· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Zahlung aufgrund vorzeitiger Vertragsbeendigung: echter Schadenersatz oder steuerpflichtiges Entgelt?
von RA FA Steuerrecht Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur., Partner und RAin FAin Steuerrecht Anna Zawatson, Senior Associate bei KMLZ in München
| Einen Vertrag mit Mindestbindungsfrist hat wohl nahezu jeder von uns bereits einmal abgeschlossen. Im Telekommunikationsbereich, bei Mitgliedschaften im Fitnessstudio oder beim Leasing eines Fahrzeugs sind diese alltäglich. Ausgleichszahlungen, die ein Kunde leisten muss, wenn er einen derartigen Vertrag vorzeitig beendet, sind daher nicht selten. In der Praxis führt dies regelmäßig zu Abgrenzungsproblemen und zu Streit mit der Finanzverwaltung. Denn nur soweit es sich um „echten Schadenersatz“ handelt, unterliegt die Ausgleichszahlung nicht der Umsatzsteuer. Anders wäre es, wenn die Zahlung als Entgelt für eine Leistung zu qualifizieren wäre. |
1. Wann liegt „echter Schadenersatz“ vor?
Sowohl die Rechtsprechung als auch die Finanzverwaltung fordern für die „Entgeltlichkeit“ einer Leistung, dass zwischen der Leistung als solcher und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (vgl. Abschn. 1.1 Abs. 1 S. 3 UStAE sowie BFH 5.12.07, V R 60/05, BStBl II 09, 486).
Ob ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, bestimmt sich stets nach dem zivilrechtlichen Rechtsverhältnis. Sofern zwischen den Parteien ein Vertrag besteht, nach dem sich die eine Seite zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und die andere Seite zur „Schadenersatz“-Zahlung verpflichtet, liegt ein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor (vgl. BFH 16.1.14, V R 22/13; Abschn. 1.1 Abs. 1 S. 4 UStAE).
MERKE | So sind beispielsweise Entschädigungen an den Mieter für die vorzeitige Räumung von Mieträumen durch Aufhebungsvertrag nicht als Schadenersatz, sondern als Entgelt für eine Leistung des Mieters an den Vermieter anzusehen. Dies begründet die Rechtsprechung damit, dass die Entschädigung in unmittelbarem Zusammenhang mit der vorzeitigen Räumung steht (vgl. BFH 22.5.19, XI R 20/17, BFH/NV 19, 1256 sowie Abschn. 1.3 Abs. 13 UStAE). |
Beachten Sie | Demgegenüber liegt nach einheitlicher Auffassung des BFH und der Finanzverwaltung echter, nicht steuerbarer Schadenersatz vor, wenn die Zahlung nur erfolgt, weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für einen entstandenen Schaden einzustehen hat. Als Beispiel nennt die Finanzverwaltung in Abschn. 1.3 Abs. 3 S. 1 UStAE hierfür insbesondere Vertragsstrafen, die wegen Nichterfüllung oder wegen nicht gehöriger Erfüllung geleistet werden (Abschn. 1.3 Abs. 3 S. 1 UStAE; BFH 10.7.97, V R 94/96, BStBl II 97, 707).
Ist eine Zahlung als „echter Schadenersatz“ zu qualifizieren, handelt es sich bei der Zahlung nicht um das Entgelt für eine Leistung, die der Umsatzsteuer unterliegt.
Beispielsweise regelt Abschn. 1.3 Abs. 17 S. 6 UStAE, dass Ausgleichszahlungen, die bei vorzeitiger Kündigung des Leasingvertrages zu entrichten sind, echten Schadenersatz darstellen und folglich nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Auch wenn ein Werklieferungsvertrag gekündigt oder vertraglich aufgelöst wird und auf gesetzlicher Grundlage eine Zahlung des Bestellers an den Unternehmer erfolgt, nimmt die Finanzverwaltung kein Entgelt an, soweit der Unternehmer die bereitgestellten Werkstoffe oder das teilweise vollendete Werk noch nicht an den Besteller geliefert hat (Abschn. 1.3 Abs. 5 S. 1 UStAE).
2. Bisherige Rechtsprechung des EuGH
Auch der EuGH hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit Abgrenzungsfragen in diesem Zusammenhang beschäftigen müssen. So hatte er in den Rs. „Air France-KLM“ und „Hop!Brit-Air“ entschieden, dass eine Fluggesellschaft Umsatzsteuer für solche Zahlungen abführen muss, die sie für ungenutzte Flugtickets vereinnahmt hat (EuGH 23.12.15, Air France-KLM (C-250/1) und Hop!Brit-Air (289/14).) Im zugrunde liegenden Fall hatte die Fluggesellschaft vereinnahmte Zahlungen für nicht genutzte Flugtickets nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Der Beförderungsvertrag war verbindlich und endgültig, der durch den Fluggast voll zu zahlende Ticketpreis nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht zu erstatten. Entgegen der Auffassung der Fluggesellschaft beurteilte der EuGH die Zahlungen als steuerbar und unterwarf sie der Umsatzsteuer. Die Zahlungen seien die Gegenleistung für das Recht, an dem Flug teilzunehmen, auch wenn der Fluggast dieses Recht nicht wahrnehme. Die Fluggesellschaft erbringe ihre Leistung daher bereits, sobald der Fluggast an Bord gehen kann. Nimmt der Fluggast diese Möglichkeit nicht in Anspruch, ändere sich nichts an der Natur der Zahlung.
