst nur Auskunft und/oder Wertermittlung beantragt. Die prozessuale Selbstständigkeit der Ansprüche bedingt, dass über jeden in der vorgegebenen Reihenfolge durch Teil- oder Schlussurteil zu befinden ist, weil das frühere Teilurteil für die spätere Entscheidung vorgreiflich ist. Nach rechtskräftigem Erlass eines Auskunftsurteils kann das Verfahren nur auf Parteiantrag fortgesetzt werden, nicht von Amts wegen (BGH MDR 15, 232).
PRAXISTIPP | Ist die Stufenklage (Leistungsklage) möglich, fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage. Ausnahme: Die Feststellungsklage ist trotz an sich möglicher Leistungsklage durch prozessökonomische Erwägungen geboten (BGH MDR 03, 1304; 02, 107). |
b) Erledigung des Auskunftsanspruchs
Hat der Kläger eine Stufenklage erhoben, erteilt der Beklagte die verlangte Auskunft und trägt er nur noch hinsichtlich der weiteren Klageansprüche Einwände vor, kann der Kläger den Rechtsstreit im Hinblick auf den Auskunftsanspruch (teilweise) nach § 91a ZPO für erledigt erklären (MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, 6. Aufl., 2020, § 254 Rn. 25). Falls sich der Beklagte dem anschließt, ist die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO in der abschließenden Entscheidung mitzuberücksichtigen. Schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung nicht an, entscheidet das Gericht durch Teilurteil über die Erledigung des Rechtsstreits (MüKo/Becker-Eberhard, a.a.O.)
c) Unbegründetheit der Auskunftsklage
Steht dem Kläger kein Auskunftsanspruch zu, ist zu unterscheiden:
- Die Auskunftsklage kann z. B. unbegründet sein, weil der Kläger nicht berechtigt ist, von dem Beklagten die begehrte Leistung zu verlangen (z. B. der Kläger ist nicht Pflichtteilsberechtigter). Selbst wenn die Parteien bis dahin nur auf der ersten Stufe verhandelt haben und der Kläger nur einen Antrag zur ersten Stufe gestellt hat, weist das Gericht die gesamte Stufenklage als unbegründet ab (MüKo/Becker-Eberhard, a.a.O., Rn. 20). Denn das Schicksal auch des Leistungsbegehrens steht bereits fest. Gleiches gilt bei Säumnis des Klägers für das Versäumnisurteil nach § 330 ZPO.
- Ist demgegenüber der Auskunftsanspruch nicht gegeben, etwa, weil dasGericht ihn für erfüllt hält, darf der Leistungsanspruch nicht mit abgewiesen werden. Es ergeht hinsichtlich des Auskunftsanspruchs ein abweisendes Teilurteil. Der Kläger kann seinem Leistungsantrag bis zur nächsten mündlichen Verhandlung die gebotene inhaltliche Bestimmtheit geben; sonst wird die Klage als unzulässig abgewiesen (OLG Brandenburg 5.8.20, 4 U 100/19).
d) Eidesstattliche Versicherung
Der Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung setzt voraus, dass Auskunft erteilt, Rechnung gelegt oder das Inventar errichtet worden ist. Besteht Grund zu der Annahme, dass die vom Beklagten erteilte Auskunft oder sein Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt worden sind, kann der Kläger nach § 259 Abs. 2, § 260 Abs. 2 BGB die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangen. Er hat allerdings keinen Nachbesserungsanspruch, falls die Auskunft unvollständig ist. Die freiwillige Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erfolgt nach § 361, § 410 Nr. 1 und § 413 FamFG. Das Teilurteil über den Auskunftsanspruch wird nach § 889 Abs. 2, § 888 ZPO vollstreckt. Zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung ist das Vollstreckungsgericht zuständig (§ 889 Abs. 1 ZPO).
