· Fachbeitrag · Working-Capital-Management
Ratingkennzahlen verbessern: Ist dies auch in Coronazeiten sinnvoll?
von Jörgen Erichsen, Leverkusen
| Für die Betriebswirtschaft ist das Working-Capital ein wichtiges Instrument und eine der zentralen Steuerungsgrößen, um die Liquidität zu verbessern und die Rentabilität zu erhöhen. Zusammen mit dem Working-Capital-Ratio fließt es in das Rating ein. In normalen Zeiten eignet es sich sehr gut als Frühwarnindikator. Doch gelten diese Zusammenhänge noch uneingeschränkt in Zeiten von Corona? Im Folgenden werden Empfehlungen dazu gegeben, wie man das Working-Capital ohne zu große Risiken in Sachen Lieferverzögerungen und Versorgungssicherheit verbessern kann. |
1. Was ist das Working-Capital und welche Ziele werden mit ihm verfolgt?
Das Working-Capital, auf Deutsch häufig auch als Netto-Umlaufvermögen oder Betriebskapital bezeichnet, ist im Ursprung eine Finanzkennzahl, die darstellt, wie es um die finanzielle Leistungsfähigkeit und die Liquidität eines Unternehmens gestellt ist.
Das absolute Working-Capital in EUR ergibt sich, wenn man von ausgewählten Positionen des Umlaufvermögens die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen abzieht. Es existieren verschiedene Möglichkeiten, das Working-Capital zu berechnen, abhängig u. a. davon, welche Ziele und Absichten man im Betrieb verfolgt. Zwei relativ häufig genutzte Formeln sind:
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1.1 Wesentliche grundlegende Ziele des Working-Capital-Managements
Ein wichtiges Ziel des Working-Capital-Managements ist es, festzustellen, wo im Unternehmen in welchem Umfang (Volumen) Kapital gebunden ist und die Kapitalbindung im Anschluss gezielt zu reduzieren. Denn das Geld, das im Umlaufvermögen gebunden ist, steht Unternehmen nicht für andere Zwecke, wie z. B. Investitionen oder Produktentwicklung zur Verfügung und man muss sich das benötigte Geld anderweitig beschaffen, z. B. per Bankkredit oder Gesellschaftereinlagen. Steht kein Kapital mehr zur Verfügung, können geplante Aktivitäten zumindest vorerst nicht umgesetzt werden.
In der Praxis findet im Umlaufvermögen die größte Kapitalbindung bei den Forderungen und Vorräten statt. Eine Entlastung erfolgt bei den Kreditoren, wenn diese dem eigenen Betrieb Zahlungsziele einräumen. Daher sollte man für Steuerungszwecke die zweite Formel wählen, was auch im Beitrag im weiteren Verlauf geschieht. Firmen, die häufig und in größerem Umfang mit Anzahlungen zu tun haben, können auch diese Positionen mit einbeziehen.
Beachten Sie | Flüssige Mittel werden bei der Berechnung des Working-Capitals i. d. R. nicht berücksichtigt, da man diese immer uneingeschränkt verwenden kann; es also keine „klassische“ Kapitalbindung gibt. Wie wichtig ein hoher Bestand an flüssigen Mitteln aber ist, zeigt sich in der Coronakrise. Ohne finanzielle Reserven, die mindestens für 6 ‒ 8 Wochen reichen sollten, stehen viele Betriebe schon nach wenigen Tagen ohne staatliche Unterstützung vor Existenzproblemen.
1.2 Welche Ausprägungen sollte das Working-Capital aufweisen
Auf die Frage, wie hoch das Working-Capital sein sollte, gibt es in Theorie und Praxis unterschiedliche Antworten. Es existieren im Kern zwei grundsätzliche Ansichten:
- Ziel 1 ‒ Investorensicht: Das Working-Capital sollte stets positiv sein, Forderungen und Vorräte sollten die Verbindlichkeiten LL immer übertreffen. Dann werden vom Unternehmen auch wichtige Bilanz- und Finanzierungsregeln eingehalten, was sich positiv auf die finanzielle Stabilität und die Kreditwürdigkeit auswirkt. Wichtig ist, dass das Working-Capital in EUR nicht zu hoch ausfällt. Um zu prüfen, ob es sich um eine tendenziell günstige Ausprägung handelt, sollte daher zusätzlich das Ratio gebildet werden. Es sollte sich zwischen 130 und etwa 150 % bewegen, zumindest im europäischen Raum. Im angelsächsischen Bereich werden Werte bis 200 % noch als günstig angesehen. Rutscht der Wert unter 130 %, deutet das meist darauf hin, dass Forderungen und Vorräte stärker steigen als die Verbindlichkeiten LL. Dann sollte unbedingt nach den Ursachen gesehen werden. Denn steigende Forderungen oder Vorräte deuten u. U. auf strukturelle Probleme im Betrieb hin.
