Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Familienunterhalt

Elternunterhalt: So berechnet der BGH die Leistungsfähigkeit des verheirateten Kindes

von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kirstein, Brandenburg

| Eltern scheuen im Alter häufig davor zurück, ihre erwachsenen Kinder auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen. Muss dann der Sozialhilfeträger Unterstützung leisten, wird er versuchen die unterhaltspflichtigen Kinder in Anspruch zu nehmen. Die Berechnung des geschuldeten Elternunterhalts stößt in der Praxis immer wieder auf Schwierigkeiten. Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung zur Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit eines verheirateten Kindes Stellung genommen. Er schafft damit eine weitere für die Praxis relevante Klarstellung. |

1. Der Fall des BGH (23.7.14, XII ZB 489/13, Abruf-Nr. 142471)

Seit Oktober 2006 gewährt der Bezirk B (Antragsteller) der in einem Heim lebenden Mutter M des verheirateten Sohnes S (Antragsgegner) monatliche Sozialleistungen nach dem SGB XII, die sich für den im Streit stehenden Zeitraum auf insgesamt fast 18.000 EUR belaufen. Der Antragsteller wies den S u.a. im Januar 2007 auf die Leistungserbringung und auf den gesetzlichen Übergang der Unterhaltsansprüche hin. Der S erzielte im hier maßgeblichen Zeitraum ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen von rund 1.585 EUR, seine Ehefrau von rund 2.261 EUR. Der Antragsteller begehrt von S Unterhalt für den Zeitraum vom 1.1.11 bis zum 31.7.12 von insgesamt 4.864 EUR, den er aus einer monatlichen Unterhaltsverpflichtung des S gegenüber seine Mutter von 256 EUR (x 19 Monate) errechnet. Das AG hat dem Antragsteller auf der Grundlage einer monatlichen Unterhaltsverpflichtung des S von 18 EUR einen Gesamtbetrag von 342 EUR zugesprochen. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat das OLG diesem auf der Basis einer von ihm berechneten monatlichen Unterhaltsverpflichtung des S von 50 EUR einen Gesamtunterhaltsbetrag von 950 EUR zuerkannt und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

2. Rechtliche Grundlagen des Elternunterhalts

Rechtsgrundlage des Unterhaltsanspruchs eines Elternteils gegen sein erwachsenes Kind sind die Vorschriften über den Verwandtenunterhalt nach §§ 1601 ff. BGB. Gemäß § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Auf der Grundlage dieser Vorschrift schulden auch erwachsene Kinder ihren Eltern Unterhalt.

 

  • Die Bedürftigkeit eines unterhaltsberechtigten Elternteils richtet sich nach § 1602 Abs. 1 BGB. Nach dieser Bestimmung ist nur derjenige unterhaltsberechtigt, der nicht in der Lage ist, das, was er zum Leben benötigt - also seinen Unterhaltsbedarf - aus eigenen Kräften und Mitteln aufzubringen. Das Maß des einem Elternteil geschuldeten Unterhalts richtet sich gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach dessen Lebensstellung. Diese leitet sich wiederum von seinen eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen ab, also - anders als im umgekehrten Fall des Kindesunterhalts - nicht von denjenigen des Unterhaltspflichtigen.

 

  • Der Mindestbedarf des unterhaltsberechtigten Elternteils, der nicht in einem Heim lebt, kann wie beim Ehegattenunterhalt mit einem Betrag in Höhe des notwendigen Selbstbehalts eines nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen (derzeit 800 EUR) pauschaliert werden. Auf diesen Bedarf sind vorhandene Eigeneinkünfte des Elternteils, insbesondere Renteneinkünfte, anzurechnen. Ist der unterhaltsberechtigte Elternteil - wie in dem aktuell entschiedenen Fall - in einem Heim untergebracht, bestimmt sich sein Unterhaltsbedarf nach ständiger Rechtsprechung des BGH in erster Linie nach den für die Unterbringung im Heim anfallenden, nicht durch eigenes Einkommen gedeckten Kosten. Neben den Heimkosten ist dem unterhaltsberechtigten Elternteil ein angemessener monatlicher Barbetrag zuzubilligen. Dieser steht ihm zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens, die nicht von der Heimeinrichtung gedeckt werden, zur Verfügung (z.B. für Friseur, Körper- und Kleiderpflege, Bücher und Schreibmaterial).

