· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Innergemeinschaftliche Lieferungen: Das müssen Sie seit dem 01.01.2020 beachten
von Dipl.-Finanzwirt, M.A. (Taxation), Daniel Denker, Oldenburg und Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Norden, www.steuer-webinar.de
| Die Umsatzsteuer-Diskussion wird derzeit von der Steuersatzsenkung vom 01.07. bis 31.12.2020 dominiert. Etwas in den Hintergrund gedrängt wurden Neuregelungen, die schon zu Jahresbeginn die Voraussetzungen für die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung verschärft haben. Ob Sie diese neuen Anforderungen eingehalten und umgesetzt haben, wird die Finanzverwaltung vor allem ex post mittels Umsatzsteuer-Nachschauen und Außenprüfungen ermitteln. SSP erläutert Ihnen die wesentlichen Änderungen, damit Sie empfindliche Nachzahlungen vermeiden können. |
Die Anforderungen an steuerfreie Exportlieferungen
Lieferungen innerhalb der EU zwischen regelbesteuerten Unternehmern führen für den Lieferer im Staat des Beförderungs- bzw. Versendungsbeginns grundsätzlich zu einem steuerbaren, aber steuerfreien Umsatz. Konsequenterweise liegt beim Erwerber ein steuerbarer ‒ und im Regelfall steuerpflichtiger ‒ innergemeinschaftlicher Erwerb vor (Umsetzung des im Binnenmarkt geltenden Bestimmungslandprinzips). Entsprechend führt nicht jede grenzüberschreitende Lieferung im Binnenmarkt automatisch zur gewünschten Steuerbefreiung. Es können sich auch steuerpflichtige Lieferungen ergeben.
Materielle Voraussetzungen für die innergemeinschaftliche Lieferung
Um weiterhin von der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG in Verbindung mit § 6a UStG zu profitieren, müssen Sie die nachfolgend skizzierten Neuregelungen strengstens beachten. Regelungen zum Vertrauensschutz sind zwar weiterhin vorhanden, an diese werden jedoch erhöhte Voraussetzungen geknüpft.
- Der Gegenstand muss nachweisbar physisch vom Inland (Deutschland) in einen anderen Mitgliedstaat der EU gelangt sein (§ 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG). Voraussetzung ist, dass der Ort der Lieferung sich im Inland befindet, es muss sich also um einen steuerbaren Umsatz handeln. Grundsätzlich kann nur eine Beförderungs- oder Versendungslieferung nach § 3 Abs. 6 UStG die Voraussetzungen für eine solche innergemeinschaftliche Lieferung erfüllen. Dabei ist unerheblich, ob der Lieferer oder der Abnehmer den Gegenstand befördert oder versendet. Das tatsächliche Gelangen des Gegenstands in einen anderen Mitgliedstaat muss aber nachgewiesen sein.
- Der Erwerb des Gegenstands unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung (Erwerbsbesteuerung ‒ § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG).
- Der Abnehmer ist nach § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG
- a) ein in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasster Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat (Normalfall),
- b) eine in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasste juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
- c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber.
Wichtig | Neu ist, dass der Abnehmer im Sinne von a) oder b) gegenüber dem leistenden Unternehmer zwingend (!) eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte gültige USt-IdNr. verwenden muss (§ 6a Abs. 1 Nr. 4 UStG). Die USt-IdNr. war bis zum 31.12.2019 keine tatbestandliche Voraussetzung des UStG für die steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung.
Hürde: Leistungsempfänger muss umsatzsteuerlich erfasst sein
Ohne eine umsatzsteuerliche Erfassung des Leistungsempfängers ist ‒ außer bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs ‒ keine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung möglich. Des Weiteren wird durch die Neuregelung im Ergebnis die bisherige EuGH-Rechtsprechung ausgehebelt. Nach dieser war es theoretisch möglich, eine innergemeinschaftliche Lieferung auch ohne USt-IdNr. zu erfüllen (Unternehmer liefert an Unternehmer für dessen unternehmerische Zwecke innerhalb des Binnenmarkts).
