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· Fachbeitrag · Verkehrsunfallprozess

Aktuelle Probleme der Streitverkündung und Streithilfe im Verkehrsunfallprozess

von VRiOLG a. D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

| „Haftungsfalle Streitverkündung“ warnt Inga Willems in NJW-aktuell 8/2011, S. 16. Das Unterlassen kann ein Anwaltsfehler sein. Pflichtwidrig, zumindest prozesstaktisch unklug kann es andererseits sein, durch eine Streitverkündung die Beteiligung eines Dritten zu provozieren. Auf der Passivseite ist es in Fällen mit Manipulationsverdacht die Regel, dass der VR auch als Streithelfer am Prozess teilnimmt. VA bringt Sie in Sachen Streitverkündung/Streithilfe auf den neuesten Stand der Rechtsprechung. |

 

Arbeitshilfe 1 / Streitverkündung durch Geschädigten/Rechtsnachfolger

Die beiden Hauptgründe für eine Streitverkündung durch den Kläger (Geschädigten) bzw. durch seinen Rechtsnachfolger (auch durch einen Prozessstandschafter) sind:

 

  • die Streithilfe- (Interventions)Wirkung nach §§ 74, 68 ZPO, d.h. der Empfänger der Streitverkündung soll sich in einem Folgeprozess nicht darauf berufen können, dass der Vorprozess unrichtig entschieden sei.
  • die Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB.

 

Praxisbeispiele | für eine Streitverkündung bei Aktivmandaten:

  • an den Autovermieter bei einer Klage auf Ersatz angeblich überhöhter Mietwagenkosten (Zulässigkeit des Vermieterbeitritts bejahend AG Borna 5.3.14, 3 C 1141/13, Abruf-Nr. 142361; für Unzulässigkeit aus formalen und inhaltlichen Gründen AG Haßfurt NJW-RR 14, 466),
  • an den Sachverständigen als Schadensgutachter bei einer Klage auf Kostenersatz mit Streit über die Honorarhöhe. Kein Dritter i.S.d. § 72 Abs. 2 ZPO ist der gerichtlich bestellte Sachverständige, eine Streitverkündung an ihn mithin unzulässig (§ 72 Abs. 2 ZPO). Abweichende Rspr. aus der Zeit vor dem 31.12.06 ist überholt.

 

Unzulässig ist eine Streitverkündung hinsichtlich solcher Ansprüche, für die aus Sicht des Geschädigten (Streitverkünders) im Zeitpunkt der Streitverkündung eine gesamtschuldnerische Haftung des/der Beklagten und des Dritten in Betracht kommt (BGH NJW 08, 519). Denn wer gleich mitverklagt werden und mitverlieren kann, ist für eine Streitverkündung grds. der falsche Adressat.

 

Beispiel | Bei einem Unfall mit nur einem einzigen Schädiger, z.B. Auffahrunfall, liegt die gesamtschuldnerische Haftung von Halter/Fahrer/VR auf der Hand. Einem von ihnen den Streit (nur) zu verkünden, ist nicht zulässig. Ausnahmen: ungleicher Haftungsumfang wegen Höhebegrenzung, Direktklage gegen ausländischen VR vor dem Wohnsitzgericht ohne intern. Zuständigkeit für Klage gegen Fahrer/Halter, s. LG Dortmund VA 14, 149 (in diesem Heft).

 

Unfälle mit mehreren Beteiligten (z.B. Kettenauffahrunfall): Auch hier kommt häufig eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht (§ 840 Abs. 1 BGB). Eine Streitverkündung scheidet dann meistens aus. Dafür ist der Weg frei, wenn der Geschädigte sich im Augenblick der Streitverkündung nach Lage der Dinge sagen darf, dass der Dritte nicht nur als Gesamt-, sondern auch als Alternativschuldner infrage kommt.

 

Beispiel | Erst- und Zweitunfall mit mutmaßlicher Hauptverantwortung des Zweitschädigers aber möglicher Ersatzpflicht des Erstschädigers (OLG Saarbrücken NZV 99, 510).

Weiteres Beispiel | Nachfolgender ärztlicher Behandlungsfehler mit Verschlimmerung der Unfallfolgen. Der Unfallverursacher (Erstschädiger) haftet, von Ausnahmefällen abgesehen, für den Mehrschaden als Gesamtschuldner mit, sodass bei einer Klage gegen den Arzt eine Streitverkündung an ihn und seinen VR unzulässig wäre (s. aber auch OLG Hamm NJW 96, 789 mit doppelter Streitverkündung im Vorprozess Geschädigter/Arzt). Im Fall einer Klage gegen den Erstschädiger/VR dürfte dagegen ein hinreichender Grund für eine Streitverkündung an den Arzt gegeben sein, weil dieser nur für den Mehrschaden haftet (und dies selbst bei schuldhafter Mitverursachung des Unfalls durch den Geschädigten in vollem Umfang).  

