· Fachbeitrag · Steuerberaterhaftung
StaRUG und die erweiterten Beratungs- und Hinweispflichten des Steuerberaters
von Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann, CSP, Hannover, www.roemermann.de
| Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz ‒ StaRUG, BGBl I 20, 3256 vom 22.12.20) hat mit Wirkung zum 1.1.21 eine neue Vorschrift, nämlich einen § 102 StaRUG („Hinweis- und Warnpflichten“) eingeführt. Es gibt Stimmen, die meinen, das hätte gegenüber der bisherigen Rechtslage nichts verändert. Bei näherem Hinsehen erweist sich das als zumindest missverständlich. |
Entstehung und Wortlaut
Während der Referentenentwurf zum StaRUG vom 18.9.20 eine entsprechende Bestimmung noch nicht kannte, sondern Änderungen der WPO und des StBerG vorsah, kam erstmals mit dem Regierungsentwurf vom 9.11.20 (BT-Drs. 19/24181) die Planung einer neuen Vorschrift unmittelbar im StaRUG ‒ damals noch als § 108 StaRUG-RegE, dem heutigen § 102 StaRUG.
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Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrunds nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. |
Begründung des Gesetzentwurfs
Laut Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drs. 19/24181) sollte es dabei um eine bloße Klarstellung gehen. Die Begründung nahm insoweit Bezug auf die aktuelle Rechtsprechung des BGH, wonach für Steuerberater im Rahmen der Erstellung von Jahresabschlüssen für ihre Mandanten eine Prüfungs- und gegebenenfalls Hinweis- und Warnpflicht bezüglich der Fortführungsfähigkeit des betroffenen Unternehmens besteht (vgl. BGH 26.1.17, IX ZR 285/14, GmbHR 2017, 348 m. Anm. Römermann = BGHZ 213, 374‒394, Rz. 19 und 44).
Der Begründung ist ferner zu entnehmen, dass entsprechende Hinweis- und Warnpflichten zudem nicht neu seien. Die Entwurfsbegründung verweist auf die Verlautbarungen der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen. Dort heißt es in Tz. 98 der Hinweise zu dieser Verlautbarung in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen, dass der Steuerberater gegenüber dem Mandanten eine Hinweis- und Warnpflicht habe, „wenn der Steuerberater im Rahmen seines Auftrags einen Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO, drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO sowie Überschuldung nach § 19 InsO) erkennt oder ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist.“
Die Hinweis- und Warnpflichten ‒ so die Begründung weiter ‒ würden somit als Instrument zur Früherkennung der Bestandsgefährdung eines Unternehmens künftig auch gesetzlich klargestellt. Sie resultierten gemäß der Rechtsprechung des BGH aus der Mandantenbeziehung, sodass sich für den Steuerberater im Zusammenhang mit der Mandatsausübung keine neuen Pflichten und daraus folgend keine neuen Haftungstatbestände ergäben.
Werde ein Wirtschaftsprüfer mit der Erstellung eines Jahresabschlusses beauftragt, sehe der IDW-Standard S 7 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) entsprechende Hinweispflichten gegenüber dem jeweiligen Unternehmen vor. Bei der Erstellung von Jahresabschlüssen bestimme sich die Tiefe des Einblicks in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens nach den unterschiedlichen Auftragsarten (mit und ohne Plausibilitätsbeurteilungen). In jedem Fall habe der Wirtschaftsprüfer das Unternehmen jedoch auf bestandsgefährdende Risiken hinzuweisen, soweit er solche bei der Durchführung des Erstellungsauftrags festgestellt habe. Dieser Pflicht zur Information sei im Erstellungsbericht oder in sonst geeigneter Weise zu entsprechen und ergebe sich aus der Treuepflicht gegenüber dem Mandanten (Rz. 78).
Die Vorgeschichte (BGH 26.1.17, IX ZR 285/14)
Es ist wichtig, sich die BGH-Entscheidung an den Stellen anzusehen, an denen sie von der Entwurfsbegründung zitiert wird.
Hinweispflicht innerhalb des erteilten Mandats (Rz. 19)
Der mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater ‒ so der BGH ‒ schulde grundsätzlich einen den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, die Grenzen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht überschreitenden und in diesem Sinne richtigen Jahresabschluss. Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB sei in einer Handelsbilanz bei der Bewertung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstünden.
Angesichts der fachlichen Kompetenz des Steuerberaters erwarte der Mandant, dass der Steuerberater den Jahresabschluss entsprechend dem Inhalt der dem Steuerberater zur Verfügung gestellten Unterlagen und den sonst dem Steuerberater bekannten Umständen vollständig erstelle, Bewertungsfragen ‒ im Zusammenwirken mit dem Mandanten ‒ kläre und bei offenen Fragen über die damit zusammenhängende Problematik aufkläre und eine Entscheidung des Mandanten herbeiführe.
