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· Fachbeitrag · Vermittlerrecht/Fernabsatz

Vermittlung von Versicherungsverträgen im Rahmen des Fernabsatzes ‒ das ist zu beachten

von Dr. Peter Loibl, Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) bei der Volkswohl Bund Lebensversicherung a. G., Dortmund

| Fernabsatzverträge haben sich im Rahmen des typischen Versicherungsvermittlungsgeschäfts ‒ insbesondere bei komplexen Versicherungsverträgen ‒ noch nicht im großen Stil durchgesetzt. Denn dieses Geschäft lebt nach wie vor von der persönlichen Beziehung. Das könnte sich ändern, wenn sich der Kontakt zwischen Vermittler und Kunde durch die zunehmende Digitalisierung anders gestaltet bzw. der persönliche Kontakt durch widrige Umstände wie z. B. Pandemien eingeschränkt ist. VVP erläutert, was bei Fernabsatzverträgen zu beachten ist. |

Vertriebswege zwischen Vermittler und Kunden

Vermittler und ihre Kunden wählen meist einen dieser drei Vertriebs- bzw. Kommunikationswege:

 

  • 1. Gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Kunden und Vermittlers (Unternehmers) innerhalb von Geschäftsräumen (nicht gesondert geregelt).
  • 2. Gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Verbrauchers und des Vermittlers (Unternehmers) außerhalb von Geschäftsräumen (§ 312b BGB).
  • 3. Im Wege des Fernabsatzes (§ 312c BGB) ‒ also die durchgehende körperliche Abwesenheit des Verbrauchers und des Vermittlers (Unternehmers).

 

Versicherer, die mit Vermittlern zusammenarbeiten, wissen in den meisten Fällen nicht, wo und auf welche Weise die Vermittlung von Versicherungsverträgen stattfindet ‒ und sie müssen es auch nicht wissen. Versicherungsmakler und -vertreter sind Selbstständige, Gewerbetreibende, Kaufleute und Unternehmer, die selbst entscheiden, wie sie ihr Vermittlungsgeschäft betreiben bzw. Versicherungsprodukte vertreiben, und das im Auftrag des Versicherers (Vertreter, Mehrfachgeneralagent) oder ohne entsprechenden Auftrag (Makler). Der Begriff Fernabsatzvertrag knüpft dann auch ausschließlich an die Art und Weise des Vertragsschlusses und nicht an den Inhalt des Vertrags an (Palandt, BGB, 80. Aufl., München 2021, § 312c, Rz. 2).

Vermittlung und Fernabsatz ‒ allgemeine Regeln gelten

Beim Abschluss von Fernabsatzverträgen im Bereich der Versicherungsvermittlung gelten die allgemeinen Vorschriften des BGB zum Vertragsrecht (Angebot, Annahme, Invitatio). So können zum Vertragsschluss erforderliche Willenserklärungen auch per E-Mail oder Mausklick abgegeben werden (BGH, NJW 2002, 363; Palandt, aaO, § 312c, Rz. 7). Die weitergehende Frage ist dann eher eine solche, die im konkreten Fall die Beweisbarkeit über das Zustandekommen eines Vertrags betrifft.

 

Das gilt als Fernabsatzvertrag

Nach § 312c BGB sind Fernabsatzverträge Verträge, bei denen

  • der Unternehmer (= Versicherungsvermittler) oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person (= sein Mitarbeiter oder Untervermittler) und
  • der Verbraucher
  • für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss
  • ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden,

es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.

 

Vorschriften über Fernabsatzverträge gelten nur für Verbraucher

Die Vorschriften über Fernabsatzverträge gelten nur für Ihre Verbraucher-Kunden. Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden können (§ 13 BGB). Für Ihre Unternehmer-Kunden (§ 14 BGB) gelten die Vorschriften über Fernabsatzverträge daher nicht. Und z. B. auch ein Verein oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein Verbraucher, sodass die Vorschriften über Fernabsatzverträge nicht greifen.

