Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Umsatzsteuer

Neuregelung des EU-Binnenhandels: Der Wechsel zu einem endgültigen Besteuerungssystem (Teil 1)

von Dipl.-Fw. Rüdiger Weimann, Dozent, Lehrbeauftragter und freier Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Dortmund und StB Dipl.-Bw. Lars Fuisting, Düsseldorf

| Die EU-Kommission hat im Oktober 2017 Pläne für die größte Reform der Mehrwertsteuervorschriften seit einem Vierteljahrhundert vorgelegt. Durch die Neuregelung soll das System für Regierungen und Unternehmen gleichermaßen verbessert und modernisiert werden. Da hierzu ein zeitlicher Vorlauf unabdingbar ist, sollen bereits ab 2019 Sofortmaßnahmen greifen. |

1. Die bisherige Regelung

Am 17.5.77 wurde die 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern verabschiedet, die mit dem UStG 1980 in nationales Recht umgesetzt wurde. Seitdem ist das Umsatzsteuerrecht der EU-Mitgliedstaaten weitestgehend harmonisiert. Am 16.12.91 wurde die Richtlinie 91/680/EWG verabschiedet, die die 6. EG-RL dahin gehend ergänzte, dass ab dem 1.1.93 die Einfuhrumsatzsteuer im Wirtschaftsverkehr der EU-Mitgliedstaaten nicht mehr erhoben wird und für den innergemeinschaftlichen Handel eine „Übergangsregelung“ gilt. Diese Übergangsregelung sollte nach ursprünglicher Planung vier Jahre später durch eine „echte“ Binnenmarktregelung mit grenzüberschreitendem Vorsteuerabzug ersetzt werden.

 

 

Diese Idee des grenzüberschreitenden Vorsteuerabzugs scheitert bislang daran, dass ungeklärt ist, wie ein finanzieller Ausgleich (Clearing) zwischen dem vereinnahmenden Ursprungsland (im Beispiel: Deutschland) und dem erstattenden Bestimmungsland (im Beispiel: Italien) erreicht werden kann.

 

Nach Art. 28l 6. EG-Richtlinie sollte die ursprüngliche Übergangsregelung nur vom 1.1.93 bis zum 31.12.96 gelten. Für den Fall, dass bis zu dem genannten Zeitpunkt noch keine endgültige Regelung über die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist, verlängerte sich automatisch die Geltungsdauer der Übergangsregelung. Sie ist daher immer noch und auf unbestimmte Zeit auch zukünftig in Kraft und wurde im Wesentlichen unverändert in die seit dem 1.1.07 gültige MwStSystRL übernommen.

 

Umsatzsteuerlich ist damit für den Letztverbraucher zum 1.1.93 ein echter Binnenmarkt entstanden, da er grundsätzlich überall innerhalb der EU ohne wert- und mengenmäßige Beschränkung Waren erwerben und mit nach Hause nehmen darf. Der Letztverbraucher zahlt allerdings am Ort des Kaufes die dort gültige Umsatzsteuer; ein etwaiger Grenzausgleich ist nicht vorgesehen. Da die Belastung des Umsatzes am Ort des Verkaufs erhoben wird, folgt diese Art der Besteuerung dem sogenannten Ursprungslandprinzip.

 

Für den gewerblichen Handel dagegen konnte das Ursprungslandprinzip bislang nicht verwirklicht werden. Der Handel zwischen den Unternehmern der EU-Staaten folgt seitdem eigenen Regeln. Das beruht auf zwei Umständen:

 

  • Einerseits sind innerhalb der EU die Zollgrenzen verschwunden, sodass eine Kontrolle des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs nicht mehr durch die Zollverwaltung erfolgen kann und soll.

 

  • Andererseits bestehen die Mitgliedstaaten auch weiterhin auf ihrem Besteuerungsrecht. Bei einer Warenlieferung von Deutschland nach Italien ‒ wie im Beispiel ‒ soll nicht deutsche Umsatzsteuer (dies wäre das sog. Ursprungslandprinzip), sondern nach dem sog. Bestimmungslandprinzip italienische Umsatzsteuer anfallen. Die Besteuerung soll damit im Verbrauchsstaat erfolgen.

