Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Leistungsfähigkeit

Kind selbst schon Rentner: Wie wird dessen Vermögen beim Elternunterhalt angerechnet?

von RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, RiOLG a.D., Berlin

| Elternunterhalt ist auf der einen Seite nicht nur aus dem vorhandenen Einkommen zu leisten, sondern auch aufgrund einsetzbaren Vermögens. Auf der anderen Seite wird die Bildung von Altersvorsorgekapital für die eigene Absicherung im Alter empfohlen und gefördert. Wie ist dieser Konflikt zu lösen, wenn das elternunterhaltspflichtige Kind sich bereits im Rentenalter befindet und nur über geringe Renteneinkünfte, jedoch über erhebliches Kapitalvermögen verfügt? |

1. Pflicht zum Vermögenseinsatz

Die Frage, wie sich die Pflicht zum Vermögenseinsatz auswirkt, soll anhand des folgenden Beispiels erläutert werden.

 

  • Beispiel

Der 67 Jahre alte Sohn S, der verwitwet und kinderlos ist sowie zur Miete wohnt, wird von dem Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht auf Elternunterhalt für seine in einem Pflegeheim untergebrachte Mutter in Anspruch genommen. Seine Zahlungspflicht soll ab Januar 2019 einsetzen. S war früher als selbstständiger Stuckateur tätig und bezieht aktuell eine Altersrente von lediglich 700 EUR monatlich. Er verfügt allerdings über ein in der Zeit seiner Selbstständigkeit für die eigene angemessene Altersversorgung angespartes Kapitalvermögen von 500.000 EUR. S hält sich mit Blick auf seine geringen Rentenbezüge für leistungsunfähig; sein Vermögen sei für die eigene Alterssicherung vorgesehen und deshalb im Ganzen zu verschonen. Zu Recht?

 

Von seinen monatlichen Renteneinkünften von 700 EUR ist S unzweifelhaft nicht zur Zahlung von Elternunterhalt in der Lage. Er könnte jedoch unter Berücksichtigung seines Vermögens leistungsfähig sein. Das setzt voraus, dass er zur (teilweisen) Vermögensverwertung verpflichtet ist.

 

a) Pflicht zum Einsatz des Vermögensstamms

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss ein Unterhaltspflichtiger grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens für den Unterhalt einsetzen. Eine allgemeine Billigkeitsgrenze, wie sie § 1577 Abs. 3 BGB und § 1581 S. 2 BGB für den nachehelichen Ehegattenunterhalt vorsehen, enthält das Gesetz beim Elternunterhalt nicht. Deshalb ist auch hinsichtlich des einsetzbaren Vermögens allein auf § 1603 Abs. 1 BGB abzustellen. Danach ist derjenige nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts einem anderen Unterhalt zu gewähren. Zur Unterhaltsleistung imstande ist jedoch, wer über verwertbares Vermögen verfügt.

 

Eine Verwertung des Vermögensstamms kann nicht verlangt werden, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er für weitere Unterhaltsansprüche, andere berücksichtigungswürdige Verbindlichkeiten oder seinen eigenen Unterhalt benötigt.

 

Beachten Sie | Bei der Pflicht zur Vermögensverwertung ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Elternunterhalt vom Gesetz (§ 1609 Nr. 6 BGB) vergleichsweise schwach ausgestaltet ist. Das wirkt sich nicht nur auf den monatlichen Selbstbehalt aus, der dem unterhaltspflichtigen Kind zu belassen ist, sondern auch auf sein Schonvermögen und damit auf seine Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstamms.

 

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ein unterhaltspflichtiges Kind seine Vermögensdispositionen im Regelfall zu einer Zeit getroffen hat, in der noch kein Elternunterhalt geschuldet wurde. Dementsprechend hat es regelmäßig auch seine Lebensverhältnisse auf die vorhandenen Einkünfte und Vermögenswerte eingerichtet.

 

Im Beispiel kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass S mit Blick auf seine vorhersehbar geringen Renteneinkünfte das während der Zeit seiner Selbstständigkeit angesammelte Vermögen bewusst und gewollt zum Zwecke der eigenen Altersvorsorge angespart hat.

