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· Fachbeitrag · Umsatzsteuer

Erste Hinweise des BMF zu den Verschärfungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

von Georg Nieskoven, Troisdorf

| Mit dem Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019) setzte Deutschland zum 1.1.20 die EU-Vorgaben zu den sog. „Quick-Fixes“ in nationales Recht um. Neben Verschärfungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und einer neuen EU-Gelangens-Vermutung wurden damit EU-einheitliche Grundsätze zu Reihengeschäften und zudem eine Konsignationslagerregelung eingeführt. Zu den ersten beiden dieser vier „Quick-Fixes“ hat das BMF nun mit einem aktuellen Schreiben erstmals Stellung bezogen (BMF 9.10.20, III C 3 - S 7140/19/10002 :007, BStBl I 20, 1038). |

1. Zum 1.1.20 im Binnenmarkt umgesetzte EU-Vorgaben

Seit Ende der 90er-Jahre kommen die Reformbestrebungen der EU zur Novellierung der Binnenmarktbesteuerung nicht voran. Nachdem ihre jüngsten Vorschläge erneut nicht auf einhellige Zustimmung trafen, konnten sich die EU-Staaten als Minimalkonsens zumindest auf „kleine erste Schritte“ (Quick-Fixes) verständigen, die sie zum 1.1.20 umzusetzen hatten. Diese umfassen im Bereich der innergemeinschaftlichen Lieferungen vier Teilbereiche:

 

  • a) Verschärfte Voraussetzungen für Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen: Aufzeichnung der gültigen Abnehmer-USt-IdNr. und Abgabe einer zutreffenden Zusammenfassenden Meldung (ZM) als künftig materiellrechtliche Befreiungsvoraussetzung (Art. 138 MwStSystRL ‒ umgesetzt durch Modifizierungen in § 4 Nr. 1b u. § 6a UStG).

 

  • b) Einführung der Nachweisvariante „EU-Gelangens-Vermutung“: Erstmals verfügt das EU-Recht zu innergemeinschaftlichen Lieferungen (in Art. 45a MwSt-DVO) Regelungen zum Nachweis des innergemeinschaftlichen Gelangens der Ware in den anderen EU-Staat (in Deutschland ergänzend umgesetzt in § 17a UStDV).

 

  • c) Einführung einer EU-Regelung zu Reihengeschäften: Mit dem neuen Art. 36a MwStSystRL besitzt seit dem 1.1.20 erstmals auch das EU-Recht eine Regelung zur Warenbewegungszuordnung und damit zur Frage der Steuerbefreiung bei grenzüberschreitenden Reihengeschäften im Binnenmarkt (umgesetzt durch § 3 Abs. 6a UStG, über die EU-Regelung hinausgehend).

 

  • d) Einführung einer EU-einheitlichen Konsignationslagerregelung“: Anders als Deutschland verfügten die meisten EU-Staaten seit Jahren über nationale Konsignationslager-Vereinfachungen. Zum 1.1.20 ermöglicht Art. 17a MwStSystRL (in Deutschland umgesetzt in § 6b UStG), die in ein solches Lager eingelieferte Ware im Auslagerungszeitpunkt nicht mehr als umsatzsteuerpflichtige Inlandslieferung im Bestimmungsland, sondern als innergemeinschaftliche Lieferungen zu deklarieren.

 

Beachten Sie | Zu diesen Quick-Fixes waren viele Detailfragen unklar geblieben. Die Generaldirektion „Steuern und Zoll“ der EU-Kommission hatte daher mit Explanatory-Notes vom 20.12.19 auf 92 Seiten zu Auslegungsfragen der vier Quick-Fixes Stellung bezogen (inzwischen auch in deutscher Sprache verfügbar: www.iww.de/s4470). Wie die deutsche Finanzverwaltung allerdings stets betonte, sind solche Auslegungsverlautbarungen der EU völlig unverbindlich (BMF 17.12.14, IV D 1 - S 7058/14/10004, BStBl I 15, 43): Für die umsatzsteuerliche Rechtsanwendung in Deutschland maßgeblich seien vielmehr allein der UStAE und sonstige BMF-Anweisungen. Leider gibt das BMF mit seinem erst jetzt veröffentlichten Schreiben vom 9.10.20 verwaltungsseitige Hinweise zur Auslegung nur zu den o. a. Rechtsänderungen a) und b) der vier Quick-Fixes.

