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· Fachbeitrag · Steuerstrafverfahren

Strafmilderungsgrund: Verteidiger muss auf drohendes Einreiseverbot in die USA hinweisen

von RA Hans Georg Hofmann und RA Clemens W. Pauly, LL.M., J.D.

| Eine häufig übersehene Folge einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung sind Einreiseverbote, etwa in die USA. Die Bestrafung kommt dann einem Berufsverbot nahe, wenn Geschäftsreisen in die USA ein notwendiger Bestandteil des Berufs oder Gewerbes sind. |

1. Praxisfall

A hatte im November 2013 eine Firma gegründet, die Autosammler weltweit berät. Wer auf diesem Beratungsfeld dauerhaft Erfolg haben will, muss auf den amerikanischen Markt. 2017 ist es A gelungen, mehrere potente US-Kunden zu gewinnen. Für den beabsichtigten und erforderlichen weiteren Ausbau seiner US-Aktivitäten muss A in den USA präsent sein, was regelmäßige Geschäftsreisen dorthin erfordert.

 

Gegen den nicht vorbestraften A wurde im November 2018 ein Strafbefehl wegen Hinterziehung von Einfuhrabgaben i.H. von 200 Tagessätzen erlassen. Der Tatvorwurf war nach Grund und Höhe unstreitig. Die Tathandlung war im Januar 2016. Die Verkürzungssumme von 12.000 EUR war von A zeitnah beglichen worden. Es stellt sich die Frage, ob eine Verurteilung entsprechend dem Strafbefehl den A hindert, in die USA einzureisen, um seinem Gewerbe nachkommen zu können.

2. Rechtliche Voraussetzungen einer Einreise in die USA

Mit Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO wäre A zukünftig für USA-Reisen gesperrt, wenn die angeklagte Norm im amerikanischen Einwanderungsrecht als sogenannte „crime involving moral turpitude (CIMT)“ gewertet wird.

 

2.1 Inadmissible wegen CIMT Verurteilung

Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court (Jordan v. De George, 341 U.S. 223 (1951)), wonach Delikte, in denen Betrug ein Tatbestandselement ist, immer schon als moralisch verwerflich gegolten haben, besagt die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung, dass Steuerhinterziehung („tax evasion“) notwendigerweise ein CIMT ist (Carty v. Ashcroft, 395 F.3d 1081 (9th Cir. 2005); Wittgenstein v. INS, 124 F.3d 1244, 1246 (10th Cir. 1997); Considine v. United States, 683 F.2d 1285 (9th Cir. 1982); Khan v. Barber, 253 F.2d 547 (9th Cir. 1958)). Es geht bei der zu analysierenden Norm nämlich um die „inherent nature of the crime“ und nicht um die konkret angeklagten Tatumstände des Falls (Matter of Short, 20 I&N Dec. 136 (BIA 1989)).

 

Nach § 212(a)(2)(A)(i)(I) des Immigration and Nationality Act (INA) können Ausländer, die entweder wegen eines CIMT verurteilt worden sind oder eine Tat zugeben (siehe den dazu einschlägigen Text nach Matter of K, 7 I&N Dec. 594, 598 (BIA 1957)), die die wesentlichen Tatbestandsmerkmale eines CIMT erfüllt, kein US-Visum erhalten und auch nicht in die USA eingelassen werden; sie sind „inadmissible“ und damit auch „ineligible to receive a visa“ (siehe auch die konsularischen Verwaltungsvorschriften und Analyse in 9 FAM 302.3-2). Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn die maximale mögliche Strafe eine Haftstrafe von einem Jahr nicht überschreitet, der Ausländer nicht mehr als eine Straftat begangen hat und ‒ im Fall einer Verurteilung t‒ der Ausländer auch nicht zu mehr als sechs Monaten Haft verurteilt worden ist (sogenannte „petty offense“-Ausnahme in § 212(a)(2)(A)(ii)(II) INA).

 

MERKE | Eine Verurteilung nach § 370 AO erfüllt diese Ausnahmemöglichkeit nicht, weil der mögliche Strafrahmen bis zu fünf Jahre beträgt.

