· Fachbeitrag · Einzusetzendes Vermögen
BGH stellt Altersvorsorge des verheirateten und nicht erwerbstätigen Kinds auf den Prüfstand
von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg
| Der Gesetzgeber fordert von den Bürgern zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Hierfür muss die aus den monatlichen Einkommensrücklagen gebildete Alterssicherung des Unterhaltspflichtigen vor Elternunterhaltsansprüchen nach § 1603 Abs. 1 BGB geschützt sein. Diese generalisierende Betrachtungsweise aus seiner Entscheidung vom 30.8.06 (XII ZR 98/04 ) hat der BGH in einer neuen Entscheidung modifiziert. Sie betrifft den Fall, dass das unterhaltspflichtige Kind in einer Alleinverdienerehe lebt und kein eigenes Erwerbseinkommen erzielt. |
1. Ausgangslage
Mit der schrittweisen Reduzierung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Einführung der geförderten privaten Altersversorgung hat der Gesetzgeber die Verantwortung jedes Einzelnen hervorgehoben, zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung für seine Altersversorgung rechtzeitig und ausreichend vorzusorgen. Da sich die Eigenvorsorge auf Zeiten in der Zukunft erstreckt, in denen kein Erwerbseinkommen mehr zu erwarten ist, müssen vorher entsprechende finanzielle Vorkehrungen getroffen werden, um sich durch die Schaffung eines zusätzlichen Altersvorsorgevermögens einen eigenen, den bisherigen Lebensverhältnissen angemessenen Lebensunterhalt zu sichern, den die gesetzliche Rente allein nicht mehr gewährleistet.
Vor diesem Hintergrund hat der BGH auch dem gegenüber Eltern unterhaltspflichtigen Kind die Möglichkeit eröffnet, geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit es im Alter nicht selbst auf Unterhaltsansprüche oder sonstige staatliche Förderungen angewiesen ist. Neben den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung sind tatsächliche Aufwendungen für eine zusätzliche Altersversorgung von bis zu 5 % des monatlichen Bruttoeinkommens des abhängig beschäftigten unterhaltspflichtigen Kindes abzugsfähig. Dabei steht es dem Unterhaltspflichtigen grundsätzlich frei, in welcher Weise er diese anzuerkennende zusätzliche Vorsorge für sein Alter trifft (z.B. Erwerb von Wertpapieren oder Fondsbeteiligungen bzw. Anlage eines bloßen Sparvermögens).
2. Der Fall des BGH (29.4.15, XII ZB 236/14, Abruf-Nr. 177216)
Von 1992 bis zu ihrem Tod 2013 war die Mutter der verheirateten Tochter T zur stationären Pflege in einem Seniorenzentrum untergebracht. Seit 1997 gewährte der Antragsteller Sozialhilfe zur Deckung der monatlichen Heimkosten. Nach der Geburt ihres ersten Kindes gab T ihre Erwerbstätigkeit 1974 auf. Die T lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann in einem in ihrem Alleineigentum stehenden Einfamilienhaus. Daneben verfügt sie über nicht unerhebliches Kapitalvermögen. Der Sozialhilfeträger fordert von T aus übergegangenem Recht (§ 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII) für den Zeitraum vom 1.1.10 bis zum Tod der Mutter Elternunterhalt von 7.300 EUR. Das AG hat die T antragsgemäß verpflichtet. Auf ihre Beschwerde hat das OLG den Antrag zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde. Zwischen den Beteiligten stehen dabei sämtliche Voraussetzungen für einen Übergang des Anspruchs der Mutter auf Elternunterhalt dem Grunde und der Höhe nach außer Streit. Dementsprechend steht ausschließlich die Frage der Leistungsfähigkeit der nicht erwerbstätigen, verheirateten T - im Hinblick auf einsetzbare laufende Einkünfte oder verwertbares Vermögen - zur Überprüfung durch den BGH.