2. Verschärfte USt-Befreiungsvoraussetzungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Die Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen ist durch die gesetzliche Neufassung nun von zwei weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängig, nämlich

 

  • 1. der Verwendung einer ‒ aus einem anderen EU-Staat stammenden ‒ gültigen USt-IdNr. und
  •  
  • 2. der Abgabe einer zutreffenden (diesen konkreten Umsatz betreffenden) Zusammenfassenden Meldung (s. Kapitel 2.5).

 

Entsprechendes gilt auch für die Vorgänge des innergemeinschaftlichen Verbringens i. S. v. § 6a Abs. 2 UStG (A 6a.1. Abs. 21 S. 3 UStAE).

 

2.1 Aus anderem EU-Staat stammende Abnehmer-USt-IdNr.

§ 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) UStG erfordert einen „in einem anderen Mitgliedstaat für USt-Zwecke erfassten unternehmerischen Abnehmer. Dieser muss gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 4 UStG die ihm von einem anderen EU-Staat erteilte gültige USt-IdNr. „verwendet“ (s. Kapitel 2.3) haben.

 

Beachten Sie | „Anderer“ Mitgliedstaat ist dabei jeder EU-Staat jenseits des Ausgangslandes der Ware: Bei einer aus Deutschland ausgehenden Warenbewegung ist dieses Steuerbefreiungserfordernis mithin bereits erfüllt, wenn die Abnehmer-USt-IdNr. nicht aus Deutschland stammt. Sie kann folglich steuerbefreiungsunschädlich zwar aus jedem anderen EU-Mitgliedstaat stammen ‒ mit Blick auf die (in der Praxis häufig unbeachtete) Doppelbesteuerungsfalle des § 3d S. 2/§ 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG empfiehlt sich für den Erwerber jedoch eine aus dem Warenbestimmungsland stammende USt-IdNr.

 

  • Beispiel 1

Der in Köln ansässige Unternehmer DE bestellt beim niederländischen Zulieferer NL Ware, die NL vereinbarungsgemäß für DE in ein Lager in Polen ausliefern soll. NL bzw. DE treten bei diesem Liefergeschäft unter ihrer niederländischen bzw. deutschen USt-IdNr. auf.

 

NL bewirkt eine in den Niederlanden USt-freie innergemeinschaftliche Lieferung (Art. 138 MwStSystRL), für die DE die spiegelbildliche Erwerbsbesteuerung vorzunehmen hat. Nach § 3d S. 1 UStG ist der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Warenbestimmungsland Polen anzusiedeln, sodass DE den innergemeinschaftlichen Erwerb in Polen zu deklarieren hat. Da er gegenüber NL jedoch mit seiner deutschen USt-IdNr. auftritt, schuldet er zusätzlich eine gemäß § 3d S. 2 UStG in Deutschland anzusiedelnde Erwerbs-USt, für die ihm § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG explizit den Vorsteuerabzug verwehrt und § 17 Abs. 2 Nr. 4 UStG eine Beseitigung dieser Doppelbesteuerung erst in jenem Besteuerungszeitraum erlaubt, in dem DE seine tatsächlich erfolgte Erwerbsbesteuerung in Polen nachweist (A 3d.1. Abs. 4 S. 1 i. V. m. A 15.10. Abs. 2 S. 2 UStAE). Dieses Problem der Doppelbesteuerung kann DE vermeiden, indem er von Anfang an gegenüber NL mit einer ihm von der polnischen Steuerverwaltung erteilten USt-IdNr. auftritt.

 

2.2 Gültigkeit der USt-IdNr.

Ob die ihm vom Abnehmer benannte USt-IdNr. tatsächlich (noch) gültig ist, kann der Exporteur letztlich nur per qualifizierter Bestätigungsabfrage (§ 18e UStG) klären. Eine solche Regelabfrage für jeden einzelnen Liefervorgang ist zwar nicht verpflichtend, aber nur so erlangt der Lieferer Rechtssicherheit. Das hat der BFH jüngst mit Blick auf die Vertrauensschutzregelung i. S. v. § 6a Abs. 4 UStG („kaufmännische Sorgfaltspflicht“) auch für die Zeit vor dem 1.1.20 bestätigt (BFH 11.3.20, XI R 38/18, s. PIStB 21, 2). Für Exporteure gilt es folglich, den hohen Verwaltungsaufwand einerseits gegen das steuerliche Risiko andererseits abzuwägen.

