· Fachbeitrag · Sozialhilferegress
Vorzeitige Vermögensübertragung: Gangbarer Weg zur Erhaltung des Familienvermögens?
von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg
| Immer mehr Familien machen sich Gedanken, was eine mögliche Pflegebedürftigkeit der Eltern und die damit verbundenen hohen Kosten für das Familienvermögen bedeuten können. Mit dem folgenden Beitrag startet eine Beitragsreihe, die sich mit Strategien beschäftigt, mit denen sich das Familienvermögen erhalten lässt. Zunächst die theoretischen Grundlagen, dann Praxisfälle mit Beispielen. |
1. Problemstellung
Die demographische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg hat dazu geführt, dass auf der einen Seite immer mehr Vermögen - insbesondere Immobilienvermögen - vorhanden ist, das in den nächsten Jahren zu vererben sein wird. Auf der anderen Seite werden immer mehr Menschen immer älter. Die Notwendigkeit der Unterbringung in einer Pflege- oder Alteneinrichtung steigt. Die gesetzliche Pflegeversicherung ist nur eine Art „Teilkasko-Versicherung“ (Grziwotz, FamRB 14, 351/353).
a) Nachrangigkeit der Sozialhilfe
Die damit verbundenen Kosten sind hoch (mit steigender Tendenz). Häufig können Menschen, die im Alter pflegebedürftig werden, die Kosten für ihre Unterbringung in einem Pflegeheim (selbst mit überdurchschnittlichen Renteneinkünften) aus eigenen oder den Mitteln der Pflegeversicherung nicht mehr in vollem Umfang bestreiten. Viele ältere Menschen sind deshalb im Fall ihrer Heimunterbringung auf Sozialhilfe angewiesen. Die Leistungen, die der Staat einem Bedürftigen in Erfüllung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsgebots gewährt, sind jedoch nachrangig. Nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nur, wer sich nicht durch den Einsatz eigenen Einkommens oder Vermögens selbst helfen kann (Subsidiaritätsprinzip). Jeder Hilfsbedürftige ist infolge des Nachrangs der Sozialleistungen verpflichtet, seine Fähigkeiten, sein Einkommen und sein Vermögen nach Maßgabe der sozialrechtlichen Bestimmungen einzusetzen.
b) Selbstgenutzte Immobilie
Bei der selbst genutzten oder vermieteten Immobilie älterer Menschen handelt es sich in den meisten Fällen um den wesentlichen Teil ihres Vermögens. Eine spätere Pflegebedürftigkeit und Heimunterbringung kann folglich die Übertragung des Immobilienvermögens auf die nächste Generation in Gefahr bringen. Eltern ist es aber vielfach ein wichtiges Anliegen, durch ihre Pflegebedürftigkeit den Erhalt wesentlicher Vermögenswerte, insbesondere ihres Familienheims für ihre Kinder und Enkelkinder, nicht zu gefährden. Die Betroffenen stellen sich deshalb häufig die Frage, ob eine vorzeitige Übertragung von (Immobilien-) Vermögen unter Lebenden mit Blick auf die Zugriffsmöglichkeiten des Sozialhilfeträgers besser ist als das Vererben. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich - jenseits aller moralischen Wertungen - mit der Frage, inwieweit vorhandenes Vermögen durch eine vorzeitige Übertragung vor dem verzehrenden Verbrauch bzw. einer Verwertung im Rahmen gewährter Sozialhilfe „gerettet“ werden kann. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen praxisrelevante Aspekte beleuchtet werden.
2. Unentgeltlichkeit der Übertragung
Werden von den Eltern vorzeitig Vermögensübertragungen auf ihre Kinder vorgenommen und kann der Übertragende später die Kosten für seine Unterbringung in einem Pflegeheim aus eigenen Mitteln und seinen noch vorhandenen Vermögenswerten nicht decken, so tritt hierdurch eine Notbedarfslage ein. Wenn und soweit die frühere Übertragung unentgeltlich erfolgt ist, kann eine solche Verarmung Rückforderungsansprüche des Schenkers bzw. des Sozialhilfeträgers aus § 528 BGB auslösen.
