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· Fachbeitrag · Schwarzarbeit

§ 266a StGB: Vereitelt eine neue Regelungslücke die Hochrechnung auf den Bruttolohn?

von RA Dr. Hilmar Erb, FA StrR, FA StR, SSW München

| In seiner neuen Fassung unterscheidet das SchwarzArbG zwischen Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Die neue Gesetzeslage rechtfertigt die Annahme, dass in Fällen der klassischen Schwarzarbeit der verursachte Beitragsschaden nicht mehr aufgrund einer Hochrechnung auf das sozialversicherungspflichtige Bruttogehalt ermittelt werden darf ‒ mit weitreichenden Konsequenzen für die Beitragsnacherhebung und die Strafverfolgungspraxis. |

1. Neuregelung des SchwarzArbG

Mit dem „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“ vom 11.7.19 (BGBl I 19, 1066, in Kraft getreten am 18.7.19) hat der Gesetzgeber die ohnehin schon beachtliche Fülle von Eingriffsbefugnissen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) nochmals erheblich erweitert (im Einzelnen BT-Drs. 19/8691, S. 3).

 

Bei dieser Gelegenheit hat er den Anwendungsbereich des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes vom 23.7.04 (BGBl I 04, 1842 „SchwarzArbG“) neu definiert: Diente das Gesetz bislang der „Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit“, nennt § 1 Abs. 1 SchwarzArbG n.F. als Gesetzeszweck nun die „Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung“. Nach wie vor findet sich in § 1 Abs. 2 SchwarzArbG eine gesetzliche Umschreibung der Schwarzarbeit. Neu ist hingegen die Legaldefinition der illegalen Beschäftigung in § 1 Abs. 3 SchwarzArbG n.F.

2. Hochrechnung auf den Bruttolohn (§ 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV)

Es liegt in der Natur der Schwarzarbeit, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht bezahlt werden und dem illegalen Arbeitnehmer auf Grundlage der Schwarzgeldabrede wirtschaftlich ein Nettoentgelt zufließt (BT-Drs. 14/8221, S. 14). Infolgedessen ordnet § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV an: „Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.“

 

Um die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge für den vereinbarten Schwarzlohn zu ermitteln, muss deshalb zunächst auf ein fiktives Bruttoarbeitsentgelt hochgerechnet werden: Auf das Nettoarbeitsentgelt sind die Beiträge zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung, die Lohnsteuer, der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer zu addieren. Dabei bemisst sich die Lohnsteuer grundsätzlich nach der ungünstigsten Steuerklasse VI (§ 39c Abs. 1 EStG; BSG 9.11.11, B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254; BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, NJW 09, 528). Aus dem so ermittelten Bruttoentgelt errechnen sich dann die geschuldeten Beiträge zur Sozialversicherung bzw. der verursachte Beitragsschaden i.S. von § 266a StGB.

 

  • Berechnungsbeispiel (ohne Umlagen U1/U2, U3 und BG-Beitrag)

A ist bei B beschäftigt, aber nicht zur Sozialversicherung gemeldet. Er erhält von B monatlich einen Betrag von 2.000 EUR schwarz ausgezahlt. Zuständige Krankenkasse ist die AOK Bayern. A ist Kirchenmitglied.

Nettoarbeitsentgelt

2.000,00 EUR

Steuer

Lohnsteuer

1.193,75 EUR

Solidaritätszuschlag

65,65 EUR

Kirchensteuer

95,50 EUR

Arbeitnehmeranteile

Krankenversicherung

306,81 EUR

Zusatzbeitrag

23,12 EUR

Rentenversicherung

390,86 EUR

Pflegeversicherung

74,60 EUR

Arbeitslosenversicherung

52,54 EUR

Arbeitgeberanteile

Krankenversicherung

306,81 EUR

Zusatzbeitrag

23,12 EUR

Rentenversicherung

390,86 EUR

Pflegeversicherung

64,09 EUR

Arbeitslosenversicherung

52,54 EUR

Bruttoarbeitsentgelt

5.040,25 EUR

 

Die Hochrechnung hat damit erkennbar sanktionsähnlichen Charakter, da die Annahme einer Nettolohnvereinbarung regelmäßig zu einem ‒ fiktiven ‒ Bruttoarbeitsentgelt führt, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (BSG 22.9.88, 12 RK 36/86, juris; LSG Bayern 13.1.14, L 5 R 911/13 B ER, juris). Beschränkt wird die Hochrechnung lediglich durch die Beitragsbemessungsgrenze, ab der keine weiteren Sozialversicherungsbeiträge anfallen. Aktuell beträgt die Beitragsbemessungsgrenze für die Kranken- und Pflegeversicherung 54.450 EUR (bundesweit), für die Renten- und Arbeitslosenversicherung 80.400 EUR (Westdeutschland) bzw. 73.800 EUR (Ostdeutschland).