 

Das sind „Fernkommunikationsmittel“

Fernkommunikationsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind. Darunter fallen z. B. Telefon, Telefax, E-Mails o. ä. wie z. B. SMS, WhatsApp, siehe § 312c Abs. 2 BGB.

In diesen Fällen liegt kein Fernabsatzgeschäft vor

Kein Fernabsatzgeschäft liegt vor, wenn es einen persönlichen Kontakt (bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit) zwischen Kunde und Vermittler gegeben hat oder wenn der Vermittler seine Verträge nur gelegentlich über Fernkommunikationsmittel schließt.

 

Eine Präsenzphase ‒ kein Fernabsatz

Für die Einordnung als Fernabsatzvertrag kommt es darauf an, dass die Vertragspartner sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden (Telefon, Telefax, E-Mails o. ä. wie z. B. WhatsApp, siehe § 312c Abs. 2 BGB).

 

Eine einzige Präsenzphase führt dazu, dass kein Fernabsatz vorliegt. Findet also einmal ein persönlicher Kontakt bei den Vertragsverhandlungen oder dem Vertragsschluss statt (also die gleichzeitige körperliche Anwesenheit), sind die Vorschriften zu Fernabsatzverträgen nicht anwendbar (Palandt, aaO, § 312c, Rz. 4).

 

Gelegentlicher Vertrieb mit Fernkommunikationsmitteln

Die Definition des Fernabsatzes in § 312c Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Vertragsschluss in einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystem erfolgt. Das wird vermutet, doch der Unternehmer kann die Vermutung widerlegen. Dazu gab es bisher nur wenig Rechtsprechung. Im Herbst 2020 hat der BGH dazu aber Folgendes gesagt (BGH, Urteil vom 19.11.2020, Az. IX ZR 133/19, Abruf-Nr. 219415):

 

  • BGH-Urteil zum „für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystem“

„Ob ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem besteht, hängt wesentlich davon ab, auf welche Art und Weise der Unternehmer in seinem Geschäftsbetrieb Vertragsverhandlungen und Vertragsschlüsse ermöglicht. Danach muss er sein Unternehmen personell und sachlich so ausgestalten und organisieren, dass sowohl Vertragsverhandlungen als auch Vertragsschluss regelmäßig und ohne weiteres unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jederzeit möglich sind. Ist diese Einrichtung derart ausgestaltet, dass er damit regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte bewältigen kann, und bietet er diese Möglichkeit von sich aus aktiv an, liegt ein entsprechendes System vor. Die nach Abschluss des Vertrags erfolgende Art und Weise der Leistungserbringung ist hingegen unerheblich.“

 

Der Vermittler, der das Produkt nur gelegentlich und eher zufällig mit Fernkommunikationsmitteln vertreibt, wird von den Vorschriften über den Fernabsatz nicht erfasst. Aufwendige organisatorische Vorkehrungen sind gleichwohl nicht notwendig. Es genügt, wenn der Vermittler planmäßig mit dem Angebot des Produkts und den Ausführungen per Fernkommunikationsmittel wirbt und er seinen Betrieb so organisiert, das Verträge regelmäßig im Fernabsatz abgeschlossen und abgewickelt werden können, wie z. B. die Nutzung der Online-Plattform eines anderen Betreibers (Palandt, aaO, § 312c, Rz. 6).

Spezielle Normen für Vermittler ergänzen BGB-Vorschriften

Letztlich steht der Vermittler in der Verantwortung, die für ihn einschlägigen Gesetze entsprechend einzuhalten. Die Normen zum Fernabsatz regeln aber im Ergebnis nichts Wesentliches anderes als die speziellen Normen für die Versicherungsvermittlung. Entscheidend ist, dass die allgemeinen normativen Inhalte der §§ 312b bis 312k BGB zu Fernabsatzverträgen ihren speziellen Niederschlag in den zahlreichen Normen gefunden haben, die für Versicherungsvermittler und Versicherer gelten, wie z. B. VVG, VVG-InfoVO, GewO, mit ggf. einigen wenigen Modifikationen.