- Ziel 2 ‒ Liquiditätssicht: Es gibt eine andere Gruppe von Experten, die der Ansicht sind, dass man Forderungen und Vorräte soweit wie möglich reduzieren und zeitgleich die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen soweit es irgend geht ausbauen sollte. Damit wird das Working-Capital absolut negativ und das Ratio rutscht unter 100 %. Vertreter dieser Zielsetzung argumentieren u. a., dass man durch dieses Ziel erreicht, dass die Finanzierungskosten nachhaltig gesenkt werden können.
1.3 Working-Capital-Ratio
Das Working-Capital als eine absolute Zahl ist oft nicht besonders aussagekräftig. Erst wenn man Relationen bildet, z. B. mit dem Working-Capital-Ratio, erschließt sich der Nutzen vollständig. Das Working-Capital-Ratio ergibt sich, wenn man die Summe aus Forderungen und Vorräten ins Verhältnis zu den Verbindlichkeiten LL setzt.
Working-Capital-Ratio = (Forderungen + Vorräte) × 100 ÷ Verbindlichkeiten LL |
1.4 Das Ziel 1 ist für Steuerungszwecke meist besser geeignet
Oberstes Ziel eines Unternehmens sollte es ‒ nicht nur wegen der Erfahrungen der Coronakrise ‒ sein, die finanzielle Stabilität dauerhaft zu sichern und zu verbessern. Das lässt sich am besten erreichen, wenn man im Betrieb den Ansätzen von Ziel 1 folgt. Bei Ziel 2 wird nicht nur gegen elementare Bilanzierungs- und Finanzierungsregeln verstoßen und man erhält damit u. a. von Banken Kredite nur zu schlechten Konditionen. Es ist immer auch das Risiko gegeben, dass es kurzfristig zu Liquiditätsproblemen kommen kann. Das ist u. a. der Fall, wenn Umsätze ausbleiben oder Forderungen nicht oder verspätet eingehen, die Lieferanten aber pünktlich bezahlt werden müssen. Und auch die weiteren Zahlungsverpflichtungen bleiben ja weiter bestehen und müssen beglichen werden, z. B. Raumkosten, Versicherungen oder Leasingraten.
PRAXISTIPP | Es gibt Branchen und Geschäftsmodelle, bei denen sich Ziel 2 nicht vermeiden lässt. Beispiel Lebensmitteleinzelhandel: Hier gibt es wenig Forderungen und Vorräte, aber hohe Verbindlichkeiten LL. Somit übertreffen die Kreditoren das Umlaufvermögen in vielen Fällen. Die Firmen können das frei verfügbare Geld anders sinnvoll einsetzen, etwa für den Ausbau oder die Aktualisierung des Filialnetzes. In solchen Fällen kann man z. B. auf Kredite verzichten. Zudem liegen natürlich keine Verstöße gegen Bilanzierungsregeln vor. |
1.5 Working-Capital hilft auch, Krisen frühzeitig zu erkennen
Häufig steigt das Working-Capital im Vorfeld einer Unternehmenskrise deutlich an. In der Regel erhöhen sich Forderungen und Vorräte. Handelt es sich nicht um temporäre Sachverhalte, z. B. einen einmaligen Zahlungsverzug eines Kunden, sollten Unternehmer die Ursachen kritisch prüfen. Denn oft gibt es grundlegende Probleme, die man angehen und beseitigen muss, wenn man nicht Liquidität und Profitabilität und im Extremfall die Insolvenz riskieren möchte. Hierzu einige Beispiele, wobei sich nicht alles trennscharf betrachten lässt und Überschneidungen möglich sind, etwa im Bereich Materialbeschaffung und Lieferanten:
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Bereich | Mögliche Ursachen | Ausgewählte Lösungsansätze |
