· Fachbeitrag · Unternehmensnachfolge
Aus Sicht eines Arbeitsrechtlers: Zehn häufige Probleme bei der Unternehmensnachfolge, Teil 1
| Gibt man bei Google „Unternehmensnachfolge“ ein, erscheinen über 1,5 Mio. Links. Schwerpunkte sind hierbei Vorschläge zu steuerrechtlichen Fragestellungen, erbrechtlichen Lösungen sowie Verkauf von Unternehmensteilen. Aber wo bleiben die Themen zum Arbeitsrecht? Bei der Unternehmensnachfolge geht es doch wohl auch um die ArbN? Nachfolgend zehn häufige Probleme mit entsprechenden Lösungsansätzen. |
1. Bevor es mit dem „Übergang“ losgeht, wird vergessen, die betroffenen ArbN richtig zu identifizieren
Dabei kann sich die Zuordnung zum Veräußererbetrieb objektiv aus dem Arbeitsvertrag, aus der tatsächlichen Arbeitspraxis bzw. aus der Eingliederung des ArbN in den betroffenen Betrieb oder Betriebsteil ergeben. Darüber hinaus lässt sich der Übergang des Arbeitsverhältnisses und die Anrechnung der Betriebszugehörigkeit auch durch Einigung zwischen dem Veräußerer, dem Erwerber und dem ArbN erreichen. Die Zustimmung des ArbN zu einer solchen Einigung ist wegen des Schutzcharakters des § 613a BGB zwingend. Der ArbN muss sich gegen seinen Willen nicht auf einen anderen Vertragspartner als seinen ursprünglichen ArbG einlassen.
PRAXISTIPP | Vom Schutz des § 613a BGB erfasst sind Personen, die in einem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer des Betriebs stehen. Das sind nicht automatisch alle im Betrieb Tätigen. Nicht erfasst sind zum Beispiel Selbstständige und freie Mitarbeiter, die auf Honorarbasis, auf Grundlage von Dienst- oder Werkverträgen für ein Unternehmen tätig sind. Geschützt sind aber Auszubildende, leitende Angestellte, in Teilzeit oder befristet Beschäftigte sowie Angestellte, deren Arbeitsverhältnisse vorübergehend ruhen, z. B. während der Elternzeit. |
Beim Übergang eines separaten Betriebsteils kann es schwierig sein zu beurteilen, welcher ArbN der betroffenen Organisationseinheit angehört. Dies wird zum Problem, wenn ArbN mehrfach die Abteilungen gewechselt oder aber Aufgaben für mehrere Bereiche wahrgenommen haben. Die Zuordnung muss dann im Einzelfall geprüft werden. Maßgeblich ist unter anderem, wie der alte ArbG das Direktionsrecht ausgeübt hat, und in welcher Form der ArbN in die Strukturen des ArbG eingebunden war. Der Betriebsveräußerer und der Erwerber können sich darüber einigen, wie der betroffene ArbN zu einem Betriebsteil zugeordnet wird. Dabei müssen sie den ArbN einbeziehen.
2. Haftung des Erwerbers wird „per Vertrag“ ausgeschlossen
§ 613a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB sehen als entscheidende Folge des Betriebsübergangs den Eintritt des Erwerbers des übergehenden Betriebs in die bestehenden Arbeitsverhältnisse der ArbN des Veräußererbetriebs vor. Der Erwerber übernimmt damit alle Rechte und Pflichten des bisherigen ArbG. Er ist gegenüber den ArbN weisungsbefugt und haftet umfassend für sämtliche Verbindlichkeiten, wie Vergütung, Kompensation von Überstunden, Urlaubsansprüche und ggf. Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung. Die Haftung des Erwerbers erstreckt sich nach § 613a Abs. 1 und 2 BGB uneingeschränkt auch auf Verbindlichkeiten aus der Zeit vor dem Betriebsübergang. Neben dem Erwerber haftet auch der Veräußerer eingeschränkt weiterhin gegenüber dem ArbN für Forderungen und Ansprüche, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind und vor Ablauf eines Jahres nach dem Übergang fällig werden als Gesamtschuldner. Die Haftung für solche Forderungen ist hingegen für den Veräußerer zeitanteilig bezogen auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs beschränkt.
3. Die ArbN wurden nicht ausreichend vorab informiert
Nach einer ordnungsgemäßen Unterrichtung vom Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 5 BGB in Textform auf einen Dritten als Erwerber kann der betroffene ArbN gegenüber dem Erwerber oder dem Veräußerer schriftlich innerhalb eines Monats dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen. Bei ordnungsgemäßem Widerspruch bleibt das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und dem Veräußerer zunächst bestehen. Veräußerer und Erwerber müssen beim Formulieren des Informationsschreibens besondere Sorgfalt walten lassen. Die Unterrichtung setzt die Widerspruchsfrist nämlich nur in Gang, wenn sie den Anforderungen des § 613a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 BGB entspricht.
