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· Fachbeitrag · Zwangsversteigerung

Veräußerungsverbot und Zwangssicherungshypothek der Staatsanwaltschaft

| Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Der Schuldner ist mit seinen Hausgeldzahlungen an die Wohnungseigentümergemeinschaft mit 8.000 EUR im Rückstand. Diese erwirkt ein Versäumnisurteil und beantragt, die Zwangsversteigerung der Wohnung aus den Rangklassen 2, 4 und 5 gemäß § 10 Abs. 1 ZVG anzuordnen. Das Vollstreckungsgericht weist den Antrag zurück, da bereits für das Land auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft im Wege der Arrestvollziehung ein Veräußerungsverbot (Abteilung II/6) und eine Zwangssicherungshypothek über 20.000 EUR (Abt. III/3) eingetragen war. Zu Recht? |

1. Diese Fragen beantwortet der BGH

Der BGH hat jetzt einen solchen Fall behandelt (30.4.20, I ZB 61/19; Abruf-Nr. 216492). Er verwies die Sache zur erneuten Entscheidung über die Anordnung der Zwangsversteigerung an das Vollstreckungsgericht zurück. Beantwortet hat er die folgenden Fragen:

 

  • Gilt bei Vollziehung eines Vermögensarrests durch die Staatsanwaltschaft durch Eintragung einer Sicherungshypothek das Vollstreckungsverbot nach § 111h Abs. 2 S. 1 StPO auch bei der Immobiliarvollstreckung (s. hierzu unten, 1. a)?

 

  • Steht das Vollstreckungsverbot nach § 111h Abs. 2 S. 1 StPO der Vollstreckung durch sämtliche, somit auch vorrangige Gläubiger, entgegen (s. hierzu unten, 1. b)?

2. Reichweite des Vollstreckungsverbots

Zur ersten, lange umstrittenen Frage spricht der BGH wie folgt Klartext:

 

  • 1.a) Das in § 111h Abs. 2 S. 1 StPO angeordnete Vollstreckungsverbot gilt für alle in § 111f StPO geregelten, in Vollziehung eines Vermögensarrests entstehenden Sicherungsrechte der Staatsanwaltschaft; insbesondere greift es auch dann ein, wenn der Vermögensarrest in ein Grundstück bewirkt worden ist.
  • 1.b) Das Vollstreckungsverbot des § 111h Abs. 2 S. 1 StPO unterbindet nur die Zwangsvollstreckung aus Rechten, die gegenüber dem in Vollziehung des Vermögensarrests entstandenen Sicherungsrecht der Staatsanwaltschaft nachrangig sind.
 

Er bejaht sie damit. Hierfür spricht einerseits die Tatsache, dass der Gesetzeswortlaut „im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind“, als Oberbegriff für sämtliche in § 111f StPO genannten, im Wege der Arrestvollziehung entstehenden Sicherungsrechte zu verstehen ist.

 

Andererseits bezweckt das Gesetz, die in Vollziehung eines Vermögensarrests entstehenden Sicherungsrechte (hier: Sicherungshypothek) einerseits durch das Veräußerungsverbot (§ 111h Abs. 1 StPO) und andererseits durch das Vollstreckungsverbot (§ 111h Abs. 2 StPO) zu schützen.

 

MERKE | § 111h Abs. 2 S. 1 StPO verhindert, dass durch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zwischen der Arrestvollziehung und der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Absonderungsrechte einzelner Gläubiger entstehen, die die Vermögensmasse zulasten der Verletzten schmälern würden. Zwar kann darüber hinaus das Grundstück aufgrund des Vermögensarrestes nicht mehr als Kreditsicherheit dienen und daher belastet werden. Dies ist allerdings keine Folge des Vollstreckungsverbots, sondern vielmehr Ausfluss der Tatsache, dass nachfolgende Belastungen wegen des in § 111h Abs. 1 StPO geregelten (und unzweifelhaft auch bei Sicherungshypotheken eingreifenden) Veräußerungsverbots sowieso bereits relativ unwirksam sind. Insofern können „kleine“ Vermögensarreste „große“ Vermögenswerte zwar blockieren. Dies ist jedoch angesichts der Absicht legitim, rechtswidrig erlangte Vermögensvorteile effektiv abzuschöpfen.