Forderungen steigen |
| Bonitätsprüfungen von Kunden, Aktualisierung Stammdaten, Standardisierung von Zahlungsbedingungen, Aufbau oder Verbesserung des Mahnwesens, konsequente Überwachung der offenen Posten, Fokus auf z. B. Bar-, Karten oder höhere Anzahlung, Lastschriften, Factoring, Vergabe Kreditlimits in Abhängigkeit vom Zahlungsverhalten, Gewährung von Boni bei pünktlicher Zahlung |
| Führen u. a. dazu, dass Kunden nur noch kaufen, wenn man hohe Nachlässe und/oder lange Zahlungsziele gewährt: Produktentwicklung forcieren, Kundenwünsche erfragen, regelmäßige Sortimentsanalyse nach „Rennern und Pennern“, Sortimentsbereinigung, Bestandssenkungsprogramme | |
| Akquise intensivieren, Werbung umstellen oder andere Vertriebskanäle nutzen, Mitarbeiter verpflichten, Bestandskunden besser zu betreuen, allgemeine Verbesserung der Kommunikation innerhalb und außerhalb des Unternehmens | |
| Analog Sortimentsfehler, zusätzlich Entwicklung von Differenzierungsmerkmalen, um sich von der Konkurrenz abheben zu können, z. B. Liefertermingarantie, Angebot Reparaturleistungen, Ersatzbeschaffung | |
Vorräte steigen (bei Ein- und Verkaufs-gütern) |
| Durchführung ABC Analyse, Klassifizierung von Einkaufsgütern und Ableitung von Beschaffungsstrategien, etwa Just in Time oder Lageraufbau, Einbinden der Lieferer in den eigenen Wertschöpfungsprozess, Aktualisierung Stammdaten, Einsatz Warenwirtschaftssystem, Standardisierung von Fertigprodukten, um die Variantenvielfalt zu verringern |
| Analog Sortimentsfehler bei Forderungen | |
| Bekämpfung von Schwund, Verderb, Diebstahl, Überalterung | |
Lieferantenmanagement |
| Intensivierung Konditionenverhandlungen mit Lieferanten, längere Zahlungsziele oder Skonto, Boni, Pflege von Stammdaten |
| ABC-Klassifizierung von Produkten und Lieferanten, Intensivierung der Verhandlungen um Konditionen bei A-Güter und A-Lieferungen, Aufbau von Alternativlieferanten und -produkten |
Beachten Sie | Übergreifend und für alle Themenblöcke wichtig ist, dass alle Abläufe im Betrieb so gestaltet und möglichst automatisiert werden, dass alles ineinander greift. Beispielsweise sollte es auf Basis einer guten Vertriebsplanung möglich sein, die Produktion über die nötigen Fertigungszahlen zu informieren, die wiederum dem Einkauf Informationen zu Materialbeschaffung zukommen lässt. Die Praxis zeigt, dass gerade Mängel in den Abläufen zu zahlreichen Problemen im Betrieb führen, etwa zu längeren Produktions- und Forderungslaufzeiten als nötig. Und längere Produktionszeiten als nötig führen dazu, dass man weniger Aufträge erledigt, als eigentlich nötig wäre und in der Folge entgehen dem Betrieb Umsätze und auch der Zahlungseingang verzögert sich unnötig.
2. Wann sollte man Verbesserungsmaßnahmen prüfen und umsetzen und wo sollte man eher vorsichtig sein?
Generell geht es bei der Verbesserung des Working-Capitals darum, den Bestand an Forderungen und Vorräte zu minimieren und die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen eher zu erhöhen, da dieses Kapital nicht verzinst werden muss. Gelingt das, verbessern sich Liquidität, Rendite und wichtige Kennzahlen nachhaltig.