2. Beseitigung der derzeitigen Schwachstellen durch ein endgültiges Mehrwertsteuersystem

Insgesamt gehen jedes Jahr mehr als 150.000.000.000 EUR (= 150 Milliarden EUR) an Mehrwertsteuern verloren. Schätzungen zufolge verursacht allein der grenzüberschreitende Betrug jährliche Mehrwertsteuereinbußen von rund 50 Milliarden EUR, d. h. 100 EUR pro EU-Bürger. Grenzüberschreitend tätige Unternehmen haben derzeit um 11 % höhere Kosten für die Vorschrifteneinhaltung als nur im Inland tätige Unternehmen.

 

2.1 Der Mehrwertsteuer-Aktionsplan

Die Kommission hat am 7.4.16 einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer angenommen („Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum: Zeit für Reformen“). Darin verkündete sie ihre Absicht, einen Vorschlag mit Grundsätzen für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für den grenzüberschreitenden Handel zwischen Unternehmen der Mitgliedstaaten vorzulegen. Dieser Vorschlag soll auf einer Besteuerung grenzüberschreitender Lieferungen von Gegenständen im Bestimmungsmitgliedstaat basieren.

 

Hierfür wäre es notwendig, das derzeitige System, das auf einer steuerbefreiten Lieferung im Abgangsmitgliedstaat der Gegenstände und einem steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb der Gegenstände im Bestimmungsmitgliedstaat beruht, durch ein System zu ersetzen

  • mit einer einzigen Lieferung,
  • die im Bestimmungsmitgliedstaat besteuert wird und
  • dessen Mehrwertsteuersätzen unterliegt.

 

Grundsätzlich wird die Mehrwertsteuer vom Lieferer in Rechnung gestellt werden, der in der Lage sein wird, den geltenden Mehrwertsteuersatz jedes Mitgliedstaats online über ein Webportal zu überprüfen. Falls der Erwerber der Gegenstände jedoch ein zertifizierter Steuerpflichtiger (ein von den Mitgliedstaaten anerkannter zuverlässiger Steuerpflichtiger) ist, würde die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft zur Anwendung kommen und der zertifizierte Steuerpflichtige sollte für die Lieferung innerhalb der Union mehrwertsteuerpflichtig sein.

 

Das endgültige Mehrwertsteuersystem soll zudem auf einem System der einzigen Registrierung (einzige Anlaufstelle) für Unternehmen basieren, bei der die Zahlung und der Abzug der geschuldeten Mehrwertsteuer erfolgen kann.

 

2.2 Die vier „Eckpfeiler“ der Neuregelung

Damit lassen sich vier grundlegende Prinzipien als „Eckpfeiler“ eines neuen endgültigen und gemeinsamen EU-Mehrwertsteuerraums ausmachen:

 

  • Betrugsbekämpfung: Künftig wird auf den grenzüberschreitenden Handel zwischen Unternehmen Mehrwertsteuer erhoben. Diese Art von Handel ist derzeit von der Mehrwertsteuer befreit, was skrupellose Unternehmen dazu verleitet, die Mehrwertsteuer einzuziehen und dann zu verschwinden, ohne die Mehrwertsteuer an die Regierung abzuführen.

 

  • Zentrale Anlaufstelle: Dank einer zentralen Anlaufstelle wird es einfacher für grenzüberschreitend tätige Unternehmen, ihren mehrwertsteuerlichen Pflichten nachzukommen. Unternehmer können in einem einzigen Onlineportal in ihrer eigenen Sprache und nach den gleichen Regeln und administrativen Mustern wie in ihrem Heimatland Erklärungen abgeben und Zahlungen durchführen. Die Mitgliedstaaten leiten einander dann die Mehrwertsteuer weiter, wie dies bei elektronischen Dienstleistungen bereits der Fall ist.