 

Bei ausländischen Straftaten muss allerdings zunächst analysiert werden, ob der ausländische Tatbestand auch in den USA strafbewehrt wäre (Matter of McNaughton, 16 I&N Dcc. 569 (BIA 1978); Matter of De La Nues, 18 I&N Dec. 140 (BIA 1981)). Dabei orientieren sich die Gerichte an US-Bundesrecht (Matter of Scarpulla, 15 I&N Dec. 139, 141 (BIA 1974); siehe auch 9 FAM 302.3-2(B)(2)(a)). Bei ausländischen Strafnormen hat der Visumsantragsteller die Bringschuld hinsichtlich der relevanten Gesetze, die es dem Konsul erlauben, eine vergleichende Gesetzesinterpretation vorzunehmen (9 FAM 302.3-2(B)(5)(b)(2)). Bundessteuerdelikte sind hauptsächlich in Titel 26 U.S.C. §§ 7201 ff. geregelt (so z. B. 26 U.S.C. § 7201 (tax evasion); § 7202 (willful failure to collect or pay over tax); § 7203 (failure to file, supply information or pay tax); § 7206(1) (making false tax return)). Der U.S. Supreme Court hat dabei das Delikt der Abgabe einer falschen Steuererklärung nach 26 U.S.C. § 7206(1) als „crime involving fraud or deceit“ gewertet (Kawashima v. Holder, 565 U.S. 478 (2012)). In diesem Fall wurde das Delikt als „aggravated felony“ i.S. des § 101(a)(43)(M)(i) INA eingestuft, was so einen Abschiebegrund für bereits in den USA befindliche Ausländer nach § 237(a)(2)(A)(iii) INA und damit auch notwendigerweise ein CIMT darstellt.

 

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO steht der Norm des 26 U.S.C. § 7206(1) zwar insoweit nicht gleich, als die amerikanische Norm eine falsche eidesstattliche Erklärung („under the penalties of perjury“) voraussetzt. 26 U.S.C. § 7201 und analog § 370 Abs. 2 AO würden dann aber als Auffangdelikt die versuchte Steuerhinterziehung in jeder Begehungsform bestrafen, solange es sich um eine Vorsatztat handelt.

 

Insoweit unterscheiden die in den konsularischen Verwaltungsvorschriften aufgelisteten Fallgruppen zwischen „willfuI tax evasion“, was grundsätzlich ein CIMT ist (siehe 9 FAM 302-2(B)(2)(c)(2)(a)(vii), und „tax evasion“ ohne Betrugsabsicht, was eher einer Ordnungswidrigkeit entspricht und damit kein CIMT darstellt (siehe 9 FAM 302-2(B)(2)(c)(2)(b)(xix)). Die Ausgestaltung des § 370 AO erlaubt daher auch nicht das Argument, dass eine Verurteilung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO einen minimalen Tatbestand denkbar erfassen könnte, welcher nicht als CIMT verstanden würde (Analyse nach dem „categorical approach“ Matter of Silva-Trevino, 26 I&N Dec. 826, 831 (BIA 2016)).

 

Die Steuerhinterziehung setzt eine vorsätzliche Begehung voraus. Vorsatz beinhaltet die Kenntnis und den Verwirklichungswillen der Merkmale des objektiven Tatbestands (Klein/Jäger, AO, 13. Auflage, § 370 Rn. 170). Danach muss der Täter wissen und wollen, dass er unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), oder er muss eine Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) und dadurch Steuern verkürzen oder einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangen.

 

Nachdem diese Norm also notwendigerweise eine Vorsatztat bestraft, handelt es sich aufgrund der tatbestandlichen Ähnlichkeit zum Betrug, kategorisch um eine CIMT. Mit Verurteilung laut Strafbefehl wäre A damit fortan „inadmissible“ und könnte auch kein Visum für die USA erhalten.

 

2.2 Inadmissible wegen material misrepresentation

A wäre auch dann für USA-Reisen gesperrt, wenn er versuchen würde, betrügerisch oder absichtlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Einreise in die USA zu erzielen (§ 212(a)(6)(C)(i) INA). Dies wäre etwa bei bewusst falschen Angaben bei Anträgen auf ESTA-Genehmigungen oder Visaanträgen der Fall, oder bei etwaigen Befragungen an der Grenze. Deutsche können bei Reisen in die USA zwar grundsätzlich visumsfrei einreisen, benötigen aber eine gültige Anmeldung im Electronic System for Travel Authorization (ESTA, www.iww.de/s2384).

 

Hier ist zu unterscheiden, welches Formular ausgefüllt wird: Das ESTA-Formular stellt keine Fragen, wonach eine mögliche Verurteilung wegen Steuerhinterziehung auf dem Formular offenbart werden müsste; anders wäre es dagegen bei sonstigen Visumsanträgen, wie z. B. auf temporäre Arbeits-, Investoren- oder Geschäftsreisendenvisen auf Formular DS-160 (zu finden unter www.iww.de/s2385). Auf diesem Antragsformular wird nach allen Verurteilungen gefragt. Eine wahrheitsgemäße Antwort würde somit zur Ablehnung des Visumsantrags führen, wobei eine Falschantwort zur inadmissibility wegen material representation führen würde, was neben der Verletzung der Einwanderungsgesetze auch in den USA strafbewehrt wäre.

