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· Fachbeitrag · Vergütungsvereinbarungen

BGH zur Sittenwidrigkeit und Unangemessenheit von Vergütungsvereinbarungen

von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

| In der Praxis spielen Rechtsstreitigkeiten über abgeschlossene Vergütungsvereinbarungen eine große Rolle. Oft wird dem beklagten Rechtsanwalt vorgeworfen, dass das vereinbarte Honorar sittenwidrig bzw. unangemessen hoch ist. Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung hierzu Klartext gesprochen. |

Sachverhalt

Die Kläger beauftragten den beklagten Rechtsanwalt als auswärtigen Spezialisten, sie in einer Kindschaftssache wegen ihres Pflegekindes zu vertreten. Sie wollten die mit der Mutter des Pflegekindes und dem Jugendamt bestehenden Konflikte klären lassen. Kurz nach Mandatsübernahme teilte der Beklagte den Klägern mit, dass bei ihm bereits ein erheblicher Zeitaufwand von 9 bis 10 Stunden angefallen sei und bot ihnen an, entweder eine Honorierung nach reinem Zeitaufwand (200 EUR pro Stunde) oder pauschaliert zu vereinbaren. Gleichzeitig übermittelte der Beklagte den Klägern eine Vorschussnote über 2.580 EUR netto und kündigte an, zum kurzfristig bestimmten Termin beim Jugendamt nur nach Begleichung des Vorschusses anreisen zu wollen. Die Kläger wählten zunächst die Stundenhonorarvereinbarung und zahlten den verlangten Vorschuss.

 

Nachdem der Beklagte zwischenzeitlich den aufgelaufenen Zeitaufwand mit 4.188,68 EUR abrechnete, entschlossen sich die Kläger nachträglich dazu, nun doch das alternativ angebotene Pauschalhonorar zu vereinbaren. Sie unterzeichneten daher eine entsprechende Urkunde, wonach sich der Beklagte ein Pauschalhonorar von 20.000 EUR für die Vertretung der Kläger „in der Sache unseres Pflegekindes [...] bezüglich aller sich hieraus ergebenden Sach- und Rechtsfragen“ für die erste Instanz zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer versprechen ließ.

 

Für jede weitere Instanz sollte das Honorar besonders vereinbart werden. Der Beklagte vertrat die Kläger in einer Besprechung mit dem Jugendamt, in zwei - für die Kläger erfolgreichen - familienrechtlichen Verfahren vor dem AG und in einer Dienstaufsichtsbeschwerde.

 

Die hierfür entstandenen gesetzlichen Gebühren betrugen nach einem im Rechtsstreit eingeholten Gebührengutachten der Rechtsanwaltskammer insgesamt 3.733,03 EUR. Der Beklagte rechnete einen Gesamtbetrag von 24.581,50 EUR ab, den die Kläger vollständig bezahlten. Sie verlangten anschließend - erfolglos - die Differenz zwischen ihrer Zahlung und dem von der Kammer errechneten Gebührenbetrag zurück.

 

Der BGH hat seine Auffassung mit folgenden Leitsätzen klargestellt:

 

  • 1. Ob ein für die Sittenwidrigkeit der Honorarvereinbarung sprechendes auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar besteht, hängt davon ab, welche Vergütung nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit marktangemessen und adäquat ist. Die gesetzlichen Gebühren stellen hierbei ein Indiz dar.
  • 2. Die tatsächliche Vermutung, dass ein Honorar unangemessen hoch ist, welches die gesetzlichen Gebühren um mehr als das 5-Fache übersteigt, gilt auch für zivilrechtliche Streitigkeiten. Der Anwalt kann die Vermutung entkräften.
 

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidung klärt höchstrichterlich die immer wieder auftretende Frage der Sittenwidrigkeit von Vergütungsvereinbarungen, sowie ob und wann eine unangemessene Vergütung zugrunde liegt.

 

MERKE | Der vom BGH verwendete Terminus „Honorarvereinbarung“ entspricht nicht dem Gesetzestext. § 3a RVG spricht ausdrücklich von einer Vergütungsvereinbarung.

 

Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung gemäß § 138 Abs. 1 BGB

§ 138 Abs. 1 BGB besagt, dass ein Rechtsgeschäft nichtig ist, das gegen die guten Sitten verstößt. Dabei sind die folgenden Voraussetzungen zu erfüllen:

 

  • Sittenwidrigkeit liegt nur vor, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht. Zudem müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Sittenwidrigkeit begründen. Dies kann z. B. eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit für das eigene unangemessene Gewinnstreben sein.
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  • Wichtig | Es sind dabei stets die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zugrunde zu legen.

