· Fachbeitrag · Schwarzarbeit
Formeller Geschäftsführer haftet für Verhalten des faktischen Geschäftsführers
von Dr. Lenard Wengenroth, Krause & Kollegen, Berlin
| Der formelle (Strohmann) Geschäftsführer, der einen faktischen neben sich gewähren lässt, ist wie ein Delegierender zu behandeln. Ihn treffen im Verhältnis zum faktischen Geschäftsführer insb. Überwachungspflichten. |
Sachverhalt
Das Landgericht hat den Angeklagten K wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 18 Fällen zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Den Angeklagten S hat es wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 16 Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen i. H. v. 2.000 EUR angeordnet. Den Angeklagten P hat es wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 34 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Kammer hat u. a. festgestellt, dass der Angeklagte K wusste, nur als Strohmann zu fungieren. Er hielt es für sehr wahrscheinlich, dass der Angeklagte P über die K. B.-GmbH in erheblichem Umfang Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, wobei er dies billigte und als formeller Geschäftsführer keinerlei Kontrolle ausübte. Hinsichtlich des Angeklagten S hat das Gericht u. a. festgestellt, dass er seinen Pflichten als Geschäftsführer nicht nachkommen wollte und gleichsam damit rechnete, dass mit seiner Bestellung als formeller Geschäftsführer, zumal unter Verwendung einer Aliaspersonalie, die K.B.-GmbH in der Folge keine Sozialversicherungsbeiträge abführen würde. Für sein Auftreten unter falschem Namen anlässlich eines Notarbesuchs erhielt der Angeklagte S ein „Pauschalhonorar“ i. H. v. 2.000 EUR.
Entscheidungsgründe
Die hiergegen erhobene Revision der Angeklagten blieb überwiegend erfolglos (BGH 3.3.20, 5 StR 595/19, Abruf-Nr. 214875).
Verfahren gegen S wurde teilweise eingestellt
Der 5. Strafsenat des BGH hat das Verfahren gegen den Angeklagten S in neun Fällen auf den Antrag des Generalbundesanwalts gem. § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen eingestellt. S war nach den Feststellungen der Kammer als Strohmanngeschäftsführer eingesetzt. Eine verjährungsunterbrechende Maßnahme lag bei ihm erst am 26.3.18 mit dem Erlass eines Haftbefehls vor. Ginge man von der vom Senat geteilten (vgl. BGH 6.2.20, 5 ARs 1/20) Rechtsauffassung aus, die dem Anfragebeschluss des 1. Strafsenats vom 13.11.19 zum Verjährungsbeginn bei § 266a Abs. 1 StGB zugrunde liegt (1 StR 58/19), begänne die Verjährung jeder Tat mit dem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes für jeden Beitragsmonat (§ 23 Abs. 1 SGB IV). Nach dieser Ansicht wären die Taten verjährt.
Betreffend den Angeklagten S hatte ferner der Ausspruch über die Einziehung von Wertersatz keinen Bestand. S erhielt ein einmaliges „Pauschalhonorar“ i. H. v. 2.000 EUR nicht dafür, dass er nach seiner Bestellung zum (Strohmann-)Geschäftsführer seinen gesetzlichen Pflichten nicht nachkam und Sozialversicherungsbeiträge vorenthielt, sondern für sein Auftreten unter falschem Namen anlässlich eines Notarbesuchs und damit für eine den verfahrensgegenständlichen Taten vorausgegangene Urkundenfälschung. Für eine demnach allenfalls in Betracht kommende selbstständige Einziehung nach § 76a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 73 Abs. 1 Alt. 2, § 73c S. 1 StGB ist der nach § 435 Abs. 1 S. 1 StPO erforderliche gesonderte Antrag nicht gestellt worden, sodass es insoweit an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt (vgl. BGH 13.12.18, 5 StR 541/18, Abruf-Nr. 206448).
K und S handelten vorsätzlich
Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Ergänzend bemerkt der Senat hierzu: Die Feststellungen des Landgerichts tragen auch eine vorsätzliche Verletzung der Abführungspflicht durch die Angeklagten K und S. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagten zu den jeweiligen Zeiträumen der Beitragsvorenthaltungen „ihre Pflicht als Arbeitgeber zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge sowie den Zeitpunkt der Fälligkeit“ kannten. Damit kommt auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechungsänderung zum Bezugspunkt des Vorsatzes bei § 266a StGB (BGH 24.9.19, 1 StR 346/18 = NJW 19, 3532, 3533; 8.1.20, 5 StR 122/19) kein Tatbestandsirrtum dieser Angeklagten in Betracht.
Die hierauf abzielenden Revisionsangriffe der Angeklagten K und S gehen schon im Ausgangspunkt fehl. Denn die Entscheidung des 1. Strafsenats (BGH 24.9.19, 1 StR 346/18, a.a.O.) bezog sich auf einen Einzelunternehmer (differenzierend daher auch BGH 8.1.20, 5 StR 122/19). Der formelle Geschäftsführer, der einen faktischen neben sich gewähren lässt, ist nach der Rechtsprechung aber wie ein Delegierender zu behandeln (BGH 28.5.02, 5 StR 16/02 = BGHSt 47, 318, 325). Hinsichtlich des die operativen Unternehmensaufgaben wahrnehmenden faktischen Geschäftsführers treffen ihn infolgedessen Überwachungspflichten, die er insbesondere verletzt, wenn er Anhaltspunkte für dessen Fehlverhalten hatte und nichts unternimmt, wobei sich diese Verdachtsmomente nicht unmittelbar auf die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten zu beziehen brauchen. Dies begründet seinen Vorsatz (BGH 8.1.20, 5 StR 122/19; 28.5.02, 5 StR 16/02, a.a.O.).
Auch insoweit tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch. Denn es hat u. a. festgestellt, dass der Angeklagte K wusste, nur als Strohmann zu fungieren, und es für sehr wahrscheinlich hielt, dass der Angeklagte P über die K.B.-GmbH in erheblichem Umfang Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, wobei er dies billigte und als formeller Geschäftsführer keinerlei Kontrolle ausübte. Hinsichtlich des Angeklagten S hat es u. a. festgestellt, dass er seinen Pflichten als Geschäftsführer nicht nachkommen wollte und gleichsam damit rechnete, dass mit seiner Bestellung als formeller Geschäftsführer, zumal unter Verwendung einer Aliaspersonalie, die K.B.-GmbH in der Folge keine Sozialversicherungsbeiträge abführen würde.
Relevanz für die Praxis
Mit der Begründung zur Einstellung gem. § 154 StPO bekräftigt der 5. Strafsenat noch einmal, dass es ihm mit der Rechtsprechungsänderung zur Verjährung bei Taten nach § 266a Abs. 1 StGB ernst ist. Dem Anfragebeschluss des 1. Strafsenats vom 13.11.19 zum Verjährungsbeginn bei § 266a Abs. 1 StGB hat sich neben dem 5. Strafsenat zwischenzeitlich im Übrigen auch der 3. Strafsenat angeschlossen (BGH 4.2.20, 3 ARs 1/20).
Der 5. Strafsenat bekräftigt ferner seine eigene Rechtsprechung, wonach es im Rahmen einer selbstständigen Einziehung nach § 76a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 73 Abs. 1 Alt. 2, § 73c S. 1 StGB an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt, wenn der nach § 435 Abs. 1 S. 1 StPO im Ermessen der Staatsanwaltschaft stehende gesonderte Antrag nicht gestellt worden ist.
Überzeugend führt der 5. Strafsenat schließlich aus, dass auch unter der Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung zum Bezugspunkt des Vorsatzes bei § 266a StGB vorliegend eine vorsätzliche Verletzung der Abführungspflicht vorlag.
Zur Erinnerung: Der 1. Strafsenat hatte insofern entschieden, dass vorsätzliches Handeln nur anzunehmen ist, wenn der Täter über die Kenntnis der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umstände hinaus auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts ‒ zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre ‒ nachvollzogen hat.
MERKE | Ein Irrtum hierüber stellt nicht bloß einen (regelmäßig) unvermeidbaren Verbotsirrtum dar, sondern einen Tatbestandsirrtum i. S. v. § 16 Abs. 1 StGB. |
Aufgrund der Überwachungspflichten, die einen formellen Geschäftsführer gegenüber einem faktischen Geschäftsführer treffen, kann sich dieser nicht enthaftend darauf berufen, dass er mangels Kenntnis über die tatsächlichen Umstände und einer laienhaften Bewertung des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts vorsatzlos gehandelt habe. Dies gilt insbesondere, wenn die tatsächlichen Feststellungen ergeben haben, dass der (Strohmann-)Geschäftsführer keinerlei Kontrolle ausübte und es für sehr wahrscheinlich hielt, dass der faktische Geschäftsführer der Abführungspflicht nicht entsprechen würde.
PRAXISTIPP | Aus präventiven Gesichtspunkten dürfte es sich für den (Strohmann-)Geschäftsführer anbieten, sich in regelmäßigen Abständen eine Entsprechung der Abführungspflicht durch die faktisch handelnden Personen schriftlich bestätigen zu lassen. |
Weiterführende Hinweise
- PStR 20, 75 ff. dazu, dass der BGH seine Rechtsprechung zur Verjährung von Taten nach § 266a StGB geändert hat
- PStR 20, 121 zur Verjährung bei Unterlassenstaten nach § 266a StGB