MERKE | Noch ganz anders hatte der EuGH im Fall „Société thermale d‘Eugénie-Les-Bains“ über das sog. Angeld einer Kureinrichtung entschieden (EuGH 18.7.07, C-277/05). Im Streitfall hatte die Kureinrichtung das Angeld bei jeder Buchung erhoben. Selbst wenn der Gast die Buchung storniert hatte und das Hotelzimmer tatsächlich nicht nutzte, erstattete die Kureinrichtung das Angeld nicht zurück. Der EuGH sah in einem solchen Angeld nicht steuerbaren Schadenersatz. |
3. Aktuelle Rechtsprechung des EuGH
Erst kürzlich hat sich der EuGH mit weiteren Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit Ausgleichszahlungen beschäftigen müssen. So unterwirft der EuGH in der Rs. „Vodafone Portugal“ in Fortführung seiner Rechtsprechung zu Rs. Meo Beträge, die Kunden aufgrund vorzeitiger Vertragsbeendigung ihrem Vertragspartner gezahlt haben, der Umsatzsteuer (EuGH 22.11.18, Rs. Meo, C-295/17; EuGH 11.6.20, Rs. Vodafone Portugal, C-43/19). Auch wenn beide Entscheidungen im Zusammenhang mit Telekommunikationsunternehmen ergangen sind, haben sie auch Bedeutung für alle anderen Dienstleister, die Verträge mit Mindestbindungsfrist anbieten.
3.1 Rechtssache Meo
In der Rs. Meo erbrachte der portugiesische Anbieter Telekommunikationsdienstleistungen an Kunden in Portugal. Die Verträge sahen zum Teil Mindestbindungsfristen vor. Im Gegenzug hatte Meo diesen Kunden Vorzugskonditionen in Form von geringeren monatlichen Basispreisen gewährt.
Die Verträge mit Mindestlaufzeiten sahen vor, dass Meo bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung (z. B. weil der Kunde seiner Zahlungspflicht nicht mehr nachkommt und Meo daher den Vertrag vorzeitig kündigt) einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung hat. Diese Zahlung entsprach dem Betrag, den der Kunde bei vertragsgemäßer Fortführung des Vertrags bis zur Mindestbindungsfrist an Meo zu zahlen gehabt hätte, obwohl Meo in diesem Zeitraum keine Leistungen mehr an den Kunden erbrachte.
Der EuGH gelangte zu dem Ergebnis, dass der für die Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist von den Kunden geschuldete Betrag Entgelt für von Meo erbrachte Leistungen sei. Die Ausgleichszahlung ermögliche es Meo grundsätzlich, dieselben Einnahmen zu erzielen, wie wenn der Vertrag nicht vorzeitig aufgelöst worden wäre. Der Ausgleich stelle folglich die Gegenleistung für den Anspruch des Kunden auf Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Dienstleistungsvertrag durch Meo dar (EuGH Meo, Tz. 44). Dies gelte selbst dann, wenn der Kunde diesen Anspruch aus einem ihm zuzurechnenden Grund nicht wahrnehmen will oder kann.
Für den EuGH war von großer Bedeutung, dass sowohl die zu erbringende Leistung als auch der bei vorzeitiger Vertragsbeendigung zu entrichtende Geldbetrag bereits bei Vertragsabschluss feststanden. Die Ausgleichszahlung stelle letztlich sicher, dass Meo einen fixen Ertrag in Form einer vertraglich vorgesehenen Mindestvergütung erzielt. Auch wenn dies der primäre Zweck sei, ändere dies nichts an der Qualifizierung als Entgelt für die Leistungen von Meo. Es sei insoweit unerheblich, dass die Ausgleichszahlung dazu diene, die Kunden von einer vorzeitigen Vertragsbeendigung abzuhalten.
3.2 Rechtssache Vodafone Portugal
In der Rs. Vodafone Portugal hat der EuGH zu einem ähnlichen Sachverhalt entschieden. Auch hier gewährte die Klägerin ihren Kunden im Gegenzug für den Abschluss eines Vertrags mit Mindestlaufzeit gewisse Vorzugskonditionen (z. B. kostenlose Installation, Aktivierung von Diensten). Die Mindestlaufzeit sollte es der Klägerin kraft vertraglicher Vereinbarung ermöglichen, einen Teil der von ihr verauslagten Kosten (für Geräte, Infrastruktur und die gewährten Vorzugskonditionen) wiederzuerlangen (EuGH 11.6.20, C-43/19, Tz. 19).