MERKE | Zwar zahlt man für Verbindlichkeiten LL keine Zinsen im klassischen Sinne. Wenn der Lieferant aber kaufmännisch richtig agiert, sind seine Kosten in seiner Produktkalkulation enthalten und man zahlt als Einkäufer die Zinsen über den Preis dennoch mit. |
2.1 Handlungsbedarf identifizieren
Ob Handlungsbedarf besteht, kann man auch mit verschiedenen Working-Capital-Praxis-Kennzahlen erkennen. Werden die in Tab. 1 angegebenen Richtwerte deutlich überschritten (Faustregel: Mehr als 10 ‒ 15 %), sollte man prüfen, welche Verbesserungen umgesetzt werden müssen. Allerdings muss bedacht werden, dass es je nach Branche zum Teil größere Unterschiede geben kann. Bei Unsicherheiten oder Unklarheiten kann man den Branchenverband oder die zuständige Kammer kontaktieren, um Richtwerte zu erhalten.
Beachten Sie | Nicht jede Verschlechterung der Ausprägungen deutet automatisch auf Probleme hin. Das kann z. B. der Fall sein, wenn man plant, in einen neuen Markt zu expandieren oder versucht, an andere Kundengruppen zu gelangen. Hier ist es u. U. erforderlich, dass man für den Markteinstieg vorübergehend längere Zahlungsziele gewähren muss oder höhere Lagerbestände als üblich in Kauf nimmt, um auch immer pünktlich liefern zu können. Die Ausprägungen der Kennzahlen sollten aber ca. 1 ‒ 2 Jahre nach dem Markteintritt wieder auf das Niveau vor der Expansion sinken. Insofern muss man immer prüfen, warum sich Kennzahlen verändern, und erst danach Maßnahmen ableiten und nie „automatisch“ reagieren, weil man sonst evtl. mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet.
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Kenngröße | Formel | Beispiel | Aussage |
% vom Umsatz | Working-Capital × 100 ÷ Umsatz | 20 Mio. EUR Working-Capital ÷ 100 Mio. EUR Umsatz = 20 % | Gibt an, wie viel Working-Capital bei einer Umsatzsteigerung für jeden zusätzlich generierten EUR bereitgestellt werden muss (immer unter sonst gleichen Bedingungen). Je kleiner der %-Wert, desto günstiger. |
Reichweite in Tagen | Working-Capital ÷ Umsatz × 360 | 20 Mio. EUR Working-Capital ÷ 100 Mio. EUR Umsatz × 360 = 72,00 Tage | Gibt an, wie viele Tage zwischen- bzw. vorfinanziert werden müssen, bis 1 EUR investiertes Kapital als Zahlungseingang aus dem Umsatz in den Betrieb zurückfließen. Je kleiner die Reichweite, desto günstiger. |
Umschlagshäufigkeit | 360 ÷ Reichweite in Tagen | 360 ÷ 72,00 = 5,0 | Gibt an, wie viel Geld für Wachstum benötigt wird. Auf das Beispiel bezogen heißt das, dass 1 EUR Working-Capital benötigt wird, um 5 EUR Umsatz zu erzielen. Je größer bzw. höher die Umschlagshäufigkeit, desto besser. |
Forderungen | Formel | Beispiel | |
% vom Umsatz | Forderungen × 100 ÷ Umsatz | 10 Mio. EUR Forderungen ÷ 100 Mio. EUR Umsatz = 10,00 % | Zeigt den Anteil der Forderungen am Umsatz; je höher, desto schlechter für die Kapitalbindung. Steigende Anteile sollten nur in Expansionsphasen vorübergehend in Kauf genommen werden. |
