· Fachbeitrag · Transfer Pricing
Anpassungen der Verrechnungspreispolitik aufgrund der COVID-19-Pandemie
von RA Dr. Constantin Frank-Fahle, LL.M., Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate und RA Marc Zimmermann, Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate
| Die Auswirkungen der aktuellen COVID-19-Krise treffen multinationale Konzerne auf äußerst komplexe Weise. Dies gilt u. a. auch für den Transfer-Pricing-Bereich. Es haben sich drei Kernfragen herausgebildet: Handelt es sich bei der Pandemie um ein allgemeines Marktrisiko, welches eine Anpassung der Routine-Marge nötig macht? Ferner geht es um die Neubewertung von immateriellen Wirtschaftsgütern bzw. der Finanzierung zwischen den verbundenen Unternehmen. Schließlich müssen noch die Veränderungen der Supply-Chain und deren Auswirkungen aus verrechnungspreisrechtlicher Sicht im Auge behalten werden. |
1. Problemstellung und Ausgangsüberlegungen
Die gegenwärtige Corona-Pandemie stellt für die globale Wirtschaft eine Belastungsprobe dar. Die meisten Unternehmen spüren die Auswirkungen dieser Krise. So werden auch die innerhalb eines Konzerns angewandten Verrechnungspreise beeinflusst. Hintergrund ist die Tatsache, dass eine überwiegende Mehrheit der Unternehmen mit einem dramatischen Nachfragerückgang hinsichtlich ihrer Güter oder Dienstleistungen zu kämpfen hat. Dies führt zu einer starken Beeinträchtigung des Cashflows und zu Änderungen der Betriebsmargen. Auf der Gegenseite stehen Unternehmen, die in bestimmten Sektoren bzw. Branchen wirtschaftlich von der aktuellen Situation profitiert haben. Aufgrund dieser Veränderungen halten die Preise für Warenlieferungen oder die Erbringung von Dienstleistungen, die in der Vergangenheit zwischen verbundenen Parteien vereinbart wurden, oftmals nicht mehr dem Fremdvergleichsgrundsatz stand.
Ferner stellt die COVID-19-bedingte aktuelle Situation die globalen Lieferketten der Unternehmen vor Herausforderungen, u. a. im Fertigungs- und Logistiksektor. Die Störungen in den Lieferketten und im Betriebsablauf führen oftmals zu einer (vorübergehenden) Schließung der Produktionsstätten. Um diesen Problemen zu entgehen, kommt als Lösung eine Übertragung von Funktionen zwischen verbundenen Unternehmen in Betracht. Das hat zur Folge, dass die Lieferketten zwar aufrechterhalten werden, sich die Funktionen der verbundenen Unternehmen jedoch ändern (sog. Funktionsverlagerung). Änderungen in der Funktion, im Vermögen oder im Risikoprofil des Unternehmens beeinflussen in der Folge auch die Verrechnungspreise des Unternehmens.
Beachten Sie | In der Vergangenheit wurden mit der Verabschiedung des BEPS-Aktionsplanes zahlreiche Regelungen zur Verrechnungspreisgestaltung in den Jurisdiktionen implementiert. So ist es nicht auszuschließen, dass sich die Steuerbehörden weltweit bei künftigen Steuerprüfungen stärker auf Verrechnungspreisfragen konzentrieren werden. In Anbetracht der großen Geldsummen, die seitens der Regierungen der Länder derzeit investiert werden, um die Wirtschaft zu unterstützen und die Auswirkungen von COVID-19 für Unternehmen abzumildern, werden die Regierungen in Zukunft nach zusätzlichen Einnahmequellen suchen, die besteuert werden können. Die Verrechnungspreisgestaltung kann eine solche zusätzliche Einnahmequelle darstellen.