PRAXISTIPP | Der Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wird oft ins Blaue gestellt. Begründet ist er nur, wenn der Kläger die mangelnde Sorgfalt mit bestimmten Anhaltspunkten belegen kann, die im Streitfall von ihm zu beweisen sind. So mag die Annahme mangelnder Sorgfalt berechtigt sein, wenn der Auskunftspflichtige sich über das Begehren des Klägers abfällig geäußert oder wenn er seine Angaben im Nachhinein vielleicht sogar mehrfach berichtigt hat (OLG Köln, NJW-RR 98, 126). Die bloße Weigerung, eine Auskunft zu erteilen, führt demgegenüber nur zur Zwangsvollstreckung, § 888 ZPO. Spätestens vor dem Eintritt in die zweite Stufe muss der Kläger die Voraussetzungen der eidesstattlichen Versicherung im Einzelnen darlegen.
Deshalb erscheint es angezeigt, den Antrag auf der zweiten Stufe erst anzukündigen und zu stellen, wenn der Auskunftsanspruch erfüllt ist. Dann erst lässt sich eher verlässlich sagen, ob Grund zu der Annahme besteht, dass das abgelieferte Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt ist. Wird dieser Antrag noch vor dem Leistungsantrag gestellt, bedeutet es eine nachträgliche objektive Klagehäufung, in der eine sachdienliche Klageänderung zu sehen ist (OLG Köln FamRZ 90, 1128). Nur damit ist garantiert, dass nicht durch einen unbegründeten Antrag auf der zweiten Stufe Kosten zulasten der klägerischen Partei entstehen. |
e) Ergebnislosigkeit der Auskunft und Erledigung der dritten Stufe
Stellt sich aufgrund der Auskunft (und ggf. bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung) heraus, dass nichts vorhanden ist und deshalb ein Leistungsanspruch nicht besteht, muss die Klage abgewiesen werden.
Eine (einseitige) Erledigungserklärung gem. § 91a ZPO hilft dem Kläger nicht, da der Leistungsantrag zu keiner Zeit begründet war (BGH NJW 94, 2895). Auch die analoge Anwendung des § 93 ZPO nutzt dem Kläger nichts (BGH, a.a.O.; a.A.: OLG München MDR 88, 782). Infrage käme eine Rücknahme des letzten Klageantrags, allerdings mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3, § 261 ZPO (OLG Hamm NJW-RR 91, 1407; a.A. OLG Stuttgart FamRZ 94, 1595). Wobei zu beachten ist, dass unter Umständen bei der Rücknahme des Leistungsantrags dies nicht zu einer Verpflichtung des Klägers führt, die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu übernehmen, wenn seine Auskunftsklage erfolgreich bzw. zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung begründet gewesen ist. Es kann eine Quotelung der Kosten vorgenommen werden (OLG Rostock FamRZ 08, 1202).
Nach anderer Ansicht sind dem Beklagten sämtliche Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da er mit der Auskunft in Verzug gewesen sei. Die Stufenklage sei die adäquate Folge des Verzugs, sodass der Beklagte nach § 286 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die hierdurch verursachten Kosten Schadenersatz zahlen müsse. Den Schadenersatzanspruch könne der Kläger in einem Folgeprozess oder im laufenden Prozess im Wege einer als sachdienlich anzusehenden Klageänderung nach § 263 ZPO geltend machen, und zwar als Zahlungs- oder Feststellungsklage (BGH NJW 94, 2895; ablehnend: MüKo/Becker/Eberhard, a.a.O., Rn. 27).
Bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen kann i. d. R. im Rahmen des § 91a ZPO der Schadenersatzanspruch im Hinblick auf die durch den Rechtsstreit verursachten Kosten ohne Weiteres als Billigkeitskriterium berücksichtigt werden (OLGR Stuttgart, 07, 918).
f) Leistungsantrag
Der Antrag auf der Leistungsstufe kann so unbestimmt sein, dass der Kläger nicht einmal darlegen muss, ob er die Herausgabe von Gegenständen, Geld oder aber Schadenersatz verlangen will; das kann er dem Ergebnis der Auskunft überlassen (BGH NJW 03, 2748). Ist zweifelhaft, ob die Auskunft einen Leistungsanspruch ergibt, sollte der Kläger seinen unbezifferten Antrag noch nicht stellen, sondern das Ergebnis des Auskunftsanspruchs abwarten. Das nimmt der Klage allerdings den Charakter der Stufenklage.