 

FAZIT | A dürfte bei einer Verurteilung entsprechend dem Strafbefehl also nicht wieder in die USA einreisen, es sei denn, er würde sich für einen sogenannten § 212(d) waiver qualifizieren. Eine solche Ausnahmegenehmigung steht allerdings im Ermessen der Behörde gegen deren Entscheidung Rechtsmittel nicht zugelassen sind. Eine Verurteilung würde die gewerbliche Tätigkeit des A damit massiv einschränken und käme einem Berufs- bzw. Gewerbeausübungsverbot nahe.

 

3. Vermeidungsstrategie

Im Strafbefehl fand das aus der Verurteilung resultierende Einreiseverbot in die USA keine Berücksichtigung. Nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB sind indessen die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft, insbesondere auch für die berufliche Zukunft zu erwarten sind, mildernd zu berücksichtigen. Der Strafbefehl darf damit nicht rechtskräftig werden, weshalb Einspruch einzulegen ist.

 

Im gerichtlichen Verfahren ist deshalb unter Darlegung der gravierenden Folgen einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung auf eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage oder auf eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) hinzuwirken. In beiden Fällen würde eine Verurteilung und damit ein Einreiseverbot entfallen.

 

  • Nach § 153a StPO kann mit Zustimmung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens von der Erfüllung bestimmter Auflagen und Weisungen durch den Beschuldigten abhängig gemacht werden, wenn die Schwere der Schuld dem nicht entgegensteht. Für die Beurteilung der Schwere der Schuld sind die für die Strafzumessung geltenden Grundsätze, insbesondere § 46 StGB, heranzuziehen (Nr. 83 AStBV).

 

  • Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB): Hat jemand eine Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen verwirkt, kann das Gericht ihn neben dem Schuldspruch verwarnen, die Strafe bestimmen und die Verurteilung zu dieser Strafe vorbehalten, wenn
    • zu erwarten ist, dass der Täter künftig auch ohne Verurteilung zu einer Strafe keine Straftaten mehr begehen wird,
    • nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters besondere Umstände vorliegen, die eine Strafe entbehrlich machen, und
    • die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe nicht gebietet.

 

A hat sich weder vor der angeklagten Tat noch danach etwas zuschulden kommen lassen. Die Verurteilung aufgrund des einmaligen „Ausrutschers“ hätte aber das lebenslange Einreiseverbot in die USA und andere Länder zur Folge, was die Ausübung seines Gewerbes auf Dauer nachhaltig einschränken würde. Diese Folge wäre unverhältnismäßig, was vom Gericht nach § 46 StGB zu berücksichtigen ist, sodass im Hinblick auf die Schadenshöhe von 12.000 EUR und der Schadenswiedergutmachung sowohl eine Geldauflage gemäß § 153a StPO als auch eine Verwarnung unter Strafvorbehalt in Betracht kommt. Im Beispiel wurde das Verfahren gemäß § 153a StPO eingestellt.

4. Praxishinweis

Die Akzeptanz eines Strafbefehls kann über die Tatsache der Geldstrafe hinaus einschneidende Rechtsfolgen nach sich ziehen: Drohende Einreiseverbote, etwa in die USA, können Gewerbetreibenden und Geschäftsleuten mit Tätigkeitsschwerpunkten in diesen Ländern die Grundlage entziehen. Diese Tatsache ist aber wiederum bei der Strafzumessung bzw. bei der Wahl der Verfahrensbeendigung zu berücksichtigen (§ 46 StGB). Wenn, wie häufig im Strafbefehlsverfahren, nicht alle günstigen Umstände des Falls berücksichtigt wurden, ist dies im Einspruchswege geltend zu machen. Dies kann im konkreten Fall dazu führen, dass das Strafverfahren nach §§ 153a, 153 StPO, § 398 AO eingestellt oder eine Verwarnung unter Strafvorbehalt (§ 59 StGB) ausgesprochen wird. In der Praxis kommt § 59 StGB selten zur Anwendung, kann aber eine Option sein, wenn der Staatsanwalt einer Einstellung nach §§ 153, 153a StPO, § 398 AO nicht zustimmt.

Quelle: Seite 61 | ID 45724769