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· Fachbeitrag · Verhaltensbedingte Kündigung

Fristlose Kündigung eines bereits freigestellten leitenden Angestellten

| Weder die im Zusammenhang mit einer ausgesprochenen ordentlichen Kündigung erklärte unwiderrufliche Freistellung noch die Möglichkeit, sich von einem leitenden Angestellten durch einseitigen Auflösungsantrag gegen Zahlung einer Abfindung zu trennen, schließen eine fristlose Kündigung von vornherein aus. Liegen besondere Umstände vor, kann es dem ArbG unzumutbar sein, die ordentliche Kündigungsfrist abzuwarten. |

 

Sachverhalt

Der ArbN ist 38 Jahre alt, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 15.6.12 beim ArbG, der ein Unternehmen für Industrieservice und -montage betreibt, als Projektleiter für die Bereiche Personalmanagement und Kundenservice beschäftigt. Zuletzt erzielte er ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.200 EUR zuzüglich eines geldwerten Vorteils durch Überlassung eines Dienstwagens in Höhe von knapp über 696 EUR.

 

Am 26.2.16, zugegangen am 29.2.16, kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.3.16. Acht Tage später, am 7.3.16, kündigte er das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich mit der Begründung, der ArbN habe die Kollegin G und die Mitarbeiterin U sexuell belästigt. Der ArbN trug vor, er habe sich keiner sexuellen Belästigung schuldig gemacht. Er gehe davon aus, dass seine freundschaftliche und humorvolle Art missinterpretiert worden sei. Er habe sich G nie auf eine nur kurze Distanz genähert. Nie habe er davon gesprochen, er wolle sie „vernaschen“. Auch die Zeugin U habe er nicht belästigt.

 

Der ArbG trug vor, der ArbN habe die Kolleginnen G und U mehrfach sexuell belästigt. Unter anderem gehe es um die folgenden Vorkommnisse:

 

  • Seit dem Jahr 2015 habe der ArbN der Zeugin U anzügliche Witze und Bilder auf seinem Mobiltelefon gezeigt, obwohl die Zeugin zum Ausdruck gebracht habe, dass ihr das unangenehm sei.
  • Im Jahr 2015 habe der ArbN der Zeugin mit dem Hinweis, das sei doch etwas für sie, ein Video mit kopulierenden Affen gezeigt.
  • Ebenfalls im Jahr 2015 habe er von einer Pilzinfektion im Intimbereich berichtet und der Zeugin U angeboten, diese in Augenschein zu nehmen.
  • Wenn die Zeugin G im Zimmer der Frau U gewesen sei, sei er dazu gekommen und habe so getan als rieche er an der Zeugin G. Er habe sich hinter die Zeugin gestellt, mit der Hüfte kreisende Bewegungen ausgeführt und in anzüglicher Manier mit der Zunge die Lippen befeuchtet.
  • Das sei auch noch im Jahr 2016 geschehen. Er habe sich das Foto der Bewerberin angeschaut und den Zeuginnen gegenüber zum Ausdruck gebracht, er wolle sie gerne „vernaschen“.
  • In Anwesenheit der Zeugin G habe er sich im Jahre 2015 in den Schritt gefasst und sie aufgefordert, auf seinen Schoß zu kommen.
  • Im Jahr 2016, kurz vor der Kündigung, habe er seinen Pullover hochgeschoben, er habe seine Brustwarzen massiert oder jedenfalls so getan, als täte er es, habe seine Lippen mit der Zunge befeuchtet und mitgeteilt, es sei nun der Zeitpunkt gekommen, an dem man intim werden könne.

 

Vor dem Arbeitsgericht Aachen scheiterte die Kündigungsschutzklage des ArbN.

 

Entscheidungsgründe

Die 6. Kammer des LAG Köln (2.3.18, 6 Sa 952/17, Abruf-Nr. 201117) führte aus, das Arbeitsverhältnis endete durch die fristlose Kündigung der ArbG. Die dauerhafte und intensive sexuelle Belästigung der Zeuginnen G und U durch den ArbN sei durch die vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme bewiesen worden. Es seien keine Tatsachen ersichtlich, die eine Wiederholung der Beweisaufnahme rechtfertigen würden. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei mit dem Ausspruch der Kündigung am 7.3.16 vom ArbG gewahrt worden.

 

Eine Abmahnung sei als milderes Mittel nicht in Betracht gekommen. Weder die unwiderrufliche Freistellung noch die Möglichkeit einer rechtssicheren Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Auflösungsantrag gegenüber dem ArbN als leitendem Angestellten, führe im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu einer Unwirksamkeit der Kündigung. Das Fehlverhalten des ArbN wiege so schwer, dass eine Hinnahme durch die ArbG offensichtlich ausgeschlossen gewesen sei. Es handele sich vorliegend nicht um einen einmaligen „Ausrutscher“, ein Fehlverhalten „bei Gelegenheit“ oder um die Folge eines ungesteuerten Handlungsimpulses.