Days Sales Outstanding (DSO, Forderungsreichweite) in Tagen | Forderungen ÷ Umsatz × 360 | 10 Mio. EUR Forderungen ÷ 100 Mio. EUR Umsatz × 360 = 36 Tage | Zeigt durchschnittliche Zeitdauer von der Rechnungsstellung bis zum tatsächlichen Zahlungseingang. Je höher, desto später Geldeingang, desto höher Kosten für Zwischenfinanzierung und Risiken. Der Wert sollte so nah wie möglich am Standard-zahlungsziel, z. B. 30 Tage, liegen. |
Umschlagshäufigkeit | Umsatz ÷ Forderungen | 100 Mio. EUR Umsatz ÷ 10 Mio. EUR Forderungen = 10 | Je höher Forderungsumschlag, desto kürzer die durchschnittliche Kreditdauer (Inanspruchnahme Zahlungsziele durch Kunden), desto geringer Zinsbelastung und Risiko (Zahlungsausfälle), desto besser eigene Liquidität, desto höher Wirtschaftlichkeit und Rentabilität. |
Vorräte | Formel | Beispiel | |
% vom Umsatz | Vorräte × 100 ÷ Umsatz | 10 Mio. EUR Vorräte ÷ 100 Mio. EUR Umsatz = 10,00 % | Zeigt den Anteil der Vorräte am Umsatz; je höher, desto schlechter für die Kapitalbindung. Steigende Anteile sollten nur in Expansionsphasen vorübergehend in Kauf genommen werden. |
Days Inventory Held (DIH, Produktionszyklus) | Vorräte ÷ Herstellkosten × 360 | 10 Mio. EUR Vorräte ÷ 20 Mio. EUR Herstellkosten × 360 = 180 Tage | Zeigt die durchschnittliche Reichweite der Vorräte in Tagen. Je höher, desto höher Lagerkosten und Risiken. Kein Richtwert möglich, da stark branchenabhängig, sollte über längere Zeit möglichst sinken. |
Umschlagshäufigkeit | Umsatz ÷ Vorräte | 100 Mio. EUR Umsatz ÷ 10 Mio. EUR Vorräte = 10 | Je höher Lagerumschlag, desto kürzer durchschnittliche Lagerdauer, desto geringer Zinsbelastung und Risiko (Zahlungsausfälle), desto besser eigene Liquidität, desto höher Wirtschaftlichkeit und Rentabilität. |
Verbindlichkeiten L+L | Formel | Beispiel | |
% vom Umsatz | Verbindlichkeiten LL × 100 ÷ Umsatz | 8 Mio. EUR Verbindlichkeiten ÷ 100 Mio. EUR Umsatz = 8 % | Zeigt den Anteil der Verbindlichkeiten LL am Umsatz; je höher, desto besser für die Kapitalbindung, da Zahlungen erst später fällig werden. Wird Skonto gewährt, sollte es immer gezogen werden. |
DPO (erhaltene Kredittage) | Verbindlichkeiten × 360 ÷ Herstellkosten | 8 Mio. EUR Verbindlichkeiten × 360 ÷ 20 Mio. EUR Herstellkosten = 144 Tage | Zeigt die durchschnittliche Reichweite der Verbindlichkeiten LL in Tagen. Je höher, desto geringer Kosten und Risiken. |
Umschlagshäufigkeit | Materialaufwand ÷ Verbindlichkeiten | 6 Mio. EUR Materialkosten ÷ 8 Mio. EUR Verbindlichkeiten = 0,75 | Je niedriger Umschlagshäufigkeit, desto besser, da ein Teil des Unternehmens durch Lieferer „kostenlos“ finanziert wird. |
2.2 Forderungen
Auch und gerade in Zeiten von und nach Corona gilt uneingeschränkt, dass man aktiv dafür sorgen muss, den Forderungsbestand so niedrig wie möglich zu halten. Zudem ist es oft einfacher und es geht schneller, den Forderungsbestand zu reduzieren, statt sich um die Optimierung der Bestände zu kümmern. Die Übersicht zeigt beispielhaft, welche Prozessschritte es gibt und welche Arbeiten innerhalb der Schritte umgesetzt werden können.
