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· Fachbeitrag · Unternehmensnachfolge und das Arbeitsrecht

Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und Betriebsrat: Was gilt bei der Übertragung größerer Betriebe?

von Dr. Guido Mareck, stellv. Direktor des AG Dortmund

| Kleine Betriebe ‒ kleine Sorgen, große Betriebe ‒ große Sorgen? Dieser abgewandelte Spruch trifft häufig zu, wenn es um einen geplanten oder bereits durchgeführten Betriebsübergang geht. Denn neben der großen Verantwortung für die Mitarbeiter geht es häufig auch um einen Betriebsrat, eine Betriebsvereinbarung oder gar um einen Tarifvertrag, den der „Neue“ bitte auch gleich beachten soll. Kompetente Steuerberater sind hier gefragt, die Antworten auf die wichtigsten Fragen des Erwerbers geben können. Und genau darum geht es im folgenden Beitrag. |

 

Frage: Muss ich nach einem Betriebserwerb auch den im Ursprungsbetrieb bestehenden Betriebsrat mit übernehmen?

 

Antwort: Das hängt von der jeweiligen Konstellation des Betriebsübergangs ab. Wechselt nur der Betriebsinhaber als natürliche oder juristische Person, verändert der Betrieb aber nicht seine Organisationsstruktur ‒ die sogenannte betriebliche Identität ‒, bleibt der im ursprünglichen Betrieb bestehende Betriebsrat bis zum Ablauf der regulären Amtszeit, die sich aus § 13 BetrVG ergibt, weiter im Amt. Er geht also mit dem übertragenden Betrieb auf den Erwerber als neuem Inhaber über.

 

Anders sieht es aus, wenn nur ein Betriebsteil aus einem bestehenden Betrieb ausgegliedert und auf einen neuen Inhaber übertragen wird. In diesen Fällen erhält der Betriebsrat des noch beim Veräußerer bestehenden Restbetriebs ein sogenanntes Übergangsmandat nach § 21a BetrVG und bleibt für den Zeitraum dessen Bestehens auch für den ausgegliederten Betriebsteil beim neuen Inhaber zuständig. Der Betriebsrat des Ursprungsbetriebs muss in diesen Fällen unverzüglich für die Einleitung von Betriebsratswahlen im ursprünglichen und im übergegangenen Teilbetrieb sorgen und Wahlvorstände bestellen.

 

Entsteht durch die Zusammenlegung von Veräußerer- und Erwerberbetrieb hingegen ein neuer eigenständiger Betrieb, endet damit die Amtszeit der Betriebsräte beider Betriebe, sofern in den ursprünglichen betrieblichen Einheiten ein Betriebsrat bestand. Aber auch in diesen Fällen ordnet § 21a BetrVG ein Übergangsmandat an. Dieses erhält der Betriebsrat, der die zuvor größere Anzahl von Arbeitnehmern repräsentiert.

 

  • Beispiel

Hatte also der veräußerte Betrieb ursprünglich 300 Arbeitnehmer und der Betrieb des Erwerbers vor der Zusammenlegung nur 200 Arbeitnehmer und bestand in beiden Ursprungsbetrieben ein Betriebsrat, erhält der Betriebsrat des Veräußererbetriebs das Übergangsmandat.

 

Frage: Bleibe ich als Erwerber an die bestehenden Betriebsvereinbarungen gebunden?

 

Antwort: Auch hier ist zu differenzieren. Wenn nur der Inhaber des Betriebs wechselt, bleibt dessen Betriebsrat weiter im Amt und die von ihm abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen bleiben erst einmal weiterhin gültig, weil die Betriebsidentität ja erhalten bleibt.

 

Frage: Wie lange bleibe ich an die Betriebsvereinbarungen gebunden? Wann kann ich sie kündigen?

 

Antwort: Natürlich kann der Erwerber mit dem quasi mit dem Betrieb auf ihn übergegangenen Betriebsrat eine neue Betriebsvereinbarung abschließen, die dann die alte Regelung ablöst. Er kann, wenn in der Betriebsvereinbarung selbst keine andere Kündigungsfrist oder Laufzeit vorgesehen ist, auch mit einer Frist von drei Monaten nach § 77 Abs. 5 BetrVG die Kündigung der Vereinbarung gegenüber dem Betriebsrat aussprechen. Dieses Vorgehen entbindet den neuen Betriebsinhaber aber nicht von der Verpflichtung, mit dem Betriebsrat Verhandlungen über eine neue Regelung zu führen.

 

MERKE | Die alte, auch wirksam gekündigte, Betriebsvereinbarung gilt nämlich gem. § 77 Abs. 6 BetrVG so lange, bis eine neue Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zustande gekommen ist.

 

Frage: Wie ist die Rechtslage bei der Betriebsvereinbarung, wenn ich als Erwerber den Ursprungsbetrieb in meinen bestehenden Betrieb vollständig eingegliedert habe?

