· Fachbeitrag · Vereinsrecht
Kann die turnusmäßige Mitgliederversammlung verschoben werden?
| Die Covid-Pandemie hat Deutschland fest im Griff. Viele Vereine, die ihre Mitgliederversammlung verschoben haben, haben immer noch ein Problem: Virtuelle Versammlungen sind nicht praktikabel. Und die schriftliche Beschlussfassung, die nach der Übergangsregelung erleichtert wurde, scheitert oft am recht hohen Beteiligungsquorum von 50 Prozent. Für viele Vereine stellt sich deshalb die Frage, ob die Mitgliederversammlung 2020 aufs nächste Jahr verschoben werden kann. VB gibt die Antwort. |
Die gesetzliche Vorgaben
Es gibt keine gesetzliche Pflicht, jedes Jahr eine Mitgliederversammlung durchzuführen. § 36 BGB verweist hier auf eventuelle Satzungsvorgaben und verlangt eine Einberufung im Übrigen nur, „wenn das Interesse des Vereins es erfordert“. Gibt es in der Satzung keine entsprechenden Vorgaben, liegt es zunächst im Ermessen des Vorstands, wann eine Versammlung einberufen wird. Mitglieder haben ein Antragsrecht. Einen rechtlichen Hebel, die Einberufung zu erzwingen, haben sie aber nur über das Minderheitenbegehren.
Verschiebung ist wahrscheinlich mehrheitsfähig
In den meisten Vereinen ist die Verschiebung der Versammlung unter den aktuellen Umständen wahrscheinlich mehrheitsfähig. Es sind oft nur einzelne Mitglieder, die damit nicht einverstanden sind. Da das BGB eine Minderheit von zehn Prozent verlangt und viele Satzungen dieses Quorum noch erhöhen, wird der Fall, dass die Mitglieder eine Versammlung erzwingen wollen und können, also die Ausnahme sein.
Mitgliederversammlung ist rein vereinsinterne Angelegenheit
Es sind auch ausschließlich die Mitglieder, die eine Einberufung verlangen können. Weder das Vereinsregister noch (bei gemeinnützigen Vereinen) das Finanzamt können hier Vorgaben machen. Auch im Fall des Minderheitenbegehrens wird die Versammlung nicht durch das Registergericht einberufen. Es ermächtigt lediglich Mitglieder dazu.
Ordentliche und außerordentliche Mitgliederversammlung
Die Mitgliederversammlung, für die die Satzung einen bestimmten Termin oder Turnus vorsieht, wird meist als „ordentliche“ Mitgliederversammlung oder Jahreshauptversammlung bezeichnet. Grundsätzlich spielt es für die Wirksamkeit von Beschlüssen keine Rolle, ob sie auf einer ordentlichen oder außerordentlichen Mitgliederversammlung gefällt worden sind. Das BGB kennt eine solche Unterscheidung ohnehin nicht.
Die Satzung kann aber vorsehen, dass bestimmte Beschlüsse nur auf einer ordentlichen Mitgliederversammlung möglich sind. In diesem Fall bleibt nur die Möglichkeit, die entsprechenden Tagesordnungspunkte auf die nächste reguläre Versammlung zu verschieben.
Satzungsregelungen zur turnusmäßigen Versammlung
Viele Satzungen enthalten eine Regelung, nach der die Mitgliederversammlung in einem bestimmten Turnus oder einem bestimmten Zeitraum des Jahres (z. B. erstes Quartal) einberufen werden muss. Hält sich der Vorstand nicht an diese Vorgabe, liegt ein Satzungsverstoß vor.
Auch in diesem Fall ergibt sich nur im Sonderfall eine Klagemöglichkeit einzelner Mitglieder, um die Satzungsvorschrift durchzusetzen. Eine solche Klage ‒ bei der das Mitglied nicht individuelle, sondern Vereinsinteressen vertritt ‒ ist vereinsrechtlich nur im Ausnahmefall zulässig. Regelmäßig sind die Mitglieder auch hier auf das Minderheitenbegehren verwiesen. Ausnahmsweise kann eine solche Mitgliederklage möglich sein, wenn
- die Satzung das Minderheitenbegehren durch ein hohes Quorum (z. B. 40 oder mehr Prozent) erheblich erschwert und
- die absolute Zahl der erforderlichen Mitglieder (bei mitgliederstarken Vereinen) sehr groß ist.
Generell wird aber die Zulässigkeit der Klage auch in diesem Fall in Frage stehen, weil meist keine Dringlichkeit besteht, die Versammlung durchzuführen und die Verschiebung nicht auf unabsehbare Zeit erfolgt.
