Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Leistungsfähigkeit

Taschengeld als unterhaltspflichtiges Einkommen beim Elternunterhalt

von RAin Dr. Liceni-Kierstein, RiOLG a. D., Berlin

| Taschengeld ist laut BGH unterhaltspflichtiges Einkommen. Ein ebenso kompliziertes wie überflüssiges Konstrukt. Trotzdem muss in der Praxis damit „gerechnet“ werden. |

1. Kritik an der bestehenden Praxis

Die Taschengeldhaftung des unterhaltspflichtigen Kindes, die von der Rechtsprechung vor allem für den Elternunterhalt entwickelt wurde, ist ein dogmatisch und praktisch schwieriges Konstrukt. Einen Teil der Schwierigkeiten hat der BGH selbst verursacht. Das Taschengeld steht nach seinem Sinn und Zweck dem Berechtigten zur freien Verfügung. Dieser schuldet niemandem Rechenschaft über seine Verwendung auch nicht dem „Schuldner-Ehegatten“. Der Geldbetrag dient den eigenen Bedürfnissen, z. B. für Hobbys, Kino-, Theaterbesuche, Sport und Literatur. Wenn der Zweck des Taschengelds auf die Befriedigung höchstpersönlicher Bedürfnisse gerichtet ist, wäre es konsequent gewesen, eine unterhaltsrechtliche Haftung des Taschengelds generell abzulehnen. Das will man der Allgemeinheit ‒ möglicherweise aus fiskalischen Überlegungen ‒ nicht zumuten. Die Entscheidungen befassen sich daher immer nur mit der Bemessung des einzusetzenden Taschengelds.

2. Taschengeld ist unterhaltspflichtiges Einkommen

Auch wenn das unterhaltspflichtige Kind nicht über eigene bare Mittel verfügt, schließt das seine Verpflichtung zur Zahlung von Elternunterhalt nicht von vornherein aus. Beide Ehegatten haben grundsätzlich Anspruch auf Taschengeld, unabhängig wer von ihnen das Familieneinkommen erwirtschaftet. Ein Taschengeldanspruch besteht logischerweise nicht, wenn das Familieneinkommen nur zur Deckung der notwendigen Bedürfnisse reicht. In diesem Fall stünde allerdings auch kein Anspruch auf Elternunterhalt im Raum.

 

Grundsätzlich hat jeder Ehegatte Anspruch auf einen Teil des gemeinsamen Gesamteinkommens als Taschengeld. Das Taschengeld eines Ehegatten ist grundsätzlich unterhaltspflichtiges Einkommen und deshalb für Unterhaltszwecke einzusetzen. Das gilt nicht nur im Verhältnis zu (vorrangigen) Ansprüchen minderjähriger oder privilegiert volljähriger Kinder, sondern auch im Verhältnis zu gleich- oder nachrangigen Unterhaltsansprüchen und damit auch bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt.

 

MERKE | Der Taschengeldanspruch ist ein Baranspruch, der aus dem Gesetz folgt. Er ist in seinem Bestehen und in seiner Reichweite nicht von einem Organisationsakt oder einer Vereinbarung der Eheleute abhängig. Es ist auch gleichgültig, wie die Eheleute den Taschengeldanspruch im Einzelfall zwischen sich handhaben. Maßgebend ist allein die materielle Rechtslage.

 

3. Berechnungsgrundlagen des Taschengeldanspruchs

Das Taschengeld ist Teil des Familienunterhalts. Der Höhe nach richtet es sich nach dem bereinigten Gesamtnettoeinkommen beider Ehegatten. Früher wurde die Höhe des Taschengelds von der Rechtsprechung mit ca. fünf Prozent bis sieben Prozent des verfügbaren Familieneinkommens bemessen. Aus Gründen der Vereinfachung und Vereinheitlichung hat es der BGH für sachgerecht gehalten, im Regelfall von einer Quote von 5 Prozent auszugehen. Dem wird von der Praxis gefolgt.

 

PRAXISTIPP | Es ist bislang nicht abschließend geklärt, ob das Taschengeld in Höhe von fünf Prozent auch aus geldwerten Nutzungsvorteilen, wie etwa dem Wohnvorteil, zu berechnen ist. Auch im Rahmen des Elternunterhalts wird der Vorteil des mietfreien Wohnens des unterhaltspflichtigen Kindes (in Höhe der ersparten Mietaufwendungen für eine dem ehelichen Lebensstandard entsprechende Mietwohnung) generell als unterhaltsrelevantes Einkommen gewertet. Tatsächlich steigert jedoch beispielsweise ein Nutzungsvorteil von 500 EUR für ein mietfreies Wohnen oder von 300 EUR für die unentgeltliche Überlassung eines Firmenwagens für private Zwecke nicht die Leistungsfähigkeit bezüglich der Taschengeldzahlung. Die 5 Prozent für das Taschengeld sollen daher nach allgemeiner Auffassung nur nach dem bereinigten Familieneinkommen der Ehegatten (also ihren real vorhandenen monatlichen Barmitteln) zu berechnen sein.

