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· Fachbeitrag · Elternunterhalt in Europa (Teil 3)

Internationale Zuständigkeit für Unterhaltsprozesse und anwendbares Recht

von RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, RiOLG a. D., Berlin

| Unterhaltsstreitigkeit mit Auslandsberührung nehmen zu. Nach der vorrangigen Prüfung der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (siehe Teil 1 des Beitrags) ist in einem zweiten Schritt das anzuwendende materielle Unterhaltsrecht (sog. Unterhaltsstatut), zu bestimmen (siehe Teil 2 des Beitrags). Der abschließende dritte Teil befasst sich mit Sonderregelungen beim Unterhaltsstatut und Verteidigungsstrategien. |

1. Sonderregelungen

Für die in Art. 4 Abs. 1c HUP aufgeführten unterhaltsberechtigten Eltern gilt im Ausgangspunkt die Grundregel des Art. 3 Abs. 1 HUP, d. h. es ist auf das Recht an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort abzustellen. Art. 4 Abs. 2 HUP macht hiervon eine Ausnahme, wenn der Berechtigte nach dem in Art. 3 vorgesehenen allgemeinen Unterhaltsstatut von dem Verpflichteten keinen Unterhalt erhalten kann. In diesem Fall gilt gemäß Art. 4 Abs. 2 HUP das Recht des angerufenen Gerichts.

 

PRAXISTIPP | Diese Sonderregelung ist allerdings nahezu bedeutungslos, da sie von dem Günstigkeitsprinzip nach Art. 4 Abs. 3 S. 1 HUP verdrängt wird.

 

Art. 4 Abs. 4 HUP mit seiner Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht greift ein, wenn ein Elternteil weder nach der lex fori noch nach dem Recht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt von der verpflichteten Person Unterhalt erhalten kann.

 

  • Beispiel: Bezug zu Italien

Die unterhaltsbedürftige italienische Mutter, die in Deutschland lebt, kann von ihrem Sohn aufgrund seiner bestehenden Erwerbsunfähigkeit keinen Unterhalt erhalten. Die Mutter nimmt deshalb ihre italienische Schwester, die über hohe Erwerbseinkünfte verfügt, vor dem zuständigen deutschen Gericht auf Unterhalt in Anspruch. Mit Erfolg?

 

Hier ist mit Blick auf Art. 3a und b EuUnthVO unerheblich, ob die Schwester in Deutschland oder in Italien wohnt. Im Gegensatz zum deutschen Recht, das eine Unterhaltsverpflichtung zwischen Geschwistern nicht kennt, sieht das italienische Recht eine solche vor. Nach Art. 433 Nr. 2, 4 und 6, 439 Codice civile sind Geschwister einander zum Unterhalt verpflichtet. Der Unterhalt ist allerdings auf den notwendigen Bedarf beschränkt. Auf diese Unterhaltsverpflichtung kann sich die Mutter mit Blick auf die gemeinsame italienische Staatsangehörigkeit und das gemeinsame Heimatrecht mit Erfolg berufen.

 

  • Abwandlung: Bezug zu Belgien

Der Sozialhilfeträger will für die in einem Pflegeheim in Deutschland untergebrachte unterhaltsbedürftige Mutter, die die belgische Staatsangehörigkeit besitzt, Unterhalt geltend machen. Er überlegt, den mit der Tochter verheirateten Schwiegersohn ‒ beide ebenfalls belgische Staatsangehörige und in Belgien wohnhaft ‒ vor einem belgischen Gericht in Anspruch zu nehmen. Sollte man davon abraten?

 

Art. 205, 206 des belgischen Code civil begründet nicht nur eine Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren Eltern, sondern erstreckt diese auch auf die Schwiegerkinder, die ihren Schwiegereltern gegenüber unterhaltspflichtig sind. Die Höhe des Unterhaltsanspruchs ist abhängig vom Bedarf des Unterhaltsberechtigten, der am Notbedarf zu messen ist, sowie von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.

 

Der Sozialhilfeträger kann daher den Schwiegersohn in Belgien nach Art. 4 Abs. 4 HUP unmittelbar auf Unterhalt in Anspruch nehmen, auch wenn das deutsche Recht eine solche „Schwiegerkinderhaftung“ nicht kennt.

2. Besondere Mittel zur Verteidigung

Bei Unterhaltsverhältnissen, die nicht gegenüber einem Kind aufgrund einer Eltern-Kind-Beziehung oder zwischen Ehegatten bestehen, wird gemäß Art. 6 HUP zulasten des Unterhaltsberechtigten eine besondere Möglichkeit der Verteidigung geschaffen. Diese besondere Verteidigungsmöglichkeit ist gerade auch beim Elternunterhalt relevant.

