· Fachbeitrag · Sondervergütungen
So können Arbeitgeber Gewinnbeteiligungen (Tantiemen) rechtssicher einsetzen
von Rechtsanwältin Dr. Viktoria Winstel, Osborne Clarke, Köln
| Um Arbeitnehmern einen Anreiz zu geben, sich für die Gewinnsteigerung des Unternehmens einzusetzen, wird vielfach die Zahlung von Gewinnbeteiligungen vereinbart. Für den erfolgreichen Einsatz müssen Arbeitgeber einige Problembereiche meistern. Der folgende Beitrag zeigt den rechtssicheren Umgang mit Tantiemen auf den Gebieten des Arbeits-, Lohnsteuer- und Beitragsrechts und gibt praxistaugliche Formulierungsvorschläge. |
Begriff und Abgrenzung der Tantieme
Eine Tantieme ist die Gewinnbeteiligung eines Arbeitnehmers als zusätzliche erfolgsbezogene Vergütung, deren Höhe sich nach dem Jahresgewinn des Unternehmens - in der Regel nach Handelsbilanz - richtet. Die Tantieme betrifft das Austauschverhältnis „Arbeit gegen Lohn“ und ist damit Arbeitsentgelt und keine Gratifikation (BAG, Urteil vom 08.09.1998, Az. 9 AZR 273/97). Fällig wird sie mit der Bilanzfeststellung oder dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz hätte üblicherweise festgestellt werden können.
Tantieme von anderen Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter abgrenzen
Die Tantieme ist etwas anderes als eine Provision oder Umsatztantieme:
- Eine Provision wird nach den konkret vermittelten Geschäften des einzelnen Arbeitnehmers berechnet und ist in Arbeitsverträgen mit Vertriebsmitarbeitern und angestellten Handelsvertretern weit verbreitet. Bei der Provisionsvereinbarung sind die - teilweise zwingenden - Vorschriften der §§ 87 ff. HGB zu beachten, welche diverse Provisionstypen regeln.
- Eine Umsatztantieme wird oft auch als Umsatzbeteiligung/-bonus bezeichnet und ist eine Zwischenform zwischen Tantieme und Provision, da sie sich nach dem Umsatz des Unternehmens richtet.
Wichtig | Umsatztantiemen sind in der Regel nicht empfehlenswert. Denn hoher Umsatz führt nicht per se zum hohen Unternehmensgewinn, sodass der Fokus auf den Umsatz kontraproduktiv sein kann.
Tantiemen von Gratifikationen und Zahlungen mit Mischcharakter abgrenzen
Die Tantieme ist als Sonderzahlung mit Entgeltcharakter streng von reinen Gratifikationen und Sonderzahlungen mit Mischcharakter zu unterscheiden, die rechtlich anders zu behandeln sind:
- Reine Gratifikationen belohnen vergangene oder zukünftige Betriebstreue und stellen keine Gegenleistung für erbrachte Arbeit dar. Sie unterliegen geringeren Einschränkungen als Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter.
- Sonderzahlungen mit Mischcharakter honorieren zum einen die Betriebstreue des Arbeitnehmers und vergüten zum anderen dessen Arbeitsleistung. Das BAG behandelt Einschränkungen dieser Sonderzahlungen entsprechend streng wie Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter.
GESTALTUNGHINWEIS | Möchte der Arbeitgeber den weiter gehenden Gestaltungsspielraum einer reinen Gratifikation nutzen, sollte er die Gratifikation separat - von etwaigen erfolgsbezogenen Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter - regeln. Und er sollte den Gratifikationszweck, also die Honorierung vergangener und/oder zukünftiger Betriebstreue, unmissverständlich zum Ausdruck bringen. |
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Sonderzahlung | Rechtsnatur | Beispiele | |
Mit Entgelt-charakter |
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Reine Gratifikation |
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Mit Misch-charakter |
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Wichtig | Die Parteien sind in der vertraglichen Ausgestaltung der Tantieme grundsätzlich frei. Die Bemessungsgrundlage und Fälligkeit sollten aber klar geregelt werden. Eine Tantieme-Regelung kann etwa wie folgt aussehen:
Formulierungsvorschlag / Tantieme-Regelung |
Der Arbeitnehmer erhält eine Gewinnbeteiligung (Tantieme) i. H. v. … % des Jahresgewinns gemäß Handelsbilanz des Arbeitgebers. Die Tantieme wird binnen Monatsfrist nach Feststellung des Jahresabschlusses fällig. |
Mögliche Anspruchsgrundlagen der Tantieme
Der Tantiemeanspruch kann sich aus Einzelarbeitsvertrag, Gesamtzusage, anwendbarem Tarifrecht, Gleichbehandlungsgrundsatz oder Betriebsvereinbarung ergeben. Bei letzterer können einzelne Arbeitnehmer nicht herausgenommen werden (BAG, Urteil vom 20.01.1998, Az. 9 AZR 698/96).