 

PRAXISTIPP | Zum Bestätigungsverfahren selbst hat das BMF jüngst eine wichtige Verfahrensänderung kommuniziert (BMF 28.10.20, III C 5 - S 7427-d/19/10001; BStBl I 20, 1120): Demnach wird das BZSt ab 1.1.21 bei den „via Internet“ erfolgten qualifizierten Bestätigungsabfragen den im Portal angezeigten Abfrageresultaten ‒ anders als bislang ‒ keine ergänzenden Papierbestätigungen mehr postalisch nachfolgen lassen. Vielmehr soll der Unternehmer ab 2021 die im Internet angezeigten Ergebnisse auf andere Weise ‒ z. B. per datiertem „Screenshot“ oder per (PDF-)Ausdruck der Browseransicht ‒ selbst sichern und archivieren.

 

2.3 „Verwendung“ der USt-IdNr.

Während das EU-Recht in Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) MwStSystRL bereits ein schlichtes „mitteilen“ der USt-IdNr. durch den Abnehmer gegenüber dem Exporteur ausreichen lässt, fordert die Formulierung in § 6a Abs. 1 Nr. 4 UStG, der Abnehmer müsse diese USt-IdNr. zum fraglichen Umsatz „verwendet“ haben. Die Gesetzesbegründung hatte für dieses „Verwenden“ ein „aktives Handeln“ des Abnehmers zur USt-IdNr.-Benennung im Zusammenhang mit der konkreten Umsatzbeauftragung gegenüber dem Exporteur gefordert und damit den „bloßen Aufdruck“ der USt-IdNr. in Briefpapier/Rechnung als „nicht ausreichend“ eingestuft. Zudem sollte demnach das „Verwenden“ zeitlich bereits vor dem Lieferzeitpunkt erfolgt sein, was eine erst nach dem Liefertag übermittelte (am Liefertag aber bereits gültige) USt-IdNr. als nicht „steuerbefreiungstauglich“ eingestuft hätte. Im nun vorliegenden Anwendungsschreiben relativiert das BMF diese vormalige Formstrenge und bewegt sich auf die deutlich großzügigere EU-Sicht in den o. a. „Explanatory-Notes“ zu:

 

Zwar verweist im ersten Schritt der neue Abs. 19 in A 6a.1. UStAE zur Definition der Begrifflichkeit „Verwenden der USt-IdNr.“ auf A 3a.2. Abs. 10 S. 2 ‒ 10 UStAE, der i. S. d. o. a. Gesetzesbegründung am Erfordernis eines aktiven Handelns/positiven Tuns in der Regel bereits bei Vertragsabschluss festhält und die im Briefkopf standardmäßig eingedruckte USt-IdNr. grundsätzlich nicht als ausreichend erachtet. Im zweiten Schritt wird durch das BMF-Schreiben jedoch ein relativierender S. 6 in A 3a.2. Abs. 10 UStAE eingefügt, der ein „positives Tun“ auch ohne ein „aktives Verwenden“ dann anerkennen will, wenn folgende vier Voraussetzungen vorliegen:

 

  • a) Der Abnehmer hat den Liefergegenstand „objektiv nachvollziehbar“ als Unternehmer für sein Unternehmen erworben.
  • b) Der Exporteur hat die innergemeinschaftliche Lieferung zutreffend in seiner ZM deklariert.
  • c) Der Abnehmer hat seinen Leistungsbezug „zutreffend erklärt“.
  • d) Die Rechnung über die fragliche innergemeinschaftliche Lieferung enthält eben jene Abnehmer-USt-IdNr., die der Lieferer auch in seiner ZM angegeben hat.

 

Damit lässt die Finanzverwaltung nun zwar Ausnahmen vom aktiven Verwenden der Abnehmer-USt-IdNr. vor Transportbeginn zu, knüpft dies jedoch zugleich an Voraussetzungen, die für den Exporteur teils kaum prüfbar oder erfüllbar sein werden: Zwar dürfte sich der unternehmerische Leistungsbezug häufig bereits aus Art bzw. Menge des Exportgegenstands (industrielles Produkt bzw. gewerbsübliche Stückzahl) ergeben, aber die nach dem o. a. Merkmal c) geforderte zutreffend erklärte innergemeinschaftliche Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland wird für den Exporteur schlicht unprüfbar und damit ein Restrisiko bleiben.