 

  • Die Verpflichtung des Kindes, für den ungedeckten Unterhaltsbedarf seines Elternteils aufzukommen, findet nach § 1603 Abs. 1 BGB ihre Begrenzung, wenn das Kind bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen nicht imstande ist, von seinen Einkünften ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts den verlangten Elternunterhalt zu zahlen.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Ausfüllung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe gerade im Rahmen des Elternunterhalts die größten Schwierigkeiten bereitet. Daher liegt auch der Schwerpunkt der Rechtsprechung des BGH auf der Frage der Berechnung der Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Kindes. So auch im vorliegenden Fall. Die Unterhaltspflicht des S gegenüber M nach § 1601 BGB stand zwischen den Beteiligten dem Grunde nach nicht im Streit. Der Barunterhaltsbedarf der M wurde vor allem durch Ihre Heimunterbringung bestimmt. Ihre Bedürftigkeit, die Höhe der erbrachten Sozialhilfeleistungen und die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des S aus übergegangenem Recht nach § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII lagen unstreitig vor.

3. Leistungsfähigkeit im Rahmen des Elternunterhalts

Nach der Rechtsprechung des BGH ist der angemessene Eigenbedarf des unterhaltspflichtigen Kindes und damit seine Leistungsfähigkeit aufgrund der konkreten Umstände und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lebensverhältnisse zu ermitteln. Hierbei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der - an sich der natürlichen Generationenfolge widersprechende - Unterhaltsanspruch der Eltern gegen das eigene Kind nach § 1609 Nr. 6 BGB für den Fall einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen erst im sechsten Rang steht. Das macht deutlich, dass es sich um einen rechtlich vergleichsweise schwach ausgestalteten Anspruch handelt. Dementsprechend muss das unterhaltspflichtige Kind grundsätzlich keine spürbare und dauerhafte Senkung seines Lebensstandards hinnehmen. Der Elternunterhalt wird von dem Gedanken einer schonenden Belastung des unterhaltspflichtigen Kindes getragen. Daraus folgend steht dem Kind gegenüber seinen Eltern von vornherein ein - gegenüber den üblichen Sätzen - höherer Mindestselbstbehalt zu. Dieser in den Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte pauschalierte Selbstbehaltssatz ist um etwas weniger als die Hälfte des darüber hinausgehenden Einkommens zu erhöhen.

 

Bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit wirkt sich der Umstand aus, ob das unterhaltspflichtige Kind alleinstehend oder - wie im aktuellen Fall - verheiratet ist. Denn es kann seinerseits eine zusätzliche Absicherung erfahren durch den sog. Familienunterhalt. Dieser Anspruch gegen den besser verdienenden Ehegatten beeinflusst die Höhe des für den Elternunterhalt einsetzbaren Einkommens des Kindes. Hier soll es nur um das verheiratete Kind gehen. Es sind dabei drei Konstellationen zu unterscheiden:

 

  • Die drei Konstellationen beim Familienunterhalt
  • Das unterhaltspflichtige Kind erzielt höhere Einkünfte als sein Ehegatte.
  • Das unterhaltspflichtige Kind führt den Haushalt und erzielt keine eigenen Einkünfte, ihm steht aber ein Taschengeldanspruch von 5 bis 7 Prozent des Familieneinkommens zu.
  • Das unterhaltspflichtige Kind erzielt geringere Einkünfte als sein Ehegatte.
 