Gibt es im Unternehmen einen Betriebsrat, hat er bei der Einführung von Tantiemen regelmäßig ein Mitbestimmungsrecht, wenn zumindest eine abgrenzbare Gruppe von Arbeitnehmern betroffen ist (§ 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG). Ausgenommen vom Mitbestimmungsrecht sind individuelle Vereinbarungen.
Wichtig | Eine - geringe - Anzahl von betroffenen Arbeitnehmern ist nur ein Indiz für individuelle Vereinbarungen. Entscheidend sind die Voraussetzungsmerkmale der Tantieme. Sind diese allgemein gehalten und können von einer Mehrzahl von Arbeitnehmern erfüllt werden, ist der Betriebsrat zu beteiligen.
PRAXISHINWEIS | Möchte der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht einschalten, sollte er nur wenigen Arbeitnehmern eine Tantieme gewähren und jede Tantieme deutlich von möglichst individuellen Eigenschaften abhängig machen. |
Wichtig | Ein Anspruch kann sich auch aus einer stillschweigenden Zusage des Arbeitgebers ergeben, z. B. wenn ein leitender Angestellter jahrelang Tantieme-Zahlungen - auch in verschiedener Höhe - erhalten hat (BAG, Urteil vom 17.04.2013, Az. 10 AZR 251/12, Abruf-Nr. 187042). Eine betriebliche Übung kommt aber grundsätzlich nur in Betracht, wenn ein abgrenzbarer Teil von Arbeitnehmern - z. B. alle Abteilungsleiter - Tantiemen erhalten.
PRAXISHINWEIS | Der Arbeitgeber sollte in den Arbeitsvertrag eine doppelte Schriftformklausel aufnehmen, um das Entstehen eines Anspruchs aufgrund betrieblicher Übung zu verhindern. |
Formulierungsvorschlag / Doppelte Schriftformklausel |
Änderungen und Ergänzungen dieses Arbeitsvertrags sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Dies gilt auch für eine Abweichung vom vorgenannten Schriftformerfordernis. Ausgeschlossen sind insbesondere Vertragsänderungen durch betriebliche Übung. Hiervon bleiben Individualabreden i. S. v. § 305b BGB unberührt. |
Arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten
Bei der vertraglichen Gestaltung von Tantiemen gelten folgende Grundsätze:
Stichtagsklausel
Eine Stichtags- oder Verfallsklausel ist eine Klausel, wonach das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Tantieme-Fälligkeit bestehen bzw. ungekündigt sein muss. Bei Tantiemen ist eine solche Klausel nach der BAG-Rechtsprechung unzulässig (u. a. BAG, Urteil vom 13.05.2015, Az. 10 AZR 266/14, Abruf-Nr. 178539). Das bedeutet: Scheidet der Arbeitnehmer vor Fälligkeit der Tantieme aus, kann er eine Zahlung pro rata temporis verlangen.
Wichtig | Abweichend vom BAG hat das LAG Köln eine Stichtagregelung als wirksam angesehen, wonach das Arbeitsverhältnis für die Auszahlung der Tantieme vier Jahre bestanden haben muss (LAG Köln, Urteil vom 23.04.2015, Az. 7 Sa 975/14, Abruf-Nr. 180812). Der Mitarbeiter solle an mittel- und langfristigen, nicht jedoch an kurzfristigen Erfolgen teilhaben. Ob das BAG das auch so sieht, bleibt abzuwarten (Revision unter Az. 10 AZR 144/16).
PRAXISHINWEIS | Nach derzeitiger Rechtslage ist eine Stichtagsklausel nur bei einer Gratifikation zulässig, und nur mit dem Hinweis, dass lediglich die Betriebstreue des Arbeitnehmers belohnt wird. Für Tantiemen ist eine Stichtagsklausel (noch) nicht zu empfehlen. |
Ermessenstantieme
Der Arbeitgeber kann die Höhe der Tantieme einseitig in sein Ermessen stellen, das gerichtlich gemäß § 315 BGB überprüfbar ist (BAG, Urteil vom 14.11.2012, Az. 10 AZR 783/11, Abruf-Nr. 131223). Eine Kapitalgesellschaft kann den Anspruch ferner wirksam auf die Fälle beschränken, in denen es zu einer Dividendenausschüttung an die Aktionäre kommt (BAG Urteil vom 18.01.2012, Az. 10 AZR 670/10, Abruf-Nr. 187038).
PRAXISHINWEIS | Ermessenstantiemen haben eine schwache Steuerungswirkung, weil der Arbeitnehmer nicht weiß, mit welcher Höhe der Tantieme er auch bei hohem Unternehmensgewinn rechnen kann. Der Arbeitgeber sollte deshalb die Kriterien genau regeln, wonach er die Tantiemen-Höhe festsetzt. |
Formulierungsvorschlag / Ermessenstantieme |
Der Arbeitnehmer erhält eine jährliche Tantieme, deren Höhe ins Ermessen des Arbeitgebers gestellt ist. Kriterien für die Ermessensausübung sind insbesondere das Betriebsergebnis und die Leistungen des Arbeitnehmers. |
Freiwilligkeitsvorbehalt
Ein Freiwilligkeitsvorbehalt ist bei Zahlungen mit Entgelt- und Mischcharakter unzulässig, wenn der Tantieme-Anspruch bereits vertraglich geregelt ist, weil der Vorbehalt dann widersprüchlich ist.
