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· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

Aktuelles zum Wiederbeschaffungswert

von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

| Verglichen mit den Reparaturkosten, dem merkantilen Minderwert und dem Restwert scheint beim Wiederbeschaffungswert relative Ruhe an der Schadensfront zu herrschen. Doch der Schein trügt. Mit zunehmender Schärfe wird derzeit auch um den Wiederbeschaffungswert gestritten. VA bringt Sie auf den neuesten Stand (Haftpflicht, Kasko nur am Rand). |

 

Übersicht / 13 Punkte zum Wiederbeschaffungswert

1. Definition Haftpflichtschaden

Wie der BGH im Taxi-Urteil vom 23.5.17, VI ZR 9/17, NJW 17, 2401 Rn. 8 bestätigt hat, gilt nach wie vor die grundlegende Definition aus dem Urteil vom 7.3.78, NJW 78, 1373: „Der nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnde Wiederbeschaffungswert eines gebrauchten Kraftfahrzeugs ist der Preis, den der Geschädigte aufwenden muss, um von einem seriösen Händler einen dem Unfallfahrzeug entsprechenden Ersatzwagen nach gründlicher technischer Überprüfung (u. U. mit Werkstattgarantie) zu erwerben.“

 

2. Definition Kasko

Nach dem Wortlaut des A.2.5.1.6 AKB ist der Wiederbeschaffungswert der Preis, den der VN am Tag des Schadensereignisses für den Erwerb eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs aufwenden muss. Abzustellen ist auf den Händler-Verkaufspreis des seriösen regionalen Gebrauchtwagenmarkts. Zur Auslegung der gängigen AKB-Klausel und zur Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts (hier: Motorrad) im Wege richterlicher Schätzung (§ 287 ZPO) s. OLG Dresden 19.9.17, 4 U 448/17, juris. Eine Sonderklausel ist Thema von OLG Dresden VersR 18, 221. Noch zu § 13 Abs. 1 AKB hat das OLG Karlsruhe entschieden: Anders als ein normaler VN kann ein Kfz-Händler bei Verlust eines Vorführwagens nur den Händlereinkaufspreis verlangen (VersR 04, 857).

 

3. Zeitwert und andere Wertbegriffe

In beiden Bereichen, Haftpflicht wie Kasko, kommt es nicht auf den Zeitwert des beschädigten Fahrzeugs an, sondern grundsätzlich auf den um die Händlerspanne höheren Händlerverkaufspreis. Auch die Begriffe Verkehrswert, Marktwert und Veräußerungswert bedeuten etwas anderes als Wiederbeschaffungswert. Dieser darf auch nicht mit dem Wiederbeschaffungsaufwand verwechselt werden. Dabei handelt es sich bekanntlich um den Wiederbeschaffungswert minus Restwert.

 

4. Gleichartigkeit des Ersatzfahrzeugs

Für den VI. Senat des BGH ist der Erwerb eines nach Typ, Alter und Erhaltungszustand dem Unfallfahrzeug genau entsprechenden Wagens „eine unentbehrliche Berechnungsgrundlage“ (NJW 82, 1864). Absolute Identität ist nicht erforderlich, im Übrigen auch illusorisch. Mit Marke, Typ und Modell liefert das beschädigte Fahrzeug die Vorlage für die Bestimmung von Gleichartigkeit.

 

Um von gleicher Art zu sein, muss das Fahrzeug zunächst von gleicher Klasse sein (Pkw/Lkw/Krad). Auch die Art des Aufbaus ‒ Limousine, SUV, Cabrio, Kombi ‒ muss gleich sein; ebenso die Antriebstechnologie. Kein Merkmal von Gleichartigkeit ist die Außenfarbe. Was für einen Pkw gilt, der durch Umbau zu einem „Unikat“ geworden ist, sagt BGH VA 10, 74 = NJW 10, 2121 ‒ Wartburg. Hinzuweisen ist ferner auf OLG Hamm r+s 19, 221: für Expeditionszwecke umgebautes Fahrzeug.

