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· Fachbeitrag · Wohngebäudeversicherung

Das gilt zum Versicherungsschutz bei einem Brand im ungenehmigten Spitzboden

von RiOLG a.D. und RA Dr. Dirk Halbach, Köln

| Bei Verletzung einer ‒ wie hier ‒ dem Brandschutz dienenden Sicherheitsvorschrift ist der erforderliche Schutzzweckzusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn die gefahrvorbeugende Obliegenheit nach ihrem Sinn und Zweck dem Brandschutz dienen soll und erfahrungsgemäß auch geeignet ist, der Entstehung von Bränden vorzubeugen. Steht aber fest, dass Eintritt und Umfang des Versicherungsfalls nichts mit der in der Obliegenheit vorausgesetzten Risikoerhöhung zu tun haben, ist der ursächliche Zusammenhang rechtlich nicht erheblich. Es fehlt dann an dem notwendigen Rechtswidrigkeitszusammenhang. Das folgt aus einer Entscheidung des OLG Hamm. |

 

Sachverhalt

Der VN begehrt aufgrund einer Wohngebäudeversicherung vom VR weitere Entschädigungsleistungen aus Anlass eines Brandschadenereignisses in seinem Mehrfamilienhaus. Im Versicherungsschein sind als Vertragsbestandteil u. a. die „WG 9006 VGB 2008 ‒ Wert 1914“ genannt, über deren Inhalt die Parteien in Ansehung der Haftzeit des VR für Mietausfallschäden streiten.

 

  • Inhalt der vereinbarten VGB 2008

Ziff. 3.3

Mietausfall oder Mietwert werden bis zu dem Zeitpunkt ersetzt, in dem die Wohnung wieder bewohnbar ist, längstens für 12 Monate seit dem Eintritt des Versicherungsfalls (siehe Ziffer 4.1), soweit nicht etwas anderes vereinbart wurde …

 

Ziff. 18

Welche Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall (Sicherheitsvorschriften) haben Sie zu beachten?

18.1 Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall: Sie haben

18.1.1 alle gesetzlichen, behördlichen oder vereinbarten Sicherheitsvorschriften zu beachten; … “

 

Am 1.3.18 ereignete sich im Dachgeschoss des versicherten Gebäudes ein Brand. Dieser entstand unstreitig im sog. Spitzboden des Gebäudes, der im Zeitpunkt des Schadenereignisses zu Wohnzwecken ausgebaut war. Er wurde über einen Kaminofen beheizt und war vermietet. Erreichbar war der Spitzboden über einen Zugang in der ‒ gesondert vermieteten ‒ Dachgeschosswohnung. Eine Baugenehmigung für den Ausbau des Spitzbodens zu Wohnzwecken und zur Wohnnutzung bestand unstreitig nicht. Der im Jahre 2007 aufgestellte Kaminofen war vor seiner Inbetriebnahme vom seinerzeit zuständigen Schornsteinfeger nicht förmlich abgenommen worden.

 

Nach einem Feuerwehreinsatz im versicherten Gebäude war der VN 2017 zu einer beabsichtigten Nutzungsuntersagung angehört worden. Er wurde darauf hingewiesen, dass eine erforderliche Baugenehmigung nicht vorliege und erforderliche Brandschutzbestimmungen nicht erfüllt seien. Insbesondere sei der notwendige zweite Rettungsweg nicht sichergestellt. Daher bestehe bei Eintritt eines Schadenfalls Gefahr für Leib und Leben der Bewohner. Die Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken sei „zumindest formell rechtswidrig“. Die neu beantragte Baugenehmigung wurde erst nach dem Schadenereignis erteilt.