 

b) Altersvorsorgevermögen

Dem Kind steht ein Altersvorsorgevermögen als Schonvermögen zu. Die Höhe dieses bis zum Eintritt in das Rentenalter zu verschonenden Vermögens hängt vom Alterseinkommensbedarf des Unterhaltspflichtigen ab. Es ist anerkannt, dass ein Unterhaltspflichtiger neben der Eigensicherung seines täglichen Lebensbedarfs auch Vorkehrungen zur Sicherung seines angemessenen Lebensbedarfs im Alter treffen darf. Wie hoch dieser angemessene Bedarf ist, kann nie abschließend und generell für alle Fälle bestimmt werden.

 

Der BGH hat das Altersvorsorgevermögen pauschaliert mit 5 Prozent des letzten Bruttoeinkommens, gerechnet auf die zurückgelegte Arbeitszeit, und mit 4 Prozent aufgezinst als Schonvermögen bestimmt. Er hat dies damit begründet, dass man dem Unterhaltspflichtigen nicht eine Altersvorsorgerücklage aus dem Einkommen in Höhe von 5 Prozent des sozialversicherungspflichtigen und von 25 Prozent des nicht sozialversicherungspflichtigen Einkommens zubilligen kann, wenn man das so gebildete Vermögen nicht zugleich vor der unterhaltsrechtlichen Inanspruchnahme bewahrt. Die Höhe des dem Kind insbesondere für seine Altersversorgung unantastbar zu belassenden Schonvermögens lässt sich konkret auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH zum Umfang unterhaltsrechtlich zuzubilligender ergänzender Altersversorgung ermitteln (vgl. hierzu SR 18, 9). Hierfür ist eine individuelle Bemessung vorzunehmen; es gelten keine festen Vermögensfreigrenzen.

 

Im Einzelfall muss aber darüber hinaus weiteres Altersvorsorgeschonvermögen zulässig sein, wenn nämlich ansonsten eine angemessene Altersversorgung des Unterhaltspflichtigen nicht gewährleistet ist. Dafür kann es viele Gründe geben.

 

PRAXISTIPP | Häufiger Grund für die Insuffizienz der eigenen Altersversorgung sind die Folgen des bei einer Scheidung durchzuführenden Versorgungsausgleichs. In dessem Zuge halbiert sich bei langen Ehen oftmals die Altersversorgung mit der Folge, dass im Alter eine angemessene Altersversorgung auch des Ausgleichspflichtigen nicht mehr gegeben ist. Störungen in der Versorgungsbiografie und ein diskontinuierlicher Altersversorgungsaufbau ‒ wie oft bei Selbstständigen ‒ erfordern stets, genau zu prüfen, ob auch jenseits der vom BGH gezogenen Grenzen zusätzliches Altersvorsorgevermögen erforderlich ist. Das erfordert allerdings im Streitfall konkreten Sachvortrag.

 

Die Rechtsprechung des BGH zum Altersvorsorgeschonvermögen kann zu einer recht hohen geschützten Altersversorgung führen. Das Altersvorsorgeschonvermögen muss dabei nicht in einer spezifischen Form angelegt werden. Gleichgültig, ob die Gelder als klassisches Sparvermögen, als Rentenvermögen, in Riester- oder Rürup-Renten, Aktien, Edelmetallen angelegt sind oder auch nur unter dem Kopfkissen verwahrt werden, der BGH lässt dem Unterhaltspflichtigen insoweit völlige Anlagefreiheit.

 

c) Verwertungspflicht für das eigene Altersvorsorgeschonvermögen

Das Altersvorsorgeschonvermögen bleibt allerdings nicht dauerhaft verschont. Denn bei einem solchen Verständnis wäre jeder Einsatz eines zu Beginn der Verpflichtung zum Elternunterhalt vorhandenen Vermögens von vornherein ausgeschlossen. Das für die Alterssicherung vorgesehene Vermögen ist während der aktiven Erwerbsphase des Kindes in der ihm ‒ nach einer individuellen Bemessung ‒ anrechnungsfrei zu belassenden Höhe zu verschonen. Dies gilt allerdings nicht in gleicher Weise nach Erreichen des (gesetzlichen) Renteneintrittsalters.