 

Antwort: Wenn der veräußerte Betrieb unter Verlust seiner Identität eingegliedert oder aufgelöst wird, endet die Amtszeit des dort bestehenden Betriebsrats und die bestehenden alten Betriebsvereinbarungen verlieren ebenfalls ihre Gültigkeit. Gleichwohl ist dann zu beachten, dass der Inhalt dieser Regelungen nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in die individuellen Arbeitsverträge der auf den neuen Inhaber übergegangenen Arbeitnehmer transformiert wird und einer einjährigen Veränderungssperre zum Nachteil der Arbeitnehmer unterliegt, der neue Betriebsinhaber also während dieser Frist an die alten Regelungen gebunden bleibt.

 

Anderes gilt nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB aber, wenn im Erwerberbetrieb vor der Eingliederung des übergegangenen Betriebs schon eine Betriebsvereinbarung bestand, die den gleichen Regelungsgegenstand betrifft oder eine solche nach dem Betriebsübergang mit dem nun zuständigen Betriebsrat abgeschlossen wird. Eine solche regelungsidentische Betriebsvereinbarung geht der ursprünglichen Regelung ohne Rücksicht auf die Sperrfrist selbst dann vor, wenn sie ungünstiger ist.

 

Frage: Was gilt in diesem Zusammenhang, wenn nur ein Betriebsteil übertragen wurde?

 

Antwort: In dieser Konstellation bleiben die Betriebsvereinbarungen und der dort bestehende Betriebsrat weiter im Ursprungsbetrieb des Veräußerers. Besteht beim Erwerber kein Betriebsrat, so hat der Betriebsrat des Veräußererbetriebs, der den Betriebsteil übertragen hat, ein sogenanntes Übergangsmandat nach § 21a Abs. 1 BetrVG.

 

Frage: Muss ich auch die im Ursprungsbetrieb geltenden Tarifverträge anwenden?

 

Antwort: Wenn sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber und die übergegangenen Arbeitnehmer an dasselbe Tarifwerk gebunden sind, gelten dessen Normen unproblematisch weiter. Es gibt daher mehrere Konstellationen:

 

  • Erwerber und Veräußerer sind Mitglied desselben Arbeitgeberverbands: So gelten diese Tarifnormen gegenüber den Arbeitnehmern weiter, die Mitglied der den Tarifvertrag schließenden Gewerkschaft sind. Gleiches gilt auch für Tarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt worden sind und im Veräußerer- und Erwerberbetrieb Anwendung finden.

 

  • Erwerber und Veräußerer sind an unterschiedliche Tarifverträge gebunden: Es werden die Bestimmungen des ursprünglich im veräußerten Betrieb geltenden Tarifwerks durch diejenigen des im Erwerberbetrieb geltenden Tarifvertrags ersetzt. Dies gilt nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB aber nur bei beidseitiger Tarifgebundenheit des Erwerbers und der übergegangenen Arbeitnehmer. Das heißt, beide Parteien müssen Mitglied der Gewerkschaft bzw. des Arbeitgeberverbands sein, die den ablösenden Tarifvertrag abgeschlossen haben.

 

  • Es gilt im Erwerberbetrieb kein Tarifvertrag, an den der Übernehmer und die übergegangenen Arbeitnehmer gebunden sind: Hier greift § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. Das bedeutet, dass die im Ursprungsbetrieb geltenden tariflichen Regelungen zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs Inhalt der neuen Arbeitsverhältnisse zwischen dem Erwerber und den übergegangenen Arbeitnehmern werden und einer einjährigen Veränderungssperre zum Nachteil dieser Arbeitnehmer unterliegen.

 

Frage: Kann ich mit den übergegangenen Mitarbeitern trotz der Veränderungssperre einvernehmlich andere Regelungen treffen?

 

Antwort: Ja, das ist möglich. Der Erwerber kann die in die neuen mit ihm bestehenden Arbeitsverhältnisse transformierten tariflichen Altregelungen einvernehmlich durch einzelvertragliche Inbezugnahme eines anderen Tarifwerks ablösen. Dies ist aber nur einvernehmlich möglich, bei Weigerung der Arbeitnehmer gilt die Veränderungssperre.

 

Frage: Muss ich mit dem zuständigen Betriebsrat immer einen Sozialplan abschließen?

 

Antwort: Nein, ein nach §§ 112 Abs. 1, 112a Abs. 1 BetrVG erzwingbarer Sozialplan ist nur bei Vorliegen von Betriebsänderungen nach § 111 S. 3 Nr. 1 ‒ 5 BetrVG gegeben. Der Betriebsübergang nach § 613a BGB auf den neuen Betriebsinhaber stellt aber für sich genommen noch keine solche Betriebsänderung dar. Im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang vom Erwerber durchgeführte Maßnahmen können dagegen durchaus sozialplanpflichtig sein. Dies gilt in der Praxis zum einen für in diesem Kontext durchgeführte organisatorische Maßnahmen wie die Zusammenlegung oder Spaltung von ursprünglich selbstständigen Betrieben (§ 111 S. 3 Nr. 3 BetrVG) zum anderen für den im Zuge eines Betriebsübergangs oft stattfindenden Personalabbau, sofern dieser die Schwellenwerte nach § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG erreicht. Der Sozialplan dient in diesen Fällen dazu, einen Ausgleich für die Nachteile, die den betroffenen Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehen, zu schaffen und wirkt wie eine Betriebsvereinbarung.

 

Quelle: Seite 2 | ID 47040570