 

2.4 Nachträglich verwendete USt-IdNr.

Abweichend von der bisherigen Sicht „USt-IdNr.-Verwendung vor Lieferstichtag“ misst der neue A 6a.1. Abs. 19 S. 3 UStAE nun auch der erst nachträglich durch den Abnehmer verwendeten aber im Zeitpunkt der Lieferung bereits gültigen USt-IdNr. Rückwirkung bei.

 

Beachten Sie | In diesen Fällen der anfänglich fehlenden Abnehmer-USt-IdNr. mangelt es im Zeitpunkt der Umsatzausführung an einer Steuerbefreiungsvoraussetzung. Dadurch ist die innergemeinschaftliche Lieferung im ersten Schritt als umsatzsteuerpflichtiger Umsatz zu deklarieren. Die vom BMF eröffnete „nachträgliche USt-IdNr.-Verwendung“ entfaltet jedoch für Zwecke der USt-Befreiung Rückwirkung, sodass der fragliche Umsatz nicht im Besteuerungszeitraum der nachträglichen USt-IdNr.-Übermittlung USt-frei zu deklarieren ist, sondern vielmehr in der ursprünglichen USt-Voranmeldung. Der dort bislang umsatzsteuerpflichtig erklärte Umsatz ist in einen nun USt-freien Umsatz zu korrigieren (zur zusätzlich dann erforderlichen ZM-Korrektur s. u.).

 

Dies wirft die Frage nach der „temporären Vorsteuerabzugsfähigkeit“ eines bis dahin erfolgten USt-Ausweises auf: Hatte der Exporteur dem Abnehmer bislang eine Rechnung mit dem vereinbarten Nettopreis „zzgl. offen ausgewiesener USt“ ausgestellt, stellte dies damals keinen unrichtigen oder unberechtigten USt-Ausweis i. S. v. § 14c Abs. 1 UStG dar, da der Umsatz wegen Fehlens einer Befreiungsvoraussetzung umsatzsteuerpflichtig war. Grundsätzlich hätte daher dem ausländischen Abnehmer der spiegelbildliche Vorsteuerabzug zu Recht zugestanden.

 

Insofern hatte sich das BMF jedoch bereits mit BMF-Schreiben vom 16.2.16 (III C 3 - S 7359/10/10003, BStBl I 16, 239) geäußert: Zumindest im Vorsteuervergütungsverfahren (§ 18 Abs. 9 UStG) werde das BZSt diesen Vorsteuerabzug verweigern, soweit eine dem Grunde nach steuerbefreiungsfähige Ausfuhr oder innergemeinschaftliche Lieferung vorliege, weil es z. B. an nachträglich beschaffbaren Steuerbefreiungsnachweisen mangele. Diese damals in A 18.11. Abs. 1a UStAE aufgenommene Weisung wurde dort nun um den Hinweis ergänzt, dass eine rückwirkende Steuerbefreiung durch nachträgliche Verwendung der USt-IdNr. ab 1.1.20 möglich ist.

 

MERKE | Es bleibt also unverändert dabei: Im Vorsteuervergütungsverfahren wird das BZSt die Vorsteuererstattung aus einer nachträglich noch korrigierbaren USt-Pflicht verweigern. Für im Regelbesteuerungsverfahren in Deutschland umsatzbesteuerte Abnehmer bleibt diese Vorsteuer bis zur nachträglichen USt-IdNr.-Verwendung dagegen abzugsfähig.

 

Beachten Sie | Die Pflicht zur Deklaration des umsatzsteuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerbs auf Abnehmerseite bleibt unabhängig von der Steuerbefreiung auf Exporteurseite bestehen, wie auch die Explanatory-Notes unter 4.3.2 klarstellen.

 

2.5 Korrekte Deklaration der Zusammenfassenden Meldung

Damit die Steuerverwaltungen der EU-Staaten wechselseitig die grenzüberschreitenden Warenströme mithilfe des Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystems (s. www.iww.de/s4472) überprüfen können, wird die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferungen ab 1.1.20 zusätzlich von der korrekten ZM-Deklaration abhängig gemacht. Nach § 4 Nr. 1 Buchst. b) UStG gilt die Steuerbefreiung für solche innergemeinschaftlichen Lieferungen demnach nicht, hinsichtlich derer der Unternehmer seiner Pflicht zur korrekten ZM-Deklaration nicht nachgekommen ist.