 

Da S bereits 67 Jahre alt ist und auch Renteneinkünfte bezieht, muss nicht festgestellt werden, in welchem Umfang er bis zum Beginn des Rentenbezugs ein anrechnungsfreies Altersvorsorgevermögen aufbauen durfte. Vielmehr ist von ihm ein Vermögenseinsatz zu verlangen, soweit ihm ausreichendes Vermögen verbleibt, um seinen eigenen angemessenen Lebensbedarf bestreiten zu können. Von S kann deshalb eine sukzessive Verwertung seines Kapitalvermögens von 500.000 EUR und damit eine Aufbesserung seines geringen Renteneinkommens von monatlich 700 EUR erwartet werden. Ihn trifft eine unterhaltsrechtliche Obliegenheit zum „Entsparen“.

2. Umrechnung von vorhandenem Kapitalvermögen

Die Aufstockung des vorhandenen unterhaltsrelevanten Einkommens des S ‒ zum Zweck der Ermittlung seiner Leistungsfähigkeit im Rahmen des Elternunterhalts für die Mutter ‒ hat durch Umrechnung des tatsächlich vorhandenen verwertbaren Kapitals in eine laufende Monatsrente auf Lebenszeit zu erfolgen. Hierbei ist seine statistische Lebenserwartung zu berücksichtigen.

 

a) Umrechnungsgrundlagen

Durch diese Berechnungsmethode soll auf der einen Seite gewährleistet werden, dass dem unterhaltspflichtigen Kind ein zur Bestreitung seines eigenen laufenden Lebensbedarfs ausreichendes Einkommen dauerhaft zur Verfügung steht. Auf der anderen Seite wird von dem Unterhaltspflichtigen erwartet, dass er das angesparte Kapital bei Erreichen der Regelaltersgrenze seinem bestimmungsgemäßen Zweck entsprechend sukzessive verbraucht. Es erfolgt also eine vollständige Verrentung des tatsächlich vorhandenen Kapitalvermögens.

 

Nach der Rechtsprechung des BGH enthebt die Umrechnung des vorhandenen Kapitals in eine lebenslange Rente zugleich von der Notwendigkeit, daneben noch ein weiteres Barvermögen für die Altersvorsorge des unterhaltspflichtigen Kindes zu reservieren. Denn die Berechnung erfolgt auf der Grundlage, dass das Barvermögen neben der Bestreitung des Elternunterhalts auch dem eigenen Altersunterhalt des unterhaltspflichtigen Kindes zufließt.

 

MERKE | Ab Beginn einer Verrentung des Altersvorsorgeschonvermögens ist es allerdings auch nicht mehr gerechtfertigt, die bisherigen auf das verrentete Kapitalvermögen entfallenden Zinsen den Renteneinkünften des unterhaltspflichtigen Kindes zuzurechnen. Denn diese fallen mit der Verrentung des Barvermögens auf der einen Seite weg und fließen auf der anderen Seite in die Berechnung des für den Elternunterhalt zur Verfügung stehenden Einkommens mit ein.

 

b) Umrechnung in Anlehnung an § 14 Bewertungsgesetz (BewG)

Nach der Rechtsprechung des BGH ist die für den Elternunterhalt erforderliche Umrechnung des Kapitals in eine Rente in Anlehnung an § 14 BewG durchzuführen. Dies geschieht, indem die dort vorgesehene Umrechnung vom Jahreswert der lebenslangen Nutzungen oder Leistungen in einen Kapitalwert umgekehrt wird. § 14 Abs. 1 S. 4 BewG verpflichtet das Bundesministerium der Finanzen, regelmäßig die sog. Vervielfältiger für den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung in einer Tabelle zusammenzustellen und diese zu veröffentlichen. Hierbei wird die vom statistischen Bundesamt ermittelte statistische Lebenserwartung berücksichtigt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass diese seit Längerem kontinuierlich ansteigt.

 

Der sog. Vervielfältiger ist dabei entsprechend der einsetzenden Unterhaltspflicht aus Vermögen aufgrund des Lebensalters des unterhaltspflichtigen Kindes zu Beginn des Unterhaltszeitraums zu ermitteln. Denn der vom unterhaltspflichtigen Kind erwartete Kapitalverzehr setzt zu diesem Zeitpunkt ein. Danach ist für S im Beispiel die Zeit ab 1.1.19 zugrunde zu legen.