Der Kunde war vertraglich verpflichtet, eine Zahlung für die vorzeitige Vertragsbeendigung zu leisten, sofern er die Mindestlaufzeit nicht einhielt und dies selbst zu vertreten hatte (z. B. weil er der Zahlungspflicht nicht nachkam und die Klägerin daher den Vertrag vorzeitig beendete). Anders als in der Rechtssache Meo war die Zahlung jedoch geringer als der Betrag, den die Klägerin bei regulärer Vertragserfüllung erhalten hätte. Die Höhe des Ausgleichs berechnete die Klägerin nach einer zuvor vertraglich festgelegten Formel, welche die gesetzlichen Vorgaben in Portugal berücksichtigte. Zum einen durfte die Zahlung die entstandenen Kosten nicht übersteigen. Zum anderen musste sie in angemessenem Verhältnis zu dem Vorteil stehen, den die Klägerin dem Kunden gewährt hatte. Dieser Vorteil war im Vertrag benannt und quantifiziert.
Auch hier stufte der EuGH die Zahlung des Kunden mit weitestgehend identischer Begründung als steuerpflichtiges Entgelt für eine Leistung der Klägerin ein. Auch wenn ‒ anders als in der Rechtssache Meo ‒ der vom Kunden zu zahlende Betrag nicht der vollen Summe entspricht, die der Kunde bis zum Ende der Mindestlaufzeit zu zahlen gehabt hätte, sei die Höhe der Zahlung bereits vertraglich festgelegt und damit als Teil des Entgelts für die Dienstleistung anzusehen, zu deren Erbringung sich die Klägerin vertraglich verpflichtet habe. Wird die Mindestbindungsfrist nicht eingehalten, müsse dieser Betrag den Monatsraten hinzugerechnet werden. Der Betrag habe einen ähnlichen Zweck wie die Monatsraten. Wirtschaftlich betrachtet erhalte die Klägerin gleichsam eine vertraglich garantierte Mindestvergütung für ihre Leistung (EuGH 11.6.20, C-43/19, Tz. 49), deren Höhe weder vom Zufall abhängig noch schwer zu quantifizieren oder gar ungewiss sei. Die Zahlung könne daher gerade nicht einer gesetzlich geschuldeten Entschädigung gleichgestellt werden.
PRAXISTIPP | Es stellt sich die Frage, worin der EuGH den Unterschied zwischen einem Angeld für ein nicht beanspruchtes Hotelzimmer und einer Ausgleichszahlung für die vorzeitige Beendigung eines Mobilfunkvertrages sieht. Der Kunde erhält sowohl in der Rs. „Société thermale d‘Eugénie-Les-Bains“ als auch in den nachfolgenden Entscheidungen des EuGH ab der vorzeitigen Vertragsbeendigung nichts mehr, was er verbrauchen könnte. Das Umsatzsteuerrecht soll jedoch stets nur die Zuwendung eines verbrauchsfähigen wirtschaftlichen Vorteils besteuern. Auf den Geldfluss alleine kommt es gerade nicht an.
Vor diesem Hintergrund gehen die jüngsten zwei Entscheidungen des EuGH u. E. deutlich zu weit (vgl. auch von Streit/Streit, UR 20, 525 ff.) und werfen Folgefragen auf. Führt alleine die Tatsache, dass das Ob und die Höhe der Zahlung für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung schon im Vertrag vorgesehen sind, zu einer Besteuerung? Sind nunmehr gesetzlich geschuldete Ausgleichszahlungen oder Vertragsstrafen ebenfalls der Umsatzsteuer zu unterwerfen? Nachdem sich die Finanzverwaltung bislang nur zu vertraglich vereinbarten Ausgleichszahlungen im Zusammenhang mit Leasingverträgen und Entschädigungen aufgrund vorzeitiger Räumung von Mieträumen durch Aufhebungsverträge geäußert hat, stellt sich die Frage, wie andere Bereiche zu behandeln sind.
Unter Wertungsgesichtspunkten wird die Sichtweise zu vertraglich vereinbarten Ausgleichszahlungen im Zusammenhang mit Leasingverträgen auch für andere Bereiche (z. B. Telekommunikationsunternehmen, Fitnessstudios oder sonstige Dienstleister) gelten. Sofern sich die Finanzverwaltung bei anderen Ausgleichszahlungen z. B. in einer Betriebsprüfung auf die Rs. Meo oder Vodafone Portugal stützen sollte, dürfte daher der UStAE, solange er nicht geändert wird, aus Vertrauensschutzgesichtspunkten einer Besteuerung entgegenstehen. Entscheidend ist jedoch ‒ wie so oft ‒ der Einzelfall. Helfen könnte die Erkenntnis, dass der EuGH in den Sachen Meo und Vodafone Portugal zu Sachverhalten entschieden hat, in denen die Ausgleichszahlung vertraglich festgelegt war. Zu einem Sachverhalt, in dem sich eine Ausgleichszahlung nur aus dem Gesetz ergibt, hat er bislang nicht entschieden. Es empfiehlt sich, vorhandene Verträge mit Mindestbindungsfrist genauer unter die Lupe zu nehmen und ggf. für die Zukunft anzupassen. |