 

  • Für die Frage, ob ein Missverhältnis besteht, kommt es zunächst auf einen Vergleich zwischen dem objektiven Wert der beiderseitigen Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an.
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  • PRAXISHINWEIS | Entscheidend ist hierbei der sog. Marktwert, also der marktübliche Preis. Die Darlegungs- und Beweislast trägt die Partei, die sich auf Sittenwidrigkeit beruft. Der BGH unterscheidet jedoch wie folgt:

     

    • Bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung zu vermuten.
    • Liegt die Diskrepanz unterhalb dieser Grenze, liegt nur ein auffälliges Missverhältnis vor, das keine Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung begründet. Folge: Der Kläger trägt die Darlegungs- und Beweislast.
     

 

Diese Maßstäbe hat der BGH (RVG prof. 10, 91) bereits für Vergütungsvereinbarungen im Strafrecht zugrunde gelegt. Er hat sie nun auch auf ein mit einem Anwalt vereinbartes Pauschalhonorar in einem Zivilrechtsstreit angewendet.

 

Die sich hieraus für den (klagenden) Mandanten ergebende Folge ist, dass dieser bei behaupteter Sittenwidrigkeit vortragen muss, welcher Preis der vom Anwalt versprochenen Leistung üblicherweise im sonstigen Geschäftsverkehr zukommt. Dabei sind die gesetzlichen Gebühren allein oft keine ausreichende Vergleichsgrundlage für ein den Schluss auf eine Sittenwidrigkeit ermöglichendes Missverhältnis. Deshalb genügt für sich genommen auch das mehrfache Überschreiten der gesetzlichen Gebühren nicht, um den Schluss auf ein auffälliges oder gar besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne des § 138 BGB ziehen zu können.

 

Etwas anderes gilt nur dann, wenn aufgrund der Höhe der gesetzlichen Gebühren im Allgemeinen davon ausgegangen werden muss, dass sie auch den erforderlichen Aufwand angemessen vergüten.

 

  • Übersicht: Anhaltspunkte, die für Sittenwidrigkeit maßgebend sind
  • Es ist stets der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen: Eine aufwandsangemessene Vergütung verletzt daher die guten Sitten nicht.

 

  • Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, angemessen sein: Dies gilt erst recht, wenn sich die Höhe der Gebühren nach einem Gegenstandswert richtet, der unabhängig von der Schwierigkeit der Sache und dem erforderlichen Aufwand ist, weil das Gesetz einen Fest- oder Regelbetrag vorsieht (hier: 3.000 EUR, § 45 Abs. 1 FamGKG).

 

  • Bei hohen Streitwerten kann u. U. schon aus der Überschreitung der gesetzlichen Gebühren auf ein auffälliges oder besonders grobes Missverhältnis geschlossen werden, wenn die Tätigkeit bereits durch die gesetzlichen Gebühren angemessen abgegolten wäre.
 

Darlegungs- und Beweislast

Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig, und sich hierzu auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss also nicht nur dartun, dass die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren überschreitet. Er muss auch darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist.

 

Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das Honorar deutlich überschreitet, das für die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach dem konkreten Mandat im Gegenzug zu leistende anwaltliche Tätigkeit objektiv angemessen ist, liegt ein auffälliges Missverhältnis vor.

 

Übersteigt sie das angemessene, adäquate Honorar in krasser Weise, liegt ein besonders grobes Missverhältnis vor, aus dem auf die verwerfliche Gesinnung des Rechtsanwalts geschlossen werden kann.

 

Für die Frage, welche Vergütung im konkreten Fall marktangemessen ist, muss das Gericht alle für und gegen ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar sprechenden Indizien im jeweiligen Einzelfall würdigen. Welches Gewicht im Rahmen der Würdigung der Indizien dabei dem Verhältnis zwischen gesetzlichen Gebühren und vereinbarten Gebühren zukommt, hängt davon ab, inwieweit bereits im Einzelfall aufgrund der Höhe der gesetzlichen Gebühren eine aufwandsangemessene, adäquate Vergütung für das konkrete Mandat erfolgt.

 

Haben die Parteien - wie im Streitfall - ein Pauschalhonorar vereinbart, ist zudem das Risiko zu berücksichtigen, ob der sich nach den versprochenen anwaltlichen Leistungen voraussichtlich unter Abwägung der mit der Pauschalierung verbundenen Risiken ergebende hypothetische Stundensatz marktangemessen und üblich ist.