Die Beurteilung der beiden ersten Fallkonstellationen hat der BGH bereits in den vergangenen Jahren durch mehrere Entscheidungen geklärt. Die dritte Konstellation war Gegenstand der aktuellen Entscheidung. Sie schließt an eine BGH-Entscheidung vom 5.2.14 (XII ZB 25/13) an. Darin wurde der in Rechtsprechung und Literatur bestehende Streit über die einheitliche Anwendung des vom BGH in 2010 entwickelten Berechnungsmodells geklärt. Danach kommt es für die anzuwendende Berechnungsmethode im Ergebnis nicht darauf an, ob das verheiratete Kind mit dem im Verhältnis zu seinem Ehegatten höheren oder niedrigeren Einkommen auf Elternunterhalt in Anspruch genommen wird. Die Berechnung erfolgt in beiden Fällen in gleicher Weise.

4. Berechnung der Leistungsfähigkeit

In der Praxis muss bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit des verheirateten Kindes in zwei Schritten gerechnet werden.

  • Zunächst ist das unterhaltsrelevante Einkommen beider Ehegatten zu ermitteln.
  • Anschließend ist die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Kindes mit dem ihm zustehenden Anteil am Familieneinkommen zu berechnen.

 

Im vorliegenden Fall stand die wertende Feststellung der beiderseitigen Einkünfte, die in vielen Fällen Schwierigkeiten bereitet, zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Der Sozialhilfeträger wandte sich mit seiner Rechtsbeschwerde allein gegen die im Anschluss an die Einkommensfeststellung vom OLG vorgenommene Berechnung des für den Elternunterhalt einsetzbaren Einkommens des Sohns und seiner daraus abgeleiteten geringen Leistungsfähigkeit.

 

Die Leistungsfähigkeit im konkreten Einzelfall ist auf der Grundlage eines individuellen Familienselbstbehalts zu berechnen. Damit wird nach Auffassung des BGH sichergestellt, dass der Elternunterhalt nur aus dem Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes geleistet und eine verdeckte Haftung des besser verdienenden Schwiegerkindes ausgeschlossen wird. Im aktuell entschiedenen Fall ist für S ein bereinigtes Monatseinkommen von 1.585 EUR festgestellt worden, für seine Ehefrau von 2.261 EUR. Das Familiengesamteinkommen beläuft sich damit auf 3.846 EUR.

 

  • Hiervon ist als Sockelbetrag der nach den Unterhaltsleitlinien des OLG im streitigen Unterhaltszeitraum 2011/2012 geltende Familienselbstbehalt von 1.500 EUR x 2 ./. 10 Prozent = 2.700 EUR abzuziehen. Der entsprechende seit 1/2013 geltende Sockelbetrag für Ehegatten beträgt: 1.600 EUR x 2 ./. 10 Prozent = 2.880 EUR. Der in dem Betrag von 2.700 EUR enthaltene Abzug von 10 Prozent gleicht die Haushaltsersparnis aus, die durch das Zusammenleben der Ehegatten eintritt.

 

  • Nach Abzug des Familienselbstbehalts verbleibt ein Betrag von 3.846 EUR ./. 2.700 EUR = 1.146 EUR. Von diesem Rest verbleibt den Ehegatten nach Abzug einer - mit wachsendem Lebensstandard in der Regel steigenden - Haushaltsersparnis von 10 Prozent die Hälfte, also 1.146 EUR ./. 10 Prozent : 2 = 515,70 EUR. Die andere Hälfte ist für den Elternunterhalt einzusetzen. Es errechnet sich ein individueller Familienselbstbehalt von rund 2.700 EUR + 515,70 = 3.216 EUR.

 

  • Nach der Diktion des BGH liegt also der bei guten wirtschaftlichen Verhältnissen zu ermittelnde individuelle Familienbedarf immer höher als der Familien(sockel)selbstbehalt. Der Anteil des für den Elternunterhalt haftenden S an diesem individuellen Familienbedarf errechnet sich nach dem Verhältnis seines Einkommens zum Gesamteinkommen der Ehegatten. Er beträgt also 1.585 EUR : 3.846 EUR = 41,21 Prozent. Nach dieser Quote kann S von dem individuellen Familienbedarf rund 3.216 EUR x 41,21 Prozent = 1.325 EUR beanspruchen. Im Ergebnis hat S von seinem Einkommen für den Elternunterhalt monatlich 1.585 EUR ./. 1.325 EUR = 260 EUR einzusetzen.