 

Wie das BMF in A 4.1.2 Abs. 2 S. 3 UStAE nun ausdrücklich betont, kann diese für die Steuerbefreiung unabdingbare Voraussetzung zum Zeitpunkt der USt-Voranmeldungsabgabe häufig noch gar nicht rechtssicher beurteilbar vorliegen, da die ZM-Abgabe zumeist erst danach erfolgt (zum 25. Tag nach Ablauf des Meldezeitraums). Ausweislich der Gesetzesbegründung darf der Exporteur jedoch in Erwartung seiner zutreffenden ZM-Abgabe im ersten Schritt bereits vorläufig von der Steuerfreiheit seiner innergemeinschaftlichen Lieferungen ausgehen und diese entsprechend deklarieren (soweit die übrigen Voraussetzungen vorliegen). Somit wird die Steuerbefreiung mangels Abgabe einer zutreffenden ZM regelmäßig erst nach Umsatzausführung ‒ dann jedoch rückwirkend ‒ versagt werden. ZM-bezogene Steuerbefreiungshindernisse kann der Unternehmer jedoch gemäß A 4.1.2 Abs. 3 UStAE durch nachträgliche ZM-Korrektur wiederum mit Rückwirkung beseitigen. Dabei macht das BMF-Schreiben jedoch durch ein Beispiel deutlich, dass eine solche Berichtigung nur wirksam ist, wenn sie den Fehler auch im jeweils zutreffenden ZM-Meldezeitraum korrigiert:

 

  • Beispiel 2

DE liefert an den französischen Unternehmer FR am 10.2.20 eine Maschine im Wert von 50.000 EUR. FR hat bei der Bestellung ggü. DE seine französische USt-IdNr. verwendet. In der ZM für Februar 2020 gibt DE versehentlich den Umsatz ggü. FR nur mit 5.000 EUR an, bemerkt seinen Fehler jedoch Anfang Juni und deklariert korrigierend in seiner ZM für Juni 2020 einen „komplementären Umsatz ggü. FR i. H. des bislang fehlenden Differenzbetrags über 45.000 EUR.

 

Trotz Vorliegens der übrigen Befreiungsvoraussetzungen kann die an FR erbrachte innergemeinschaftliche Lieferung im ersten Schritt wegen unkorrekter ZM-Deklaration im Erklärungszeitraum Februar 2020 nicht (auch nicht anteilig) USt-frei belassen werden. Da DE nachfolgend seinen Fehler auch nicht in der fehlerhaften Ursprungs-ZM, sondern nur „komplementäre“ für Juni 2020 korrigiert, bleibt die Steuerbefreiung zunächst versagt.

 

Beachten Sie | Das BMF weist in seinem Beispiel jedoch ergänzend auf die steuerliche Heilbarkeit auch dieses „zweiten Fehlers“ hin, mit folgender Formulierung: „Würde DE sowohl die ZM für Februar 2020 als auch Juni 2020 noch innerhalb der Monatsfrist des § 18a Abs. 10 UStG berichtigen, würde die Steuerfreiheit wiederaufleben.“

 

Dass DE seinen im ersten Anlauf nur unzureichend erfolgten Korrekturversuch erneut zu korrigieren hat und seine ZM auch korrigierbar bleiben, ist unbestritten. Welche Rechtsfolge in diesem Zusammenhang jedoch der vom BMF betonten „Monatsfrist“ hinsichtlich der nachträglichen/rückwirkenden Steuerbefreiung zukommt, bleibt mit diesen Formulierungen unklar: Einerseits erweckt das BMF mit seinen Ausführungen den Eindruck, jedes nachträgliche Aufleben der Steuerbefreiungsmöglichkeit setze die Einhaltung der Monatsfrist voraus, nach deren Ablauf zwar das ZM-Korrekturerfordernis unverändert bestehe, aber eine nach Ablauf der Monatsfrist (verspätet) bewirkte Korrektur nicht mehr die nachträgliche/rückwirkende Steuerbefreiung herbeiführen könne. Für eine solch strenge Auslegung gibt es jedoch weder im EU-Recht noch in den Explanatory-Notes eine entsprechende Grundlage.