 

Die Hochrechnung hat unmittelbar strafrechtliche Konsequenzen, denn die aus § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV resultierenden empfindlichen Beitragsnachforderungen sind als „verschuldete Auswirkungen der Tat“ ein entscheidendes Kriterium für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 2 S. 2 StGB; BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, NJW 09, 528, Rn. 21, für Fälle des § 370 Abs. 1 AO).

3. Eine neue Regelungslücke?

Umso bemerkenswerter ist, dass § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV nach der aktuellen Gesetzeslage auf Fälle klassischer Schwarzarbeit nicht (mehr) anwendbar sein dürfte. Denn nach seiner Formulierung gilt ein Nettoarbeitsentgelt nur bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen als vereinbart.

 

3.1 Begriff der illegalen Beschäftigung (§ 1 Abs. 3 SchwarzArbG n.F.)

Die Unterscheidung spielte bislang keine Rolle, weil der Begriff der illegalen Beschäftigung nicht legaldefiniert war. Der Gesetzgeber verstand ihn als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ (BT-Drs. 14/8221, S. 11). Das BSG subsumierte darunter in weiter Anwendung alle möglichen Erscheinungsformen der illegalen Schattenwirtschaft und wollte den Begriff lediglich auf „beschäftigungsbezogene Pflichtverletzungen“ beschränkt sehen (BSG 9.11.11, B 12 R 18/09 R, juris; eingehend Zieglmeier in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 105. EL August 2019, Rn. 149 ff.). Mit dem Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.7.19 hat der Gesetzgeber nun aber in § 1 Abs. 3 SchwarzArbG eine Legaldefinition der illegalen Beschäftigung „nachgereicht“.

 

  •  § 1 Abs. 3 SchwarzArbG

Illegale Beschäftigung übt aus, wer

  • 1. Ausländer und Ausländerinnen als Arbeitgeber unerlaubt beschäftigt oder als Entleiher unerlaubt tätig werden lässt,
  • 2. als Ausländer oder Ausländerin unerlaubt eine Erwerbstätigkeit ausübt,
  • 3. als Arbeitgeber Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
    • a) ohne erforderliche Erlaubnis nach § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes oder
  • überlässt oder für sich tätig werden lässt,
  • 4. als Arbeitgeber Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt, ohne dass die Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder des § 8 Absatz 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eingehalten werden, oder
  • 5. als Arbeitgeber Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen beschäftigt.
 

Es handelt sich also um Fälle, in denen der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmer selbst sich illegalen Zugang zum Arbeitsmarkt verschafft, in denen gegen die Ordnungsvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes oder gegen Mindestlohnbedingungen verstoßen wird oder in denen Beschäftigte ausgebeutet werden. Von der Verletzung der Lohnsteuerpflicht oder der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten ist dort nicht die Rede.

 

3.2 Begriff der Schwarzarbeit (§ 1 Abs. 2 SchwarzArbG a.F./n.F.)

Die Fälle der klassischen Schwarzarbeit fallen nach wie vor unter die Legaldefinition des § 1 Abs. 2 SchwarzArbG, der durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch weitgehend unangetastet blieb.

 

  •  § 1 Abs. 2 SchwarzArbG

Schwarzarbeit leistet, wer Dienst- oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei

  • 1. als Arbeitgeber, Unternehmer oder versicherungspflichtiger Selbstständiger seine sich aufgrund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden sozialversicherungsrechtlichen Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt,
  • 2. als Steuerpflichtiger seine sich aufgrund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt […].
 

3.3 Konsequenz der Gesetzesänderung

Der Gesetzesbegründung zufolge sollte die Legaldefinition der illegalen Beschäftigung in § 1 Abs. 3 SchwarzArbG n.F. lediglich den Zuständigkeitsbereich der FKS klarstellend wiedergeben. Dabei dürfte der Gesetzgeber allerdings deutlich über das Ziel hinausgeschossen sein: Ungeachtet ihrer Intention führt die Klarstellung dazu, dass die Fiktion der Nettolohnvereinbarung nach § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV nur für die gesetzlich umschriebenen, speziellen Fälle der illegalen Beschäftigung gilt, und auch nur dann, wenn in dem konkreten Beschäftigungsverhältnis keine Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung gezahlt worden sind.