2. Auswirkungen auf die Gestaltung von Verrechnungspreisen
Mithin bergen die zwischen den verbundenen Unternehmen vereinbarten Verrechnungspreise das Risiko, dass die Steuerbehörden diese Form der Preisgestaltung im Rahmen einer Steuerprüfung infrage stellen. Daher ist eine Überprüfung und ggf. eine Neuverhandlung der Verrechnungspreise empfehlenswert. Darüber hinaus müssen die Unternehmen sicherstellen, dass sie über eine ordnungsgemäße Dokumentation verfügen. Dabei sollte eher der Ex-ante-Ansatz gewählt werden, da Ex-post-Dokumentationen teilweise zwar noch immer angewandt werden, jedoch nicht mehr dem Standard entsprechen, sodass diese bei einer Prüfung möglicherweise nicht akzeptiert werden. Folglich können die angewandte Methode zur Ermittlung der Verrechnungspreise wie auch die Preise selbst nicht mehr über die veraltete Dokumentation nachvollzogen werden, sofern diese in Zukunft beanstandet werden (zu den besonderen steuerlichen Dokumentationspflichten für ausländische verbundene Unternehmen s. Ruiner, PIStB 19, 312)
Die wichtigsten Punkte, die es in der gegenwärtigen Situation aus Perspektive der Verrechnungspreise zu berücksichtigen gilt, sind:
- Anpassung der konzerninternen Preisfestsetzung
- Finanzierung zwischen verbundenen Parteien/Unternehmen
- Übertragung von Funktionen innerhalb der Lieferkette
2.1 Anpassung der konzerninternen Preisfestsetzung
Multinationale Unternehmen werden in der gegenwärtigen finanziellen Situation möglicherweise eine Anpassung der Preise für Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen in Betracht ziehen müssen. Parallel zur derzeitigen Überprüfung und Neuverhandlung von Preisvereinbarungen mit externen Lieferanten und Dienstleistungsanbietern kann eine solche Überprüfung und Neuverhandlung auch zwischen verbundenen Unternehmen stattfinden, um sicherzustellen, dass die Preise dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen.
Die Anpassung der Verrechnungspreise hat mehrere Gründe. So werden grundsätzlich die Geschäftsmodelle und die Verrechnungspreispolitik des Unternehmens aufgrund eines Business-as-usal-Szenarios konzipiert. Außerdem herrscht durch COVID-19 bedingt ein enormer Druck auf den Lieferketten. Beides hat unmittelbare Folgen auf die Verrechnungspreisgestaltung, da Liquiditätsengpässe und Insolvenzprobleme durchaus in die preistechnische Gestaltung miteinfließen. Überhaupt sind konzerninterne, aber auch externe Verträge nicht für solche Krisensituationen ausgelegt.
Produktions- oder Vertriebsunternehmen mit begrenztem Risiko (Low Risk Distributor) sowie Dienstleistungsunternehmen werden im Allgemeinen mit einer niedrigen, aber stabilen Marge entschädigt und würden im Normalfall keine Verluste erleiden. Allerdings muss dieses Prinzip überdacht werden, wenn ein Konzern keinen Gewinn erzielt, sich aber ‒ z. B. aufgrund einer Krise wie COVID-19 ‒ in einer Verlustposition befindet. Mithin kann es sich als notwendig erweisen, die zwischen verbundenen Unternehmen vereinbarten Preise so zu ändern, dass diese Routinefirmen vorübergehend keinen Gewinn erzielen oder sogar einige Verluste zu tragen haben.
PRAXISTIPP | Handelt es sich um integrierte Lieferketten, sollte evaluiert werden, ob die Verluste einer Unternehmensgruppe auf alle an der Lieferkette beteiligten Unternehmen aufgeteilt werden sollten. |
Falls Verrechnungspreise in früheren Jahren durch Anwendung einer Zielmarge für ein verbundenes Unternehmen festgelegt wurden, bedarf es der Analyse, ob die vereinbarte Zielmarge auf Grundlage der aktuellen Wirtschaftslage geändert werden sollte. Die Herausforderung hierbei kann darin bestehen, dass keine vergleichbaren Daten zur Verfügung stehen und es daher schwierig sein kann, eine Zielmarge zu ermitteln, die ein unabhängiges Unternehmen mit einer vergleichbaren Funktion, einem vergleichbaren Vermögen und einem vergleichbaren Risikoprofil derzeit ausgeben würde.
Wird ein verbundenes Unternehmen auf Grundlage einer Kosten-Plus-Rechnung entschädigt, kann eine Anpassung der Rückerstattung erforderlich sein. Einerseits muss der Aufschlagssatz möglicherweise auf ein niedrigeres Niveau angepasst werden und andererseits sollte analysiert werden, ob die richtige Kostenbasis angewendet wird. Es sollte geprüft werden, ob außerordentliche Kosten (z. B. Einstellung der Produktion oder des Dienstleistungsangebots aufgrund der Schließung von Produktionsstätten und Büros usw.) zu den Kosten gehören, die erstattet werden sollten, oder ob diese Kosten von diesem Unternehmen getragen werden sollten.