Übersicht / Überblick über mögliche Prozesse | |
Prozessschritt | Auswahl Arbeitsschritte je Prozessschritt |
| Kundenklassifizierung in ABC-Kunden, Individuelle Vereinbarungen mit A-Kunden, ansonsten Standard-Zahlungsbedingungen, mit Fokus (Firmen-)Lastschriften, Karten- oder Barzahlungen, Erhöhung von Anzahlungen und Abschlägen, Erfassung und Pflege von Stammdaten, Festlegung Auftragserfassung |
| Vorab Bonitätsprüfungen, lfd. Überwachung Zahlungsverhalten der Stammkunden, Vergabe und Anpassung Kreditlimits, Zahlungsabsicherung, z. B. über Kreditversicherer oder Nutzung Factoring |
| Prüfung auf verfügbare Kreditlimits, Lieferfreigabe bei Einhaltung oder nach Bezahlung, Regelung von Lieferstopps, ggf. Anpassung Verträge |
| Zeitnahe Fakturierung, richtige Rechnungen, Nutzung E-Rechnungen, Regeln für Sonderbedingungen, etwa Gutschriften, Festlegung Rechnungszyklen/-zahlläufe, um stille Kredittage zu minimieren |
| Automatisierte Überwachung offener Posten, Vorschläge für abgestuften Mahnprozess „mit Fingerspitzengefühl“, Entwicklung von Regeln für die Bearbeitung und Ausbuchung von Wertberichtigungen |
| Definition Eskalationspfade und Verantwortlichkeiten, Regelung Kundenkommunikation |
2.3 Lieferanten
Ebenfalls weitgehend uneingeschränkt gilt, dass man sich im Betrieb um Verbesserungen bei den Verbindlichkeiten LL kümmern sollte. Im Kern muss es darum gehen, Einkaufsrichtlinien zu entwickeln, mit Lieferanten hart aber fair zu verhandeln und die Zahlungsziele möglichst nach hinten zu verschieben. Wie bei den Forderungen gilt, dass der Gesamtprozess relativ einfach und schnell umzusetzen ist. Wie zuvor zeigt die Übersicht eine Auswahl von Prozessschritten und Arbeiten, um das Ziel zu erreichen.
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Prozessschritt | Auswahl Arbeitsschritte je Prozessschritt |
| Klassifizierung in ABC-Lieferanten, Lieferantenbewertung und -audits, Verbesserung der Lieferantenstruktur mit den Audits, Aufbau von Alternativlieferanten, Lieferantenentwicklung (i. S. v. Intensivierung der Zusammenarbeit mit guten Lieferanten oder Trennung von schlechten Anbietern) |
| Individuelle Vereinbarungen mit A-Lieferanten, sonst Standardbedingungen, harte aber faire Konditionenverhandlungen, Abschluss von Back-to-Back-Vereinbarungen (Hierbei deckt sich der Lieferer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit den Liefermengen ein, die mit dem Kunden vereinbart sind. Vorteile: Kunde kann Zeitpunkt wählen, zu dem ihm Preisniveau günstig scheint. Lieferant vermeidet durch sofortige Beschaffung Marktpreisrisiko). |
| Bedarfsgerechte Bestellung (s. Vorräte), Verknüpfung mit Vertriebs- und Produktionsplanung, Festlegung Bestellkanäle und -genehmigungsprozesse |
| Wareneingangsprüfungen (Voll- oder Stichprobenprüfung), Prüfung Liefertermineinhaltung, Rückmeldung für Lieferantenbewertung |
| Möglichst elektronische und standardisierte Rechnungsprüfung und automatisierte Rechnungsfreigabe |
| Automatisierte Zahlläufe, Festlegung Zahlungsarten und Regelung Skontonutzung, ggf. Inanspruchnahme Vorfinanzierungen wie Finetrading, Entwicklung von Regeln zur Reklamationsbearbeitung |
2.4 Anpassungen bei der Lieferantenauswahl durch Coronakrise prüfen
Die Erfahrungen in der Coronakrise zeigen aber auch, dass man bei der Auswahl der Lieferanten den Fokus nicht wie bisher vor allem auf Preise und günstige Konditionen legen sollte. Die Komponenten Lieferzuverlässigkeit und Versorgungssicherheit sollten zwingend eine stärkere Rolle spielen. Denn was nützt es z. B., einen Top-Preis zu erhalten, der nur zu realisieren ist, wenn die Produktion in Billiglohnländern stattfindet, hier aber während einer Pandemie die Lieferzuverlässigkeit stark eingeschränkt ist. Das gilt nicht nur in sicherheitsrelevanten Bereichen wie dem Gesundheitswesen, sondern auch in der „normalen“ Wirtschaft.