Beachten Sie | Das Merkmal der Unentgeltlich der von den Eltern vorgenommenen Vermögensübertragung ist damit für die vorliegende Fragestellung von so zentraler Bedeutung, weshalb zunächst hierauf einzugehen ist.
3. Vertragsgestaltung
Ansprüche bei Eintritt der Pflege- und Hilfsbedürftigkeit knüpfen im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Vermögensübertragung der Eltern auf ihre Kinder an die Unentgeltlichkeit dieser Hingabe an, die sowohl eine vollständige als auch eine teilweise sein kann. Die Frage der Unentgeltlichkeit ist stets nach der objektiven Sachlage zu beurteilen. Daneben ist als subjektives Tatbestandsmerkmal das Wissen und die Einigung der Vertragsparteien in Bezug auf eine (teilweise) Unentgeltlichkeit der Zuwendung erforderlich (BGH FamRZ 12, 207). Unentgeltlich ist die Übertragung eines Vermögensbestandteils, wenn und soweit sie ohne oder ohne adäquate Gegenleistung aus dem Vermögen des Übernehmers geschieht. Dies ist dem Inhalt des Übernahmevertrages zu entnehmen. Die vorzeitige vertragliche Übertragung von Immobilienvermögen von Eltern auf ihre Kinder erfolgt in den meisten Fällen in Form einer Schenkung oder im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Der Übertragungsvertrag kann auch den Charakter einer gemischten Schenkung haben.
a) Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts?
Im Spannungsfeld zwischen Privatautonomie und sozialhilferechtlichem Nachrangprinzip stellt sich zunächst die Frage, ob eine von den Eltern ohne oder ohne adäquate Gegenleistung vorgenommene rechtsgeschäftliche Vermögensübertragung, die sich als sozialhilferechtlich relevant erweist, bereits als sittenwidrig und damit nichtig anzusehen ist.
Rechtsgeschäfte, durch die der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf ihm gebührende Vermögenswerte vereitelt wird, stehen grundsätzlich nicht unter dem Schutz der Rechtsordnung, sondern sind wegen Sittenwidrigkeit unwirksam (§ 138 BGB). Eine anerkannte Fallgruppe, in der der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsfreiheit durch die „guten Sitten“ eine Grenze gezogen wird, bilden Rechtsgeschäfte zulasten der Allgemeinheit. Demgemäß hat die Rechtsprechung Unterhaltsverzichte in Eheverträgen oder Scheidungsfolgenvereinbarungen, die absehbar dazu führen, dass der Verzichtende sozialhilfebedürftig wird, grundsätzlich als sittenwidrig angesehen (BGH FamRZ 07, 197; FamRZ 85, 788).
Wichtig | Diese Rechtsprechung lässt sich aber auf die hier interessierende Problemlage nicht ohne Weiteres übertragen. Nach dem Grundsatz der Privatautonomie (Art. 2 GG) ist es Eltern unbenommen, bereits zu Lebzeiten durch Rechtsgeschäft über ihre Vermögenwerte zu verfügen und diese im Wege der vorweggenommenen Erbfolge bzw. einer Schenkung auf ihre künftigen Erben zu übertragen (BGH FamRZ 91, 689; Grziwotz, a.a.O., 353).
Schon deshalb und wegen der nicht durch das Rechtsgeschäft selbst verursachten nachteiligen Wirkungen kann es sich nicht um einen unzulässigen „Vertrag zulasten Dritter“ handeln. Selbst wenn die Vermögensentäußerung das Risiko einer späteren Hilfsbedürftigkeit erhöht und in der vorzeitigen Vermögensweitergabe ein leichtfertiges oder sogar grob nachlässiges Verhalten zum Ausdruck kommt, reicht es nicht aus, wenn der später Sozialhilfebedürftige sicher weiß oder vorhersehen kann, dass er infolge seiner Vermögensübertragung hilfebedürftig werden wird.