PRAXISTIPP | Es wird dringend empfohlen, eine angemessene und zeitgleiche Verrechnungspreisdokumentation zu erstellen, die dazu beiträgt, die Gründe für eine Änderung der Preise oder Margen im Falle einer Steuerprüfung zu belegen. |
2.2 Finanzierung zwischen verbundenen Unternehmen
Innerbetriebliche Finanzierungsvereinbarungen sollten dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und wenn notwendig mit diesem in Einklang gebracht werden. Verbundene Unternehmen müssen bei der Gestaltung der Bedingungen ihrer Finanzierungsvereinbarungen insbesondere die spezifische Situation des Kreditnehmers und des Kreditgebers berücksichtigen. Dabei hängen die angewandten Zinssätze von einer Reihe verschiedener Faktoren ab. Unter anderem sind die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers, die Laufzeit des Darlehens und die Sicherheiten entscheidend.
Mithin kann eine Änderung der finanziellen Situation des Kreditnehmers dazu führen, dass die Bedingungen von Finanzierungsvereinbarungen neu verhandelt werden müssen, um eine Anpassung bzw. möglicherweise Erhöhung des geltenden Zinssatzes zu erreichen. Ferner ist es im Rahmen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise nicht unwahrscheinlich, dass vom Kreditnehmer gewährte Sicherheiten einen geringeren Wert haben als ursprünglich angenommen, was dazu führen kann, dass zusätzliche Sicherheiten gestellt werden müssen. Der Kreditgeber sollte auch in Betracht ziehen, dass eventuell anfallende Refinanzierungskosten an den Kreditnehmer der verbundenen Partei weitergegeben werden müssen.
Der Fremdvergleichsgrundsatz muss auch in Betracht gezogen werden, falls eine zusätzliche Finanzierung mit der Konzerngruppe erforderlich ist. Neue Finanzierungsvereinbarungen, die notwendig werden, um das Überleben von Unternehmen zu sichern, müssen unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes vereinbart werden.
2.3 Übertragung von Funktionen innerhalb der Lieferkette
Die aktuelle Situation beeinflusst die Gesamtstrategie vieler multinationaler Unternehmen und kann einen erheblichen Einfluss auf die Lieferkette haben. So werden sich Liefer- und Frachtkosten verändern, aber auch die Beschaffungsstrategien und -märkte. Es kann sich als notwendig erweisen, bestimmte Produktionsstätten oder Dienstleistungsunternehmen zu schließen und die mit diesen Aktivitäten verbundenen Funktionen auf andere Unternehmen der Gruppe zu übertragen. Eine solche Übertragung von Funktionen kann in einigen Gerichtsbarkeiten zu einer Realisierung von Vermögenswerten für Steuerzwecke führen, was zu zusätzlichen Steuerzahlungen führen kann.
Andererseits kann die gegenwärtige Situation auch die Gelegenheit bieten, Funktionen zu übertragen, ohne zu einer (hohen) Steuerschuld zu führen. Das kann der Fall sein, wenn der gegenwärtige Wert der übertragenen Funktionen im Vergleich zur Situation vor der Krise ziemlich niedrig ist und/oder Unternehmen, die solche Funktionen übertragen, in diesem Jahr Verluste aus anderen Geschäftsvorgängen erleiden, die mit einem durch eine Übertragung von Funktionen realisierten Gewinn verrechnet werden können.
PRAXISTIPP | Unternehmen sollten beurteilen, ob die Übertragung von Funktionen aufgrund der aktuellen Pandemie vorübergehender Natur ist oder ob sie in irgendeiner Form von Dauer sein kann, da dies die Funktion, das Vermögens- und Risikoprofil und damit eine Änderung der Transferpreise oder -margen der beteiligten verbundenen Unternehmen beeinflussen wird. |
3. Resümee
Neben den Beeinträchtigungen lassen sich aus der Corona-Pandemie aber auch Chancen begreifen. Es bestehen durchaus Möglichkeiten, die Organisation aus dem externen Schock der Pandemie langfristig umzustrukturieren. Dies kann anhand von einer Verlagerung oder Wieder- bzw. Neuentfaltung der Aktivitäten geschehen. Gleichzeitig kann es jedoch erforderlich sein, potenziell bestehende Betriebe zu schließen, da diese nicht mehr betriebswirtschaftlich sinnvoll abgebildet werden können. Geschäftsmodelle müssen in der Rechtsstruktur vereinfacht werden und es empfiehlt sich, über digitale Lösungen nachzudenken, die eine physische Präsenz überflüssig machen. Möglicherweise kann eine andere Präsenz kreiert werden, z. B. die integrierte Planung eines schockresistenten E-Commerce-Kanals.
