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· Fachbeitrag · Sozialhilferegress

Vorzeitige Vermögensübertragung: Gangbarer Weg zur Erhaltung des Familienvermögens?

von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg

| Immer mehr Familien machen sich Gedanken, was eine mögliche Pflegebedürftigkeit der Eltern für das Familienvermögen bedeuten kann. Strategien, mit denen sich das Familienvermögen erhalten lässt sind gefragt. Der folgende Beitrag behandelt den Rückforderungsanspruch bei Schenkungen. |

1. Rückforderungsanspruch wegen Notbedarfs

Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit unentgeltlichen Vermögensübertragungen ist § 528 Abs. 1 S. 1 BGB. Er sieht ein eigenständiges gesetzliches Rückforderungsrecht des Schenkers vor. Ist der Schenker nicht mehr in der Lage, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten oder eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung gegenüber den in § 528 BGB genannten Personen zu erfüllen, kann er vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach Maßgabe der §§ 812 bis 822 BGB verlangen. Mit § 528 BGB soll verhindert werden, dass die Allgemeinheit die Folgen der Freigiebigkeit des Schenkers tragen muss. (BGH FamRZ 10, 463).

 

§ 528 BGB hat stark an Bedeutung gewonnen. Er hat sich zu einer Art „sozialhilferechtlichem Erstattungsanspruch“ entwickelt (Sefrin in: jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 528 BGB, Rn. 9), denn:

 

  • Rückforderungsansprüche nach § 528 BGB zählen zum verwertbaren Vermögen (§ 2 Abs. 1 SGB XII) von Eltern, die zum „Sozialfall“ geworden sind und
  • der Sozialhilfeträger hat gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII das Recht und die Pflicht der Überleitung dieser Ansprüche aufgrund geleisteter Sozialhilfe.

 

a) Anwendungsvoraussetzungen 

Das verschenkte Vermögen ist von vornherein mit dem Recht nach § 528 BGB belastet. Es ist Bestandteil des Schenkungsvertrags und entsteht nicht erst mit der Verarmung des Schenkers, sondern wird durch diese nur ausgelöst (BGH FamRZ 04, 561). Voraussetzung ist, dass der Schenker sein Schenkungsversprechen vollständig erfüllt hat. Vor Erfüllung kann der Schenker und damit auch der Sozialhilfeträger die Einrede des Notbedarfs nach § 519 Abs. 1 BGB erheben, die ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt. Nicht entscheidend ist, wann der Notbedarf des Schenkers eingetreten ist (BGH FamRZ 07, 60).

 

§ 528 Abs. 1 S. 1 BGB soll den Schenker in die Lage versetzen, seinen angemessenen Unterhalt selbst zu bestreiten sowie seine gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber Verwandten und Ehegatten zu erfüllen. Letztere hat im Zusammenhang mit sozialhilferechtlich relevanten Vermögensübertragungen von Eltern auf ihre Kinder weniger Bedeutung. In den meisten Fällen geht es um das Unvermögen des verarmten Schenkers, seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu bestreiten. Auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der Schenkung und dem Eintritt der Bedürftigkeit kommt es dabei nicht an (BGH FamRZ 05, 177).

 

Für die Beurteilung der Angemessenheit des Unterhaltsbedarfs des Schenkers i.S. von § 528 Abs. 1 S. 1 BGB ist im Grundsatz an die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen und Maßstäbe anzuknüpfen. Der Schenker muss sich zwar nicht auf das unterhaltsrechtliche Existenzminimum beschränken. Er soll jedoch nicht so gestellt werden, als habe er die Schenkung nicht gemacht und könne deswegen seinen bisherigen individuellen Lebensstil ohne jede Einschränkung beibehalten.

 

Die Anknüpfung an den angemessenen Unterhalt in § 528 Abs. 1 S. 1 BGB verweist den Schenker auf einen Unterhalt, der objektiv seiner Lebensstellung nach der Schenkung angemessen ist (BGH FamRZ 03, 224). Bei pflegebedürftigen Eltern bestimmt sich ihr angemessener Lebensunterhaltsbedarf in erster Linie nach den für die Heimunterbringung anfallenden Kosten. Der Annahme einer Verarmung steht dabei nicht entgegen, dass der pflegebedürftige Elternteil seinen Lebensunterhalt gegebenenfalls mithilfe von eigenen Unterhaltsansprüchen sicherstellen könnte.

 

PRAXISHINWEIS | Der unterhaltspflichtige Beschenkten kann jedoch gemäß § 528 Abs. 1 S. 2 BGB der Herausgabe des Geschenks dadurch entgehen, indem er dem Schenker den angemessenen Unterhalt zahlt. Es sollte daher immer zuerst geprüft werden, ob eine monatliche Unterhaltszahlung für den Beschenkten finanziell möglich ist und ob sie angesichts des Werts des geschenkten Gegenstands nicht wirtschaftlich sinnvoller ist, als die Rückgabe des Geschenks.

 

b) Inhalt und Umfang des Rückforderungsanspruchs 

Der (übergegangene) Schenkungsrückforderungsanspruch aus § 528 Abs. 1 S. 1 BGB ist auf Herausgabe des Geschenks in Natur gerichtet. Handelt es sich bei einer Grundstücksübertragung um eine gemischte Schenkung, kann mit dem Herausgabeanspruch nur ein Wertersatz in Höhe der Leistungsdifferenz zwischen Geschenk und Gegenleistung verlangt werden. Etwas anderes gilt nur, wenn die unentgeltliche Zuwendung des Schenkers mindestens den doppelten Wert im Vergleich zur Gegenleistung hat. Dann kann Herausgabe gegen Rückgewähr der Gegenleistung gefordert werden (BGH ZEV 13, 213).

 

Beachten Sie | Ist dem Beschenkten die Herausgabe unmöglich, hat er im Umfang der Herausgabepflicht Geldersatz bis zur Höhe des Geschenkwerts zu leisten (§ 818 Abs. 2, 3 BGB). Ab dem Moment der Überleitungsanzeige muss er jedoch mit der Rückforderung rechnen. Ihn trifft dann eine verschärfte Haftung nach §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB (BGH FamRZ 03, 1265).

 

Bei einem regelmäßig wiederkehrenden Unterhaltsbedarf des Schenkers, z.B. in Form von Heim- oder Pflegekosten, richtet sich der (zweckgebundene) Rückforderungsanspruch des Schenkers aus § 528 Abs. 1 S. 1 BGB von vornherein (nur) auf wiederkehrende (Geld-)Leistungen des Beschenkten in einer dem angemessenen Unterhaltsbedarf entsprechenden Höhe bis der Wert des Geschenks erschöpft ist (BGH FamRZ 01, 401). Wird nicht das ganze Geschenk zur Deckung der bis zum Tod des Schenkers entstandenen Heimkosten benötigt, kann der Sozialhilfeträger bei einem nicht teilbaren Geschenk - wie einem Grundstück - ebenfalls nur Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB verlangen (BGH FamRZ 10, 463). Der Beschenkte kann jedoch seiner Zahlungspflicht dadurch entgehen, dass er die Rückgabe des Geschenks anbietet. Folgende Punkte stehen dem Rückforderungsanspruch nicht entgegen:

 

  • Bei Tod des Schenkers kann der Sozialhilfeträger den übergeleiteten Rückforderungsanspruch gegenüber den Erben geltend machen. Denn er ist gemäß § 1922 BGB auf diese übergegangen (BGH FamRZ 04, 691). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Anspruch vom Sozialhilfeträger bereits vor dem Tod des Schenkers gefordert oder übergeleitet worden ist (BGH FamRZ 95, 1123).

 

  • Der durch Tod der Eltern nicht erloschene Rückforderungsanspruch aus § 528 Abs. 1 S. 1 BGB gegen das beschenkte Kind geht auch nicht unter, wenn es zugleich Erbe der Eltern geworden ist, Forderung und Schuld also in einer Person zusammenfallen (Konfusion) (BGH FamRZ 95, 1123).

 

  • Der Rückforderungsanspruch kann auch gegen den Willen des Schenkers geltend gemacht werden. Eltern können daher auf ihren Anspruch aus § 528 Abs. 1 S. 1 BGB bei der Vermögensübertragung nicht zum Nachteil des Sozialhilfeträgers verzichten (BGH FamRZ 95, 1123).

 

  • Dem Rückforderungsanspruch und der Überleitung dieses Anspruchs auf den Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die von diesem dem Schenker geleistete Hilfe zum Lebensunterhalt steht es schließlich nicht entgegen, dass das Geschenk, wenn es beim Schenker verblieben wäre, zu dessen Schonvermögen gehört hätte (BGH FamRZ 05, 177).

 

Haben Eltern ihrem Kind ein Grundstück geschenkt und schenkt dieses es einem Dritten (z.B. Ehepartner), ist der Dritte zur Herausgabe verpflichtet (§ 822 BGB). Hat das Kind den geschenkten Grundbesitz verkauft, ist der Kaufpreis als Surrogat (§ 818 Abs. 1 BGB) herauszugeben (BGH FamRZ 04, 691). Wendet das Kind das Surrogat als Geldbetrag oder in Form einer Sache unentgeltlich einem Dritten zu (z.B. dem eigenen Kind) und ist deshalb nicht mehr bereichert (§ 818 Abs. 3 BGB), richtet sich der Anspruch aus § 528 Abs. 1 S. 1 BGB auch in diesem Fall gemäß § 822 BGB gegen den Zweitbeschenkten.