 

4. Höhe des einzusetzenden Taschengelds

Das dem unterhaltspflichtigen Kind zustehende Taschengeld muss nicht vollständig für den Elternunterhalt eingesetzt werden. Dem Unterhaltspflichtigen muss ein geschützter Anteil für die Befriedigung seiner eigenen persönlichen Bedürfnisse verbleiben, also ein unangetasteter Taschengeldselbstbehalt.

 

a) Taschengeldselbstbehalt des einkommenslosen Kindes

Der BGH koppelt den Mindesttaschengeldanspruch, der dem unterhaltspflichtigen Kind verbleiben muss, an den Familiensockelselbstbehalt. Außerdem muss ihm ein weiterer Teil in Höhe der Hälfte des darüber hinausgehenden Taschengelds für eigene Zwecke belassen werden.

 

  • Beispiel

Das Sozialamt erbringt die ungedeckten Heimpflegekosten für die Mutter der unterhaltspflichtigen Tochter T. Diese ist nicht berufstätig. Ihr Ehemann M erzielt ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 5.000 EUR.

 

Rechnerisch ergibt sich ein Taschengeldanspruch der T von (5.000 EUR × 5 % =) 250 EUR. Von diesen 250 EUR darf T zunächst als Sockeltaschengeld einen Betrag von (3.240 EUR × 5 % =) 162 EUR für sich verwenden. Von dem Betrag, der den Familiensockelselbstbehalt übersteigt, steht T die Hälfte nach einer Quote von 5 % ebenfalls als Taschengeldselbstbehalt zu. Dieser Zuschlag beläuft sich auf (5.000 EUR - 3.240 EUR) x 1/2 x 5 % = 44 EUR.

Der Taschengeldselbstbehalt der T beläuft sich danach auf insgesamt (162 EUR + 44 EUR =) 206 EUR. T muss deshalb von ihrem rechnerischen Taschengeldanspruch einen Betrag in Höhe von (250 EUR - 206 EUR =) 44 EUR für den Elternunterhalt einsetzen.

 

Zum gleichen Ergebnis gelangt man über die allgemeingültige unterhaltsrechtliche Formel zur Taschengeldhaftung im Elternunterhalt:

 

Familieneinkommen ‒ Familiensockelselbstbehalt

x Taschengeldsatz in %

2

 

 

Für T würde nach dieser Formel eine Verpflichtung zur Zahlung von Elternunterhalt in Höhe von (5.000 EUR - 3.240 EUR) : 2 x 5 % = 44 EUR bestehen. Der Rest von 206 EUR ist geschütztes Taschengeld der T.

 

b) Taschengeldhaftung bei Eigeneinkünften

Hier sind zwei Fallvarianten zu unterscheiden:

 

  • Das unterhaltspflichtige Kind verfügt über eigene Einkünfte; diese übersteigen die Höhe seines Taschengeldanspruchs.
  •  
  • Bei dieser Sachlage ist der geschuldete Elternunterhalt auf der Grundlage der tatsächlichen Einkünfte des unterhaltspflichtigen Kindes zu berechnen. Nach der Rechtsprechung des BGH (23.7.14, XII ZB 489/13, Abruf-Nr. 142471) scheidet in diesen Fällen die Zurechnung eines Taschengelds in Höhe von fünf Prozent des Familienselbstbehalts aus. Denn wenn dem unterhaltspflichtigen Kind nach Abzug des Elternunterhalts ein entsprechender Anteil des individuellen Familienselbstbehalts verbleibt, kann es mit diesem restlichen Einkommen auch seine persönlichen Bedürfnisse abdecken; es bedarf keines zusätzlichen Taschengelds.
  •  
  • Das wäre z. B. der Fall, wenn M beispielsweise ein bereinigtes Nettoeinkommen von 4.700 EUR und T ein Eigeneinkommen von 300 EUR hätte. Der Taschengeldanspruch beläuft sich dann rechnerisch auf [(4.700 EUR + 300 EUR) x fünf Prozent =] 250 EUR und kann von T durch ihren Eigenverdienst gedeckt werden.

