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· Fachbeitrag · Vergleichsmehrwert

1,5-fache Einigungsgebühr bei für den Abschluss eines Mehrvergleichs beantragter PKH

| Vor dem ArbG kommt es immer wieder zu folgender Situation: Die Parteien streiten, ob das Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufgelöst worden ist. Das Verfahren endet dann oft durch den Abschluss eines „nach Erörterung der Sach- und Rechtslage“ im Gütetermin geschlossenen Vergleichs, der neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses z. B. auch beinhaltet, ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen ‒ so auch in einem aktuellen Rechtsstreit vor dem LAG Rheinland-Pfalz. Die Frage: Wie ist abzurechnen, wenn für den Abschluss des Mehrvergleichs PKH beantragt wurde? |  

 

Sachverhalt

Das ArbG hatte den Gegenstandswert für das Verfahren auf 3.450 EUR sowie für den Vergleich 4.600 EUR festgesetzt und dem Kläger zugleich nach Vergleichsabschluss PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt.

 

Der PKH-Anwalt beantragt daraufhin nach § 49 RVG aus der Staatskasse folgende Vergütung:

 

  • Das beantragte der PKH-Anwalt

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG aus 3.450 EUR

327,60 EUR

0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG aus 1.150 EUR

   92,00 EUR

419,60 EUR

§ 15 Abs. 3 RVG: höchstens 1,3 aus 4.600 EUR

334,10 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG aus 4.600 EUR

308,40 EUR

1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1003 VV RVG aus 3.450 EUR

252,00 EUR

1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG aus 1.150 EUR

172,50 EUR

424,50 EUR

§ 15 Abs. 3 RVG: höchstens 1,5 aus 4.600 EUR

385,50 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002, VV RVG

   20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

199,12 EUR

1.247,12 EUR

 

Das Gericht setzte die Vergütung wie folgt fest:

 

  • Das setzte das ArbG fest

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG aus 3.450 EUR

327,60 EUR

0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG aus 1.150 EUR

   92,00 EUR

419,60 EUR

§ 15 Abs. 3 RVG: höchstens 1,3 aus 4.600 EUR

334,10 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG aus 4.600 EUR

308,40 EUR

1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1003 VV RVG aus 3.450 EUR

252,00 EUR

1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1003 VV RVG aus 1.150 EUR

115,00 EUR

367,00 EUR

§ 15 Abs. 3 RVG: höchstens 1,0 aus 4.600 EUR

257,00 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002, VV RVG

    20,00 EUR

19 % USt., Nr. 7008 VV RVG

174,70 EUR

1.094,20 EUR

 

MERKE | Zur Begründung der Herabsetzung der Einigungsgebühr auf 1,0 wird regelmäßig angeführt: Beantrage die Partei PKH auch für einen Mehrvergleich, führe dies, bezogen auf die nicht rechtshängigen Gegenstände des Vergleichs, zu einer Reduzierung der Einigungsgebühr auf 1,0 gemäß Nr. 1003 VV RVG (LAG Nürnberg AGS 20, 65; LAG München II JurBüro 17, 90; OLG Bamberg AGS 18, 445; LAG Rheinland-Pfalz AGS 15, 371). Denn für die Mehreinigung vor dem Gericht komme die Festsetzung einer 1,5-fachen Einigungsgebühr im Fall eines PKH-Bewilligungs- und Beiordnungsbeschlusses nur in Betracht, wenn PKH allein zur Protokollierung der Einigung beantragt und bewilligt worden sei. Wenn allerdings vor dem Gericht eine Erörterung der Sach- und Rechtslage und infolgedessen eine Einigung einschließlich Mehreinigung stattfinde und sei für die ursächliche Mitwirkung bei der Vertragsverhandlung oder für den Abschluss des Vertrags vor dem ArbG PKH beantragt und bewilligt, könne allenfalls eine 1,0-Einigungsgebühr anfallen. Zudem sei in solchen Fällen der Vergleich ausweislich des Protokolls ausdrücklich nach Erörterung der Sach- und Rechtslage geschlossen worden, sodass das Gericht wesentlich mehr getan habe, als ihn bloß zu protokollieren. Die Einigungsgebühr aus dem Mehrvergleich sei daher auf 1,0 nach Nr. 1003 VV RVG zu reduzieren.

 

Dieser Ansicht hat das LAG Rheinland-Pfalz durch Beschluss vom 8.1.20 (7 Ta 182/19, Abruf-Nr. 213896) eine Absage erteilt.

 

Die Kammer ist vielmehr der Auffassung, dass die Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert auch dann 1,5 gemäß Nr. 1000 VV RVG beträgt, wenn PKH für den Vergleichsmehrwert beantragt und der Vergleich „nach Erörterung der Sach- und Rechtslage“ geschlossen worden ist.

 

Relevanz der Entscheidung

So wie das LAG Rheinland-Pfalz haben auch entschieden: LAG Düsseldorf, AGS 14, 503; LAG Baden-Württemberg AGS 16, 323; LAG Berlin-Brandenburg RVGreport 18, 299; LAG Schleswig-Holstein 11.4.17, 5 Ta 36/17.

 

Beim Entstehen einer Einigungsgebühr ist zunächst Folgendes zu beachten:

 

  • Grundsatz: Nach Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 VV RVG entsteht eine 1,5-fache Einigungsgebühr für die Mitwirkung am Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.