Er muss sich bei der Übertragung seines Immobilien- oder sonstigen Vermögens vielmehr von der Absicht leiten lassen, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung staatlicher Hilfeleistungen zu schaffen (LSG Berlin-Brandenburg ZEV 08, 547). Dies wird nur in Ausnahmefällen festzustellen sein. Liegen allerdings die unentgeltliche Vermögensübertragung und der Eintritt der Pflegebedürftigkeit zeitlich dicht zusammen, kann ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB in Betracht zu ziehen sein.
b) Vorwegnahme der Erbfolge und gemischte Schenkung
Unter einer Vorwegnahme der Erbfolge versteht man die Übertragung des Vermögens (oder eines wesentlichen Teiles davon) durch den (künftigen) Erblasser auf einen oder mehrere als Erben in Aussicht genommene Empfänger (BGH FamRZ 95, 479). Aus einer Bezeichnung der Übertragung als „vorweggenommene Erbfolge“ in dem zugrunde liegenden Übertragungsvertrag ergibt sich nicht schon zwingend deren Unentgeltlichkeit. Damit wird lediglich ein Motiv für die Übertragung festgehalten, das jedoch nichts über ihre Unentgeltlichkeit aussagt (BGH FamRZ 12, 207; FamRZ 95, 479). Diese Angabe kann sowohl auf dem Verständnis beruhen, eine unentgeltliche Zuwendung vorzunehmen wie darauf, die Rechtsfolgen einer Erbschaft durch ein entgeltliches Geschäft vorzeitig herbeiführen zu wollen (BGH FamRZ 12, 207).
Die gemischte Schenkung ist ein einheitlicher Vertrag, bei dem der Wert der Leistung des einen demjenigen des anderen nur zum Teil entspricht, die Vertragsparteien dies wissen und übereinstimmend wollen. Für die Frage, ob die Vermögensübertragung unentgeltlich (§ 516 BGB) erfolgt ist oder ob sie als eine gemischte Schenkung anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob der unentgeltliche Charakter des Geschäfts den entgeltlichen überwiegt. Dieses Kriterium und die Höhe der Leistungsdifferenz gewinnen nur für den Fall einer etwaigen Rückabwicklung Bedeutung. Überwiegt der entgeltliche Charakter, kann gleichwohl eine Schenkung vorliegen mit der Folge, dass mit dem Rückforderungsanspruch (anstelle der vollständigen Herausgabe des Geschenks) nur ein Wertersatz in Höhe der Leistungsdifferenz zwischen Geschenk und Gegenleistung verlangt werden kann (BGH ZEV 13, 213).
Beachten Sie | Da sich das Vorliegen von Gegenleistungen anspruchsmindernd auswirkt, gewinnt der Umfang und Wert der vereinbarten Gegenleistung erhebliche praktische Bedeutung. Die Behandlung von Fragen im Zusammenhang mit gemischten Schenkungen kann im Einzelfall Probleme bereiten, zumal hier einiges umstritten ist.
c) Die verschleierte Schenkung
Im Bereich familiärer Rechtsgeschäfte erkennt die (zivilrechtliche) Rechtsprechung teilweise eine sehr weitgehende Privatautonomie an. Den Wert der auszutauschenden Leistungen können die Vertragspartner im Rahmen der Vertragsfreiheit selbst bestimmen und damit auch die Größe eines sich etwa ergebenden Leistungsüberschusses (BGH NJW 72, 1709). Das führt allerdings nicht dazu, dass Eltern ihren Kindern den vorhandenen Grundbesitz zu jedem selbstgewählten Preis veräußern könnten. Dieser Befugnis sind, jedenfalls soweit eine Beurteilung als sozialhilferechtlich relevante Schenkung in Betracht kommt, Grenzen gesetzt.
- Insbesondere kann der bloße Parteiwille eine tatsächlich fehlende Gegenleistung nicht ersetzen und dadurch die Annahme einer Schenkung i.S. von § 516 BGB vermeiden.
- Ebenso kann eine Schenkung nicht durch eine willkürliche Bemessung von Leistung und Gegenleistung ausgeschlossen werden, indem der Wert der Gegenleistungen in dem Übertragungsvertrag ganz unangemessen festgesetzt („frisiert“) wird, um einen äußerlichen Gleichstand zu erreichen (BGH NJW 72, 1709).