 

Der vom VR im Rahmen eines Sachverständigenverfahrens beauftragte Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass eine nicht genehmigte Nutzungsänderung im Spitzboden vorgelegen habe. Bei einer Nutzung im zulässigen Rahmen (z. B. nur zur Wäschetrocknung und nicht als Wohnung) wäre es nicht zum Brand gekommen. Zudem habe eine unzulässige Feuerungsanlage im Spitzboden bestanden. Wäre diese nicht betrieben worden, wäre es ebenfalls nicht zum Brand gekommen. Schließlich hätten notwendige Abtrennungen z. B. des Treppenraums gegenüber Wohnungen gefehlt. Wären diese vorhanden gewesen, wären die Wohnungen am Treppenraum voraussichtlich nicht beschädigt worden. Leitungs- und Elektroanlagen seien nicht geschottet gewesen. Das sei ebenfalls relevant für den Schadenfall gewesen.

 

Der als Hauptforderung geltend gemachte Zahlungsbetrag setzt sich zusammen aus der im Sachverständigenverfahren festgestellten Zeitwertentschädigung i. H. v. 430.665,20 EUR abzüglich der vorgerichtlich geleisteten Zahlung i. H. v. 185.166,65 EUR sowie einem weiteren Mietausfall von 45.000 EUR. Hierzu hat der VN die Auffassung vertreten, dass der Mietausfallschaden nicht wirksam auf eine Haftzeit von zwölf Monaten begrenzt wurde. Ihm sei bei Antragstellung eine CD nicht überreicht worden. Daher seien die VGB 2008 nicht wirksam einbezogen worden.

 

Das LG hat dem VN 235.891,35 EUR zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hiergegen wendet sich der VR mit der Berufung, während der VN mit seiner Anschlussberufung die Verurteilung des VR zur Zahlung weiterer 37.700 EUR erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des VR hatte vor dem OLG Hamm keinen Erfolg (31.5.21, 20 U 63/21, Abruf-Nr. 224297). Das LG hat der Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht teilweise stattgegeben.

 

Der Eintritt des Versicherungsfalls und die Höhe der festgestellten Zeitwertentschädigung sind zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie die Höhe der vorgerichtlich ausgekehrten Entschädigungsleistung. Im Ergebnis zu Recht hat das LG auch angenommen, dass der VR weder wegen einer Gefahrerhöhung noch wegen einer grob fahrlässigen Verletzung von Obliegenheiten teilweise leistungsfrei ist.

 

  • Eine Leistungsfreiheit gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 VVG (nachträgliche Gefahrerhöhung) scheidet schon deshalb aus, weil der VR bereits nicht dargelegt und bewiesen hat, dass der VN die Wohnnutzung des brandbetroffenen Spitzbodens erst nach Vertragsschluss aufgenommen und/oder den Kaminofen erst nach Vertragsschluss installiert hat.
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  • MERKE | Von den §§ 23 ff. VVG nicht erfasst werden Gefahrumstände, die bereits im Zeitpunkt der Abgabe der Vertragserklärung des VN vorhanden waren, mögen diese auch dem VR nicht bekannt gewesen sein. Die Rechtsfolgen der irrigen Beurteilung der Risikolage bei Abgabe der Vertragserklärung richten sich mangels Änderung der Gefahrenlage alleine nach den §§ 19 ff. VVG.

     
    • Es kommt deshalb schon nicht darauf an, ob die Angaben des VN im Antrag zu den Wohnflächen plausibel sind und den Schluss auf die Eindeckung auch des Spitzbodens als Wohnfläche erlauben. Allein maßgeblich ist vielmehr, ob der VN die Wohnung bereits vor Antragstellung zu Wohnzwecken genutzt hat. Da der VR darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der objektiven Umstände ist, die eine Gefahrerhöhung begründen, hätte der VR daher die Behauptung des VN auszuräumen gehabt. Er hätte den Nachweis erbringen müssen, dass die Wohnnutzung des Spitzbodens erst nach Vertragsschluss aufgenommen wurde. Gleiches gilt hinsichtlich des Kaminofens, der nach den Angaben des Schornsteinfegers bereits im Jahre 2007 installiert wurde und damit vor Vertragsschluss vorhanden war.