PRAXISHINWEIS | Besteht keine vertragliche Regelung, kann der Arbeitgeber jährlich aufs Neue darüber entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe er eine Tantieme zahlt. Fügt er der jeweiligen - auch mehrfachen - Zahlung an den Arbeitnehmer stets ein Begleitschreiben bei, das die Formulierung „Diese Zahlung ist einmalig und schließt künftige Ansprüche aus.“ enthält, ist der Freiwilligkeitsvorbehalt wirksam (BAG, Urteil vom 18.03.2009, Az. 10 AZR 289/08, Abruf-Nr. 093712). |
Widerrufsvorbehalt
Ein Widerrufsvorbehalt ist zulässig, wenn
- die Tantieme 25 Prozent der Gesamtvergütung nicht übersteigt,
- der Tariflohn nicht unterschritten wird und
- es einen sachlichen Widerrufsgrund gibt (BAG, Urteil vom 12.01.2005, Az. 5 AZR 364/04, Abruf-Nr. 050420).
Freiwilligkeitsvorbehalte sind daneben unzulässig.
Formulierungsvorschlag / Widerrufsvorbehalt |
Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Tantieme für die Zukunft zu widerrufen, wenn sachliche Gründe vorliegen und dies dem Arbeitnehmer zumutbar ist. Sachgründe sind: Negative wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens; in der Person, Leistung oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegende Gründe, die zu einer Abmahnung berechtigen. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen. |
„Variables Einkommen“
Der Arbeitgeber kann auch eine - nach seinem Ermessen festgesetzte - Kombination aus Gratifikation, Tantieme und Zielvereinbarung („variables
Einkommen“) wählen, wenn es als zusätzlicher Bestandteil zum Festeinkommen tritt (BAG, Urteil vom 14.11.2012, Az. 10 AZR 783/11, Abruf-Nr. 131223).
PRAXISHINWEIS | Es empfiehlt sich eine detaillierte Regelung der Einzelziele und Bewertungskriterien. Anderenfalls können Arbeitnehmer die Offenlegung zugrunde gelegter Kriterien einklagen. |
Wegfall der Tantieme für Zeiten der Nichtarbeit
Im Gegensatz zu reinen Gratifikationen erlischt der Tantieme-Anspruch, wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Geschäftsjahrs krankgeschrieben war und keine Entgeltfortzahlung erhielt (BAG, Urteil vom 8.9.1998, Az. 9 AZR 273/97). Erbringt er während des Geschäftsjahrs nur teilweise seine Arbeitsleistung, wird der Anspruch auch ohne gesonderte Vereinbarung proportional zu den Fehlzeiten, in denen kein Entgeltfortzahlungsanspruch bestand, gekürzt (BAG, Urteil vom 21.03.2001, Az. 10 AZR 28/00, Abruf-Nr. 145609).
Korrekte lohnsteuerliche Abrechnung
Die Jahrestantieme ist ein sonstiger Bezug, der im Zahlungszeitpunkt an den Arbeitnehmer als zugeflossen gilt (§ 11 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 S. 3 EStG). Die von der Tantieme einzubehaltende Lohnsteuer ist der Differenzbetrag aus der Lohnsteuer für den Jahreslohn mit und ohne die Tantieme. Monatstantiemen kommen selten vor und sind laufendes Arbeitsentgelt.
Unterschiedliche Ermittlung der Sozialbeiträge
Die jährliche Tantieme ist ein beitragspflichtiges einmaliges Arbeitsentgelt (§ 23a SGB IV), das dem Auszahlungszeitpunkt zuzuordnen ist. Unterschreitet die Summe des laufenden Arbeitsentgeltes und der Tantieme im Auszahlungsmonat die monatliche Beitragsbemessungsgrenze, ist die Tantieme in voller Höhe beitragspflichtig. Keine Beitragspflicht besteht, wenn bereits das laufende Entgelt die monatliche Beitragsbemessungsgrenze überschreitet.
Wichtig | Wird die monatliche Beitragsbemessungsgrenze erst durch die Tantieme überschritten, ist die anteilige Jahresbeitragsbemessungsgrenze zu berechnen - bei krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern nach der für die gesetzliche Krankenversicherung, bei krankenversicherungsfreien Arbeitnehmern nach der für die Rentenversicherung.
- Übersteigt die Tantieme die Differenz zwischen dem laufenden Arbeitsentgelt und der anteiligen Jahresbeitragsbemessungsgrenze nicht, ist sie in voller Höhe beitragspflichtig.
- Bei Überschreitung der Differenz ist nur die Differenz beitragspflichtig. Wird die Tantieme zwischen dem 1. Januar und dem 31. März ausgezahlt, ist sie dem letzten Abrechnungszeitraum des Vorjahres zuzurechnen (Märzklausel, § 23a Abs. 4 SGB IV).