· Fachbeitrag · Reisekostenreform
Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte: Erste Entscheidungen liegen vor!
von Dipl.-Bw. (FH) StB Christian Westhoff, Datteln
| Die „regelmäßige Arbeitsstätte“ wurde mit Wirkung zum 1.1.14 durch die „erste Tätigkeitsstätte“ ersetzt. Durch die Neuregelung ist die gefestigte BFH-Rechtsprechung somit oftmals nicht mehr anwendbar. Doch inzwischen liegen für einige Berufsgruppen erste finanzgerichtliche Entscheidungen zur Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte vor. Grund genug, sich mit der ersten Tätigkeitsstätte näher zu befassen. |
1. Vorbemerkungen
Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist (§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG). Bei der Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte gibt es zwei Varianten:
- Die dauerhafte Zuordnung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.
- Beachten Sie | Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
- Fehlt eine dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft
- typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
- je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.
Da es je Dienstverhältnis nur (maximal) eine erste Tätigkeitsstätte geben kann (§ 9 Abs. 4 S. 5 EStG), eröffnet dies Gestaltungsoptionen:
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Der laufsportbegeisterte Emil Z. ist bei einem Sportartikelunternehmen als Außendienstmitarbeiter unbefristet beschäftigt. Seine regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Woche. Die Betriebsstätte des Sportartikelunternehmens sucht Emil Z. nur zu unregelmäßigen Besprechungen oder Schulungen hinsichtlich der Produkteigenschaften neuer Sportartikel auf. Emil Z. kann durch seine Aufzeichnungen darlegen, dass die Anwesenheit in der Betriebsstätte durchschnittlich 7 Stunden pro Woche beträgt. |
Ordnet das Sportartikelunternehmen Emil Z. keiner ersten Tätigkeitsstätte zu, muss die Prüfung, ob eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt, anhand der quantitativen Abgrenzungsmerkmale des § 9 Abs. 4 S. 4 EStG erfolgen. Da jedoch kein quantitatives Merkmal einschlägig ist, kann Emil Z. die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte nach Reisekostengrundsätzen absetzen.
Beachten Sie | Hätte der Arbeitgeber Emil Z. seiner Betriebsstätte arbeitsvertraglich zugeordnet, wäre dort seine erste Tätigkeitsstätte, sodass er seine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte nur in Höhe der Entfernungspauschale geltend machen könnte. |
PRAXISHINWEIS | Der Arbeitgeber kann dienst- oder arbeitsrechtlich nicht festlegen, dass der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte hat (Negativfestlegung). Er kann allerdings (auch ausdrücklich) darauf verzichten, eine erste Tätigkeitsstätte festzulegen. Ferner kann er ausdrücklich erklären, dass organisatorische Zuordnungen keine erste Tätigkeitsstätte begründen sollen (BMF 24.10.14, IV C 5 - S 2353/14/10002, Rz. 12). |
2. Prüfungsschema
Bei Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte kann folgendes Prüfungsschema genutzt werden:

3. Erste Entscheidungen für bestimmte Berufsgruppen
Für einige Berufsgruppen gibt es inzwischen erste finanzgerichtliche Entscheidungen zur Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte. Da hiergegen zumindest teilweise die Revision anhängig ist, können geeignete Fälle über einen Einspruch offengehalten werden.
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Berufsgruppe | Entscheidung | Fundstelle |
Baustellen- arbeiter | Kommt ein an verschiedenen Baustellen tätiger Arbeitnehmer nur einmal wöchentlich zur betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers, um Hilfstätigkeiten und Nebentätigkeiten (z. B. Beladen des Firmenautos, Abgabe von Stundenzetteln und Urlaubsanträgen) zu erledigen, gelten die Reisekostengrundsätze, wenn der Arbeitgeber ihn der Einrichtung nicht zugeordnet hat. | FG Nürnberg |
Flug- personal | Der Stationierungs- oder Heimatflughafen, der einem Piloten von seinem Arbeitgeber im Arbeitsvertrag oder durch eine die arbeitsvertragliche Regelung ausfüllende Weisung unbefristet zugewiesen wird und an dem er seine Einsätze regelmäßig beginnt und beendet, ist seine erste Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 EStG.
Beachten Sie | In welchem Umfang der Arbeitnehmer an der ihm vom Arbeitgeber zugeordneten Tätigkeitsstätte tätig werden muss, wird kontrovers diskutiert. Nach Ansicht des FG Hamburg und des FG Hessen reicht bereits ein geringer Umfang der Tätigkeit aus (z. B. Gesundheitsüberprüfungen, Bürodienst, Bereitschaftsdienste, Simulatortraining). Eine lediglich gedankliche Zuordnung, etwa aus organisatorischen Gründen, soll demgegenüber nicht genügen. | FG Hamburg Rev. BFH VI R 40/16
FG Hessen Rev. BFH VI R 17/17
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Hafen- arbeiter | Arbeiter des Gesamthafenbetriebs Hamburg haben grundsätzlich keine erste Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 EStG. Der Hafen Hamburg stellt für Gesamthafenarbeiter vielmehr ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG) dar. | FG Hamburg |
Leiharbeitnehmer | Leiharbeitnehmer haben keine erste Tätigkeitsstätte im Entleihbetrieb. Arbeitsrechtliche Besonderheiten (§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG: „vorübergehend“) legen nahe, dass bei Leiharbeitsverhältnissen bereits aus Rechtsgründen grundsätzlich nicht von einer dauerhaften Zuordnung zu einem Entleihbetrieb ausgegangen werden kann. | FG Niedersachsen 30.11.16, 9 K 130/16, Rev. BFH VI R 6/17 (vgl. auch MBP 17, 39) |
Streifen- polizisten | Die unbefristete Zuordnung eines Polizeibeamten im Streifendienst zu seiner Dienststelle und die dortige Vornahme von Hilfs- und/oder Nebentätigkeiten begründet eine erste Tätigkeitsstätte. Sucht der Polizeibeamte das Polizeirevier, dem er dienstrechtlich zugeordnet ist, arbeitstäglich auf und verrichtet der Polizeibeamte im Polizeirevier auch den Streifendienst vorbereitende bzw. ergänzende Tätigkeiten (z. B. Einsatzbesprechungen und Schreibarbeiten), sind diese Neben- bzw. Hilfstätigkeiten ausreichend. | FG Niedersachsen |