PRAXISTIPP | Die Anforderungen der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterrichtung sind hoch. Die Umstände und Folgen des Übergangs sind konkret und unternehmensbezogen darzustellen. Nur dann kann der ArbN entscheiden, ob er das Widerspruchsrecht ausüben möchte. Fehler bei der Unterrichtung führen neben etwaigen Schadenersatzansprüchen dazu, dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen beginnt. Die betroffenen ArbN können unter Umständen dann sehr lange Zeit dem Betriebsübergang mit allen daraus resultierenden rechtlichen und tatsächlichen Konsequenzen widersprechen. |
Nach § 613a Abs. 5 BGB müssen die betroffenen ArbN vor dem Betriebsübergang schriftlich über den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, den Grund dafür, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen sowie über die für die ArbN in diesem Zusammenhang geplanten Maßnahmen unterrichtet werden. Diese Angaben kann sowohl der bisherige als auch der neue Betriebsinhaber erteilen. Diese Pflicht sollte sorgfältig erfüllt werden, da die Gerichte dem ArbG in der Praxis sehr ausführliche Informationen abverlangen. Hierbei fordert das BAG (23.7.09, 8 AZR 541/08) unter anderem, dass bei der Angabe des Rechtsgrunds des Betriebsübergangs auch diejenigen unternehmerischen Gründe offenzulegen sind, die sich beim Betriebserwerber bzw. im Fall des Widerspruchs beim Betriebsveräußerer auf den Arbeitsplatz des betroffenen ArbN auswirken. Hinsichtlich der Folgen und der geplanten Maßnahmen für die ArbN umfasst die Informationspflicht auch die Erläuterung geplanter Umstrukturierungen, Qualifizierungsmaßnahmen, etwaiger Sozialpläne usw. Erfüllen Betriebsveräußerer oder -erwerber ihre Informationspflicht nur unvollständig oder fehlerhaft, so kann diese Pflichtverletzung zum einen Schadenersatzansprüche nach § 280 BGB rechtfertigen, wenn Beschäftigen hierdurch ein konkret nachweisbarer Schaden entsteht.
Zum anderen beginnt die einmonatige Widerspruchsfrist für den ArbN nicht zu laufen. Das bedeutet, dass ein ArbN sein Widerspruchsrecht noch Monate oder gar Jahre nach dem Betriebsübergang ausüben kann. Dadurch wird er rückwirkend wieder ArbN seines alten ArbG. Letzterer kann dann aber betriebsbedingt kündigen, wenn er den ArbN in seinem Unternehmen nicht mehr beschäftigen kann.
Das Widerspruchsrecht kann verwirken, wenn sich ein ArbN zunächst auf das Bestehen seines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber beruft, dieses einvernehmlich beendet, später dann jedoch einen Widerspruch gegen den Betriebsübergang erklärt (BAG 17.10.13, 8 AZR 974/12).
4. Der Nachfolger fordert vom Veräußerer, die größten Low-Performer noch vorher zu kündigen
§ 613a Abs. 4 BGB verbietet dem früheren und dem neuen Betriebsinhaber eine Kündigung aus Anlass des Betriebsübergangs. Kündigungen aus anderen Gründen, die mit dem Betriebsübergang nichts zu tun haben, bleiben erlaubt. Insbesondere person‒ oder verhaltensbedingte Kündigungen sind nach wie vor möglich. Bei betriebsbedingten Kündigungen kommt es darauf an, ob sie gerade wegen des Übergangs ausgesprochen werden sollen, dieser also objektiv der wesentliche Grund für die Kündigung ist. Die Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB „wegen“ des Betriebsübergangs erfordert nicht zwingend einen nahen zeitlichen Zusammenhang zu dem Betriebsübergang selbst. Stets muss aber der Betriebsübergang der eigentliche Grund für die Kündigung sein, damit die Unwirksamkeit nach § 613a Abs. 4 BGB eingreift.
Eine Kündigung ist daher sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber möglich, wenn neben dem Betriebsübergang ein die Kündigung sozial rechtfertigender Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 1 KSchG besteht. Im obigen Beispiel kommt es daher darauf an, ob der Veräußerer für die Kündigung der „Low-Performer“ tatsächlich einen personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrund vor Gericht darlegen und beweisen kann, oder er nur den Willen des potenziellen Erwerbers erfüllen wollte.
5. Der Veräußerer macht mit einem ArbN Besonderheiten zum früheren Ausscheiden ab. Der Nachfolger will das nicht
Generell bleiben Regelungen und Vereinbarungen, die der alte ArbG vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs mit seinen ArbN trifft, auch gegenüber dem Betriebserwerber wirksam. Eine Grenze ist allerdings im Fall des kollusiven Zusammenwirkens von ArbN und Betriebsveräußerer zulasten des Betriebserwerbers erreicht. Darüber hinaus gelten für den Übergang eines Betriebs in der Insolvenz die besonderen Regeln der InsO.