 

    • Hierbei muss nicht entschieden werden, ob eine Lücke, die dadurch entsteht, dass der VR, der dem VN entgegen § 7 Abs. 1 S. 1 VVG vor Vertragsschluss die AVB nicht übergibt oder den ihm obliegenden Nachweis einer Übergabe der AVB nicht zu führen in der Lage ist, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch Heranziehung der üblichen Musterbedingungen oder die vom VR verwendeten Versicherungsbedingungen ‒ soweit diese für den VN günstiger sind ‒ zu schließen ist. Offenbleiben kann auch, ob in einem solchen Fall jedenfalls Regelungen über Obliegenheiten nicht als einbezogen gelten, selbst wenn sie marktüblich sind, da § 28 Abs. 2 S. 1 VVG zwingend ihre Vereinbarung voraussetzt. Denn das LG hat nach durchgeführter Beweisaufnahme fehlerfrei festgestellt, dass der VN den ihm mit Blick auf die im Antrag abgegebene Empfangsbestätigung obliegenden Nachweis, keine AVB erhalten zu haben, nicht geführt hat.

 

  • Auch auf eine teilweise Leistungsfreiheit wegen Verletzung von Sicherheitsvorschriften i. S. v. Ziff. 18.1.1 VGB 2008 kann sich der VR nicht berufen. Soweit es im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls an einer gesetzlich gebotenen (§ 43 Abs. 7 S. 1 / § 42 Abs. 7 S. 1 BauO NRW 2018) Abnahme des im Spitzboden installierten Kaminofens fehlte, scheidet eine Leistungsfreiheit des VR dennoch aus.

 

    • Zwar trifft es zu, dass auch bei Obliegenheitsverletzungen wie bei Rechtspflichtverletzungen ein innerer Zusammenhang zwischen der von dem Verletzer geschaffenen Gefahrenlage und der eingetretenen Schadenfolge bestehen muss. Über die Frage des inneren Zusammenhangs entscheidet nicht der konkrete Zusammenhang zwischen Obliegenheitsverletzung und Schadenfolge. Der erforderliche Schutzzweckzusammenhang ist bei Verletzung einer ‒ wie hier ‒ dem Brandschutz dienenden Sicherheitsvorschrift vielmehr bereits dann zu bejahen, wenn die gefahrvorbeugende Obliegenheit nach ihrem Sinn und Zweck dem Brandschutz dienen soll und erfahrungsgemäß auch geeignet ist, der Entstehung von Bränden vorzubeugen. Die genannten öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über Feuerungsanlagen in der BauO NRW, nach denen der Bauherr sich vom Bezirksschornsteinfegermeister bescheinigen zu lassen hat, dass sich die Abgasanlage in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet und für die angeschlossenen Feuerstätten geeignet ist, dienen zweifelsfrei dem Brandschutz. Sie sind erfahrungsgemäß auch geeignet, der Entstehung von Bränden vorzubeugen.

 

    • Der VR bleibt aber gemäß § 28 Abs. 3 S. 1 VVG zur Leistung verpflichtet, weil die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich geworden ist, der VN mithin den Kausalitätsgegenbeweis geführt hat.
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  • MERKE | Steht fest, dass Eintritt und Umfang des Versicherungsfalls nichts mit der in der Obliegenheit vorausgesetzten Risikoerhöhung zu tun haben, so ist der ursächliche Zusammenhang rechtlich nicht erheblich. Es fehlt dann an dem notwendigen Rechtswidrigkeitszusammenhang.

     
  • Hiernach musste der VN im Rahmen des Kausalitätsgegenbeweises nur den Nachweis erbringen, dass der Schaden in dieser Form mit Sicherheit auch dann entstanden wäre, wenn alle Sicherheitsvorschriften beachtet worden wären. Dieser Nachweis ist im Streitfall geführt. Das Brandursachengutachten hat ausdrücklich keine Mängel der Feuerungsanlage festgestellt. Auch der Schornsteinfeger hat solche nicht ausgemacht. Es ist vielmehr unstreitig, jedenfalls aber bewiesen, dass der Schaden allein durch das unsachgemäße und vorschriftswidrige Lagern von brennbarem Material in der Nähe des Ofens entstanden ist.