 

5. Gleichwertigkeit des Ersatzfahrzeugs

Wie stark die Gerichte bei diesem extrem schwammigen Kriterium schwanken, offenbart z. B. der Beschluss des OLG Nürnberg vom 22.7.19 (5 U 696/19, Abruf-Nr. 211078). Im Streit war nicht der Wiederbeschaffungswert als solcher, sondern die Dauer der Ersatzbeschaffung als Faktor der Bemessung des Nutzungsausfallschadens.

Ein seinem beschädigten Mercedes GLE 350d ‒ erst sechseinhalb Monate alt und keine 7.000 km gelaufen ‒ gleichwertiges Fahrzeug habe er auf dem Markt nicht finden können (Beweis: Sachverständigengutachten), weshalb er ein marken- und typgleiches Neufahrzeug (mit längerer Lieferzeit) angeschafft habe, so der Standpunkt des Klägers. Er war dem OLG zu „kleinteilig“. Um als gleichwertig zu gelten, müssten bei dem Ersatzfahrzeug nicht sämtliche Ausstattungsmerkmale vorhanden sein. Aber was ist verzichtbar? Nur Komfort-Teile oder auch Teile mit „Vitalfunktion“? Sie alle wirken auf dem Markt objektiv werterhöhend. Ohne objektivierbaren wirtschaftlichen Wert ist bei einem Pkw so gut wie nichts.

 

Alleinentscheidend sei eine „wirtschaftliche Gleichwertigkeit“ unter objektiven Gesichtspunkten, so das OLG Nürnberg unter Berufung auf BGH NJW 17, 2401 Rn. 8. In Anlehnung daran ist man um eine Präzisierung des Merkmals „gleichwertig“ bemüht, kommt aber, kein Wunder, über Leerformeln nicht hinaus. Richtig wäre gewesen, die behauptete Nicht-Beschaffbarkeit eines „gleichwertigen“ Mercedes, wie beantragt, aufzuklären. Junge Gebrauchte gibt es zwar wie Sand am Meer, aber nicht bei allen Marken und oft nur als Ex-Mietwagen, was sie, weil minderwertig (?), disqualifizieren könnte.

 

Damit das Restitutionsinteresse durch Ersatzbeschaffung voll gewahrt wird, ist in der Gleichwertigkeitsfrage grundsätzlich eine enge Sichtweise geboten, freilich nach objektiven Maßstäben. Indem der BGH allein auf eine „wirtschaftliche“ Gleichwertigkeit abhebt, stellt er, womöglich ungewollt, die Weiche nicht auf eng, sondern auf weit. Dadurch laufen Geschädigte Gefahr, mit Beträgen abgespeist zu werden, mit denen sich der Erwerb eines adäquaten Fahrzeugs nicht finanzieren lässt. Die Grenzen für eine Neupreisentschädigung (unechter TS) auszudehnen, verspricht bei Pkw keinen Erfolg. Anders sieht es bei jungen Lkw aus (vgl. LG Ulm 15.8.14, 4 O 130/13, Abruf-Nr. 143820).

6. Das Problem „gewerbliche Fahrzeuge und Sonderausstattung“

Orientierungshilfe liefert die Taxi-Entscheidung des BGH (23.5.17, VI ZR 9/17, NJW 17, 2401, Abruf-Nr. 194757). Hauptstreitpunkt war die Frage, ob der Kläger im Rahmen seiner fiktiven Totalschadensabrechnung auch fiktive Umrüstungskosten verlangen kann. Wichtig zu wissen: Das Taxi war rund 14 Jahre alt, gleichwertigen Ersatz auf dem Gebrauchtwagenmarkt (Fahrzeug mit Taxiausrüstung) gab es nicht. Anders als das LG hält der BGH die fiktiven Umrüstungskosten für ersatzfähig, sofern der Aufwand nicht unverhältnismäßig ist. M. a. W.: Die (fiktiven) Umrüstungskosten sind bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts als zusätzlicher Rechnungsposten einzustellen. Wenn dem so ist, ist die Basis für die Grenzziehung bei einer 130-Prozent-Reparatur der Gesamtwiederbeschaffungswert (inkl. Umrüstungskosten).

