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· Fachbeitrag · Prozessstandschaft

Keine Verfassungsbeschwerde des Landkreises für ein Kind

| Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde eines Landkreises als Träger eines Jugendamts nicht angenommen, mit der er sich u. a. in Prozessstandschaft gegen familiengerichtliche Beschlüsse zum Sorgerecht wendete (BVerfG 15. 12.20, 1 BvR 1395/19, Abruf-Nr. 220432 ). |

 

Die allein sorgeberechtigte Mutter (M) zog mit ihrer 2007 geborenen Tochter (T) 2016 zu ihrem Lebensgefährten (L), der wegen Sexualstraftaten zulasten von Kindern verurteilt worden war. In dem vom Jugendamt (JA) angeregten Verfahren entzog das OLG der M u. a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für T. Nach Aufhebung und Zurückverweisung durch den BGH gab das OLG der M u. a. auf, Hilfe zur Erziehung in Form der aufsuchenden systemischen Familienberatung zu beantragen. Dagegen richtet sich erfolglos die Verfassungsbeschwerde, mit der der Landkreis (LK) auch eine Verletzung des Anspruchs der T auf Schutz durch den Staat (Art. 6 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art . 2 Abs. 1 und 2 GG) rügt.

 

Grundsätzlich sind mit der Verfassungsbeschwerde eigene Rechte im eigenen Namen geltend zu machen. Eine Prozessstandschaft kommt nur in Betracht, wenn sonst die Gefahr bestünde, dass die betroffenen Rechte nicht mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden könnten.

 

Aus der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Kind aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG folgt: Das Kind muss Zugang zum BVerfG haben, auch wenn sein gesetzlicher Vertreter keine Verfassungsbeschwerde erheben will oder kann. Dem Kind muss ein Ergänzungspfleger (§ 1909 Abs. 1 S. 1 BGB) bestellt werden, wenn die Vertretungsberechtigten wegen eines Interessenwiderstreits gehindert sind, es zu vertreten, solange der Gesetzgeber nicht in anderer Weise dafür sorgt, dass die Kindesinteressen hinreichend beachtet werden. Der Gesetzgeber hat daher den Verfahrenspfleger für das familienrechtliche Verfahren eingeführt, dessen Aufgaben der Verfahrensbeistand wahrnimmt, § 158 FamFG. Das BVerfG erkennt die Prozessstandschaft des Verfahrensbeistands im Verfahren der Verfassungsbeschwerde an.

 

Gesetzliche Vertreterin der T ist die M. Bei einer Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel, einen Verfassungsverstoß durch einen unterlassenen Sorgerechtsentzug zu rügen, läge ein Interessenwiderstreit vor. Hier hätte der LK als Rechtsträger des JA beim FamG eine Ergänzungspflegschaft für T anregen können. Auch hätte die Verfahrensbeiständin (VB) die Rechte der T geltend machen können. Zwar hat die VB keine Verfassungsbeschwerde erhoben. Gleichwohl hat sie die Interessen der T ausreichend berücksichtigt. Ist die VB der Ansicht, dass die Rechte der T im gerichtlichen Verfahren nicht verletzt worden sind, heißt das nicht, dass sie verhindert, deren Rechte durchzusetzen. Angesichts der Aufgaben, das subjektive (Kindeswille) und das objektive (Kindeswohl) Kindesinteresse zu achten, kann vermutet werden, dass die Entscheidung gegen die Verfassungsbeschwerde auf objektiven, das Kindeswohl beachtenden Erwägungen beruht.

 

MERKE | Der LK hat kein eigenes Recht aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG. Das staatliche Wächteramt gewährt kein materielles grundrechtsähnliches Recht.(GM)

 
Quelle: Seite 73 | ID 47126267