Die Lieferanten müssen so ausgewählt werden, dass die Wahrscheinlichkeit von Lieferunterbrechungen minimiert werden. Dazu ist eine Veränderung oder Erweiterung in der Verhandlungsführung in vielen Fällen dringend geboten. Bei Lieferantenbewertungen und Audits sollte dieser Aspekt unbedingt mit in die Auswahl einfließen. Und man sollte sich im Vertrag von seinen Lieferanten zusichern lassen, dass sie auch in Deutschland oder Europa fertigen, um die Abhängigkeiten zu verringern.
Beim dritten zentralen Einflussfaktor, den Beständen an Fertigwaren und Vorräten, ist es am problematischsten, Erfolge zu erzielen. Denn wenn man Verbesserungen bei den Beständen umsetzen möchte, müssen fast alle Bereiche eines Unternehmens einbezogen werden, z. B. Vertrieb, Produktion, Einkauf, Entwicklung, Buchhaltung und Controlling. Um nachhaltige Erfolge zu erreichen, genügt es nicht, z. B. kurzfristig wirksame Bestandssenkungsprogramme durchzuführen, sich von Ladenhütern oder von nicht mehr benötigten Lagern zu trennen.
Vielmehr muss die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens auf den Prüfstand gestellt werden und ggf. Verbesserungen umgesetzt werden. Die folgende Übersicht zeigt beispielhaft, welche Hauptprozessschritte und Arbeiten mindestens umgesetzt werden müssen.
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Prozessschritt | Auswahl Arbeitsschritte je Prozessschritt |
| Klassifizierung der Kunden nach ABC, möglichst gemeinsame Verkaufsplanung mit den Kunden nach Monaten und Produkten sowie ggf. Anbindung der Lieferanten an die eigene Verkaufsplanung |
| Aufbauend auf der Absatzplanung wird die Produktions- und Kapazitätsplanung erstellt, hierzu werden auch Produktlebenszyklen benötigt (bei „jungen“ Produkten wird i. d. R. Material über längere Zeiten benötigt, bei alten Artikeln kurz vor dem Ausmustern werden nur geringe Bestellmengen benötigt), Prüfung von Variantenreduktion und ggf. Aufbau standardisierter Vorprodukte, die sich in möglichst vielen Fertigteilen einsetzen lassen, grds. Einsatz professioneller Planungs- und Warenwirtschaftssysteme |
| Pflege und Verbesserung der Stammdaten, Überprüfung der Aktualität von Rezepturen und Zusammensetzungen von Produkten, Durchführung von Aktionen zur Bestellmengenoptimierung (i. W. Konzepte Just in Time bei A-Artikeln vs. erhöhte Lagerhaltung bei anderen Materialien) |
| Ablaufanpassungen in Abhängigkeit von Veränderungen im Kundenverhalten, konkrete Losgrößenplanung mit Minimierung von Rüst- und Instandhaltungszeiten, Qualitätsprüfungen, Auslieferung fehlerfreier Waren |
| Planung und Überprüfung von Lager- und Sicherheitsbeständen nach ABC-Kategorien, Entwicklung und Überprüfung von Just in Time, Entwicklung von Dispositions- und Bestellstrate-gien abhängig von der Regelmäßigkeit, in der Waren verkauft und Materialien benötigt werden, Konzeption Retourenmanagement bei Lieferfehlern, Berücksichtigung von Wiederbeschaffungszeiten, Planung Logistikversorgung und -konditionen |
2.5 Anpassungen bei der Vorratshaltung durch Coronakrise prüfen
Noch stärker als bei der Lieferantenauswahl sollte man die Erfahrungen der Coronakrise im Material- und Warenbereich berücksichtigen. Viele Firmen haben in den letzten Jahren ihre Lagerbestände, soweit es geht, minimiert und setzen in der Fertigung auf „Just in Time“. Bereits kleinere Störungen, wie z. B. die temporäre Blockade von Versorgungswegen, wie es u. a. durch verschiedene Flussunglücke in den letzten Jahren der Fall war, führen dazu, dass die Produktion unterbrochen werden musste.