 

3. Wem gegenüber gilt das Vollstreckungsverbot?

Auch hierzu hat der BGH eine klare Aussage getroffen:

 

  • Leitsatz 2: BGH 30.4.20, I ZN 61/19

Vollstreckungsmaßnahmen anderer Gläubiger bleiben auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft in Vollziehung eines Vermögensarrests die Eintragung einer Sicherungshypothek bewirkt hat, insoweit zulässig, als sie auf Rechten beruhen, die nach dem Rangklassensystem des § 10 ZVG Vorrang genießen; infolgedessen kann eine Wohnungseigentümergemeinschaft weiterhin die Zwangsversteigerung wegen Ansprüchen der Rangklasse 2 des § 10 Abs. 1 ZVG betreiben.

 

Der Senat ist der Ansicht, dass § 111h Abs. 2 S. 1 StPO nur die Zwangsvollstreckung aus Rechten, die gegenüber der Staatsanwaltschaft nachrangig sind, insofern verhindert, als vorrangige Gläubiger nicht an einer Vollstreckung gehindert werden. Der in § 111h Abs. 2 S. 1 StPO verwendete Wortlaut „Zwangsvollstreckungen in Gegenstände“ ist nämlich nicht in einem engen vollstreckungsrechtlichen Sinne, sondern als Oberbegriff zu verstehen. Gemeint ist daher der Beginn der Zwangsvollstreckung.

 

Beachten Sie | Dementsprechend wird die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen nur insoweit untersagt, als weitere Zwangssicherungshypotheken nicht eingetragen, während besserrangige Rechte nicht beeinträchtigt werden dürfen. Solche besseren Rechte ergeben sich bei der Immobiliarvollstreckung aber gerade aus dem Rangklassensystem des § 10 Abs. 1 ZVG.

 

Mit dem Vollstreckungsverbot wollte der Gesetzgeber nämlich gerade nicht in vorrangige Rechte eingreifen. Beseitigt werden sollte vielmehr die als „Windhundrennen“ empfundene Geltung des Prioritätsgrundsatzes im Ver-hältnis der Verletzten einer Straftat untereinander (vgl. BT-Drucksache 18/9525, S. 1). Der sichergestellte Gegenstand soll vielmehr frei von nachrangigen Belastungen verwertet werden können. Somit kann der Erlös für eine Verteilung in einem Entschädigungs- oder Insolvenzverfahren zur Verfügung stehen. Insoweit sichert das Vollstreckungsverbot den „grundsätzlichen Vorrang der Verletzten vor anderen Gläubigern“ (vgl. BT-Drucksache 18/9525, S. 78 f.). Es geht also darum, dass keine weiteren Absonderungsrechte zwischen Arrestvollziehung und Insolvenzeröffnung entstehen. Auch im Insolvenzverfahren bleibt die Rechtsposition zuvor entstandener Absonderungsrechte unberührt, sodass der dingliche Gläubiger seine Rechte an Grundstücke im Wege der Zwangsversteigerung außerhalb des Insolvenzverfahrens verfolgen kann und muss (§ 49 InsO). Diese Regelung wäre letztlich ad absurdum geführt, wenn der Gläubiger nun durch das Veräußerungsverbot des § 111h StPO an der Durchführung des Versteigerungsverfahrens gehindert würde.

4. Fazit

Die Entscheidung stellt somit klar, dass § 111h StPO nur vor einem gutgläubigen Erwerb nachrangiger Sicherungsrechte, die nach der Arresthypothek eingetragen werden, schützen soll, nicht aber die Vollstreckung vorrangiger dinglicher Gläubiger verhindern will. Damit wird ein Wettlauf persönlicher Gläubiger, vor allem weiterer Tatgeschädigter, verhindert. Insofern ist die Vollstreckung vorrangiger Rechte nicht berührt, sonst wären bereits manifestierte Rechte vorrangiger Gläubiger vereitelt und nicht mehr durchsetzbar. Würde nämlich ein generelles Vollstreckungsverbot gelten, könnten auch besserangige Gläubiger ihre Forderungen nicht durchsetzen. Selbst ein Vollstreckungsantrag der Staatsanwaltschaft aus der Zwangssicherungshypothek bringt keine Abhilfe. Denn einerseits wäre der Gläubiger auf den Antrag und die Verfahrensführung der Staatsanwaltschaft angewiesen. Andererseits würden zudem vorrangige Rechte im geringsten Gebot bestehen bleiben (§ 45 ZVG) und sind bei der Verteilung des Versteigerungserlöses vorrangig zu berücksichtigen. Dies dürfte oft zur Ergebnislosigkeit des Verfahrens führen, wenn die bestehen bleibenden Rechte den Grundstückswert übersteigen. Hierzu folgendes Beispiel:

 

  • Berechnung

In Ergänzung zum Ausgangsfall ist das Wohnungseigentum (Wert: 300.000 EUR) des S in Abteilung III des Grundbuchs wie folgt belastet:

 

III/1 Buchgrundschuld für Sparkasse A von 200.000 EUR nebst 15 Prozent Zinsen

III/2 Zwangssicherungshypothek für Finanzamt A in Höhe von 50.000 EUR

III/3 Zwangssicherungshypothek für Land in Höhe von 20.000 EUR

 

Die Zwangsversteigerung wurde aufgrund eines Antrags der Staatsanwaltschaft aus dem Recht III/3 angeordnet. Das im Versteigerungstermin zu verkündende geringste Gebot stellt sich wie folgt dar (vereinfacht dargestellt):

 

Bestehen bleibende Rechte

III/1 Buchgrundschuld für Sparkasse A von 200.000 EUR nebst 15 Prozent Zinsen

III/2 Zwangssicherungshypothek für Finanzamt A in Höhe von 50.000 EUR

(Mindest)Bargebot

Gerichtskosten (angenommen)

5.000,00 EUR

Angemeldete rückständige Hausgeldforderungen der Eigentümergemeinschaft (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG)

8.000,00 EUR

Angemeldete rückständige öffentlich-rechtliche Forderungen der Stadt A (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG)

2.000,00 EUR

lfd. und 2-jährige rückständige Zinsen aus III/1 (geschätzt)

90.000,00 EUR

105.000,00 EUR

 

Lösung

Im ersten Versteigerungstermin müssen mindestens 5/10 des Verkehrswerts, also 150.000 EUR geboten werden, damit ein Zuschlag überhaupt erfolgen kann. Ist dies der Fall, müsste der Ersteher noch zusätzlich bestehen bleibende Rechte in Höhe von 250.000 EUR übernehmen. Wirtschaftlich hätte er damit insgesamt 400.000 EUR geboten (150.000 EUR Bargebot + 250.000 EUR bestehen bleibende Rechte).

 

Die Praxis lehrt, dass sich dafür i. d. R. keine Interessenten finden lassen. Folge: Das Verfahren ist mangels Gebotsabgabe einstweilen einzustellen (§ 77 Abs. 1 ZVG).

 

In einem ggf. zweiten Termin ist die Situation noch schlechter. Dadurch, dass sich bis dahin die dinglichen Zinsen weiter erhöhen, ist das wirtschaftliche Ergebnis für einen potentiellen Ersteher noch ungünstiger. Es wird daher wohl auch im zweiten Termin kein Gebot abgegeben werden, sodass das Verfahren aufzuheben ist (§ 77 Abs. 2 ZVG).

 

 

Unter bestimmten Umständen haben somit die Wohneigentümergemeinschaft sowie Gläubiger von öffentlichen Lasten das Recht, die Zwangsversteigerung durchzuführen, auch wenn ein Veräußerungsverbot durch die Staatsanwaltschaft begründet wurde. Entscheidend ist daher der Rang der jeweiligen Forderung. Wenn nämlich die Wohneigentümergemeinschaft sowie Gläubiger von öffentlichen Lasten ihre Rechtspositionen im Zwangsversteigerungsverfahren aus der Rangklasse 2 bzw. Rangklasse 3 gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 ZVG verfolgen, gehen sie damit der Sicherungshypothek der Staatsanwaltschaft aus Rangklasse 4 (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG) im Range vor.

 

Für ein Insolvenzverfahren folgt daraus, dass in der Rangklasse 2, und 3 gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 ZVG Absonderungsrechte nach § 49 InsO auch nach Eintragung der Sicherungshypothek der Staatsanwaltschaft entstehen können, weil das Absonderungsrecht aus diesen Rangklassen gerade nicht durch eine Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahme, sondern kraft gesetzlicher Anordnung entsteht. Die Bevorrechtigung dieser Ansprüche ergibt sich damit allein aus der Einordnung innerhalb des Rangklassensystems des § 10 ZVG. Denn selbst bei einer durch Staatsanwaltschaft betriebenen Zwangsversteigerung fallen ‒ wie dargestellt ‒ die Rechte der Rangklassen 2 und 3 nach rechtzeitiger Anmeldung in das geringste Gebot.

Quelle: Seite 175 | ID 46807151