 

Dieser Berechnung liegt die Annahme zugrunde, dass es für die Bemessung der Leistungsfähigkeit nicht allein auf das Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes ankommt, sondern sein Anspruch auf Familienunterhalt mit zu berücksichtigen ist. Die besser verdienende Ehefrau schuldet dem S nämlich Familienunterhalt nach den §§ 1360, 1360a BGB. Die aus diesen Vorschriften folgende gegenseitige Verpflichtung, zum Familienunterhalt beizutragen, ist im Rahmen des Elternunterhalts in Geld zu veranschlagen. Durch die daraus folgende Teilhabe des S am Familiengesamteinkommen von 3.846 EUR hat er als verheiratetes Kind einen höheren Betrag für den Unterhalt seiner Eltern aufzubringen als ein alleinstehender Unterhaltspflichtiger bei einem gleich hohen Erwerbseinkommen von 1.585 EUR. Dieses Ergebnis findet nach der Rechtsprechung des BGH seine Rechtfertigung in der tatsächlichen Absicherung des unterhaltspflichtigen Kindes durch seinen Anspruch auf Familienunterhalt.

Der BGH hat diese unterhaltsrechtlichen Grundsätze in dem aktuell entschiedenen Fall noch einmal bekräftigt. Weiterhin hat er klargestellt, dass aus der Bemessungsgrundlage des geschützten Taschengeldanspruchs von 5 bis 7 Prozent des Familieneinkommens nicht ein zusätzlicher Abzug für S zur Absicherung seiner persönlichen Bedürfnisse herzuleiten ist. Wenn dem unterhaltspflichtigen Kind - wie hier - mit Blick auf die Höhe seines Einkommens ein entsprechender Anteil an dem individuellen Familienbedarf zusteht, werden damit auch seine persönlichen Bedürfnisse abgedeckt. Nur bei einem unterhalb von 5 bis 7 Prozent des Familiengesamteinkommens liegenden Einkommens des Unterhaltspflichtigen wäre auch ein ihm bis zu dieser Höhe zustehendes Taschengeld einzusetzen und demgemäß der insoweit bestehende Selbstbehalt zu beachten.

 

Für den konkreten Fall hat der BGH den Berechnungsweg des OLG, der zunächst zu einem verbleibenden Einkommen des S von 260 EUR geführt hat, nicht beanstandet. Er hat jedoch alle weiteren vom OLG vorgenommenen Abzüge abgelehnt, weil hierfür unter den gegebenen Umständen kein Anlass bestand.

5. Berechnungsschema des BGH

Die Berechnungsmethode des BGH für die Ermittlung der Leistungsfähigkeit des verheirateten Kindes mit eigenem Einkommen lässt sich mit den Zahlen des konkreten Falls wie folgt verdeutlichen:

 

Einkommen des S

1.585,00 EUR

Einkommen der Ehefrau

2.261,00 EUR

Familieneinkommen

3.846,00 EUR

abzgl. damaliger Familienselbstbehalt

2.700,00 EUR

verbleiben

1.146,00 EUR

abzgl. 10 Prozent Haushaltsersparnis

114,60 EUR

Zwischensumme

1.031,40 EUR

davon verbleiben 1/2

515,70 EUR

zzgl. Familienselbstbehalt

2.700,00 EUR

individueller Familienbedarf rund

3.216,00 EUR

Anteil des S hieran rund

1.325,00 EUR

Einkommen des S

1.585,00 EUR

abzgl. Anteil des S am indiv. Familienbedarf

1.325,00 EUR

für den Elternunterhalt einsetzbar

260,00 EUR

 

 

Im Ergebnis des aktuellen Falls hat der BGH der Rechtsbeschwerde stattgegeben. Er hat in der Sache abschließend entschieden und dem Antragsteller, der selbst von einer geringeren Leistungsfähigkeit des S ausgegangen ist, die von ihm beanspruchten 19 x 256 EUR = 4.864 EUR zuerkannt.

Quelle: Ausgabe 11 / 2014 | Seite 192 | ID 43040395