 

  • Verfügt das unterhaltspflichtige Kind dagegen über eigene Einkünfte, die unter dem Taschengeldanspruch von fünf Prozent des Familieneinkommens liegen, muss es auch ein ihm zustehendes Taschengeld einsetzen, und zwar bis zur Höhe der Unterhaltshaftung, die sich aus seinem Taschengeldanspruch errechnet.
  •  
  • Mit anderen Worten: Für das einkommensschwache Kind besteht eine generelle Mindesthaftung für den Elternunterhalt in der Höhe, in der es aus seinem Taschengeldanspruch leistungsfähig wäre. Dem unterhaltspflichtigen Kind steht dann eine Art Aufstockungsanspruch gegen seinen Ehegatten zu, bezogen auf den errechneten Taschengeldbetrag.

 

  • Beispiel

M erzielt ein bereinigtes Nettoeinkommen von 5.800 EUR und T ein solches von 200 EUR. Danach beträgt der Taschengeldanspruch der T rechnerisch [(5.800 EUR + 200 EUR) x 5 % =] 300 EUR. Aus ihrem eigenen Einkommen von 200 EUR (= 3,3 % des Familiengesamteinkommens) und einem ‒ nach der üblichen Berechnungsmethode ermittelten ‒ individuellen Familienselbstbehalt von M und T von (3.240 EUR + 1.380 EUR =) 4.620 EUR hat T mit einem Betrag von (4.620 EUR x 3,3 % =) rund 152 EUR zum Familienunterhalt beizutragen. Die Differenz zwischen ihrem Einkommen und ihrem Anteil am Familieneinkommen (200 EUR - 152 EUR =) 48 EUR kann T als Eigenleistung für den Elternunterhalt einsetzen.

 

Aus dem rechnerischen Taschengeldanspruch der T ergibt sich nach der oben dargestellten Berechnungsformel eine Unterhaltshaftung in Höhe von [(6.000 EUR - 3.240 EUR): 2 x 5 % =] 69 EUR.

 

Folglich muss T aus ihrem Taschengeld noch (69 - 48 EUR =) 21 EUR für den Elternunterhalt entnehmen.

 

Der Anspruch der Mutter gegen T auf Elternunterhalt beläuft sich damit auf insgesamt (48 EUR + 21 EUR =) 69 EUR.

 

PRAXISTIPP | Anders als das sog. Wirtschaftsgeld, das nur treuhänderisch für den Unterhalt der Familie verwendet werden darf, ist der Taschengeldanspruch nicht gemäß § 851 ZPO unpfändbar. Er kann vielmehr nach § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO i. V. m. §§ 850c ff. ZPO wie Arbeitseinkommen bedingt gepfändet werden. Vorausgesetzt, die Vollstreckung in das sonstige Vermögen ist ganz oder teilweise fruchtlos geblieben oder wird es sein und die Pfändung entspricht nach den Umständen des Falls, insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge, der Billigkeit. Der Ehegatte als Drittschuldner kann sich im Rahmen des Einziehungsprozesses nicht auf Pfändungsverbote oder -beschränkungen berufen. Nur der Taschengeldberechtigte kann gegenüber der Pfändung eine etwaige Pfändungsfreiheit einwenden.

 

5. Fazit

In der Praxis spielt die Frage des Taschengeldanspruchs und der -höhe beim Elternunterhalt eine eher geringe Rolle. Die meisten unterhaltspflichtigen Kinder sind berufstätig und verdienen ihr „Taschengeld“ selbst. Sie sind nicht auf etwaige Zuwendungen ihres Ehegatten angewiesen. Die Sozialhilfeträger nutzen die bestehende Taschengeldhaftung des (einkommenslosen oder einkommensschwachen) unterhaltspflichtigen Kindes in der Praxis auch nur sehr zurückhaltend. Zum einen ist die Akzeptanz noch geringer als sonst schon beim Elternunterhalt. Zum anderen bedarf es u. U. einer unterschiedlichen Tenorierung gegen das unterhaltspflichtige Kind selbst bzw. seinen Ehegatten als Drittschuldner. Außerdem bestehen Vollstreckungsprobleme.

 

Vor allem steht regelmäßig der Aufwand in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen. Aus praktischen Überlegungen verzichten deshalb besonnene Sozialhilfeträger ganz auf die Geltendmachung einer unterhaltsrechtlichen Haftung aus Taschengeld.

Quelle: Ausgabe 12 / 2018 | Seite 210 | ID 45597267