 

Klagen von Leasinggebern und Kreditinstituten: Hier stellt sich die Frage, ob dem Vertragspartner und/oder dem Fahrer des eigenen Fahrzeugs der Streit verkündet werden kann, ggf. auch dem KH- und/oder dem Kasko-VR. Maßgebend ist die Sicht des LG/der Bank im Zeitpunkt der Streitverkündung. Mit einem ungünstigen Prozessausgang als Streitverkündungsgrund muss ein LG/der Bank als Eigentümer ohne Haltereigenschaft (nur) rechnen, wenn die Gegenseite nicht aus Delikt haftet (incl. § 831 BGB) und andererseits dem Fahrer des eigenen Kfz ein unfallursächliches Verschulden nachzuweisen ist. Im Übrigen ist 100:0 pro LG/Bank programmiert, eine Streitverkündung zumindest unnötig. Unzulässig ist sie, wenn im Zeitpunkt der Streitverkündung (Zustellung) aus Sicht des LG/der Bank konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung der „eigenen“ Seite bestehen.

 

Nach §§ 7, 18 StVG ist eine Haftung von Halter bzw. Fahrer des eigenen Kfz von vornherein ausgeschlossen (BGH VA 11, 55), sodass eine Gesamtschuld mit dem Unfallgegner/VR unter diesem Blickwinkel ausscheidet. Eine Gesamtschuld zwischen Unfallgegner und der eigenen Seite besteht dagegen, wenn diese nach §§ 823, 831 BGB haftet (§ 840 BGB). Etwaige vertragliche Ansprüche des LG gegen den LN/Halter sollen mangels Gleichstufigkeit mit den Ansprüchen aus Gefährdungshaftung keine Gesamtschuld zwischen Halter und Haftpflicht-VR begründen (Diederichsen, DAR 11, 306; abw. LG Münster VA 11, 109 - Bankfinanzierung/SÜ; Riedmeyer, DAR-Extra 12, 746). Wegen der subjektiv vorhandenen Unsicherheit in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht (im Moment der Streitverkündung ungeklärter Unfallhergang) bestehen gegen eine Streitverkündung i.d.R. keine Zulässigkeitsbedenken.

 

 

Arbeitshilfe 2 / Streitverkündung/Streithilfe durch Schädiger/KH-Versicherer

Auf der Passivseite ist es in erster Linie die Regressperspektive, unter der eine Streitverkündung zu sehen ist.

 

Beispiel | Klage eines LG wegen Beschädigung eines Leasingautos gegen den gegnerischen Unfallverursacher und dessen VR. Um für den Fall einer 100-Prozent-Verurteilung (so bei deliktischer Haftung) den LN/Halter am Schaden beteiligen zu können, ist eine Streitverkündung ratsam. Näheres zum Gesamtschuldnerausgleich in Leasingfällen bei Riedmeyer, DAR-Extra 12, 745 f.; Lemcke, r+s 11, 373. Zum gleichfalls komplizierten Innenausgleich in Anhängerfällen Lemcke a.a.O.; zur Interventionswirkung (teilbar oder unteilbar?) s. OLG Celle 12.3.08, 14 U 108/07, juris (insoweit durch OLG Celle DAR 13, 329 nicht aufgegeben). Bevorzugte Kandidaten für eine regressabsichernde Streitverkündung in Höhestreitigkeiten: Sachverständige, Autovermieter, Abschleppdienste und Werkstätten (zu deren Haftung aus Vertrag zugunsten Dritter, hier: Haftpflicht-VR, s. Eggert, NZV 09, 367).

 

Den Regressanspruch vor Verjährung zu schützen, kann ein weiteres Motiv für eine Streitverkündung sein. Zur Verjährungsproblematik s. BGH NJW 10, 60 und NJW 10, 62.

 

Sonderfall Unfallmanipulation. Keine Streitverkündung, sondern direkter Beitritt ist angesagt, wenn der beklagte KH-VR sich im Haftpflichtprozess mit dem Einwand der Unfallmanipulation verteidigen will. Dass er - auch in seiner Eigenschaft als Direktbeklagter (§ 115 Abs. 1 VVG) - als Streithelfer zuzulassen ist, ist allgemein anerkannt (BGH VersR 12, 434). Da der Anwalt des VR nicht für verschiedene Personen tätig wird, sondern nur für eine Partei (VR) in unterschiedlichen Rollen, steht ihm ein Anspruch auf eine erhöhte Gebühr nach Nr. 1008 RVG-VV nicht zu (BGH VA 10, 41 = NJW 10, 1377).