 

  • Ausnahme: Nach Nr. 1003 VV RVG betragen die Gebühren nach Nr. 1000 bis 1002 VV RVG 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig ist.

 

  • Gegenausnahme: Nach Nr. 1003 Abs. 1 S. 1 VV RVG gilt dies auch (also 1,0-Einigungsgebühr), wenn ein Verfahren über die PKH anhängig ist, soweit nicht lediglich PKH
    • für ein selbstständiges Beweisverfahren oder
    • die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder
    • sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 3 RVG).

 

Die Entscheidung ist auch richtig. Zur Begründung sollten betroffene Rechtsanwälte im Rahmen der zugelassenen Beschwerde (§ 56 Abs. 2, § 33 Abs. 3 S. 2 RVG) wie folgt vortragen:

 

  • Lediglich Vergleichsprotokollierung: Die Rückausnahme in Nr. 1003 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 VV RVG ist daran geknüpft, dass ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. Der Antrag darf sich jedoch lediglich auf die Protokollierung des Vergleichs beziehen.
  •  
  • MERKE | Das Wort „lediglich“ bezieht sich dabei aber nicht auf die Tätigkeit des Gerichts (Protokollierung), sondern auf den Antrag. Der Antrag bezieht sich dann nur auf die Protokollierung des Vergleichs, wenn die Parteien im Hinblick auf den Gegenstand des Mehrvergleichs keine gerichtliche Tätigkeit beantragt haben und auch nicht beantragen wollen. Das gilt auch, wenn sich die gerichtliche Tätigkeit nicht auf die bloße Protokollierung des Mehrvergleichs beschränkt, sondern das Gericht zuvor am Aushandeln des Vergleichs mitgewirkt hat. Nach dem Wortlaut des Vergütungsverzeichnisses ist es unerheblich, ob das Gericht zuvor an dem zu protokollierenden Vergleich mitgewirkt hat oder nicht.

     
  • Keine umfassende Prüfungspflicht des Gerichts erforderlich: Anders als bei einem Antrag, der darauf gerichtet ist, PKH für die Durchführung eines streitigen Verfahrens über den Gegenstand des Mehrvergleichs zu bewilligen, bedarf es vor der Bewilligung von PKH für den Vergleichsmehrwert keiner bzw. keiner umfassenden Prüfung der Erfolgsaussichten des Klagebegehrens.
  •  
  • PRAXISTIPP | PKH für die Protokollierung eines Vergleichs ist schon zu bewilligen, wenn zu erwarten ist, dass über den Gegenstand des Mehrvergleichs ein Vergleich zustande kommt. Es kommt für die erforderliche Erfolgsaussicht also nicht darauf an, ob der Prozesspartei, wäre über den zusätzlich in den Vergleich einbezogenen Gegenstand ein Prozess geführt worden, Erfolgsaussichten zur Seite stünden oder nicht (BAG AA 12, 90; BGH FK 18, 73). Zu überprüfen ist nur, ob die Einbeziehung der außerhalb des Rechtsstreits liegenden Gegenstände in die vergleichsweise Regelung nicht mutwillig i. S. v. § 114 ZPO ist. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei muss das Gericht ohnehin bereits wegen der für den rechtshängigen Streitgegenstand beantragten PKH prüfen; der Antrag auf PKH für den Mehrvergleich führt nicht zu zusätzlichem Aufwand.

     
  • Anreiz zur Gerichtsentlastung = gesetzgeberischer Wille: Die 1,5-fache Einigungsgebühr für den Mehrwert eines Vergleichs soll einen Anreiz für Rechtsanwälte schaffen, in einem gerichtlich anhängigen Verfahren zu versuchen, auch weitere Gegenstände vergleichsweise zu regeln, um damit dem Gericht einen weiteren Rechtsstreit zu ersparen. Dieser Anreiz muss auch gelten, wenn einer Partei PKH bewilligt worden ist. Umgekehrt würde für den beigeordneten Rechtsanwalt gerade der Anreiz bestehen, weitere streitige Gegenstände gesondert anhängig zu machen.

 

  • Widerspruch-Wahlanwalt wäre bevorzugt: Gerade beim Wahlanwalt zeigt sich die Fehlerhaftigkeit der Gegenansicht. In diesem Fall besteht nämlich gerade keine Grundlage für eine Kürzung der Vergleichsgebühr, selbst wenn das Gericht intensiv am Zustandekommen des Vergleichs mitgewirkt hat.
  •  
  • MERKE | Hätte der Gesetzgeber das Ausmaß der Mitwirkung des Gerichts am Zustandekommen des Vergleichs für maßgeblich erachtet, hätte er dies konsequenterweise auch außerhalb von PKH-Anträgen zum Kürzungsgrund erklären müssen (Gerold/Schmidt/Müller/Rabe, RVG, 24. Aufl., RVG VV 1003 Rn. 46a). Folge: Es kann also nicht darauf ankommen, ob und in welchem Umfang das Gericht außerhalb eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens über den Gegenstand des Vergleichs tatsächlich an dessen Zustandekommen mitgewirkt hat.

     

Leserservice: Haben auch Sie zu dieser Problematik Erfahrungen gemacht oder gar Entscheidungen erstritten? Schreiben Sie uns (rvgprof@iww.de)! Wir werden im Rahmen unserer Berichterstattung darauf zurückkommen.

Quelle: Seite 103 | ID 46493916