Grundsätzlich werden diese Entwicklungen klare Auswirkungen auf die Zuweisung von Funktionen, Vermögenswerten und Risiken haben, die nach wie vor die Basis im Verrechnungspreisbereich bilden. Bei Umstrukturierungen durch die Zentralisierung und Konsolidierung von Aktivitäten wird vermehrt die Frage aufgeworfen werden, ob die wirtschaftliche Substanz und Entscheidungsbefugnis nach wie vor auf das Geschäftsmodell des Unternehmens abgestimmt sind. Ferner müssen die Maßnahmen steuerlich bzw. verrechnungspreistechnisch zur Ausrichtung der Wertschöpfungskette abgewogen werden, um Kosten- oder Steuereffizienzen zu erzielen. Schließlich verbleiben die klassischen risikoorientierten Themen im Zusammenhang mit Umstrukturierungen, wie Funktionsverlagerungen, Exit-Taxation und die Frage nach den Restrukturierungsaufwendungen, die in Bezug auf die Einmal-Relevanz solcher Transaktionen beantwortet werden müssen.
Primär sollte idealerweise eine Szenarioplanung vom Unternehmen aufgesetzt werden, die verdeutlicht, inwieweit sich Verrechnungspreisergebnisse aufgrund von derartigen Maßnahmen ändern können. Ferner sollte im Hinblick auf die Steuerfunktion beachtet werden, dass die Entscheidung für eine Umstrukturierung Mehrwerte für die Stakeholder schaffen und eben keine weiteren Steuerkosten verursachen soll. Generell muss eine Transparenz über Risiken hinsichtlich der gesamten Wertschöpfungskette geschaffen werden. Es gilt, Szenarien krossfunktional zu erstellen, um dadurch einen gesicherten Ablaufplan zu etablieren. Im Hinblick auf die Supply-Chains muss die Frage aufgeworfen werden, ob Lieferketten bei einer reduzierten Bedarfssituation ‒ z. B. infolge von COVID-19 ‒ dennoch in Zukunft eine Profitabilität aufwerfen, sodass es zu entsprechenden Kapazitätsanpassungen kommen kann.
FAZIT UND AUSBLICK | Allen multinationalen Konzernen wird dringend empfohlen, ihre aktuellen Verrechnungspreismodelle und die zwischen verbundenen Unternehmen vereinbarten tatsächlichen Verrechnungspreise zu analysieren und zu bewerten. Akut muss eine klare Entscheidung hinsichtlich der Frage getroffen werden, ob eine Umstrukturierung erforderlich ist, um den Geschäftskern zu sichern, z. B. anhand der Kriterien Cashflow, Stresstest, operativer Impact. Dies gilt insbesondere für Konzerne, die derzeit Maßnahmen zur Reduzierung der Gesamtkostenstruktur ergreifen oder die eine Anpassung ihrer Lieferkette in Betracht ziehen. Ziel sollte es sein, sicherzustellen, dass die während der gegenwärtigen Krise angewandten Verrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, sodass das Risiko einer potenziellen Beanstandung dieser Preise durch die Steuerbehörden verringert wird. Die gegenwärtige Situation kann allerdings auch als Gelegenheit bzw. Chance genutzt werden, die Lieferkette auf steuerlich effiziente Weise anzupassen und ein nachhaltiges Verrechnungspreismodell zu implementieren. |
Zu den Autoren | Dr. Constantin Frank-Fahle, LL.M. ist Rechtsanwalt und Managing Partner der Kanzlei Germela Law LLP, Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate). Die Kanzlei ist auf die ganzheitliche Beratung von ausländischen Investoren im Nahen und Mittleren Osten spezialisiert. Marc Zimmermann ist Rechtsanwalt und Associate in der Kanzlei Germela Law LLP, Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate).