· Fachbeitrag · Sozialhilferegress
Überleitung des Anspruchs auf Sozialhilfeträger
von RA Uwe Gottwald, Vorsitzender RiLG a.D., Vallendar
| Der Sozialhilferegress spielt in der Praxis eine immer wichtigere Rolle. Der vorliegende Beitrag stellt die Rechtsstellung der Anspruchsbeteiligten und die Überleitung des Anspruchs auf den Träger der Sozialhilfe vor. |
1. Anspruchsberechtigter (Aktivlegitimation)
Anspruchsberechtigt ist zuallererst der Schenker selbst, der grundsätzlich frei darüber entscheiden kann, ob er den Anspruch geltend machen will oder nicht (BGH NJW 01, 2084). Dabei handelt es sich nicht um einen höchstpersönlichen Anspruch. Das hat zur Folge, dass
- der Sozialhilfeträger den Anspruch auf sich überleiten kann (§ 93 I 1 SGB XII),
- der Anspruch unter bestimmten Voraussetzungen vererblich ist und
- auch noch nach dem Tod des Schenkers verfolgt werden kann, wenn er vor dessen Tod
- auf einen Träger der Sozialhilfe übergeleitet oder
- wirksam abgetreten worden ist und
- der Erbe ihn auch weiterverfolgen kann, wenn er noch vom Schenker geltend gemacht worden ist und ein Dritter für den Unterhalt des Schenkers bis zu dessen Tod in Vorlage getreten ist.
Merke |Der Anspruch ist in den o.g. Fällen nicht erloschen, weil sein Zweck noch erreichbar ist und der Schenker durch Abtretung oder Geltendmachung seinen Willen bekundet hat, vom Beschenkten die Rückgabe zu fordern. Hat der Schenker Sozialhilfe in Anspruch genommen, geht der Anspruch auch nach dessen Tod nicht unter, wenn eine Geltendmachung oder Überleitung auf den Sozialhilfeträger zu seinen Lebzeiten nicht erfolgt ist (BGH, a.a.O.).
2. Anspruchsgegner (Passivlegitimation)
Der Anspruch richtet sich gegen den Beschenkten. Ist er verstorben, haften dessen Erben und zwar auch, wenn die Bedürftigkeit des Schenkers erst nach dem Tod des Beschenkten eingetreten ist (BGH NJW 91, 2558). Hat der Beschenkte den Gegenstand der Zuwendung einem Dritten weitergeschenkt, ist er - soweit § 818 Abs. 4, § 819 BGB nicht eingreifen - entreichert (§ 818 Abs. 3 BGB) und haftet nicht (BGH NJW 04, 1314). Der Schenker kann sich dann allerdings an den Dritten (Zweitbeschenkten) halten (BGH, a.a.O). Mehrere gleichzeitig Beschenkte haften als Gesamtschuldner (BGH NJW 98, 537).
3. Verfügungen über den Anspruch
Der Schenker kann auf den Anspruch nach § 538 Abs. 1 S. 1 BGB nicht wirksam verzichten (BGH NJW 98, 2287). Im Rahmen seiner Zweckbestimmung kann der Anspruch abgetreten werden. Danach ist es zulässig, dass der Schenker den Anspruch an einen Dritten zu einem angemessenen Preis veräußert und das Entgelt zur Bedarfsdeckung einsetzt (Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 523 Rn. 4). Eine Verpfändung des Anspruchs ist - ebenso wie die eingeschränkte Abtretbarkeit - nur an einen der in § 528 Abs. 1 S. 1 BGB genannten Unterhaltsgläubiger sowie an Dritte zulässig, die dem Schenker die zur Behebung der Notlage erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.
4. Verjährung des Anspruchs nach § 528 Abs. 1 S. 1 BGB
Der Anspruch unterliegt der Regelverjährung von drei Jahren nach § 195 BGB. Die Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit Abschluss des Kalenderjahrs in dem der Notbedarf des Schenkers eingetreten ist, denn zu diesem Zeitpunkt erhält der Schenker regelmäßig Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Wurde ein Grundstück verschenkt, gilt generell die Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 196 BGB). Für die Anwendbarkeit des § 196 BGB reicht es bereits aus, dass Teilwertersatz für die Schenkung eines Grundstücks zu leisten ist (BGH NJW 11, 218).
Wichtig | Hat der Träger der Sozialhilfe den Anspruch nach § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII auf sich übergeleitet, muss er sich als neuer Gläubiger nach allgemeinen Grundsätzen den Kenntnisstand des alten Gläubigers (Schenkers) zurechnen lassen (Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., § 199 BGB Rn. 26).Kenntnisunabhängig verjährt der Anspruch nach § 199 Abs. 4 BGB spätestens zehn Jahre nach seiner Entstehung.
5. Darlegungs- und Beweislast
Der Schenker, der einen Anspruch aus § 528 Abs. 1 S. 1 BGB geltend macht, hat die volle oder teilweise Unentgeltlichkeit der Zuwendung zu beweisen (BGH NJW 95, 1349). Weiterhin muss der Schenker die Voraussetzungen des § 528 Abs. 1 S. 1 BGB, insbesondere dass und inwieweit er außerstande ist, seinen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten, darlegen und beweisen (BGH NJW-RR 03, 53). Für das Vorliegen der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB ist der Beschenkte nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweispflichtig. Ebenso für die Voraussetzungen der §§ 529, 534 BGB. Ein Prüfungsschemata zu § 528 Abs. 1 S. 1 BGB finden Sie im Downloadbereich von sr.iww.de.
6. Überleitung auf den Sozialhilfeträger (§ 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII)
Wegen des im Sozialhilferecht geltenden Nachrangprinzips tritt der Träger der Sozialhilfe mit seinen Leistungen nur in Vorlage für die vorrangig Verpflichteten. Daraus ergibt sich, dass der Anspruch gegen den Beschenkten bestehen bleibt und auch nicht bei dessen Tod untergeht, gleich ob der Schenker vor oder nach der Überleitungsanzeige stirbt (BGH NJW 03, 2449).
1. Anzeige der Überleitung an den Beschenkten
Erhält der Träger der Sozialhilfe Kenntnis von einer möglichen Schenkung des Leistungsempfängers (Schenkers), kann er durch schriftliche Anzeige an den Beschenkten den Rückforderungsanspruch auf sich überleiten. Diese Überleitung ist ein sogenannter privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt (§ 93 Abs. 3 SGB XII) und bewirkt den Übergang des Anspruchs (BVerwG NJW 92, 3312).
PRAXISHINWEIS | Im Streitfall entscheiden die Sozialgerichte über die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts der Überleitung (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG). Zur Entscheidung über die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 528 Abs. 1 S. 1 BGB sind allerdings die Zivilgerichte umfassend zuständig, da durch die Überleitung der zivilrechtliche Charakter der Norm und deren Rechtsnatur insgesamt nicht berührt wird (BVerwG NJW 90, 3288). |
Die Rechtmäßigkeit der Überleitung des Anspruchs hängt nicht von dessen Bestehen oder Nichtbestehen ab, da Prüfung dieser Frage Sache der Zivilgerichte ist (BVerwG, a.a.O., zu § 90 BSHG). Nach § 93 Abs. 2 S. 1 SGB XII bewirkt die Überleitung den Übergang des Anspruchs für die Zeit, für die der leistungsberechtigten Person die Leistung ohne Unterbrechung erbracht wird. Als Unterbrechung gilt ein Zeitraum von mehr als zwei Monaten (§ 93 Abs. 2 S. 2 SGB XII).
Merke | Für die Einstandspflicht des verschenkten Vermögens (beim Beschenkten) ist die Einkommens- und Vermögenslage des Schenkers im Zeitpunkt der zur Bewilligung der Hilfe führenden Beantragung von Sozialhilfe maßgeblich, nicht dagegen die Einkommens- und Vermögenslage des Schenkers im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung über den übergeleiteten Anspruch (BGH NJW 03, 2449). Aus diesem Grund kann der Beschenkte sich nicht auf eine Verbesserung der Vermögenslage des Schenkers berufen, die nach der Gewährung von Sozialhilfe eingetreten ist.
2. Rechtsfolgen der Überleitung
Da das Sozialgericht nicht prüft, ob der übergeleitete Anspruch nach § 528 Abs. 1 S. 1 BGB besteht und welchen Umfang er im Einzelfall hat, geht die Überleitung sozusagen ins „Leere“, wenn der Anspruch tatsächlich nicht besteht - was sich möglicherweise erst im Prozess vor dem Zivilgericht herausstellt. Besteht ein Anspruch, führt die wirksame Überleitung zu einem Gläubigerwechsel: Nicht der Schenker, sondern der Sozialhilfeträger ist Gläubiger des Anspruchs und kann ihn gegen den Beschenkten geltend machen. Der Anspruch bleibt in seinem Rechtscharakter unverändert.
Gegen den vom Sozialträger geltend gemachten Anspruch stehen dem Beschenkten die gleichen Einwendungen zu wie gegenüber dem Schenker. Nach § 406 BGB kann der Beschenkte u.U. die Einwendung der Aufrechnung mit einer Forderung gegen den Schenker erheben, wenn diese Forderung vor der Kenntnis der Überleitungsanzeige entstanden ist (BGH NJW 07, 60).
Merke | Dem Anspruch kann der Beschenkte nicht entgegenhalten, dass der Gegenstand der Schenkung im Vermögen des Schuldners bereits zum Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII) gezählt habe. Schenkungs- und Sozialhilferecht werden insoweit als zwei abgeschlossene Systeme angesehen, die unabhängig voneinander zu beurteilen sind (BGH NJW 05, 670).
Weiterführende Hinweise
- Zu den Verteidigungsmöglichkeiten des Beschenkten, in dieser Ausgabe S. 26