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· Fachbeitrag · Verweildauer

COVID-19: Ist ein quarantänebedingter Verbleib des GKV-Patienten im Krankenhaus abrechenbar?

von RA, FA für ArbR und MedR Dr. Tilman Clausen, armedis Rechtsanwälte, Hannover, armedis.de

| Verhängt das örtliche Gesundheitsamt über ein Krankenhaus bzw. über die Abteilung eines Krankenhauses eine Quarantäne, dürfen die Patienten die Einrichtung nicht mehr verlassen, selbst wenn sie negativ getestet sind. Bei Patienten, die nicht mehr stationär behandelt werden müssen, aber der Quarantäne unterliegen, stellt sich die Frage, ob ihr Aufenthalt weiter gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse abgerechnet werden kann. Er kann. Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2015 dient in einer solchen Konstellation als Präzedenzfall. |

Aktueller Fall

Fälle wie der folgende werden im Zuge der Coronapandemie zukünftig wohl vermehrt auftreten.

 

  • Beispiel

In einem norddeutschen Krankenhaus wurde ein Patient positiv auf COVID-19 getestet. Das örtliche Gesundheitsamt hat daraufhin eine Quarantäne über die betroffene Krankenhausabteilung verhängt: Das Krankenhauspersonal darf die Abteilung nur noch in maximaler Schutzkleidung betreten. Der positive Fall wurde in einem Einzelzimmer isoliert. Die übrigen Patienten dürfen ‒ auch mit negativem Coronatest ‒ die Abteilung nicht verlassen. Über die Entlassung in häusliche Quarantäne entscheidet das Gesundheitsamt für jeden einzelnen Patienten. Das Gesundheitsamt hat die Quarantäne bis zum 30.01.2021 befristet.

 

Am 17.01.2021 sollen die ersten beiden Patienten aus der betroffenen Abteilung entlassen werden, weil bei ihnen keine medizinische Notwendigkeit mehr für eine stationäre Behandlung besteht. Wegen der Quarantäne müssen sie jedoch im Krankenhaus bleiben. Der Geschäftsführer des Krankenhauses wendet sich an seinen Anwalt. Er will wissen, ob er den rein quarantänebedingten Aufenthalt der beiden Patienten weiter mit der gesetzlichen Krankenkasse abrechnen kann.

 

BSG-Urteil als Präzedenzfall

Die stationäre Krankenhausbehandlung ist im Rechtssinne aus allein medizinischen Gründen erforderlich, wenn die medizinisch notwendige Versorgung aus Gründen der Rechtsordnung nur stationär erbracht werden darf (BSG, Urteil vom 17.11.2015, Az. B 1 KR 18/15 R; Urteil online unter dejure.org).

 

Sachverhalt

Ein Krankenhaus behandelte eine Patientin wegen einer mehrknotigen Struma nodosa Grad II‒III mit einer Radiojodtherapie. Aus strahlenschutzrechtlichen Gründen war eine ambulante Behandlung unzulässig. Daher wurde die Patientin vollstationär behandelt. Berechnet wurde die Fallpauschale K15C (Strahlentherapie bei Endokrima, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten, mehr als ein Belegungstag, mit mäßig komplexer Radiojodtherapie).

 

Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme wegen nicht gegebener stationärer Behandlungsbedürftigkeit ab. Dagegen klagte der Krankenhausträger. Vor Gericht trug die beklagte Krankenkasse vor, die vollstationäre Behandlung sei nicht erforderlich i. S. d. § 39 Sozialgesetzbuch (SGB) V. Sie sei nicht medizinisch indiziert gewesen, sondern beruhe allein auf den Strahlenschutzvorschriften. Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründeten keine Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung. Das BSG bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz (Sozialgericht Dresden, Urteil vom 27.02.2015, Az. S 47 KR 439/12) und wies die Revision der Krankenkasse als unbegründet zurück.

 

Entscheidungsgründe

Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich ist, machte das BSG von den medizinischen Erfordernissen im Einzelfall abhängig ‒ und nicht von abstrakten Betrachtungen. Eine stationäre Krankenhausbehandlung sei immer dann erforderlich, wenn eine medizinisch notwendige Versorgung aus Gründen der Rechtsordnung nur stationär erbracht werden dürfe. Gesetzliche Krankenkassen dürften bei Erfüllung ihrer Aufgabe die rechtlichen Voraussetzungen nicht außer Acht lassen.

 

In einem Fall wie bei der Versicherten der beklagten Krankenkasse sei die Krankenhausbehandlung im Rechtssinne aus allein medizinischen Gründen geboten. Die Radiojodtherapie könne aufgrund der maßgeblichen Strahlenschutzbestimmungen nur unter stationären Bedingungen erbracht werden (für organisatorische und personelle Voraussetzungen der Behandlung siehe Randnummer. 15 im Urteilstext). Das medizinisch Gebotene könne nicht ambulant zur Verfügung gestellt werden. Vergleichbar trage die Krankenkasse die Kosten einer Krankenhausbehandlung in Fällen des Infektionsschutzes, wenn die Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus auch aus individuellen medizinischen Gründen erfolge. So liege es auch bei der Radiojodtherapie.

Folgen für die Krankenhausvergütung in der Coronapandemie

Im o. g. Urteil hat das BSG festgestellt, dass gesetzliche Krankenkassen einen stationären Krankenhausaufenthalt auch bezahlen müssen, wenn die Patienten nur wegen des Infektionsschutzes stationär aufgenommen worden sind und keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit i. S. d. § 39 SGB V besteht. Folglich muss dies auch gelten, wenn Krankenhäuser Patienten ohne Behandlungsbedürftigkeit allein aus Gründen des Infektionsschutzes nicht entlassen können ‒ so wie im eingangs beschriebenen Beispiel.

 

FAZIT | Das o. g. BSG-Urteil hilft auch von der Coronapandemie betroffenen Krankenhausabteilungen. Sie können so lange abrechnen, wie die Patienten aus Gründen des Infektionsschutzes im Krankenhaus behalten werden müssen. Die Krankenkassen müssen zahlen. Alles andere erscheint auch nicht sachgerecht.

 
Quelle: Seite 3 | ID 47102091