Durch die aktuelle Krise entstehen in vielen Bereichen schnell längerfristige Unterbrechungen und Versorgungsengpässe, und auch Unternehmen, die eigentlich fertigen und verkaufen können, sind dazu nicht mehr in der Lage, weil es beim Nachschub Probleme gibt. Deshalb sollten auch, wenn es um die Optimierung der Lagerbestände geht, Konzepte wie Just in Time oder Minimierung von Lagerbeständen (sowohl in der Beschaffung als auch im Verkauf) überprüft werden. Das bedeutet nicht, dass man sich vollständig z. B. von Just in Time verabschieden muss. Es sollte aber überlegt werden, ob man die Lagerkapazitäten trotz u. U. höherer Kosten nicht zumindest in geringem Umfang aufstockt, um Reserven für 5 ‒ 10 Tagen zu haben. Denn sicher ist: Die nächste Krise kommt und auch, wenn sie weniger harte Einschnitte zur Folge hat, sollte man den Aspekten Versorgungssicherheit und Lieferfähigkeit deutlich mehr Priorität beimessen als bisher, auch wenn das bedeuten kann, dass die Kosten leicht steigen.
2.6 Kennzahlenausprägungen verbessern sich
Verbesserungen beim Working-Capital ziehen auch Verbesserungen bei den Ausprägungen von Kennzahlen nach sich, die für das Rating und die Bonitätseinstufung wichtig sind. Die Übersicht zeigt eine Kennzahlenauswahl sowie Orientierungswerte für gute Ausprägungen:
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Kennzahl | Formelvorschlag | Günstige Werte |
Eigenkapitalanteil | (Bilanzielles oder wirtschaftliches Eigenkapital) × 100 ÷ Bilanzsumme | > 20 % |
Schuldentilgungsdauer | (Fremdkapital ‒ flüssige Mittel) ÷ (operativen) Cashflow | < 5 ‒ 10 Jahre |
Liquiditätsgrad III/Working-Capital-Ratio | Umlaufvermögen (Working Capital ohne flüss. Mittel) × 100/ Verbindlichkeiten LL | 130 ‒ 150 % |
Gesamtkapitalrendite | (Gewinn + Zinsen) × 100 ÷ Gesamtkapital | > 8 ‒ 12 % |
Umsatz-/EBIT-Rendite | Gewinn (Gewinn vor Zinsen und Steuern) × 100 ÷ Nettoumsatz | Individuell, Werte z. B. bei Verband erfragen |
Operativer Cashflow | Jahresüberschuss/-fehlbetrag + Abschreibungen +/‒ Veränderungen Forderungen, Vorräte, Verbindlichkeiten LL | Individuell, möglichst > Umsatz-/EBIT-Rendite |
Deckungsgrad II | (Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital) × 100 ÷ Anlagevermögen | 130 ‒ 150 % |
Debitorenlaufzeit | Forderungen × 360 ÷ Nettoumsatz | Möglichst ≤ Standard-Zahlungsziel, z. B. 30 Tage |
Kreditorenlaufzeit | Verbindlichkeiten LL × 360 ÷ Materialaufwand | Möglichst > Debitorenlaufzeit |
Beachten Sie | Die Formelzusammensetzungen orientieren sich an häufig eingesetzten Varianten; es sind aber auch abweichende Formeln möglich. Die Orientierungswerte für günstige Ausprägungen können von Bank zu Bank schwanken.
FAZIT | Bisher wurde es als gut angesehen, die Bestände soweit abzusenken wie irgend möglich und mit Lieferanten zusammen zu arbeiten, die möglichst preiswert angeboten haben. In schwierigen Zeiten wie der aktuellen Coronakrise ist jedoch zumindest in Teilen ein Umdenken notwendig. Denn sehr knappe Waren- und Materialbestände bergen hohe Risiken. Daher sollte man bei einer Optimierung des Working-Capitals künftig auch den Aspekt bessere Versorgungssicherheit mit einbeziehen, auch wenn das am Ende bedeuten kann, dass man wieder etwas höhere Lagerbestände in Kauf nehmen und Lieferanten, die stärker in Europa fertigen, höhere Preise zugestehen muss. Dennoch bietet der Gesamtkomplex Working-Capital gerade für kleinere Betriebe noch ein enormes Sparpotenzial, etwa im Bereich Forderungen oder auch Verbesserung und Digitalisierung interner Abläufe. |