 

Nach den Grundsätzen der Taxi-Entscheidung des BGH sind Fälle mit sonstigen Sonderfahrzeugen zu beurteilen, etwa Fahrschul-, Rettungs- und Abschleppwagen. Ob und inwieweit sich Umbaukosten in der Wertermittlung niedergeschlagen haben, steht erfahrungsgemäß im Schadensgutachten. Sie geben auch Auskunft darüber, ob Sonderausstattungen, die unbeschädigt sind und üblicherweise in einem Ersatzfahrzeug nicht enthalten sind, in das (fiktive) Ersatzfahrzeug umgebaut werden können, ggf. mit welchem Kostenaufwand.

 

7. Das Problem Privatmarktfahrzeug

Eine der drängendsten Fragen lautet: Wie ist der Wiederbeschaffungswert eines Fahrzeugs zu bestimmen, das vom seriösen Handel nicht oder nur in kleiner Stückzahl angeboten wird? Das Durchschnittsalter von Pkw liegt derzeit bei 9,5 Jahren. Fahrzeuge in diesem Alter, mitunter schon deutlich jüngere, sind im seriösen Kfz-Handel nicht mehr vorrätig.

 

Das kann im Gutachten unter der Rubrik WBW/Umsatzsteuer nachgelesen werden, wenn es dort heißt „Privatmarktfahrzeug“ oder „USt. keine“. Sich auf dem Privatmarkt Ersatz zu beschaffen, ist einem Geschädigten aus einer Reihe von Gründen grundsätzlich nicht zuzumuten (BGH NJW 82, 1864; Eggert, FS Danzl 2017, S. 27, 32). Wie soll unter diesen Umständen der Wiederbeschaffungswert seriös ermittelt werden?

 

Dazu heißt es in der Broschüre „Kraftfahrzeugschäden und -bewertung“ des Instituts für Sachverständigenwesen (4. Aufl. 2018) in den Erläuterungen zu 9.1.1: „Bei älteren Fahrzeugen wird bei mangelnden Angeboten im Kfz-Handel auch der Privatmarkt mit zu berücksichtigen sein.“ Damit ist man bei den bekannten Börsen wie autoscout24 und mobile.de. Sie weisen indes nur Preisvorstellungen (Angebotspreise) aus, keine Abschlussbeträge. Die Differenz liegt erfahrungsgemäß bei bis zu fünf Prozent.

Noch hat der BGH keinen Lösungsweg aufgezeigt. Um den Geschädigten angemessen zu entschädigen, gibt es mehrere Lösungen. Erstens: Das nach Alter und Laufleistung nächstgelegene Händlerangebot ist maßgeblich (ggf. mit Abzug neu für alt, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass der Vorteil ein aufgedrängter ist); zweitens: höchster Privatmarktpreis statt Durchschnittsbetrag und drittens ein pauschaler Zuschlag für eine gründliche optische und technische Prüfung in einer Vertragswerkstatt zzgl. der Kosten für eine einjährige Werkstattgarantie. Vorzugswürdig ist Letzteres. Auf den niedrigeren Marktwert (Veräußerungswert) abzustellen, ist keine Lösung.

 

8. Das Problem Elektrofahrzeug

Trotz inzwischen ca. 220.000 Zulassungen haben die Gerichte, soweit ersichtlich, noch keine Gelegenheit gehabt, sich mit den Besonderheiten der Wertermittlung eines (reinen) Elektroautos zu befassen. Zwei Fragen stellen sich. Zum einen: Wie ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass vergleichbare Fahrzeuge, also junge E-Autos, noch nicht am Markt gehandelt werden? Muss der Wiederbeschaffungswert mit oder ohne Batterien ermittelt werden? Unterfragen: Ist zu unterscheiden, ob die Batterie gemietet bzw. geleast ist oder wie das Fahrzeug im Eigentum des Geschädigten steht? Kann eine unbeschädigte Batterie weiterverwendet werden?