Hinweispflicht außerhalb des Mandats (Rz. 44)
Eine Hinweispflicht des Steuerberaters ‒ so der BGH ‒ bestehe auch außerhalb des beschränkten Mandatsgegenstands,
- soweit die Gefahren dem Steuerberater bekannt oder für ihn offenkundig sind oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen (Voraussetzung 1) und
- wenn er Grund zu der Annahme habe, dass sein Auftraggeber sich der Gefahr nicht bewusst sei (Voraussetzung 2).
Voraussetzung 1: Erkennen (können) (Rz. 45 ff.)
Diese Voraussetzungen könnten bei einem Steuerberater erfüllt sein, der beauftragt ist, einen Jahresabschluss zu erstellen. Trotz inhaltlich richtiger Bilanz könnten zugunsten des Mandanten Hinweis- und Warnpflichten bestehen, wenn der Steuerberater einen Insolvenzgrund erkenne oder für ihn ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig seien und er annehmen müsse, dass die mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst sei.
Beachten Sie | Solche Anhaltspunkte können für den Steuerberater etwa dann offenkundig sein, wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen; ferner, wenn für den Steuerberater offenkundig ist, dass die bilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt. Maßgeblich für die Frage, ob eine Hinweis- und Warnpflicht des Steuerberaters besteht, sind dabei nur die von ihm für den zu erstellenden Jahresabschluss zu prüfenden Umstände.
Der Steuerberater ‒ so der BGH weiter ‒ müsse im Hinblick auf § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ohnehin anhand der ihm zur Verfügung gestellten Informationen und der ihm sonst ‒ etwa auch aus einem Dauermandat ‒ bekannten Umstände prüfen, ob sich daraus ernsthafte Hinweise auf einen möglichen Insolvenzgrund ergäben, die als tatsächliche Gegebenheiten Zweifel an der Fortführungsprognose wecken. Insbesondere sei der Steuerberater verpflichtet, dem Mandanten über rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten zu unterrichten, die er im Zuge der Erstellung der Jahresbilanz erkennen müsse und die der Fortführung der Unternehmenstätigkeit i. S. d § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB entgegenstehen könnten. Da § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB auf die Tätigkeit des Unternehmens abstelle und im Unterschied dazu §§ 17 ff. InsO Handlungspflichten für den Unternehmensträger bestimmten, liege es für den Steuerberater und den Mandanten nahe, dass der Steuerberater auf solche sich bei der Prüfung des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ergebenden offenkundigen Umstände hinweise, die für den Mandanten Handlungspflichten nach den §§ 17 ff. InsO begründen könnten.
Voraussetzung 2: Mandant weiß es nicht (Rz. 50)
Die Hinweis- und Warnpflicht des Steuerberaters hinsichtlich der Umstände, die auf einen Insolvenzgrund hinweisen, setze weiter voraus, dass der Steuerberater Grund zu der Annahme habe, dass sein Auftraggeber sich der Gefahr nicht bewusst sei. Daran fehle es, wenn der Steuerberater davon ausgehen dürfe, dass sein Mandant sich der Umstände, die auf einen Insolvenzgrund hinweisen, bewusst und in der Lage sei, die tatsächliche und rechtliche Bedeutung dieser Umstände einzuschätzen. Entscheidend sei, ob der Geschäftsführer der Gesellschaft über das konkrete tatsächliche und rechtliche Wissen verfüge, um sich veranlasst zu fühlen zu überprüfen, ob er das Unternehmen in seiner bisherigen Form fortführen könne.
Folgen für die Praxis
In der Praxis wird die Entscheidung des BGH vom 26.1.17, die allgemein starke Beachtung gefunden hat, regelmäßig in ihrem bilanzierungsrechtlichen Kern wahrgenommen. Wer bei der Erstellung eines Jahresabschlusses mitwirkt, muss seither noch strenger, als es der überwiegenden Handhabung vor dem Urteil entsprach, prüfen, ob tatsächlich noch Fortführungswerte angesetzt werden können oder ob angesichts der wirtschaftlichen Situation das Zerschlagungsszenario das wahrscheinlichere ist.
Weniger im Blickfeld standen die ergänzenden Bemerkungen des BGH zu Hinweispflichten, die aus der Beschäftigung mit der Abschlusserstellung folgen könnten. Wer sehr genau las, konnte der BGH-Entscheidung bereits Andeutungen zu einer Erweiterung des Pflichtenkreises entnehmen. Weiter konkretisiert und vervollständigt wurde das indes erst mit dem Regierungsentwurf zum StaRUG.