 

Informationspflicht über Identität

Die zahlreichen Informationspflichten nach § 312d Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 246b § 1 EGBGB (Informationspflichten bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen) entsprechen den Informationspflichten, die sich aus den speziellen Gesetzen und Verordnungen ergeben, die für Vermittler gelten. Das ist z. B. die Informationspflicht über die Identität des Vermittlers beim ersten Geschäftskontakt gemäß § 15 VersVermV ‒ mit ggf. eher geringfügigen Modifikationen.

 

Weitere Informationspflichten bezüglich des Versicherungsvertrags

Der Vermittler muss dem Verbraucher rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung u. a. die Vertragsbestimmungen einschließlich der AGB auf einem dauerhaften Datenträger mitteilen (§ 312d Abs. 2 BGB, Art. 246b § 2 EGBGB). Diese Regelungen entsprechen § 7 Abs. 1 VVG. Anstelle eines dauerhaften Datenträgers ist bei Fernabsatzverträgen die Mitteilung in Textform geregelt. Beispiele für Textform: Nachrichten per Telefax oder Briefe ohne Unterschrift, Kopien vom Original, E-Mail oder auch SMS bzw. WhatsApp.

 

Widerruf und Widerrufsfrist

Die Widerrufsfrist von 14 Tagen (§ 312g, §§ 355 Abs. 2 S. 1, 356 Abs. 3 BGB in Verbindung mit Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB) entspricht der des § 8 Abs. 1 S. 1 VVG. Im Bereich der Lebensversicherung gilt jedoch abweichend hiervon eine Widerrufsfrist von 30 Tagen (§ 152 Abs. 1 VVG). Hinsichtlich der Widerrufsfrist gilt in Bezug auf die Lebensversicherung also generell das VVG, und damit einheitlich auch für die Lebensversicherung, die im Wege des Fernabsatzes zustande gekommen sein sollten.

Umsetzung von Fernabsatzverträgen in der Praxis

Der (ausschließliche/planmäßige/regelmäßige) Vertrieb von Versicherungen als Fernabsatz ist faktisch wie auch rechtlich möglich. Er müsste dann (regelmäßig) ohne persönlichen Kontakt, also ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit innerhalb oder außerhalb von Geschäftsräumen ausschließlich per Fernkommunikationsmittel und im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschehen.

 

Fernabsatzverträge für nicht beratungsintensive Produkte geeignet

Bei Versicherungsprodukten, bei denen der Beratungsbedarf nicht (sehr) umfangreich ist, dürfte das umsetzbar sein. Anders bei Versicherungsverträgen mit einem hohen und umfangreichen Beratungsbedarf bzw. -aufwand, etwa im Bereich der Lebensversicherungen oder der Versicherungsanlageprodukte. Hier dürfte der Fernabsatzvertrag schwer umsetzbar sein.

 

Beratungsverzicht

Eine ‒ bei Fernabsatzverträgen angedachte ‒ Dokumentations- und/oder Beratungsverzichtserklärung nach § 61 Abs. 2 S. 2 VVG in (grundsätzlich zulässiger) Textform könnte in einigen Fällen möglicherweise daran scheitern, wenn sie standardisiert eingesetzt wird. Denn der Gesetzgeber wollte den jeweiligen Verzicht, insbesondere in Bezug auf komplexe Versicherungs(anlage)produkte, nicht als Regelfall, sondern als Ausnahmefall geregelt wissen.

 

FAZIT | Das Thema Fernabsatzgeschäft dürfte für die überwiegende Zahl von Vermittlern ‒ zumindest bei komplexen Versicherungsverträgen ‒ auch künftig eine eher untergeordnete Rolle spielen. Für Versicherungsprodukte mit einem geringen Beratungsaufwand ist das Fernabsatzgeschäft hingegen denkbar. Ob sich dafür allerdings der Aufbau eines für den Fernabsatz erforderlichen Vertriebs- oder Dienstleistungssystems lohnt, ist wohl abhängig von der Betriebsgröße und -philosophie.

 
Quelle: Seite 19 | ID 47131324