 

Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung gemäß § 138 Abs. 2 BGB

Für den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB genügt nach Ansicht des BGH ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung allein nicht. Erforderlich ist darüber hinaus, dass der Gläubiger die beim Schuldner bestehende, von § 138 Abs. 2 BGB näher bestimmte Schwäche-situation ausgenutzt hat. Dieser Ausbeutungsvorsatz kann bei § 138 Abs. 2 BGB nicht allein aus dem auffälligen Missverhältnis gefolgert werden.

 

Die in § 138 Abs. 2 BGB geregelten Fälle (Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) konnten die Kläger im konkreten Fall nicht darlegen. Eine Zwangslage käme nur in Betracht, wenn für die Kläger wegen einer erheblichen Bedrängnis ein zwingender Bedarf nach der anwaltlichen Beratung bestand. Es müssen dem Betroffenen schwere Nachteile drohen.

 

Unangemessene Vergütung: Herabsetzung möglich

Das von einem Rechtsanwalt vereinbarte Honorar ist unangemessen hoch, wenn er sich ein Honorar versprechen lässt, das unter Berücksichtigung aller Umstände nicht mehr einem sachgerechten Interessenausgleich entspricht. Die in der BGH-Rechtsprechung (RVG prof. 10, 91) für die Honorare von Strafverteidigern aufgestellte Vermutung, dass dies der Fall ist, wenn das Honorar die gesetzlichen Gebühren um mehr als das 5-Fache übersteigt, gilt auch für Honorare in zivilrechtlichen Streitigkeiten.

 

Hier hatte der Anwalt rund 107 Stunden für das Mandat gearbeitet. Damit entsprach sein Pauschalhonorar einem Stundenhonorar von unter 200 EUR und war damit nicht unangemessen hoch.

 

MERKE | Die Vermutung der Unangemessenheit führt dazu, dass der Anwalt darlegen und beweisen muss, dass und in welchem Umfang das vereinbarte Honorar für das konkrete Mandat angemessen ist. Anders als im Fall des § 138 Abs. 1 BGB sind dabei die Maßstäbe des Marktes nicht der entscheidende Bezugspunkt für die Angemessenheit im Sinne des § 3a Abs. 2 S. 1 RVG. Vielmehr kommt es darauf an, ob die vereinbarte Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände gemäß § 14 Abs. 1 RVG angemessen ist. Entscheidend ist daher insbesondere:

 

  • die Schwierigkeit der Sache,
  • der Umfang der Sache,
  • die Bedeutung der Sache für den Auftraggeber,
  • das Ziel, das der Auftraggeber mit dem Auftrag anstrebt,
  • in welchem Umfang das Ziel des Auftraggebers durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts erreicht worden ist, d. h. wie weit das Ergebnis tatsächlich und rechtlich als Erfolg des Rechtsanwalts anzusehen ist,
  • die Stellung des Rechtsanwalts (Spezialist) und
  • die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers.

 

Für eine Herabsetzung ist danach nur Raum, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände unerträglich und mit den Grundsätzen des § 242 BGB unvereinbar wäre, den Mandanten an seinem Honorarversprechen festzuhalten. Maßgeblich ist hierbei der Zeitpunkt der Beendigung des Mandats.

 

Aus all dem folgt:

 

  • Ist eine vereinbarte Vergütung gemäß § 138 BGB sittenwidrig, ist die Vergütungsvereinbarung nichtig. Es besteht nur ein Anspruch auf die gesetzlichen Gebühren.

 

  • Ist das vereinbarte Honorar unangemessen hoch, ist es nach § 3a Abs. 2 S. 1 RVG auf den angemessenen Betrag herabzusetzen.
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Weiterführende Hinweise

  • Formale Anforderungen an Vergütungsvereinbarungen, RVG prof. 16, 88
  • Verteidigerhonorar: Angemessenheit trotz Überschreitung des fünffachen Gebührensatzes, RVG prof. 10, 91
  • Erfolgshonorar - was ist eigentlich erlaubt? (mit Checkliste und Musterformulierung), RVG prof. 14, 124
  • Vergütungsvereinbarung - was muss der Mandant nach Kündigung des Mandatsverhältnisses zahlen?, RVG prof. 13, 139
  • Vergütungsvereinbarung - formwirksamer Abschluss einer Vergütungsvereinbarung: E-Mail genügt (mit Checkliste), RVG prof. 13, 58
  • Vereinbarung von Erfolgshonoraren (mit Checklisten und Musterformulierung), RVG prof. 10, 103
  • Worauf Sie bei der Vergütungsvereinbarung für außergerichtliche Vertretung achten müssen (mit Praxistipps und Musterformulierungen), RVG prof. 09, 81
Quelle: Seite 28 | ID 44442358