 

Für die Fälle der schlichten Beitragsvorenthaltung, also die alltäglichen Fälle der Schwarzarbeit, ist der Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV als Verweisnorm dagegen nicht eröffnet. Vermutlich war dem Gesetzgeber diese Konsequenz aus der Änderung des SchwarzArbG nicht bewusst.

 

Unabhängig davon ist aber nicht erkennbar, wie der Rechtsanwender künftig um die eindeutige gesetzliche Konzeption herumkommen soll. Jedenfalls wenn es darum geht, den Beitragsschaden in Fällen des § 266a StGB zu ermitteln, muss daher bis auf Weiteres explizit festgestellt werden, ob die Beteiligten eine Brutto- oder eine Nettolohnvereinbarung getroffen haben. Sind solche Feststellungen im Nachhinein nicht (mehr) möglich, liegt ‒ in dubio pro reo ‒ die Annahme einer Bruttolohnvereinbarung nahe. Der Strafverfolgung bleibt eine Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV ‒ etwa im Wege der Analogie ‒ mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG und das Gebot nulla poena sine lege stricta verschlossen. Aber auch wenn es nur um die bloße Berechnung einer Beitragsnachforderung geht, dürfte der Begründungsaufwand für die Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV künftig beachtlich sein.

4. Rückwirkung nach § 2 Abs. 3 StGB?

Sofern nach alldem § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV auf Fälle der klassischen Schwarzarbeit nicht (mehr) anwendbar ist, stellt sich weiter die Frage nach der zeitlichen Geltung dieser Regelungslücke. Klar dürfte sein, dass sich die Annahme einer Nettolohnvereinbarung ohne Hinzutreten weiterer Umstände ab dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch zum 18.7.19 verbietet. Zu diskutieren ist aber mit Blick auf den Grundsatz der Meistbegünstigung in § 2 Abs. 3 StGB, ob der neugefasste § 1 SchwarzArbG auch Rückwirkung für alle noch verfolgbaren Fälle des § 266a StGB entfaltet.

 

Grundsätzlich bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz, das zurzeit der Tat gilt (Tatzeitprinzip, § 2 Abs. 1 StGB). Davon abweichend ist nach der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn „das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert“ wird. Im hier interessierenden Kontext dürfte entscheidend sein, dass § 266a StGB sozialrechts-akzessorisch ausgestaltet ist. Tatobjekt, also „vorenthaltene Beiträge“, können nur solche Beiträge sein, die nach den Vorschriften des materiellen Sozialversicherungsrechts geschuldet sind: Der Schuldumfang bestimmt sich folglich nach dem Bruttoentgelt, das nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermitteln ist und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge (BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, NJW 09, 528, Rn. 14).

 

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV als materiell-rechtliche Vorschrift des Sozialversicherungsrechts zu begreifen, die den Umfang der Beitragsschuld bestimmt. Unter dieser Prämisse ist es konsequent anzunehmen, dass eine Aushöhlung des Anwendungsbereiches von § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV durch die Neufassung von § 1 SchwarzArbG zur Genese eines „milderen Gesetzes“ i.S. von § 2 Abs. 3 StGB geführt hat. Das spricht für eine Rückwirkung zugunsten des Täters.

 

Wie sich dieser Befund in die Diskussion um die Anwendung von § 2 Abs. 3 StGB bei Blankettstraftatbeständen einfügt, bliebe freilich noch zu erörtern.

5. Zusammenfassung

Um das Gesetzgebungsverfahren noch vor der parlamentarischen Sommerpause abzuschließen, hat der Bundestag in besonderer Eile (BR 97/19, S. 1) das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch verabschiedet. Die hohe Geschwindigkeit ist dem Gesetz nicht sonderlich gut bekommen: Es spricht vieles dafür, dass § 1 SchwarzArbG n.F. mit der neu eingeführten Legaldefinition der „illegalen Beschäftigung“ die Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV ins Leere laufen lässt. Während bislang die nachzufordernden Sozialversicherungsbeiträge nach einer Hochrechnung des Nettoarbeitsentgelts auf ein Bruttoarbeitsentgelt zu ermitteln waren, dürfte jedenfalls künftig ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Annahme einer Bruttoentgeltvereinbarung der Regelfall sein. Die Sozialrechtsakzessorietät von § 266a StGB spricht dafür, dass diese Annahme auch mit Rückwirkung für die Vergangenheit gilt.

Quelle: Seite 271 | ID 46174005