Beachten Sie | Das gilt nicht für den Fall, dass mit der Erhebung der Stufenklage (auch) die Verjährung des Leistungsanspruchs gehemmt werden soll.
Es ist deshalb im Regelfall zweckmäßig, den unbestimmten Leistungsantrag mit der Erhebung der (Stufen-)Klage zu stellen.
3. PKH
Bei der Stufenklage bezieht sich nach wohl h. M. die PKH-Bewilligung für den Kläger von vornherein auf sämtliche Stufen (OLG Saarbrücken, ZEV 20, 297; HansOLG FamRZ 14, 1737). Die abweichende Auffassung, wonach die Bewilligung stets nur nach der erneuten Prüfung der Schlüssigkeit (OLG Karlsruhe FamRZ 84, 501) oder nur auf jeder Stufe gesondert zu erfolgen habe (OLG Hamburg, FamRZ 96, 1021; OLG Hamm, FamRZ 00, 429 [für den Beklagten]), überzeugt nicht.
Da der (unbezifferte) Zahlungsantrag sofort rechtshängig wird und auch den Gebührenstreitwert bestimmt, muss auch die Prozesskostenhilfe, die dem Gebührenrecht insoweit zu folgen hat, sofort und für alle Stufen bewilligt werden. Dennoch besteht auch hier für die Staatskasse nicht die Gefahr, für die Kosten überhöhter Zahlungsanträge aufkommen zu müssen. Denn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist auf denjenigen Antrag beschränkt, der sich ‒ später ‒ aus der erteilten Auskunft ergibt. Der Zahlungsanspruch wird jedoch nur miterfasst, soweit er nach Bezifferung in einer Höhe erhoben wird, die im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung erwartet werden konnte. Fordert der Kläger später mehr als die Auskunft hergibt, erstreckt sich die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht auf diese Mehrforderung (OLG Düsseldorf, AnwBl. 00, 59); es ist eine erneute Bewilligung erforderlich. Das gilt grundsätzlich auch für den Beklagten (OLG Düsseldorf, FamRZ 97, 1017).
Musterformulierung / Stufenklage bei Pflichtteilsanspruch |
An das [Gericht]
Stufenklage
des [...], Kläger, Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwalt/-anwältin [...]
gegen
[...], Beklagter, Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwalt/-anwältin [...]
wegen ... Auskunft, Versicherung an Eides statt, Pflichtteilsanspruch
vorläufiger Streitwert: [...] EUR
Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage und werde beantragen,
|
Es wird angeregt,
Im Fall der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens wird bereits jetzt beantragt,
Einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter stehen aus Sicht des Klägers keine Gründe entgegen.
Begründung: Mit der Stufenklage begehrt der Kläger von dem Beklagten Auskunft, Abgabe der Versicherung an Eides statt sowie Zahlung des Pflichtteils.
Der Kläger ist der Sohn der am [...] in [...], ihrem letzten Wohnsitz, verstorbenen Erblasserin [...]. Der Beklagte ist deren Ehemann und Vater des Klägers. Der Kläger ist das einzige Kind der Erblasserin und des Beklagten.
Die Erblasserin hat am [...] ein notarielles Testament errichtet und mittels diesem den Beklagten zu ihrem Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament wurde durch das Nachlassgericht beim Amtsgericht [...] am [...] eröffnet. Der Beklagte hat die Erbschaft angenommen. Beweis: Beiziehung der Akten des Nachlassgerichts beim Amtsgericht [...] (Az.: [...]). Der Kläger ist damit enterbt und pflichtteilsberechtigt. Durch anwaltliches Schreiben vom [...] hat er gegenüber dem Beklagten seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht und diesen aufgefordert, Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen.
Beweis: beigefügte Kopie des Schreibens vom [...].
Auf dieses Schreiben hat der Beklagte nicht reagiert. Es wird nach alledem um eine antragsgemäße Entscheidung nachgesucht.
Rechtsanwalt/Rechtsanwältin |