 

PRAXISTIPP | Mit dem Hinweis in § 18a Abs. 10 UStG soll der Unternehmer vielmehr an die „Unverzüglichkeit seiner Deklarationskorrekturpflichten“ (vgl. § 153 AO) gemahnt werden. Aus § 18a Abs. 10 UStG lässt sich jedoch systematisch-funktionell keine Ausschlussfristfolge für die an anderer Stelle im Gesetz geregelte Steuerbefreiung herleiten. Demnach kann m. E. auch eine verspätete, nach Ablauf der Monatsfrist erfolgte ZM-Korrektur (oder Folgekorrektur) eine nachträglich rückwirkende Steuerbefreiung bewirken.

 

Die Umsetzung von Art. 138 Abs. 1a MwStSystRL in § 4 Nr. 1 Buchst. b) UStG erfolgte nur lückenhaft. Die Formulierung im EU-Recht „Die Befreiung … gilt bei Mängeln in der ZM-Deklaration nicht, es sei denn, der Lieferer kann sein Versäumnis zur Zufriedenheit der zuständigen Behörden ordnungsgemäß begründen“, findet sich im UStG nicht wieder. Zur Frage, was eine „zur Zufriedenheit der zuständigen Behörden“ erfolgte Versäumnisbegründung sein kann, stellen die Explanatory-Notes unter 4.3.6. klar, dies bleibe eine national behördliche Entscheidung „auf Einzelfallbasis“. Sie sei vor dem Hintergrund zu treffen, dass der ZM-Deklaration eine Schlüsselrolle bei der USt-Betrugsbekämpfung in der EU zukomme. Damit dürfte die Frage der Auslegungsstrenge fürs erste ins nationalstaatlich behördliche Ermessen gelegt sein.

3. BMF-Ausführungen zur EU-Gelangensvermutung

Die EU hatte im Bestreben auf EU-einheitliche Harmonisierung der Nachweisregeln zum „Gelangen der Ware in den anderen EU-Staat“ i. S. v. § 6a UStG mit Wirkung ab 1.1.20 in Art. 45a MwSt-DVO eine eigene EU-Gelangensvermutung formuliert. Diese EU-Regelung ging mit ihrem „Doppelerfordernis“ von zwei separaten Nachweisdokumenten ‒ die zudem noch von zwei voneinander und von den beiden Lieferbeteiligten unabhängigen Personen ausgestellt werden sollten ‒ mit großer Strenge weit über die bisherigen deutschen Nachweisregelungen hinaus. Daher war anfangs fraglich, ob sich nun alle EU-Unternehmer künftig an diesen strengen EU-Maßstäben zu orientieren hätten. Die EU ließ jedoch zeitnah ihren ursprünglichen Harmonisierungs-Fokus bei dieser Regelung fallen und stufte ihre EU-Gelangensvermutung als eine künftig „neben den unverändert anwendbaren nationalen Nachweisregelungen“ stehende Nachweisoption ein (so im deutschen Recht ausdrücklich durch Einfügung in § 17a UStDV und so auch explizit in Tz. 5.3.2 der Explanatory-Notes).

 

Beachten Sie | Diese Optionsmöglichkeit nahm den deutlich strengeren EU-Anforderungen jegliche praktische Relevanz für deutsche Exporteure. In diesem Sinne erschöpfen sich die Ausführungen im BMF-Schreiben vom 9.10.20 zur EU-Gelangensvermutung auf für die Besteuerungspraxis weitestgehend bedeutungslose Hinweise zum Charakter dieser Regelung (A 6a.2. Abs. 2 u. 6 sowie A 6a.3a UStAE), die daher nachfolgend nicht weiter vertieft werden sollen.

 

FAZIT | Neun Monate nach Inkrafttreten der langjährig bekannten EU-Vorgaben kommt das veröffentlichte BMF-Schreiben für die Besteuerungspraxis kritikwürdig spät. Dies gilt erst recht, da dieses erste Ausführungen zu den praxisbedeutsamen Quick-Fixes 3 und 4 (Reihengeschäft, Konsignationslagerregelung) vermissen lässt. Bis dahin bleibt dem Rechtsanwender zu Letzterem nichts anderes übrig, als sich an der Gesetzesbegründung und den Explanatory-Notes zu orientieren.

 
Quelle: Seite 66 | ID 47057080