 

Das neueste Schreiben des BMF, das die Vervielfältiger bekannt gibt, mit denen der Kapitalwert lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen nach § 14 Abs. 1 BewG für Stichtage ab dem 1.1.19 berechnet werden kann, stammt vom 23.11.18 (IV C 7 ‒ S3104/09/1001). Das Schreiben kann auf der Homepage des Bundesministeriums der Finanzen abgerufen werden.

 

In der als Anlage zum Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22.11.18 veröffentlichten Tabelle sind die sog. Vervielfältiger zur Berechnung des Kapitalwerts nach der am 18.10.18 veröffentlichten allgemeinen Sterbetafel 2015/2017 des statistischen Bundesamts unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit 5,5 Prozent ermittelt worden. Nach dieser einfach zu handhabenden Tabelle beträgt der „Vervielfältiger“ für einen 67 Jahre alten Mann ‒ wie den S ‒ 10,898. Seine durchschnittliche restliche Lebenserwartung ist mit 16,35 Jahren angegeben.

 

Die Umrechnung des von S angesparten Kapitals von 500.000 EUR in eine monatliche Rente ab 1.1.19 ist danach ‒ sehr einfach ‒ wie folgt vorzunehmen:

 

  • Verrentung des Kapitals von S

500.000 EUR (Kapital) : 10,898 (Vervielfältiger) : 12 (Monate) = rund 3.823 EUR.

 

Dieser verrentete Monatsbetrag von 3.823 EUR würde zum tatsächlichen Renteneinkommen des S von monatlich 700 EUR hinzugerechnet werden. Danach würde sich die Leistungsfähigkeit des S bestimmen.

 

PRAXISTIPP | Zu kritisieren ist bei dieser pauschalen Berechnungsmethode, dass der angenommene Zinssatz von 5,5 Prozent schon seit Langem nicht mehr zu erzielen ist. Bei der für einen 67 Jahre alten Mann angenommenen statistischen Lebenserwartung von gut 16 Jahren stellt sich außerdem die Frage, was geschehen würde, wenn der unterhaltspflichtige S tatsächlich wesentlich länger lebt. Legt man stattdessen einen Zinssatz von einem Prozent und eine statistische Lebenserwartung von 20 Jahren zugrunde, so würde sich für S ein deutlich geringeres Renteneinkommen von nur rund 2.297 EUR monatlich errechnen.

 

Durch die vorgenommene Verrentung des Geldvermögens und den damit verbundenen fortlaufenden Kapitalverzehr wird der unterhaltspflichtige S ab Rentenbeginn bzw. ab dem 1.1.19 in der Sache nicht anders behandelt als ein unterhaltspflichtiges Kind, das auch ohne eine zusätzliche Altersversorgung über entsprechende Renteneinkünfte verfügt und dann Elternunterhalt nach allgemeinen Grundsätzen nur aus seinem Einkommen schuldet.

3. Abschließende Betrachtung

Die Berechnungsmethode des BGH kann nur bei tatsächlich zur Verfügung stehenden Geldmitteln gelten. Bereits bei der Anlage in Aktien ist die Methode aufgrund der unsicheren Werthaltigkeit nicht hilfreich. Gleiches gilt für Sachanlagen wie etwa Immobilien. Beim Elternunterhalt besteht keine Obliegenheit, eine Vermögensanlage in jederzeit verfügbares Kapital umzuwandeln. In solchen Fällen scheidet daher eine sukzessive Verwertung aus. Es muss dann dabei bleiben, die Vermögenserträge (z. B. Dividenden, Zinsen, Mieten) nach allgemeinen Grundsätzen dem unterhaltsrelevanten Einkommen des Kindes zuzurechnen und danach seine Leistungsfähigkeit zu bestimmen.

 

PRAXISTIPP | Es empfiehlt sich daher, Vermögen in Aktien, Immobilien etc. anzulegen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass hierzu bislang keine obergerichtliche oder sogar BGH-Rechtsprechung vorliegt.

 
Quelle: Ausgabe 01 / 2019 | Seite 14 | ID 45642193