Hinweispflicht bei Erkennen von Insolvenzgründen (§§ 17 bis 19 InsO)
Erkennt der steuerliche Berater nun das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrunds nach den §§ 17 bis 19 InsO, dann setzen Hinweispflichten ein. Durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) wurde auch § 18 InsO angepasst. Diese Bestimmung enthält für die drohende Zahlungsunfähigkeit nunmehr einen klar definierten Prognosezeitraum von stolzen 24 Monaten.
Beachten Sie | Ist also binnen der zwei Jahre ab Betrachtung eine Zahlungsunfähigkeit „möglich“, so ist ein steuerlicher Berater zu bestimmten Belehrungen verpflichtet. Angesichts der Schnelllebigkeit von Entwicklungen und Vorschriften im Zeitalter der COVID-19-Pandemie kann ein Prognosezeitraum von 24 Monaten nur Erstaunen hervorrufen (als Berater ist man oft froh, wenn man die nächsten 24 Tage einigermaßen prognostizieren kann), aber der Wortlaut lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig.
Umfassende Aufklärungspflicht
Die Rechtsfolge besteht in einer umfassenden Aufklärungspflicht über alle sich an die „mögliche“ Insolvenzreife anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane. Das Pflichtenprogramm ist demnach keineswegs auf steuerliche Aspekte beschränkt, sondern es erstreckt sich auf sämtliche Pflichten, also auch insolvenz-, gesellschafts- und vertragsrechtliche Umstände. Die Pflicht trifft nicht nur Steuerberater ‒ diese Berufsgruppe ist indes prominent nach vorne gestellt ‒, sondern gleichermaßen Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte.
Dieser Pflichtenumfang ist ‒ wenn nicht schon insgesamt neu, so doch ‒ zumindest eine spürbare Akzentverschiebung. Noch in der Entscheidung vom 26.1.17 ging es im Kern um die zutreffende Bilanzierung. Nur das ist der Ausgangspunkt für die Frage, wie Bilanzpositionen zu bewerten sind, und darüber gelangt der Ersteller zur Frage der Zukunftsprognose. Im Grunde handelt es sich um Fragen, die implizit schon seit jeher hätten Beachtung finden müssen. Die Vorschrift des § 102 StaRUG entfernt sich nun von dem Wertansatz. Die Erstellung eines Jahresabschlusses ist nur noch der unmittelbare Anlass für eine weitere Prüfung. Sie erstreckt sich nicht nur auf die vom Gesetz erzwungene Insolvenz aufgrund der Insolvenzreife nach den §§ 17 und 19 InsO, sondern umfasst sogar den freiwilligen Antragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO und reicht damit schon zeitlich weit über die Gegenwart hinaus. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit in zwei Jahren hat mit der Erstellung der Bilanz eigentlich nicht mehr viel zu tun. Gleichwohl soll sie eine Belehrungspflicht über das auslösen, was ein Geschäftsleiter zu tun hat ‒ nicht nur steuerlich, sondern auch gesellschaftsrechtlich.
In der Vergangenheit hat die Fragestellung, welche Belehrungspflichten einen Steuerberater treffen, nicht zuletzt die Prüfung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) mit sich gebracht. Steuerberater, die ihr angestammtes Terrain der Steuern verließen, standen immer in der Gefahr von Verletzungen ihrer Befugnisse nach dem StBerG und damit des Verstoßes gegen das RDG. Nun aber schreibt das StaRUG die nichtsteuerliche Beratung sogar explizit vor.
FAZIT | Der Gesetzgeber hat die BGH-Entscheidung nicht lediglich umgesetzt, sondern mit der Einbeziehung von § 18 InsO und dessen 24-monatigen Prognosezeitraums noch einen „draufgesetzt“.
Die zwei Voraussetzungen für das Entstehen der Hinweispflichten werden in der Praxis nahezu ausnahmslos vorliegen, wenn
Unkenntnis von der Insolvenzreife wird bei nichtjuristischen Geschäftsführern in aller Regel anzunehmen sein. Gleiches gilt für die Offenkundigkeit von Umständen, wenn man bedenkt, dass derartige Fakten in aller Regel für den Jahresabschluss von Relevanz sein werden.
Die letzte Eingrenzung „bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten“ kann im Einzelfall Bedeutung erlangen. Ganz ohne Anlass und Auftrag muss ein steuerlicher Berater die Finanzlage von Mandanten nicht prüfen. Allerdings geht die Einschränkung durch die Bezugnahme auf die Abschlusserstellung nicht besonders weit. Viele Steuerberater sind im Grunde das ganze Jahr über mit der Vorbereitung des Jahresabschlusses beschäftigt und grenzen die Tätigkeiten nicht genau voneinander ab. Der neue § 102 StaRUG sollte nun Anlass sein, diese Praxis zu überprüfen. Womöglich erscheint es angezeigt, mit dem Mandanten konkret abzustimmen, in welchem Zeitraum an der Erstellung des Jahresabschlusses gearbeitet wird ‒ und wann eben nicht. |