3. Grundlagen
Die Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit für den geforderten Elternunterhalt folgt im Ausgangspunkt den üblichen unterhaltsrechtlichen Grundsätzen.
a) Einzusetzendes Einkommen
Das unterhaltspflichtige Kind hat in erster Linie sein Einkommen zur Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen einzusetzen. Zum unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen zählen grundsätzlich sämtliche dem Unterhaltspflichtigen laufend zufließenden regelmäßigen oder unregelmäßigen Einkünfte, unabhängig von ihrem Rechtsgrund. Nach dem Zuflussprinzip ist auf den im Streit stehenden Zeitraum abzustellen. Zu den laufenden unterhaltsrelevanten Einkünften zählen:
- Einkommen aus Erwerbstätigkeit,
- Gebrauchsvorteile durch das Wohnen in einem Eigenheim. Denn dadurch entfällt die Notwendigkeit der Mietzahlung, die zum allgemeinen Lebensbedarf gehört. In der Praxis spielt gerade der nur mit der individuell ersparten Miete (und nicht mit der objektiven Marktmiete) zu bemessende angemessene Wohnvorteil des unterhaltspflichtigen Kindes eine besondere Rolle und
- Vermögenserträge, wie etwa Zinseinkünfte, über die der Unterhaltspflichtige verfügt bzw. hätte verfügen können.
b) Einzusetzendes Vermögen
Kann das unterhaltspflichtige Kind aus seinen laufenden Einkünften wegen des ihm monatlich zu belassenden Selbstbehalts weder ganz noch teilweise Elternunterhalt zahlen, schließt sich die Frage nach einer Vermögensverwertung an. Ob der Unterhaltspflichtige gehalten ist, sein vorhandenes Vermögen für den Elternunterhalt einzusetzen, richtet sich nach § 1603 Abs. 1 BGB. Danach ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Hierzu außerstande ist jedoch nicht, wer über verwertbares Vermögen verfügt. Eine Verwertung des Vermögensstamms kann nicht verlangt werden, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Sicherung des eigenen angemessenen Unterhalts benötigt. Auch die Verwertung einer angemessenen selbstgenutzten Immobilie kann regelmäßig nicht gefordert werden. Ferner ist dem Unterhaltspflichtigen ein Notgroschen für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-)Bedarfs zuzubilligen.
c) Einzusetzendes Altersvorsorgevermögen
Hat der Unterhaltspflichtige in seiner Lebensplanung tatsächlich angesparte Vermögenswerte für die eigene Alterssicherung vorgesehen, kann ein verzehrender Vermögenseinsatz für den Elternunterhalt nur in dem Umfang gefordert werden, in dem dies zumutbar ist. Für einen in einer Alleinverdienerehe lebenden, nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen stellt sich dabei die Frage, ob sein vorhandenes Altersvorsorgevermögen unterhaltsrechtlich den gleichen Schutz verdient wie das angesammelte sekundäre Altersvorsorgevermögen eines erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen.
Für die pauschalierende Berechnung des konkreten Altersvorsorgevermögens eines erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen, welche allerdings nur bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze gilt (für die Zeit danach siehe am Ende dieses Beitrags), hat der BGH in seiner vorbezeichneten Entscheidung vom 30.8.06 Vorgaben gemacht und diese mit Beschluss vom 7.8.13 (XII ZB 269/13) weiter präzisiert. Danach ist auf das letzte Bruttoeinkommen als Basiseinkommen abzustellen. Das Altersvorsorgevermögen errechnet sich dann aus den in Höhe von 5 % dieses Bruttoeinkommens zugebilligten monatlichen Altersvorsorgeaufwendungen unter Berücksichtigung einer Rendite, die für ein lang andauerndes Berufsleben mit 4 % zu bemessen ist. Der Berechnungszeitraum umfasst dabei die Zeit vom Einstieg in das Erwerbsleben bis zum Beginn der Unterhaltsverpflichtung. (Für die Praxis stehen als Hilfsmittel für die jeweilige Berechnung Formeln und Tabellen zur Verfügung.)
Im Streitfall hat das OLG für T auf diesem Berechnungsweg unter Zugrundelegung von fiktiven 41 Berufsjahren sowie des hälftigen Bruttoeinkommens ihres Ehemanns ein Altersvorsorgevermögen in Höhe von rund 178.000 EUR ermittelt. Ihr tatsächliches Vermögen liegt unter diesem Betrag.