 

Beachten Sie | Dem Beschenkten steht schließlich eine Abwendungsbefugnis zu. § 528 Abs. 1 S, 2, 3 BGB gibt ihm das Recht, die Herausgabe durch Zahlung des für den angemessenen Unterhalt des Schenkers erforderlichen Geldbetrags zu ersetzen. Sie ist in Form einer wiederkehrenden Rente zu leisten. Die Zahlungspflicht endet mit dem Tod des Schenkers bzw. wenn der Wert des geleisteten Schenkungsgegenstandes vollständig erschöpft ist.

2. Ausschluss des Rückforderungsanspruchs

Dem Beschenkten stehen mit Blick auf sein Vertrauen auf den Rechtsbestand der Schenkung nach § 529 BGB in drei Fällen Einreden bzw. Einwendungen zu.

a) Ablauf der Zehnjahresfrist

Praktische Bedeutung hat insbesondere, dass die Rückforderung ausgeschlossen ist, wenn bei Eintritt der Bedürftigkeit des Schenkers zehn Jahre seit Leistung des geschenkten Gegenstands verstrichen sind (§ 529 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Die Frist beginnt mit der tatsächliche Vollziehung der Schenkung. Hierfür genügt bei Grundstücken, dass der Beschenkte nach dem notariellen Schenkungsvertrag und der Auflassung einen Antrag auf Eintragung beim Grundbuchamt eingereicht hat (BGH FamRZ 11, 1579). Beim Ablauf kommt es auf den tatsächlichen Eintritt der Notbedarfslage des Schenkers innerhalb der Zehnjahresfrist an. Es reicht nicht, wenn vor Ablauf dieser Frist nur die Umstände eingetreten sind, aus denen sich (früher oder später) eine Notlage - z.B. Unterbringung in einem Pflegeheim - ergeben kann (BGH NJW 00, 728).

 

PRAXISHINWEIS | In der Praxis ist eine Tendenz zu erkennen, dass Eltern schon frühzeitig Vermögenswerte auf ihre Kinder übertragen. Dadurch kann eine Rückforderung bzw. ein Sozialhilferegress wirksam begegnet werden.

 

b) Selbstverschuldete Verarmung

Diese Einrede gemäß § 529 Abs. 1 Alt. 1 BGB greift nur, wenn der Schenker seine Bedürftigkeit nachträglich und für den Beschenkten nicht vorhersehbar selbst herbeigeführt hat (z.B. durch Verschwendung und Glücksspiel). Der Beschenkte kann sich nicht auf einen Ausschluss nach § 529 Abs. 1 Alt. 1 BGB berufen, wenn der Notbedarf des Schenkers durch die Schenkung (mit der Aussicht auf eine spätere Sozialhilfegewährung) ausgelöst wurde (Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., § 529, Rn. 2).

 

c) Notbedarfseinrede des Beschenkten

Stehen dem Beschenkten bei Erfüllung des Rückforderungsanspruchs nicht mehr genügend Mittel für seinen eigenen angemessenen Unterhalt oder zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten zur Verfügung, kann er gemäß § 529 Abs. 2 BGB die Herausgabe des Geschenks - solange die eigene Notbedarfslage besteht (BGH FamRZ 05, 1989) - verweigern. Die Bedürftigkeit muss noch nicht eingetreten sein, es genügt die bloße Gefährdung und die begründete Besorgnis, dass ernstlich damit zu rechnen ist.

 

FAZIT | Eine unentgeltliche Grundstücksübertragung von Eltern auf ihre Kinder kann vor allem in den Fällen zu einer „Rettung“ des Familienvermögens führen, in denen bei Eintritt der Notlage des Schenkers durch Pflege- und Sozialhilfebedürftigkeit die Zehnjahresfrist seit der Schenkung bereits abgelaufen ist oder das Kind die Notbedarfseinrede erheben kann. Liegen diese Voraussetzungen vor und bewohnt das Kind (mit seiner Familie) die geschenkte Immobilie, kann die Vermögensübertragung allerdings noch im Rahmen des Elternunterhalts Bedeutung gewinnen, indem den laufenden Einkünften des unterhaltspflichtigen Kinds ein angemessener Wohnwert zugerechnet wird.

 

Weiterführender Hinweis

Quelle: Ausgabe 06 / 2015 | Seite 95 | ID 43356949