 

Die dauerhafte und intensive sexuelle Belästigung der Zeuginnen G und U durch den ArbN sei durch die vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme bewiesen worden. Aus den Bekundungen der Zeuginnen ergäben sich widerspruchsfrei die Tatsachen, die die ArbG zur Begründung der fristlosen Kündigung vorgetragen hätte. Der ArbN habe

  • über mehrere Jahre hinweg anzügliche Witze erzählt und den Zeuginnen trotz deren Protestes anzügliche Bilder auf dem Mobiltelefon gezeigt;
  • ein Video auf dem Mobiltelefon mit kopulierenden Affen vorgeführt und kommentiert, das sei etwas für sie, die Zeugin;
  • angeboten, die Pilzinfektion in seinem Intimbereich der Zeugin zu zeigen;
  • angeboten, ihn „zu nehmen“, er biete ihr seinen „Astralkörper“ an;
  • an der Zeugin gerochen und den Wunsch geäußert, sie „zu vernaschen“;
  • kreisende Hüftbewegungen hinter der Zeugin ausgeführt in Anwesenheit der anderen Zeugin;
  • von sexuellen Fantasien geredet und geäußert, er wolle die Zeuginnen oder Dritte „vernaschen“;
  • sich in den Schritt gefasst und die Zeugin aufgefordert, sich auf den Schoß zu setzen;
  • den Pullover hochgeschoben, angedeutet, die eigene Brustwarze zu massieren und festgestellt, es sei der Zeitpunkt für Intimitäten gekommen;
  • Umarmungen eingefordert „und das Ganze nackt.“

 

Die Interessenabwägung gemäß § 626 Abs. 1 BGB falle zum Nachteil des ArbN aus. Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie sei „an sich“ als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

 

Überwiegende Interessen des ArbN seien nicht ersichtlich. Er sei mit 38 Lebensjahren verhältnismäßig jung und mit seinen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei er keine 4 Jahre beim ArbG beschäftigt gewesen. Zugunsten des ArbN sprächen lediglich seine Unterhaltspflichten. Diese Faktoren träten aber zurück im Angesicht der massiven Pflichtverletzungen.

 

Die Ausführungen des ArbN, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei dem ArbG zumutbar gewesen, weil sich die Parteien durch die ordentliche Kündigung und die unwiderrufliche Freistellung bereits endgültig getrennt hätten, überzeugten nicht. Die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu einem wesentlich später liegenden Zeitpunkt stelle auch bei einer Freistellung des ArbN gerade keine endgültige Trennung dar. Die Pflicht des ArbG zur Gehaltszahlung, die bei einer berechtigten fristlosen Kündigung wegfiele, sei ebenso zu berücksichtigen wie die nach wie vor bestehenden Nebenpflichten des ArbN und die etwa bestehende Gefahr, dass der ArbN trotz der Freistellung unter Berufung auf das nach wie vor bestehende Arbeitsverhältnis weitere Pflichtverletzungen begehen könnte.

 

Gleiches gelte für die zwischen den Parteien streitige Möglichkeit für den ArbG, sich mit einem Auflösungsantrag vom ArbN zu trennen. Selbst wenn dieser tatsächlich ein leitender Angestellter gewesen sei und somit ein Auflösungsantrag ohne Begründung möglich sei, sei es dem ArbG angesichts der Schwere des Vertrauensverstoßes nicht zumutbar, den Ablauf der Kündigungsfrist unter Vergütungszahlung abzuwarten noch eine Abfindung gemäß § 10 KSchG zu zahlen.

 

Relevanz für die Praxis

Zwar kann der ArbG das Arbeitsverhältnis mit einem leitenden Angestellten, der ja in seinem Lager steht, nach einer ordentlichen Kündigung auch bei erfolgreicher Kündigungsschutzklage durch Auflösungsantrag auch gegen dessen Willen beenden. Diese Möglichkeit schließt aber bei schweren, später bekannt gewordenen Verfehlungen den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht aus.

 

Weiterführende Hinweise

  • Wie ein „Spontan-Urlaub“ nach Mallorca direkt zur Kündigung führte: LAG Düsseldorf in AA 18, 1328
  • Holocaust relativiert = fristlose Kündigung: Arbeitsgericht Hamburg in AA 18, 82
  • Beleidigung auf Facebook ist nicht automatisch Kündigungsgrund: LAG Baden-Württemberg in AA 17, 5
Quelle: Seite 149 | ID 45453976