 

  • Soweit der VR seine Leistungsfreiheit hingegen darauf stützt, dass es für eine Wohnnutzung des Spitzbodens an der erforderlichen Baugenehmigung gefehlt habe, ist bereits der objektive Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung ‒ die Nichteinhaltung einer hier allein in Betracht kommenden gesetzlichen Sicherheitsvorschrift ‒ nicht ausreichend dargelegt.

 

    • Richtig ist zwar, dass einschlägige gesetzliche Sicherheitsvorschriften insbesondere die Landesbauordnungen und die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen, die Brandschutzgesetze sowie die in verschiedenen Bundesländern bestehenden Feuerungsverordnungen Regelungen enthalten, die als gesetzliche Sicherheitsvorschriften in der Wohngebäudeversicherung einzustufen und zu beachten sind. Nicht sämtliche dieser Vorschriften, die im Genehmigungsverfahren einzuhalten sind, und nicht einmal alle Bestimmungen zum Brandschutz, können aber gleichsam als gefahrvorbeugende Sicherheitsvorschriften verstanden werden. Der Sachverständige hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen über Flucht- und Rettungswege nicht dazu dienen, den Versicherungsfall zu verhindern.

 

  • Die Verletzung konkreter Brandschutzbestimmungen, die dazu dienen, der Entstehung von Bränden vorzubeugen oder einen Schaden zu vergrößern, hat der VR schon nicht dargetan.

 

  • Auf die Frage, ob der VN auch insoweit den Kausalitätsgegenbeweis geführt hat, indem ausgeräumt ist, dass sich der Schaden zumindest nicht durch die Nichteinhaltung derartiger Vorgaben vergrößert hat, kommt es demnach nicht streitentscheidend an. Hierfür spricht allerdings nach dem Ergebnis des Brandursachengutachtens einiges. Auch das Anschlussrechtsmittel hatte mangels Nachweises keinen Erfolg.

 

Relevanz für die Praxis

Das OLG beruft sich auf die Entscheidung des BGH zu einer Obliegenheitsverletzung in der Kfz-Versicherung durch das Fahren des versicherten Fahrzeugs ohne Fahrerlaubnis. Danach scheidet der Kausalitätsgegenbeweis nicht schon im Hinblick auf die Erwägung aus, dass sich der Unfall nicht ereignet hätte, wenn die Fahrt ohne Fahrerlaubnis unterblieben wäre.

 

  • Der Kausalitätsgegenbeweis kann vielmehr auch durch den Nachweis geführt werden, dass der ursächliche Zusammenhang rechtlich nicht erheblich ist (BGH VersR 76, 743).

 

  • In einer späteren Entscheidung hat der BGH ausgeführt, dass der Kausalitätsgegenbeweis nicht schon daran scheitert, dass eine Feuerungsanlage wegen der fehlenden Genehmigung überhaupt nicht hätte in Betrieb gesetzt werden dürfen (BGH VersR 97, 485). Der VN kann und muss beweisen, dass entweder der Ofen oder das Abgasrohr nicht die Schadensursache waren, oder dass der Schaden in dieser Form mit Sicherheit auch dann entstanden wäre, wenn alle Sicherheitsvorschriften beachtet worden wären.

 

  • Bei Obliegenheitsverletzungen ist wie bei Rechtspflichtverletzungen ein innerer Zusammenhang zwischen Gefahrenlage und der Schadensfolge in dem Sinne erforderlich, dass letztere zu denjenigen Schadensfolgen gehören muss, denen die Obliegenheit vorbeugen soll (BGH VersR 02, 928). Es muss also ein Normzweckzusammenhang bestehen.

 

Weiterführender Hinweis

  • Zu den Voraussetzungen einer Gefahrerhöhung siehe auch KG VK 21, 131
Quelle: Seite 150 | ID 47601303