Nach Ansicht des BGH (VersR 12, 434) ist der VR ein streitgenössischer Nebenintervenient gem. §§ 61, 69 ZPO. Als solcher unterliegt er nicht den Schranken des § 67 Hs. 2 ZPO. So kann er z.B. gegen den Willen der Hauptpartei ein Rechtsmittel durchführen (BGH a.a.O.). Achtung! Anders als im Fall der unselbstständigen (einfachen) Streithilfe beginnt die Rechtsmittelfrist bei selbstständiger (streitgenössischer) Streithilfe nicht mit Zustellung des Urteils an die unterstützte Hauptpartei. Abzustellen ist auf die Zustellung an den Streithelfer selbst (Zöller/Vollkommer, § 69 Rn. 7). Überholt ist die Rspr. von Instanzgerichten, die unter der Prämisse einer einfachen Streithilfe Prozesshandlungen des VR jeweils auf Widerspruchsfreiheit abgeklopft haben (z.B. OLG Düsseldorf VersR 04, 1020; OLG Celle OLGR 02, 88). Zum „unlösbaren“ Interessenkonflikt zwischen einerseits dem VR/Anwalt und andererseits dem VN aktuell OLG München 14.3.14, 10 U 4774/13, Abruf-Nr. 142362. Praktische Konsequenzen u.a.: VN hat Recht auf eigenen Anwalt, der vom VR finanziert werden muss (BGH NJW 11, 377). Zum Anspruch auf Vorschuss AG Wipperfürth VA 14, 93. Eine Anhörung des anwaltlich nicht vertretenen Fahrers nach § 137 Abs. 4, 141 ZPO ist unzulässig (OLG München a.a.O.).

 

 

Arbeitshilfe 3 / Verjährungsrechtliche Probleme der Streitverkündung

Ausgangslage: Nur eine zulässige Streitverkündung kann die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB hemmen (BGH NJW 08, 519). Das gilt selbst dann, wenn der Streitverkündete dem Rechtsstreit beigetreten ist. Auch in diesem Fall hat der Richter des Folgeprozesses auf die Verjährungseinrede des Beklagten (= Streitverkündeten) zu prüfen, ob die Streitverkündung zulässig gewesen ist (BGH NJW 08, 519). Sie muss den Anforderungen der §§ 72, 73 ZPO genügen. Insbesondere muss außer der momentanen Lage des Verfahrens der Grund der Streitverkündung angegeben werden. Zum Konkretisierungsgebot s. BGH NJW 12, 674.

 

Umfang der Hemmung: Sie tritt nur im Hinblick auf den genannten Grund ein (BGH NJW 12, 674: Bausache; s. auch OLG Celle 12.3.08, 14 U 108/07, juris: Gespannunfall).

 

Beginn der Hemmung: Grundsätzlich mit Zustellung der Streitverkündungsschrift. Bei einer „Demnächst-Zustellung“ ist der Eingang bei Gericht maßgebend (§ 167 ZPO). Dies auch dann, wenn im Zeitpunkt der demnächst erfolgten Zustellung der Anspruch noch nicht verjährt gewesen ist (BGH NJW 10, 856).

 

Ende der Hemmung: § 204 Abs. 2 S. 1 BGB (dazu BGH NJW 12, 3087).

 

 

Arbeitshilfe 4 / Weitere Praxisprobleme

Kostenentscheidung vergessen. Ein häufig vorkommender Fehler ist, dass in der Kostenentscheidung eines Urteils oder in einem Kostenbeschluss, z.B. nach § 516 Abs. 3 ZPO, entgegen § 101 ZPO vergessen wird, über die Kosten der Streithilfe zu entscheiden. In diesem Fall muss der Bevollmächtigte des Streithelfers innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des § 321 Abs. 2 ZPO eine Ergänzung des Urteils um den vergessenen Kostentenor beantragen (BGH NJW 14, 1018 Tz. 11). In diesem Fall beginnt die zweiwöchige Frist mit der Zustellung des Urteils bzw. des Beschlusses an den Nebenintervenienten zu laufen (BGH NJW 14, 1018 Tz. 12). Zur Situation bei einem Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO s. OLG Celle 5.9.11, 8 U 78/11, Abruf-Nr. 113722; zum Beschluss nach § 91a ZPO s. OLG Köln 17.4.14, 5 U 51/10, juris; zum Prozessvergleich s. BGH NJW 03, 1948; NJW 14, 1021.

 

Streitwert. Der Streitwert einer durchgeführten Nebenintervention stimmt mit dem Streitwert der Hauptsache überein, wenn der Nebenintervenient im Prozess die gleichen Anträge stellt wie die von ihm unterstützte Partei (BGH zfs 13, 226; NJW 60, 42 und etliche OLG). Nach anderer, im Vordringen befindlicher Ansicht ist unabhängig von den gestellten Anträgen auf das - gem. § 3 ZPO zu schätzende - Eigeninteresse des Streithelfers am Obsiegen der unterstützten Partei abzustellen (z.B. OLG Saarbrücken 22.3.12, 4 W 32/12, Abruf-Nr. 122638; OLG Schleswig 28.8.09, 14 W 51/08, Abruf-Nr. 090870; OLG München NJW-Spezial 10, 110; AG Riesa 20.7.12, 5 C 112/12, Abruf-Nr. 142363).

 
Quelle: Seite 151 | ID 42861993