 

Die auf Unterhalt in Anspruch genommene Person kann nach Art. 6 HUP dem Unterhaltsanspruch entgegenhalten, dass für sie weder nach dem Recht des Staates, in dem die verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, noch nach dem Recht des Staates, dem die Parteien gemeinsam angehören, eine solche Unterhaltspflicht besteht.

 

  • Beispiel: Bezug zu Schweden

Der Sozialhilfeträger nimmt die Tochter aus übergegangenem Recht auf Elternunterhalt für ihren in einem Pflegeheim in Deutschland untergebrachten Vater in Anspruch. Der Vater ist schwedischer Staatsangehöriger. Die Tochter, die ebenfalls die schwedische Staatsangehörigkeit besitzt, lebt in Schweden. Der Sozialhilfeträger reicht den Unterhaltsantrag bei dem nach Art. 3 lit. a EuUnthVO zuständigen schwedischen Gericht ein. Die Tochter erhebt im Verfahren den Einwand nach Art. 6 HUP. Wie wird das Gericht entscheiden?

 

Das schwedische Recht kennt keine Unterhaltsverpflichtung für Verwandte in aufsteigender Linie. Die nicht durch Einkommen und Vermögen des pflegebedürftigen Elternteils gedeckten Pflegekosten werden daher gesellschaftlich finanziert, soweit der bedürftige Elternteil in Schweden lebt. Auch in Finnland wird beispielsweise kein Elternunterhalt geschuldet.

 

Im Beispiel wird daher die Tochter mit ihrem Einwand nach Art. 6 HUP durchdringen. Nichts anderes würde gelten, wenn das Recht eines Drittstaates ‒ wie etwa das von Norwegen oder einiger Staaten der USA ‒ anzuwenden wäre (Art. 3 HUP), das keinen Elternunterhalt vorsieht.

 

MERKE |

  • Im obigen Beispiel, in dem die Geschwister beide die italienische Staatsangehörigkeit besitzen, steht der auf Unterhalt in Anspruch genommenen Schwester die Einrede nach Art. 6 HUP nicht zur Verfügung.
  •  
  • Zwar besteht für sie nach deutschem Recht keine Unterhaltsverpflichtung. Sie ist ihrer Schwester jedoch aufgrund der gemeinsamen italienischen Staats-angehörigkeit nach dem gemeinsamen italienischen Heimatrecht zum Unterhalt verpflichtet, sodass die Voraussetzungen Art. 6 HUP nicht vorliegen.

 

  • Entsprechendes gilt für die Abwandlung und die Unterhaltsverpflichtung des Schwiegersohns aufgrund des gemeinsamen belgischen Heimatrechts.
 

3. Übergegangene Unterhaltsansprüche

Wenn einem Elternteil öffentliche Hilfen geleistet werden, richtet sich der Anspruchsübergang auf den Träger der öffentlichen Leistungen sowie die Erstattung und die Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs gemäß Art. 15 EuUnthVO, Art. 10 HUP nach dem Recht, dem diese Einrichtung untersteht.

4. Abschließende Hinweise

Der unterhaltsberechtigte Elternteil kann seinen Unterhaltsanspruch in Fällen mit Auslandsberührung direkt im Inland oder im Ausland bei dem gemäß Art. 3a oder b EuUnthVO international zuständigen Gericht geltend machen (lassen).

 

Alternativ bzw. ergänzend kann er aber auch um behördliche Unterstützung durch das in Bonn ansässige Bundesamt für Justiz (BfJ) als zentrale Behörde bitten. Das Bundesamt unternimmt „alle geeigneten Schritte“ (§ 5 AUG, Art. 51 Abs. 2 EuUnthVO), um den Unterhaltsanspruch durchzusetzen. Das Bundesamt für Justiz hat hierzu ein Merkblatt herausgegeben, das auch für den anwaltlichen Berater von Interesse und hilfreich ist (www.iww.de/s1839).

 

Weiterführende Hinweise

  • Elternunterhalt in Europa (Teil 1): Internationale Zuständigkeit für Unterhaltsprozesse, SR 18, 121
  • Elternunterhalt in Europa (Teil 2): So ermitteln Sie das anwendbare Recht (Unterhaltsstatut), SR 18, 139
  • Ermittlung ausländischen Rechts im Erbrecht, SR 16, 193
  • In Verfügungen deutsches Erbrecht bestimmen, SR 15, 154
Quelle: Ausgabe 09 / 2018 | Seite 156 | ID 45383525