Maßgebliche Bedeutung kommt dem Verhältnis zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert der Gegenleistung zu. Besteht hierbei eine auffallende, über ein geringes Maß deutlich hinausgehende Diskrepanz, dann begründet dies im Einklang mit der Lebenserfahrung die tatsächliche, widerlegbare Vermutung für einen Schenkungswillen der Vertragsparteien (BGH FamRZ 12, 207). Allerdings sind hierbei nicht nur die objektiven Werte der Leistungen, sondern vor allem auch die Wertspannen zu berücksichtigen, innerhalb derer die Vertragsparteien den Wert der Leistungen auch unter Berücksichtigung der Beziehung, in der sie zueinander stehen, in einer noch vertretbaren Weise annehmen können. Hinzu kommt dass es für ein Missverhältnis keinen mathematisch errechenbaren, allgemein gültigen Schwellenwert gibt.
Folglich hat ein Vertrag, der durch seinen Inhalt und seine Form mittels eines fiktiven Kaufpreises eine Schenkung in Wahrheit nur verschleiert, (ganz oder teilweise) eine unentgeltliche Zuwendung zum Gegenstand. Entsprechendes gilt, wenn die Veräußerung der Immobilie zwar zum Verkehrswert erfolgt, der bezahlte „Kaufpreis“ anschließend jedoch wieder an das Kind zurückfließt. Gegenstand der verschleierten Schenkung ist dann allerdings nicht die Immobilie sondern der Geldbetrag. Diese unentgeltliche Zuwendung kann, wenn der zuwendende Elternteil infolge einer notwendigen Heimunterbringung zum „Sozialfall“ geworden ist, ebenfalls einen Rückforderungsanspruch auslösen.
d) Versorgungsleistungen als werthaltige Gegenleistung
Schenken Eltern ihren Kindern zu Lebzeiten ihre Immobilie, so geschieht das häufig unter Einräumung eines Wohnrechts oder Übernahme dinglicher Belastungen. Oft wird die Übertragung des Grundbesitzes auch verbunden mit der Verpflichtung zur Erbringung von häuslichen Pflege-, Versorgungs- und sonstigen Dienstleistungen (z.B. Begleitung bei Arztbesuchen, Reinigung der Wohnung, Besorgung des Einkaufs), um möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden führen zu können.
Die Übernahme der auf dem geschenkten Grundstück ruhenden dinglichen Belastungen sowie die Einräumung des Wohnrechts stellen in der Regel keine Gegenleistungen des Beschenkten (aus seinem Vermögen) dar, sondern sie mindern lediglich den Wert des Geschenks. Auch bei den versprochenen persönlichen Leistungspflichten handelt es sich nicht um Gegenleistungen im eigentlichen Sinn, sondern um Auflagen (BGH NJW 89, 2122).
Wird die Unterbringung der berechtigten Eltern in einem Pflegeheim notwendig, so kann das übernehmende Kind seine persönlich geschuldeten Leistungen und Dienste im Regelfall nicht mehr erbringen. Die Parteien des Übergabevertrages können Regelungen für diesen Fall treffen. Insbesondere kann vereinbart werden, dass die persönlichen Leistungsverpflichtungen bei einer späteren Heimunterbringung der Eltern ersatzlos wegfallen sollen. Im Fall einer Regelungslücke bedarf es einer ergänzenden Auslegung des Schenkungsvertrags (BGH FamRZ 10, 554). Es besteht keine Vermutung, dass sich die persönlichen Leistungsverpflichtungen aus dem Übertragungsvertrag in einen Anspruch des Schenkers auf Geldleistung (zwecks künftiger Beteiligung an seinen Pflegeheimkosten) umwandeln. Soweit aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen die geschuldeten persönlichen Leistungen von dem übernehmenden Kind tatsächlich erbracht worden sind, mindern sie bis zum Umzug in das Pflegeheim den Wert der Schenkung.
Beachten Sie | Dagegen ist freiwilligen und im Rahmen familiärer Unterstützung und Fürsorge für die Eltern erbrachten Pflege- und Versorgungsleistungen kein wirtschaftlicher Wert im Rahmen einer sozialhilferechtlich relevanten Bewertung der Grundstücksschenkung beizumessen (Grziwotz, a.a.O., 358).
Weiterführender Hinweis
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