9. Wiederbeschaffungswert und Vorschaden

Dass offene ebenso wie reparierte Vorschäden bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts zu berücksichtigen sind, steht außer Frage. Der Sachverständige muss festlegen, ob und inwieweit sie sich wertmindernd auswirken. Einzelheiten siehe OLG Düsseldorf 5.3.19, I-1 U 84/18, Abruf-Nr. 210344; OLG Saarbrücken 28.2.19, 4 U 56/18.

 

10. Die regionale Dimension

Angebote von Händlern in der Region seien bei der Wertfindung mit zu berücksichtigen, heißt es in den IfS-Leitsätzen für Schadensgutachten zu 9.1.1. Überregionale Händlerangebote sind demnach nicht von vornherein unbeachtlich. Sie haben jedoch nur eine Hilfsfunktion. Maßgeblich ist in erster Linie der regionale Markt (LG Saarbrücken 3.7.15, 13 S 26/15, Abruf-Nr. 145118). Was für die Entsorgung des Unfallwracks gilt, muss erst recht für die Versorgung mit einem Ersatzfahrzeug gelten. Wenn seine Recherche auf dem regionalen Markt (Faustformel 50 km) keine oder nur wenige Angebote ergibt, ist es nach Ansicht des LG Saarbrücken (a. a. O.) nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung auch Angebote weiter entfernt ansässiger Anbieter berücksichtigt. Was das LG für einen Gerichtssachverständigen sagt, gilt gleichermaßen für einen Privatgutachter.

 

11. Wiederbeschaffungswert und Umsatzsteuer

Nach 9.1.3 der IfS-Leitsätze muss der Sachverständige im Schadensgutachten darlegen, in welcher Höhe Umsatzsteuer in dem ermittelten Fahrzeugwert enthalten ist. Was das konkret bedeutet, steht detailliert in den Erläuterungen zu 9.1.3 mit anschließenden Angaben zu den drei Fahrzeugkategorien (regelbesteuert, differenzbesteuert, ohne USt.). All das entspricht der aktuellen BGH-Rspr. Zur Ermittlung des vom Brutto-Wiederbeschaffungswert lt. Gutachten in Abzug zu bringenden USt.-Anteils BGH 2.10.18, VI ZR 40/18, Rn. 10. Zur Konstellation Privatgutachten Differenzbesteuerung, Gegengutachten Regelbesteuerung bei übereinstimmendem Brutto-Endbetrag und Klage darauf ohne USt.-Abzug (weil Privatmarktfahrzeug) s. OLG Hamm r+s 19, 221.

 

12. Wiederbeschaffungswert nicht in jedem Schadensfall

Muss der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige den Wiederbeschaffungswert in jedem Einzelfall ermitteln und im Gutachten ausweisen oder ist das nur in bestimmten Fällen nötig, wenn ja, in welchen? Nur bei einem eindeutigen Reparaturschaden ist ein Ausweis des Wiederbeschaffungswerts (wie auch des Restwerts) entbehrlich (IfS-Leitsatz 9.2.2). Die früher in Bezug auf den Restwert praktizierte 70-Prozent-Grenze ist obsolet (BGH NJW 05, 2541). Faustformel für einen eindeutigen Reparaturschaden: Reparaturkosten unter 25 Prozent des Wiederbeschaffungswerts.

 

13. Aufgabe des Gerichts bei Höhestreit

Der Geschädigte genügt seiner Darlegungspflicht zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts durch Bezugnahme auf die Angabe in dem von ihm eingeholten und vorgelegten Schadensgutachten. Ohne eindeutige anderslautende Erklärung darf der Richter davon ausgehen, dass er sie sich zu eigen macht. Mit Nichtwissen darf der Schädiger/Versicherer nicht bestreiten. Ein Gegengutachten oder eine vergleichbare Expertise muss er nicht vorlegen. Stützt das Gericht seine Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO) auf eine vom Versicherer vorgelegte Internet-Recherche, darf der Richter nicht davon absehen, ein gerichtliches Gutachten einzuholen, ohne eigene Sachkunde darzulegen (BGH NJW 16, 1098 Rn. 19). Die erforderliche Sachkunde ist in den meisten Fällen nicht vorhanden.

 
Quelle: Seite 211 | ID 46218296