4. Besonderheiten bei Alleinverdienerehen
Der BGH will die für die zusätzliche Alterssicherung des erwerbstätigen Unterhaltsverpflichteten entwickelten Grundsätze nicht ohne Weiteres auf eine verheiratete Unterhaltspflichtige übertragen, die als Hausfrau über kein eigenes Erwerbsvermögen verfügt. Für deren Alter vorzusorgen, obliegt vielmehr dem erwerbstätigen Ehegatten im Rahmen des Familienunterhalts. So wie die Ehegatten in einer Alleinverdienerehe während der aktiven Zeit des erwerbstätigen Ehegatten von dessen Einkommen leben, leben sie nach Renteneintritt gemeinsam von dessen Rente nebst privater Zusatzversorgung.
Ein Bedürfnis zur Bildung eines eigenen Altersvorsorgevermögens besteht für den nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen allerdings dann, wenn er über seinen Ehegatten für das Alter nicht hinreichend abgesichert ist. Von einer hinreichenden Absicherung des unterhaltspflichtigen Kindes ist dann auszugehen, wenn sein Ehegatte selbst über eine den Maßstäben zum Elternunterhalt entsprechende Altersversorgung verfügt. Deshalb ist für die Prüfung, ob auf das Vermögen des nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen zurückgegriffen werden kann, zugleich die Kontrollberechnung anzustellen, ob sein Ehegatte hinreichend für das Alter abgesichert ist. Das ist im Zweifel zu verneinen, wenn er über keine zusätzliche Altersversorgung verfügt, die einem Kapital von 5 % seines Bruttoeinkommens unter Berücksichtigung einer jährlichen Kapitalverzinsung von 4 % bezogen auf den Zeitraum vom Einstieg in das Erwerbsleben bis zum Beginn der Unterhaltsverpflichtung entspricht.
Erscheint die von dem erwerbstätigen Ehegatten begründete Altersversorgung hiernach unzureichend, so ist mit dem Vermögen des unterhaltspflichtigen Kinds die entsprechende Versorgungslücke aufzufüllen. In diesem benötigten Umfang ist sein vorhandenes Vermögen nicht i.S. von § 1603 Abs. 1 BGB verwertbar und deshalb nicht für den Elternunterhalt einzusetzen. Hierfür - wie auch sonst für die geltend gemachte Leistungsunfähigkeit - trägt das unterhaltspflichtige Kind die Darlegungs- und Beweislast.
5. Ergebnis im aktuellen Fall des BGH
Der BGH hat die Sache an das OLG zurückverwiesen und zur Prüfung folgender Punkte aufgefordert:
- Es erscheint möglich, dass die Antragsgegnerin (teilweise) aus ihren Einkünften zur Zahlung von Elternunterhalt leistungsfähig ist, weil sie aufgrund ihres nicht unerheblichen Vermögens, das unbestritten mit bereinigt 98.095 EUR anzusetzen ist, im hier relevanten Zeitraum über Zinseinnahmen verfügt hat bzw. hätte verfügen können.
- Ihr eigener Bedarf kann ganz oder teilweise durch den von ihrem Ehemann aufzubringenden Familienunterhalt und ihrem noch im Einzelnen festzustellenden Wohnvorteil gesichert gewesen sein.
- Bei der gebotenen Berechnung des Familieneinkommens ist vom OLG außerdem zu beachten, dass der Ehemann der Antragsgegnerin mit Erreichen der Regelaltersgrenze das von ihm zusätzlich gebildete Altersvorsorgevermögen als zusätzliches Einkommen einzusetzen hat. Dieses ist in eine an seiner statistischen Lebenserwartung orientierte Monatsrente umzurechnen (BGH 21.11.11, XII ZR 150/10, Abruf-Nr. 130014).
- Im Übrigen muss das OLG die fehlenden Feststellungen nachholen, ob die Antragsgegnerin über ihren Ehemann für das Alter bereits hinreichend abgesichert ist oder ob und inwieweit sie ihr Vermögen benötigt, um die auf einem unzureichenden Altersvorsorgevermögen ihres Ehemannes beruhende Versorgungslücke aufzufüllen.
Weiterführender Hinweis
- Zur Berechnung des Taschengeldsanspruchs bei Elternunterhalt, SR 13, 22