 

  • Größere Kohärenz: Umstellung auf das „Bestimmungslandprinzip“, bei dem der endgültige Betrag der Mehrwertsteuer stets an den Mitgliedstaat des Endverbrauchers entrichtet wird und dem in diesem Mitgliedstaat geltenden Satz entspricht. Die Kommission hat seit Langem auf dieses Ziel hingearbeitet und wird dabei von den Mitgliedstaaten unterstützt. Bei elektronischen Dienstleistungen gilt der Grundsatz bereits.

 

  • Weniger Bürokratie: Vereinfachung der Vorschriften für die Rechnungslegung, sodass die Verkäufer auch beim grenzüberschreitenden Handel Rechnungen gemäß den Vorschriften ihres eigenen Landes stellen können (keine „zusammenfassende Meldung“ mehr notwendig).

 

PRAXISTIPP | Die vorgeschlagene Reform der Mehrwertsteuer soll das System für Unternehmen einfacher machen. Das neue System soll es den europäischen Unternehmen ermöglichen, alle Vorteile des Binnenmarkts zu nutzen und auf den Weltmärkten zu bestehen. Grenzüberschreitend tätige Unternehmen haben derzeit um 11 % höhere Kosten für die Vorschrifteneinhaltung als nur im Inland tätige Unternehmen (s. o.). Diese Kosten dürften durch die Vereinfachung und Modernisierung des Mehrwertsteuersystems um schätzungsweise 1 Mrd. EUR verringert werden können.

 

2.3 Sofortmaßnahmen

Da für den Wechsel auf ein endgültiges Besteuerungssystem ein zeitlicher Vorlauf unabdingbar ist, sollen ab 2019 Sofortmaßnahmen greifen:

 

  • Einführung „zertifizierter Steuerpflichtiger“: Darunter werden vertrauenswürdige Unternehmen verstanden, die von einfacheren und zeitsparenden Vorschriften profitieren werden.

 

  • Konsignationslager (Call-off-Stock): Der Rat ersuchte die Kommission, Änderungen der geltenden Mehrwertsteuervorschriften vorzuschlagen, damit in Bezug auf Konsignationslager beim grenzüberschreitenden Handel eine Vereinfachung und einheitliche Behandlung erreicht werden kann.

 

  • MwSt-IdNr. als materielle Voraussetzung für innergemeinschaftliche Lieferungen: Der Rat ersuchte die Kommission um Vorlage eines Gesetzgebungsvorschlags mit folgendem Ziel: Die gültige MwSt-IdNr. des die Gegenstände erwerbenden Steuerpflichtigen oder der die Gegenstände erwerbenden nichtsteuerpflichtigen juristischen Person, die von einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung zugeteilt wurde, soll eine zusätzliche materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung darstellen.

 

  • Reihengeschäfte: Der Rat ersuchte die Kommission, einheitliche Kriterien und angemessene gesetzgeberische Verbesserungen vorzuschlagen, die zu mehr Rechtssicherheit und zu einer harmonisierten Anwendung der Mehrwertsteuervorschriften führen, wenn es um die Bestimmung der mehrwertsteuerlichen Behandlung der Geschäftsreihe einschließlich Dreiecksgeschäften geht.

 

  • Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung: Der Rat ersuchte die Kommission, weiterhin Möglichkeiten zu sondieren, nach denen ein gemeinsamer Rahmen empfohlener Kriterien für die Belege festgelegt werden kann, die für die Beantragung einer Steuerbefreiung von Lieferungen innergemeinschaftlich erforderlich sind.

 

Weiterführender Hinweis

  • Diese vierteilige Beitragsserie wird in den nächsten Ausgaben fortgesetzt. Im zweiten Teil werden die Details zur Einführung eines zertifizierten Steuerpflichtigen erläutert.

 

Zu den Autoren | Rüdiger Weimann ist Kooperationspartner, StB Lars Fuisting Geschäftsführer der FACHWERK Steuerberatungsgesellschaft mbH, Düsseldorf.

Quelle: Seite 122 | ID 45102866