Aufnahme in Zusammenfassende Meldung
Damit der Fiskus die Leistungsbeziehungen prüfen und kontrollieren kann, ob der Empfänger seinen umsatzsteuerlichen Verpflichtungen im Bestimmungsland nachkommt (Erwerbsbesteuerung), muss der leistende Unternehmer die USt-IdNr. des Empfängers und die Bemessungsgrundlage des Umsatzes in einer Zusammenfassenden Meldung (ZM) nach § 18a UStG aufnehmen.
Achtung bei neuen Geschäftspartnern
Seit dem 01.01.2020 liegt niemals eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung vor, wenn eine zutreffende USt-IdNr. fehlt. Sollte der Leistungsempfänger im Zeitpunkt der Lieferung also noch über keine zutreffende USt-IdNr. verfügen (weil das Unternehmen z. B. gerade erst gegründet wurde), kann der leistende Unternehmer niemals steuerbefreit liefern. Als Konsequenz entsteht bei der Lieferung Umsatzsteuer. Diese sollte der leistende Unternehmer seinem Vertragspartner unbedingt in Rechnung stellen.
Wichtig | Nach Auskunft der EU-Kommission soll diese Umsatzsteuer aber für den Leistungsempfänger unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG als Vorsteuer vergütungsfähig sein.
So gehen Sie als leistender Unternehmer jetzt vor
Grundsätzlich sollte die nachfolgend beschriebene Vorgehensweise auch schon vor dem 01.01.2020 von Ihnen beherzigt worden sein (z. B. um in Zweifelsfällen in den Genuss des Vertrauensschutzes des § 6a Abs. 4 UStG zu gelangen). Jetzt ist diese Vorgehensweise aber noch wichtiger geworden:
Bei Neukunden ganz besonders vorsichtig sein
Lassen Sie sich bei Neukunden immer vom Bundeszentralamt für Steuern bestätigen, dass dessen USt-IdNr. richtig ist und dass der Leistungsempfänger über die von ihm angegebene Identität verfügt. Führen Sie eine „qualifizierte“ Bestätigungsabfrage nach § 18e UStG durch und dokumentieren Sie das Ergebnis.
PRAXISTIPP | Nur wenn Sie diese Abfrage gemacht haben und sonst keine objektiven Anhaltspunkte für ein Misstrauen gegenüber dem Kunden vorliegen, können Sie (bei im Nachhinein festgestellten Nichtvorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen) in den Genuss des Vertrauensschutzes kommen. Die Abfrage der USt-IdNr. stellt demzufolge eine wichtige „Versicherung“ für Sie dar. |
Bei jedem Umsatzgeschäft zwei Abfragen initiieren
SSP empfiehlt, ab sofort bei jedem Umsatzgeschäft im Binnenmarkt zu zwei Zeitpunkten eine qualifizierte Bestätigungsabfrage zu tätigen. Nämlich
- 1. in dem Zeitpunkt, wo Sie den Bestellvorgang erfassen und
- 2. unmittelbar vor Auslieferung oder Übergabe der Gegenstände.
Nur so können Sie die Identität des Geschäftspartners „finanzamtskonform“ zu jedem Zeitpunkt verifizieren.
So setzen Sie das bei einer Vielzahl von Umsatzgeschäften im Alltag um
Die Abfragen können Sie einzeln auf der Webseite des BZSt (www.bzst.de) vornehmen.
PRAXISTIPP | Das BZSt bietet Ihnen aber auch die Möglichkeit für automatisierte Abfragen über eine sog. „XML-RPC-Schnittstelle“. Dieses Modul sollten Sie nutzen, wenn Sie eine Vielzahl von innergemeinschaftlichen Lieferungen tätigen. Diese Schnittstelle können Sie so in Ihr System integrieren, dass zu bestimmten Zeitpunkten oder per Knopfdruck eine automatische Abfrage erfolgt. Die Antwort vom BZSt kommt elektronisch in Form eines auswertbaren Datensatzes zurück. Wie Sie eine USt-IdNr. im Detail ermitteln und prüfen, erfahren Sie im SSP-Beitrag „Grenzüberschreitende Leistungen: So ermitteln und prüfen Sie USt-Identifikationsnummern“, SSP 3/2020, Seite 24). |
Sie müssen die Voraussetzungen nachweisen
Als liefernder Unternehmer müssen Sie buch- und belegmäßig nachweisen, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen der Steuerbefreiung erfüllt sind (§ 6a Abs. 3 UStG).