Rechenschaftsbericht und Entlastung des Vorstands
Zu den Tagesordnungspunkten der turnusmäßigen Mitgliederversammlung gehören meist der Tätigkeitsbericht des Vorstands und seine Entlastung. Auch hier hat eine Verschiebung regelmäßig keine Bedeutung, weil die Entlastung für bestimmte Jahre jederzeit später nachgeholt werden kann.
Wirkungs der Vorstandsentlastung wird oft überschätzt
Ohnehin hat die Entlastung nur im Innenverhältnis eine rechtliche Wirkung. Sie stellt den Vorstand von eventuellen Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Verein frei. Aus der fehlenden Entlastung folgt aber noch keine Haftung. Regressansprüche müsste der Verein (d. h. die Mitgliederversammlung) erst geltend machen und den entstandenen Schaden nachweisen. Insofern wird die rechtliche Wirkung der Entlastung ohnehin oft überschätzt.
Tätigkeitsbericht kann Mitgliedern ohne MV zugänglich gemacht werden
Soweit der Tätigkeitsbericht nur informieren soll, kann er den Mitgliedern auch außerhalb der Versammlung zugänglich gemacht werden. Ohnehin sollte der Vorstand die Mitglieder rechtzeitig über die Verschiebung der Versammlung informieren und das entsprechend begründen. Weil die Hygienevorgaben zu deutlichen höheren Kosten (etwa für die Anmietung ausreichend großer Versammlungsräume) führen können, lässt sich die Verschiebung auch mit Verweis auf die Vereinsfinanzen gut begründen.
Vielfach verlangen die Finanzämter den Rechenschaftsbericht an die Mitgliederversammlung als Nachweis der gemeinnützigkeitskonformen „tatsächlichen Geschäftsführung“. Da ein daran geknüpfter Entlastungsbeschluss für das Finanzamt keine Bedeutung haben kann, darf der Vorstand auch einen Bericht einreichen, den er den Mitgliedern nicht vorgelegt hat oder zu dem keine Entlastung erteilt wurde.
Die Nachholung von Beschlüssen
Beschlüsse der Mitgliederversammlung sind nicht an bestimmte Termine oder Fristen gebunden und können deswegen nachgeholt werden. Nur die Satzung könnte hier Vorgaben machen. Es spielt deswegen grundsätzlich keine Rolle, ob z. B. die Entlastung des Vorstands ein Jahr später erfolgt.
Vorstandswahlen
Die ablaufende Amtsperiode des Vorstands ist kein zwingender Grund, eine Mitgliederversammlung einzuberufen. Nach dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ bleibt der Vorstand ‒ auch wenn die Satzung das nicht vorsieht ‒ nach Ende der Amtsperiode im Amt. Diese Regelung gilt bis Ende 2021.
Wichtig | Ein zwingender Grund zur Neuwahl wäre also nur das Ausscheiden von Vorstandsmitgliedern durch Rücktritt, Erkrankung oder Tod. Die Neuwahl wäre aber nur dann zeitnah erforderlich, wenn der Vorstand nicht mehr über die Mitglieder verfügt, die erforderlich sind, um den Verein rechtlich zu vertreten.
Haftung des Vorstands?
Grundsätzlich kann der Vorstand haften, wenn er seiner Pflicht zur Einberufung der Mitgliederversammlung nicht nachkommt und dem Verein dadurch ein Schaden entsteht. Bei der Verschiebung wird aber zunächst in Frage stehen, ob dem Verein dadurch überhaupt ein Schaden entsteht. Eventuelle Ansprüche einzelner Mitglieder richten sich hier nicht gegen den Vorstand, sondern gegen den Verein. Das gilt auch für eine gerichtliche Klage.
Der Vorstand haftet bei einer solchen Verletzung seiner Organisationspflichten nur dem Verein, nicht dem einzelnen Mitglied gegenüber. Entsprechend kann der Verein (d. h. die Mitgliederversammlung) den Vorstand auch von einer solchen Haftung freistellen. Auch hier haben also einzelne Mitglieder keinen rechtlichen Hebel, Druck auf den Vorstand auszuüben.
FAZIT | In aller Regel bleibt eine Verschiebung der jährlichen Mitgliederversammlung für Verein und Vorstand ohne Folgen. Um die Zustimmung der Mitglieder zu sichern, sollte der Vorstand die Verschiebung rechtzeitig kommunizieren und ausreichend begründen. Von Seiten der Mitglieder wird es ohnehin vielfach Bedenken gegen eine Präsenzversammlung geben, auch wenn sie nach den jeweils aktuellen Pandemievorschriften zulässig wäre. Im Sonderfall bleibt die Möglichkeit zur virtuellen Versammlung oder schriftlichen Beschlussfassung. |
Weiterführender Hinweis
- Beitrag „Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Satzungsgestaltung zu Turnus und Form der Mitgliederversammlung sowie zur Abstimmung ohne physische Versammlung“, VB 11/2020, Seite 12 → Abruf-Nr. 46943843