Wichtig | Die Finanzverwaltung geht regelmäßig davon aus, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, wenn Sie den Buch- und Belegnachweis nicht, nicht vollständig oder nicht zeitnah führen (Abschn. 6a.2. UStAE). Eine Ausnahme gilt, wenn sich aus Ihren Belegen und den sich daraus ergebenden tatsächlichen Umständen objektiv ergibt, dass die Voraussetzungen des § 6a UStG erfüllt sind. Belegnachweise können Sie dabei (ggf. bis zum Schluss einer mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht) noch nachholen.
Was passiert bei falsch behandelten Lieferungen?
Haben Sie eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorlagen, wird der Fiskus den Umsatz nachträglich versteuern. Die Lieferung ist aber gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn
- die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruhte und
- Sie die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnten (§ 6a Abs. 4 UStG).
In diesem Fall schulden nicht Sie, sondern der Abnehmer die entgangene Umsatzsteuer. Ohne eine qualifizierte Abfrage der USt-IdNr. des Abnehmers ist ein derartiger Vertrauensschutz aber grundsätzlich nicht denkbar (daher immer USt-IdNr. qualifiziert abfragen).
Unionseinheitliche Nachweispflichten seit dem 01.01.2020
Bis Ende 2019 haben in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen darüber existiert, wie der komplexe Nachweis für eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung zu führen ist. Daher wurden zum 01.01.2020 unionseinheitliche Bedingungen festgelegt, unter denen der Gegenstand der Lieferung als in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert bzw. versendet gilt. Diese neuen Belegnachweise auf unionsrechtlicher Basis für die sog. Gelangensvermutung finden Sie in § 17a UStDV.
PRAXISTIPP | Die bisherigen Nachweise aus der Praxis (Gelangensbestätigung, Spediteurs-Bescheinigung, CMR-Frachtbrief) bleiben gültig. Sie sind nun in § 17b UStDV verankert (als „Gelangensnachweis“). Die Steuerfreiheit nach diesen Unterlagen soll laut Information der EU-Kommission so lange gelten, bis die Finanzverwaltung einen Verstoß gegen die umsatzsteuerrechtliche Meldepflicht festgestellt hat. Es wird folglich durch die Beibehaltung der bisherigen §§ 17a und 17b UStDV, nun allerdings in Gestalt der §§ 17b und 17c UStDV, verbindlich festgelegt, dass der Nachweis für steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen in Deutschland auch weiterhin anhand der „alten“ Belege geführt werden kann. |
FAZIT | Als exportierendes Unternehmen sollten Sie analysieren, ob ihre Prozesse den Neuregelungen entsprechen. Gehen Sie auf Nummer sicher und passen Sie sie bei Bedarf an. Trotz Vereinfachungsregelungen zeigen die neuen Vorschriften, wie wichtig ein funktionierendes Tax-Compliance-Management-System (internes Kontrollsystem) ist. Die Installierung eines solchen Systems nutzt Ihnen auch, um eine berichtigte Anmeldung (§ 153 AO) von einer Selbstanzeige abgrenzen zu können. |
Weiterführende Hinweise
- Die strengeren Anforderungen sind geregelt im „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften ‒ Jahressteuergesetz 2019“ auf ssp.iww.de → Abruf-Nr. 212750.
- Beitrag „Grenzüberschreitende Leistungen: So ermitteln und prüfen Sie USt-Identifikationsnummern“, SSP 3/2020, Seite 24 → Abruf-Nr. 46366557